HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 1123
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 49/16, Beschluss v. 20.09.2016, HRRS 2016 Nr. 1123
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Lüneburg vom 15. Juli 2015 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die den nicht revidierenden Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum Mord in 300.000 rechtlich zusammentreffenden Fällen zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Gegen seine Verurteilung wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
I. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
Der Angeklagte hatte sich im Oktober 1940 als „überzeugter Nationalsozialist“ freiwillig zur SS gemeldet, um dieser aus seiner damaligen Sicht „ruhmreichen Elite-Kaste“ anzugehören. Da er nicht den an der Front kämpfenden Truppen der SS zugewiesen werden wollte, war er seinem Wunsch entsprechend zunächst in verschiedenen Besoldungsstellen der SS als „Zahlmeister“ eingesetzt worden. Im September 1942 wurde er schließlich im Rang eines „SS-Sturmmannes“ zum Konzentrationslager Auschwitz versetzt, um dort bei der Realisierung der „Aktion Reinhard“ mitzuwirken.
Diese nach dem Leiter des „Reichssicherheitshauptamtes“ Reinhard Heydrich benannte Aktion war Teil der Umsetzung der spätestens Anfang 1942 von den nationalsozialistischen Machthabern beschlossenen „Endlösung der Judenfrage“ durch systematische Tötung aller europäischen Juden im deutschen Einflussbereich und richtete sich gegen die jüdische Bevölkerung im besetzten Polen sowie der Ukraine. Die dort lebenden Juden sollten ausnahmslos deportiert und in den von der SS geleiteten sowie betriebenen Konzentrations- und Vernichtungslagern getötet werden, entweder unmittelbar nach ihrer Deportation oder im Wege der „Vernichtung durch Arbeit“. Diesem Zweck dienten insbesondere die in Belzec, Treblinka und Sobibor errichteten Vernichtungslager sowie das Konzentrationslager Auschwitz.
Das Konzentrationslager Auschwitz war zunächst in einem Komplex ehemaliger Kasernengebäude errichtet worden (sog. Stammlager bzw. „Auschwitz I“). Das „Stammlager“ bestand aus dem sog. Schutzhaftlager sowie Verwaltungsgebäuden, in denen unter anderem die sog. Häftlingseigentumsverwaltung und - als deren Unterabteilung - die „Häftlingsgeldverwaltung“ ihren Sitz hatten. Es war bereits ab Oktober 1941 durch einen weitaus größeren Lagerkomplex in dem etwa drei Kilometer entfernten Dorf Birkenau erweitert worden („Auschwitz II“). Im Rahmen der „Aktion Reinhard“ wurde um die Jahreswende 1942/43 das Lager Auschwitz-Birkenau endgültig zum Vernichtungslager umfunktioniert, indem neben den anfangs in zwei ehemaligen Bauernhäusern provisorisch eingerichteten Gaskammern vier große Gaskammern mit angeschlossenen Krematorien gebaut wurden, die im Laufe des Jahres 1943 in Betrieb genommen wurden, sodass schließlich pro Tag bis zu 5.000 Menschen getötet und verbrannt werden konnten.
Anfang März 1944 begann die SS damit, nach dem Vorbild der „Aktion Reinhard“ die Vernichtung der in Ungarn lebenden jüdischen Bevölkerung (sog. Ungarn-Aktion) einzuleiten. Nachdem eine als „Kommando Eichmann“ bezeichnete Gruppe von SS-Angehörigen bereits am 10. März 1944 speziell für die Vorbereitung dieses Vorhabens nach Ungarn gereist war, wurden die dort lebenden Juden nach der Besetzung Ungarns durch deutsche Truppen am 19. März 1944 in Ghettos zusammengetrieben und schließlich in der Zeit vom 16. Mai bis zum 11. Juli 1944 mit Zügen nach Auschwitz deportiert, um dort in gleicher Weise systematisch getötet zu werden wie die zuvor von der „Aktion Reinhard“ betroffenen Juden.
