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HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 593

Bearbeiter: Fabian Afshar/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, AK 26/24, Beschluss v. 21.03.2024, HRRS 2024 Nr. 593


BGH AK 26 u. 27/24 - Beschluss vom 21. März 2024 (OLG München)

Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate (dringender Tatverdacht; Haftgrund der Schwerkriminalität; besonderer Umfang und besondere Schwierigkeit der Ermittlungen); mitgliedschaftliche Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland.

§ 112 StPO; § 121 StPO; § 129a StGB; § 129b StGB

Entscheidungstenor

Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.

Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.

Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem Oberlandesgericht München übertragen.

Gründe

I.

Die Angeschuldigten sind am 6. September 2023 aufgrund der Haftbefehle des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 22. August 2023 (2 BGs 1156/23 [A. ]; 5 BGs 173/23 [O. ]) festgenommen worden. Nach deren Verkündung sowie Erlass zweier Beschlüsse über die Aufrechterhaltung und Invollzugsetzung (2 BGs 1208/23 [A. ]) bzw. über die Invollzugsetzung (5 BGs 181/23 [O. ]) am Tag der Festnahme wird gegen die Angeschuldigten ununterbrochen die Untersuchungshaft vollzogen.

1. Gegenstand des gegen den Angeschuldigten A. erlassenen Haftbefehls ist der Vorwurf, der Angeschuldigte habe sich seit Februar 2013 bis zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt im Jahr 2015 in Syrien im Bereich Deirez-Zor durch drei selbständige Handlungen als Mitglied an einer Vereinigung im Ausland beteiligt, deren Zwecke und deren Tätigkeit darauf gerichtet gewesen seien, Mord (§ 211 StGB), Totschlag (§ 212 StGB), Völkermord (§ 6 VStGB), Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 VStGB) oder Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder 12 VStGB) zu begehen („Liwa Jund al-Rahman“ und „Islamischer Staat“), wobei er in einem Fall die Vereinigung als Rädelsführer gegründet und sich zugleich an ihr als Rädelsführer beteiligt habe sowie in einem Fall sich als Rädelsführer an ihr beteiligt und gemeinschaftlich handelnd im Zusammenhang mit einem nichtinternationalen bewaffneten Konflikt eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person, die sich rechtmäßig in einem Gebiet aufgehalten habe, vertrieben oder zwangsweise überführt habe, indem er sie unter Verstoß gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts durch andere Zwangsmaßnahmen in einen anderen Staat oder in ein anderes Gebiet verbracht habe, strafbar nach § 129a Abs. 1 Nr. 1 Alternative 1 und 2, Abs. 4 Alternative 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB, § 8 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 6 Nr. 2 VStGB, § 25 Abs. 2, § 53 StGB.

Mit Beschluss vom 20. Dezember 2023 (StB 73/23) hat der Senat die Haftbeschwerde des Angeschuldigten A. verworfen.

2. Gegenstand des gegen den Angeschuldigten O. erlassenen Haftbefehls ist der Vorwurf, der Angeschuldigte habe sich seit einem derzeit noch nicht genau bekannten Zeitpunkt nach Februar 2013, spätestens ab Dezember 2013, bis einschließlich Juni 2014 in Syrien im Bereich Deir ez-Zor als Mitglied an einer Vereinigung im Ausland beteiligt, deren Zwecke und deren Tätigkeit darauf gerichtet gewesen seien, Mord (§ 211 StGB), Totschlag (§ 212 StGB), Völkermord (§ 6 VStGB), Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 VStGB) oder Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder 12 VStGB) zu begehen („Liwa Jund al-Rahman“), strafbar nach § 129a Abs. 1 Nr. 1 Alternative 2, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB.

3. Der Generalbundesanwalt hat, nachdem er die beiden Ermittlungsverfahren verbunden hatte, am 20. März 2024 gegen die Angeschuldigten Anklage zum Oberlandesgericht München erhoben. Er hat den haftbefehlsgegenständlichen Vorwurf gegen den Angeschuldigten A. um eine Tat erweitert; er legt ihm einen zusätzlichen Fall der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland als Rädelsführer in Tateinheit mit einem Kriegsverbrechen gegen Eigentum und sonstige Rechte (§ 9 Abs. 1 VStGB) zur Last.

II.

Bei beiden Angeschuldigten liegen die Voraussetzungen für die Anordnung der Untersuchungshaft und ihre Fortdauer über sechs Monate hinaus vor.