In Auschwitz-Birkenau hatte die SS die „Ungarn-Aktion“ dadurch vorbereitet, dass ein neues Bahnanschlussgleis verlegt worden war, das im Gegensatz zu dem früher genutzten (sog. alte Rampe) innerhalb des Lagers endete und sich dort in drei Gleise auffächerte (sog. neue Rampe). Infolgedessen konnten die Züge mit den Deportierten nur wenige hundert Meter von den Gaskammern entfernt „entladen“ werden. Im Übrigen entsprachen die Abläufe im Rahmen der „Ungarn-Aktion“ denjenigen bei der „Aktion Reinhard":
Die für die „Abwicklung“ eines Transports eingeteilten Lagerangehörigen trieben die Deportierten aus den Waggons heraus und wiesen sie an, ihr Gepäck auf der Rampe stehen zu lassen. Um ihre Arglosigkeit aufrechtzuerhalten, teilten sie ihnen wahrheitswidrig mit, dass ihnen das Gepäck nachgebracht werde. Sodann trennte man die Deportierten nach Geschlechtern und trieb sie einem SS-Lagerarzt zu, der die sog. Selektion vornahm, indem er nach dem äußeren Eindruck und kurzer Befragung (insbesondere zu Alter und Beruf) darüber entschied, wer als „arbeitsfähig“ oder „nicht arbeitsfähig“ anzusehen sei. Die „Arbeitsfähigen“ wurden in das Lager eingewiesen und anschließend zur Zwangsarbeit eingesetzt, um auf diese Weise der „Vernichtung durch Arbeit“ zugeführt zu werden, alle anderen - durchschnittlich jeweils etwa 80 bis 90 Prozent - wurden direkt zu den Gaskammern geleitet. SS-Angehörige erklärten ihnen wahrheitswidrig, dass es „zum Duschen“ gehe. Unmittelbar vor den Gaskammern befand sich ein Raum, der wie ein Umkleideraum gestaltet war. Dort wiesen die SS-Angehörigen die Deportierten an, sich vollständig zu entkleiden. Sie forderten diese - wiederum in der Absicht, ihre Arglosigkeit so lange wie möglich aufrechtzuerhalten - auf, sich die Stelle, an der sie ihre Kleidung abgelegt hatten, genau zu merken, damit sie ihre Sachen „nach dem Duschen“ wiederfänden. Anschließend trieben sie sie in die Gaskammern, wo sie mittels des Schädlingsbekämpfungsmittels „Zyklon B“ (Cyanwasserstoff, „Blausäure“) qualvoll getötet wurden.
Im Verlauf der „Ungarn-Aktion“ kamen 141 Züge mit rund 430.000 aus Ungarn deportierten Menschen in Auschwitz an. Weil die zur sofortigen Tötung bestimmten Opfer dort nicht registriert wurden, konnte das Landgericht deren genaue Zahl nicht feststellen; zugunsten des Angeklagten ist die Strafkammer davon ausgegangen, dass zumindest 300.000 der Deportierten sofort getötet wurden.
Das auf der Rampe zurückgelassene Gepäck der Deportierten entfernten sogenannte „Funktionshäftlinge“ jeweils vor dem Eintreffen des nächsten Transportzuges und durchsuchten es nach Geld sowie Wertgegenständen. Beides brachten sie zwecks weiterer Verwertung zur „Häftlingseigentumsverwaltung“.
Dem Angeklagten war nach seiner Versetzung zum Konzentrationslager Auschwitz eine Stelle in der „Häftlingsgeldverwaltung“ zugewiesen worden. Er war zwischenzeitlich zum „SS-Unterscharführer“ befördert worden und in die „Ungarn-Aktion“ in gleicher Weise eingebunden wie in die „Aktion Reinhard“. So versah er während der „Ungarn-Aktion“ an mindestens drei nicht mehr näher feststellbaren Tagen - uniformiert und mit einer Pistole bewaffnet - den sog. Rampendienst an der „neuen Rampe“. Dabei hatte er in erster Linie die Aufgabe, während der Entladung der in Auschwitz ankommenden Züge das auf der Rampe abgestellte Gepäck zu bewachen und Diebstähle zu verhindern. Diebstähle von SS-Angehörigen waren in Auschwitz zwar an der Tagesordnung, und die Taten wurden zumeist auch nicht verfolgt, weil den Tätern ein Teil der „Beute“ stillschweigend zugestanden wurde, um die Moral der Truppe aufrechtzuerhalten. An der Rampe sollte jedoch unbedingt verhindert werden, dass das Gepäck - vor den Augen der Deportierten - geöffnet, durchsucht und geplündert wurde, um deren für den weiteren Ablauf der Selektion und Vergasung für unerlässlich gehaltene Arglosigkeit nicht zu gefährden und Unruhe zu verhindern. Zugleich war der Angeklagte bei der Ausübung seiner „Rampendienste“ auch Teil der Drohkulisse, die jeden Gedanken an Widerstand oder Flucht bereits im Keim ersticken sollte.
Neben den „Rampendiensten“ hatte der Angeklagte im Rahmen seiner Tätigkeit in der „Häftlingsgeldverwaltung“ die Aufgabe, das Geld der Deportierten nach Währungen zu sortieren, zu verbuchen, zu verwalten und nach Berlin zu transportieren. Dort lieferte er es in unregelmäßigen Abständen entweder bei dem „SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamt“ ab oder zahlte es unmittelbar auf ein Konto der SS bei der Reichsbank ein. Überdies oblag es dem Angeklagten während seiner Diensttätigkeit jederzeit, die Deportierten zu überwachen und Widerstand oder Fluchtversuche nötigenfalls mit Waffengewalt zu unterbinden.
Dem Angeklagten waren die Abläufe im Konzentrationslager Auschwitz schon seit seiner Beteiligung an der „Aktion Reinhard“ in allen Einzelheiten bekannt. Er wusste insbesondere, dass die nach Auschwitz deportierten Juden dort massenweise unter bewusster Ausnutzung ihrer Arg- und Wehrlosigkeit qualvoll getötet wurden. Ihm war ebenfalls bewusst, dass er die in Auschwitz betriebene Tötungsmaschinerie durch seine Tätigkeiten unterstützte. Er nahm dies indes zumindest billigend in Kauf, um nicht zu den kämpfenden SS-Einheiten an die Front versetzt zu werden.
II. Die Verfahrensrügen dringen aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen nicht durch.
III. Die auf die Sachrüge gebotene umfassende Überprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zu Ungunsten des Angeklagten ergeben.
Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen die Verurteilung des Angeklagten wegen Beihilfe zum Mord in 300.000 Fällen (§§ 211, 27 StGB). Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass im Konzentrationslager Auschwitz während der „Ungarn-Aktion“ mindestens 300.000 Menschen heimtückisch und grausam getötet wurden. Die Annahme der Strafkammer, wonach der Angeklagte zu allen diesen Taten Hilfe geleistet hat, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
1. Die rechtliche Bewertung der Handlungen des Angeklagten bemisst sich nach den allgemeinen Grundsätzen. Danach gilt:
Hilfeleistung im Sinne des § 27 StGB ist - bei Erfolgsdelikten - grundsätzlich jede Handlung, welche die Herbeiführung des Taterfolges durch den Haupttäter objektiv fördert oder erleichtert; dass sie für den Eintritt dieses Erfolges in seinem konkreten Gepräge in irgendeiner Weise kausal wird, ist nicht erforderlich (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 8. März 2001 - 4 StR 453/00, NJW 2001, 2409, 2410 mwN). Beihilfe kann schon im Vorbereitungsstadium der Tat geleistet werden (vgl. BGH, Urteile vom 1. August 2000 - 5 StR 624/99, BGHSt 46, 107, 115; vom 16. November 2006 - 3 StR 139/06, NJW 2007, 384, 389, jeweils mwN), selbst zu einem Zeitpunkt, in dem der Haupttäter zur Tatbegehung noch nicht entschlossen ist (vgl. BGH, Urteil vom 24. April 1952 - 3 StR 48/52, BGHSt 2, 344, 345 f.; Beschluss vom 8. November 2011 - 3 StR 310/11, NStZ 2012, 264); sie ist auch noch nach Vollendung der Tat bis zu deren Beendigung möglich (vgl. BGH, Urteil vom 24. Juni 1952 - 1 StR 316/51, BGHSt 3, 40, 43 f.; Beschluss vom 4. Februar 2016 - 1 StR 424/15, juris Rn. 13, jeweils mwN). Sie kommt auch in der Form sog. psychischer Beihilfe in Betracht, indem der Haupttäter ausdrücklich oder auch nur konkludent in seinem Willen zur Tatbegehung, sei es auch schon in seinem Tatentschluss, bestärkt wird. Dies ist etwa der Fall, wenn dem Haupttäter Unterstützung bei der späteren Tatausführung oder der Verwertung der Tatbeute zugesagt wird (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 13. August 2002 - 4 StR 208/02, NStZ 2003, 32, 33; vom 1. Februar 2011 - 3 StR 432/10, NStZ 2011, 637).