1. Was den Angeschuldigten A. betrifft, so wird hinsichtlich des dringenden Tatverdachts, des Haftgrundes der Schwerkriminalität und der Versagung einer Haftverschonung auf die Gründe der Haftentscheidung des Senats vom 20. Dezember 2023 (StB 73/23) Bezug genommen. Diese gelten fort. Für die Haftfrage kommt es auf die in der Anklageschrift dargelegte Erweiterung des Vorwurfs nicht an. Namentlich kann dahinstehen, ob der Angeschuldigte eines weiteren Falls der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland als Rädelsführer in Tateinheit mit einem Kriegsverbrechen gegen Eigentum und sonstige Rechte dringend verdächtig ist, indem er als Anführer der „Liwa Jund al-Rahman“ (LJAR) ein Feld von Erdölquellen habe erobern und ausbeuten lassen, und ob ein solches Tatgeschehen auf der Grundlage der Ausführungen in dem Haftbefehl (S. 4, 6, 10, 22) Gegenstand der Haftprüfung sein könnte.

Die nach der Vorlage der Haftbeschwerde durchgeführten Ermittlungen haben den dringenden Tatverdacht nicht entkräftet. Insbesondere haben die vom Angeschuldigten benannten Zeugen keine Angaben zur Existenz einer anderen Person als Anführer der LJAR gemacht, die geeignet sind, das bisherige auf vielfältigen Erkenntnissen beruhende Ermittlungsergebnis zu erschüttern. Wegen der Einzelheiten wird auf die Zuschrift des Generalbundesanwalts vom 28. Februar 2024 verwiesen.

2. Was den Angeschuldigten O. betrifft, so gilt für die die Anordnung und den Vollzug der Untersuchungshaft rechtfertigenden allgemeinen Voraussetzungen:

a) Der Angeschuldigte ist der ihm angelasteten Tat dringend verdächtig.

aa) Nach dem bisherigen Ermittlungsstand ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Sachverhalt auszugehen:

(1) Die LJAR wurde im Februar 2013 in der Provinz Deir ez-Zor vom Angeschuldigten A. gegründet. Sie bestand unter dessen Führung als eigenständige bewaffnete Rebellengruppe bis zu ihrer Eingliederung in den IS Anfang Juli 2014.

Ziel der LJAR war der Sturz des syrischen Regimes durch andauernden bewaffneten Kampf. Sie bekannte sich zwar zunächst zur Freien Syrischen Armee (FSA), die im Juli 2011 als Dachorganisation für die Widerstandsgruppen im syrischen Bürgerkrieg entstanden war und kein ausgeprägtes ideologisches Profil besaß. Die LJAR verfolgte aber eine islamistische Agenda. Von Anfang an und im Weiteren zunehmend bediente sie sich islamistisch-jihadistischer Rhetorik und Symbolik. Im Dezember 2013 gründete und dominierte sie unter dem Namen „Tajammu Mujahidin al-Qa’qa“ („Sammelbewegung der Jihad-Kämpfer von al-Qa’qa“) ein Bündnis mit anderen bewaffneten Gruppierungen. Es grenzte sich bewusst von dem Bündnis „Mishmish“ um die „Jabhat al-Nusra“ (JaN) ab, das die Ausbreitung des „Islamischen Staates im Irak und in Großsyrien“ (ISIG) kämpferisch unterbinden wollte. Offen erklärtes Ziel der LJAR war jedenfalls ab diesem Zeitpunkt die Einführung der Scharia, die Errichtung eines islamischen Staates in Syrien und die Kooperation mit dem sich ausbreitenden ISIG.

Bei ihrer Gründung verfügte die LJAR mindestens über eine niedrige dreistellige Anzahl von Kämpfern, einen Anführer und ein Generalkommando. Sie untergliederte sich hierarchisch in Katiba (Bataillone), die durch Katiba-Anführer sowie Feldkommandeure geleitet und befehligt wurden. Den anfangs acht Katiba wurden durch Beitritte anderer bewaffneter Gruppen aus Deir ez-Zor und dem Umland in der Folgezeit mindestens sieben weitere Katiba hinzugefügt. Die LJAR unterhielt mehrere logistische Stützpunkte und verwendete eigene Logos und Banner. Für propagandistische Öffentlichkeitsarbeit betrieb sie ein „Medienbüro“, nutzte einschlägige Socialmedia-Plattformen und veröffentlichte Presseerklärungen, Interviews sowie insbesondere Videos, etwa auf ihrem YouTube-Kanal“ “. Eine Einheit unter zeitweiliger Leitung eines Bruders des Angeschuldigten A. verwaltete die von der Vereinigung eingenommenen Ölquellen und nutzte den Vertrieb des gewonnenen Öls zur Finanzierung der Gruppierung sowie zur Beschaffung von Waffen.