Wird die Tat aus einem Personenzusammenschluss - etwa einer Bande oder einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung - heraus begangen, so kann sie dem einzelnen Banden- oder Vereinigungsmitglied nicht allein aufgrund der von ihm getroffenen Bandenabrede oder seiner Zugehörigkeit zu der Vereinigung als eigene zugerechnet werden; es ist vielmehr hinsichtlich jeder Tat nach den allgemeinen Kriterien zu prüfen, ob sich das betreffende Mitglied daran als Mittäter (§ 25 Abs. 2 StGB), Anstifter (§ 26 StGB) oder Gehilfe (§ 27 StGB) beteiligt bzw. gegebenenfalls insoweit überhaupt keinen strafbaren Tatbeitrag geleistet hat (st. Rspr.; vgl. etwa zur Bande: BGH, Beschlüsse vom 13. Mai 2003 - 3 StR 128/03, NStZ-RR 2003, 265, 267; vom 24. Juli 2008 - 3 StR 243/08, StV 2008, 575; vom 1. Februar 2011 - 3 StR 432/10, NStZ 2011, 637; zur Vereinigung: BGH, Beschlüsse vom 23. Dezember 2009 - StB 51/09, NStZ 2010, 445, 447 f.; vom 7. Februar 2012 - 3 StR 335/11, NStZ-RR 2012, 256, 257).
Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn die strafrechtliche Bewertung von Handlungen in Rede steht, die im Rahmen von oder im Zusammenhang mit staatlich organisierten Massenverbrechen vorgenommen werden. Bei ihrer Anwendung dürfen jedoch die Besonderheiten nicht außer Betracht bleiben, die sich bei derartigen Delikten in tatsächlicher Hinsicht ergeben. Diese bestehen bei einer Tatserie wie dem systematischen Völkermord an den europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland darin, dass an jeder einzelnen bei dessen Verwirklichung begangenen Mordtat einerseits eine Vielzahl von Personen allein in politisch, verwaltungstechnisch oder militärischhierarchisch verantwortlicher Position ohne eigenhändige Ausführung einer Tötungshandlung beteiligt war, andererseits aber auch eine Mehrzahl von Personen in Befolgung hoheitlicher Anordnungen und im Rahmen einer hierarchischen Befehlskette unmittelbar an der Durchführung der einzelnen Tötungen mitwirkte. Bei der rechtlichen Bewertung von Handlungen eines - wie hier - auf unterer Hierarchieebene und ohne eigene Tatherrschaft in die organisatorische Abwicklung des massenhaften Tötungsgeschehens eingebundenen Beteiligten muss daher in den Blick genommen werden, dass zu jeder einzelnen Mordtat Mittäter auf mehreren Ebenen in unterschiedlichsten Funktionen sowie mit verschiedensten Tathandlungen zusammenwirkten und daher zu prüfen ist, ob die Handlungen des allenfalls als Tatgehilfe in Betracht kommenden Beteiligten die Tathandlung zumindest eines der an dem Mord täterschaftlich Mitwirkenden im Sinne des § 27 Abs. 1 StGB gefördert haben.
2. Daran gemessen hat das Landgericht die Tätigkeiten des Angeklagten im Konzentrationslager Auschwitz rechtsfehlerfrei als Beihilfe zu den dort im Rahmen der „Ungarn-Aktion“ begangenen Morden gewertet, bei denen die Opfer unmittelbar nach Ankunft und „Selektion“ in den Gaskammern getötet wurden.
a) Dies gilt zunächst hinsichtlich der Opfer, bei deren Ankunft in Auschwitz-Birkenau der Angeklagte Rampendienste leistete. Insoweit bedarf es keiner näheren Erörterung, dass der Angeklagte den SS-Angehörigen, die durch die Selektion an der Rampe und die Ausführung der unmittelbaren Tötungshandlungen durch Einwerfen des „Zyklon B“ in die Gaskammern täterschaftliche Mordtaten verübten, in ihrem Tun im Sinne des § 27 Abs. 1 StGB Hilfe leistete, indem er einerseits durch die Bewachung des Gepäcks dazu beitrug, die Arglosigkeit der Angekommenen aufrechtzuerhalten, und andererseits als Teil der Drohkulisse dabei mitwirkte, jeden Gedanken an Widerstand oder Flucht bereits im Keim zu ersticken.
b) Aber auch bezüglich der Opfer, bei deren Eintreffen er keinen Rampendienst versah, hat sich der Angeklagte wegen Beihilfe zum Mord strafbar gemacht. Zwar ist insoweit nicht festgestellt, dass die an der „Selektion“ beteiligten „Ärzte“ oder die die Tötungen eigenhändig ausführenden SS-Männer in ihrem unmittelbaren Tun durch die allgemeine Dienstausübung des abwesenden Angeklagten physisch oder psychisch unterstützt worden wären. Indes hat das Landgericht im Ausgangspunkt zutreffend darauf abgehoben, dass der Angeklagte durch seine allgemeine Dienstausübung in Auschwitz bereits den Führungspersonen in Staat und SS Hilfe leistete, die im Frühjahr 1944 die „Ungarn-Aktion“ anordneten und in der Folge in leitender Funktion umsetzten bzw. umsetzen ließen (zur mittelbaren Täterschaft im Rahmen staatlicher Machtapparate vgl. etwa BGH, Urteile vom 26. Juli 1994 - 5 StR 98/94, BGHSt 40, 218; vom 4. März 1996 - 5 StR 494/95, BGHSt 42, 65; vom 8. November 1999 - 5 StR 632/98, BGHSt 45, 270). Dies ergibt sich aus Folgendem:
Voraussetzung für die Anordnung und rasche Durchführung der Ermordung der aus Ungarn zu deportierenden Juden war das Bestehen eines organisierten Tötungsapparates, der auf der Basis seiner materiellen und personellen Ausstattung durch verwaltungstechnisch eingespielte Abläufe und quasi industriell ablaufende Mechanismen in der Lage war, in kürzester Zeit eine Vielzahl von Mordtaten umzusetzen. Zu diesem Tötungsapparat zählte das Konzentrationslager Auschwitz, insbesondere das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau, mit dem dort für diese Zwecke diensttuenden Personal. Nur weil ihnen eine derart strukturierte und organisierte „industrielle Tötungsmaschinerie“ mit willigen und gehorsamen Untergebenen zur Verfügung stand, waren die nationalsozialistischen Machthaber und die führenden SS-Funktionäre überhaupt in der Lage, die „Ungarn-Aktion“ anzuordnen und in der geschehenen Form auch durchführen zu lassen. Ihr Tatentschluss und ihre Anordnungen zur Umsetzung der Aktion waren daher wesentlich durch diese Voraussetzungen bedingt und wurden hierdurch maßgeblich gefördert.
An dieser Tatförderung hatte der Angeklagte Anteil. Er war Teil des personellen Apparats, der schon zum Zeitpunkt des Befehls zur „Ungarn-Aktion“ in Auschwitz Dienst tat. Er war in die Organisation der Massentötungen eingebunden, indem er nach Dienstplan Aufgaben beim Eintreffen der Opfer an der Rampe wahrnahm und es ihm unabhängig hiervon durchgehend oblag, die Deportierten zu überwachen sowie Widerstand oder Fluchtversuche mit Waffengewalt zu verhindern. Letztlich war er darüber hinaus in die Verwertung der Vermögenswerte der Opfer eingebunden, durch die - sei es auch erst nach Beendigung der jeweiligen Mordtat - die SS aus den massenhaften Verbrechen noch Profit zog. Dass diese Funktionen im Konzentrationslager Auschwitz von dort tätigen Angehörigen der SS ausgefüllt wurden, war den Verantwortlichen bei Anordnung der „Ungarn-Aktion“ bekannt und war für ihren Tatentschluss sowie ihre entsprechenden Anordnungen und Befehle von grundlegender Bedeutung. Dass sie dabei den Angeklagten nicht persönlich kannten, ist rechtlich ohne Belang. Es genügt ihr Wissen, dass alle im Rahmen der Tötungsmaschinerie auszufüllenden Funktionen mit zuverlässigen, gehorsamen Untergebenen besetzt waren und dies eine reibungslose Umsetzung der „Ungarn-Aktion“ garantierte.
All dies war nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe auch dem Angeklagten bewusst und wurde von ihm zumindest billigend in Kauf genommen. Er war schon kurz nach seinem Dienstantritt in Auschwitz über das dortige Geschehen in vollem Umfang informiert. Er fügte sich dennoch in seinem Bestreben, nicht an die Front versetzt zu werden, in die Organisation des Lagers ein und führte alle ihm erteilten Befehle aus. Daher war ihm klar, dass er durch seine Dienstausübung im Zusammenwirken mit anderen die Voraussetzungen dafür schuf, dass die Verantwortlichen in Staat und SS jederzeit eine in Auschwitz zu exekutierende Vernichtungsaktion beschließen und anordnen konnten, weil auf die dortige Umsetzung ihrer verbrecherischen Befehle Verlass war. Mehr ist für die Annahme eines Gehilfenbeitrags zu allen dem Angeklagten im angefochtenen Urteil zugerechneten Mordtaten aus der „Ungarn-Aktion“ in subjektiver Hinsicht nicht erforderlich.
3. Die unter 2. b) dargelegte Rechtsauffassung des Senats steht nicht in Widerspruch zur Rechtsprechung anderer Senate des Bundesgerichtshofs.
Allerdings hat der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs in seinem Urteil vom 20. Februar 1969 (2 StR 280/67; abgedruckt bei Rüter/de Mildt, Justiz und NSVerbrechen, Nr. 595b, Bd. XXI, S. 838 ff.; teilweise auch in NJW 1969, 2056) in anderem rechtlichen Zusammenhang (konkurrenzrechtliche Beurteilung von massenhaften Tötungen in durch große Zeiträume getrennten, wesentlich voneinander unterschiedenen und auf unterschiedlichsten Beweggründen beruhenden Tatkomplexen) ausgeführt, dass sich nicht „jeder, der in das Vernichtungsprogramm des Konzentrationslagers Auschwitz eingegliedert“ gewesen und dort „irgendwie anlässlich dieses Programms tätig“ geworden sei, „objektiv an den Morden beteiligt“ habe „und für alles Geschehene verantwortlich“ sei (Unterstreichungen im Original). Denn dann wäre auch der Arzt, der zur Betreuung der Wachmannschaft bestellt war und sich streng auf diese Aufgabe beschränkt hat, der Beihilfe zum Mord schuldig. Das gälte sogar für den Arzt, der im Lager Häftlingskranke behandelt und sie gerettet hat. Nicht einmal wer an seiner Stelle dem Mordprogramm kleinere Hindernisse, wenn auch in untergeordneter Weise und ohne Erfolg, bereitet hätte, wäre straffrei (Rüter/de Mildt aaO, S. 882; NJW 1969, 2056 f.).
Dem ist hier indes nicht näher nachzugehen; denn der hier zu beurteilende Sachverhalt unterscheidet sich deutlich von den vom 2. Strafsenat beispielhaft dargestellten Fallgestaltungen. Dem Angeklagten wird nicht „alles“ zugerechnet, was in Auschwitz geschah; vielmehr geht es um die Frage, ob und wie der Angeklagte für die im Rahmen des fest umgrenzten Komplexes der „Ungarn-Aktion“ durchgeführten Mordtaten strafrechtlich verantwortlich ist. Auch wurde der Angeklagte nicht „irgendwie anlässlich des Vernichtungsprogramms“ tätig, sondern es sind konkrete Handlungsweisen des Angeklagten mit unmittelbarem Bezug zu dem organisierten Tötungsgeschehen in Auschwitz schon im Vorfeld, aber auch im Verlauf der „Ungarn-Aktion“ festgestellt; diese sind rechtlich zu bewerten. Für derartige Sachverhalte sieht sich der Senat vielmehr in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des 2. Strafsenats (s. etwa Urteile vom 22. März 1967 - 2 StR 279/66, JZ 1967, 643 f.; vom 27. Oktober 1969 - 2 StR 636/68, juris Rn. 9 und 51 [insoweit in BGHSt 23, 123 nicht abgedruckt]), die dieser auch in seinem Urteil vom 20. Februar 1969 (Rüter/de Mildt aaO, S. 882; NJW 1969, 2056, 2057) nicht aufzugeben beabsichtigte.
4. Der Senat braucht nicht darüber zu befinden, ob die vom Landgericht vorgenommene Bewertung der Unterstützungshandlungen des Angeklagten als eine einheitliche Beihilfe zum Mord in 300.000 rechtlich zusammentreffenden Fällen (§ 52 StGB) zutreffend ist. Denn dass das Landgericht die Rampendienste des Angeklagten nicht als je tatmehrheitliche Beihilfehandlungen zum vielfachen Mord an den Opfern aus den entsprechenden Transporten bewertet hat, beschwert den Angeklagten hier jedenfalls nicht.
IV. Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Sätze 1 und 2 StPO. Eine Erstattung der notwendigen Auslagen der Nebenkläger B., O., Le., Ko., L., W., K., S., R. und Lef. im Revisionsverfahren findet wegen der gleichfalls erfolglosen Revisionen dieser Nebenkläger nicht statt (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 473 Rn. 10a).
HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 1123
Externe Fundstellen: BGHSt 61, 252 ; NJW 2017, 498 ; NStZ 2017, 158; StV 2017, 511
Bearbeiter: Christian Becker