Die LJAR engagierte sich langfristig in Bündnissen und Dachverbänden. Die Kämpfer wurden durch einen gemeinschaftlichen Schwur auf die Vereinigung und die Förderung von deren Zielen verpflichtet. Sie erhielten Verpflegung, Waffen, Ausrüstung, Ausbildung sowie teilweise Sold und dienten der LJAR in einer Art Schichtdienst. Die Organisation verfügte über Sturmgewehre, Maschinengewehre, leichte Panzerabwehrwaffen, selbstgefertigte ungelenkte Raketenartillerie und Mörser aller Kaliber sowie über mindestens ein rückstoßfreies Geschütz samt zugehöriger Munition. Sie nutzte außerdem eine größere Anzahl Geländefahrzeuge, teils mit aufgepflanzten schweren Maschinengewehren, und mindestens zwei erbeutete Panzer der syrischen Armee. Auch im städtischen Gebiet bediente sie sich massiv ungelenkter Artillerie und Raketen. Sie setzte die Sprengung und Inbrandsetzung von Gebäuden als Kampfmittel ein; ihre Scharfschützen nahmen Passanten unter Beschuss. Zudem verwendete sie minderjährige Rekruten, verhöhnte in ihren Propagandavideos Leichen getöteter Gegner und prägte die generalisierenden Feindbilder „Regimetreue“, „Schiiten“, „Alawiten“.

Als kämpfende Konfliktpartei engagierte sich die LJAR dauerhaft an mehreren Frontabschnitten zu Gebieten, die von Einheiten des syrischen Regimes gehalten wurden, und führte zusätzlich begrenzte militärische Aktionen durch. Neben anderen bewaffneten Gruppierungen nahm sie spätestens ab April 2013 kontinuierlich an der Belagerung des von der syrischen Regierung gehaltenen Militärflughafens von Deir ez-Zor teil. Auf die gleiche Weise betätigte sie sich an den Frontabschnitten in der Stadt selbst und dem nahegelegenen Industriegebiet. Im Juni 2013 führte die LJAR in dem Ort Hatlah gemeinsam mit der JaN und weiteren bewaffneten Gruppierungen eine als „Säuberung“ bezeichnete, gegen die dortige schiitische Bevölkerung gerichtete Vertreibungsoperation durch, die sämtliche schiitische Präsenz in Hatlah beendete und die gesamte schiitische Infrastruktur wie Moscheen und Gebetshäuser zerstörte. Dabei wurde eine Vielzahl schiitischer Einwohner getötet. Die Operation diente der Vergeltung sowie der Errichtung einer der Ideologie der Vereinigung entsprechenden Staatsund Gesellschaftsordnung.

Spätestens ab Anfang 2014 unterstützte die LJAR den ISIG bei der Einnahme der Provinz Deir ez-Zor und der Vertreibung gegnerischer bewaffneter Einheiten. Anfang Juli 2014 trat sie der nunmehr in „Islamischer Staat“ (IS) umbenannten Vereinigung bei, gab eine Gefolgschaftserklärung ab und beteiligte sich anschließend als deren Untergruppe an der Eroberung der Stadt Al-Mayadin sowie der Unterwerfung des Shu’aytat-Gebiets. Im weiteren Verlauf des Jahres 2014 verschwand sie als abgrenzbare Einheit des IS und ging vollständig in ihm auf.

(2) Der Angeschuldigte O. trat der LJAR zu einem bislang nicht genau bekannten Zeitraum zwischen September und Anfang Dezember 2013 bei. Er teilte ihre Ideologie und gehörte ihr bis einschließlich Juni 2014 an.

Spätestens seit Anfang Dezember 2013 hatte der Angeschuldigte eine führende Stellung im militärischen Bereich der LJAR inne. In dieser Funktion befehligte er ihre Kampftruppen im Gebiet Deir ez-Zor bei Gefechten gegen die syrische Armee. Soweit an diesen Kampfhandlungen neben Einheiten der Gruppierung Kräfte anderer Vereinigungen beteiligt waren, koordinierte der Angeschuldigte den Einsatz. Insbesondere nahm er im Dezember 2013 an dem gemeinsam mit weiteren Kräften der Tajammu Mujahidin al-Qa’qa ausgeführten Angriff gegen Stützpunkte der syrischen Armee beim Militärflughafen Deir ez-Zor teil. Im Februar 2014 führte er Einheiten der LJAR bei Kampfhandlungen gegen die syrische Armee in der Ortschaft AI-Jaffrah. Unter seiner Leitung nahmen die Truppen der Gruppierung im April 2014 einen Teil des Militärflughafens Deir ez-Zor ein. Indes gelang ihnen nicht dessen vollständige Übernahme. Vielmehr zogen sich die Kämpfe mit der syrischen Armee bis Juni 2014 hin.

bb) Hinsichtlich der syrischen terroristischen Vereinigung LJAR und ihrer Teilnahme am bewaffneten nichtinternationalen Konflikt in der Provinz Deir ez-Zor beruht der dringende Tatverdacht auf Sachverständigengutachten und polizeilichen Auswerteberichten. Sie werden bestätigt durch Erkenntnisse aus einer großen Anzahl von Videos und durch Aussagen zahlreicher aus Syrien stammender Zeugen, die ihren Bekundungen zufolge der Gruppierung angehörten oder Kontakt zu ihr hatten. Im Hinblick auf die Struktur und Tätigkeit der LJAR sowie die Vertreibungsoperation in der Ortschaft Hatlah am 11. Juni 2013 sind die Ermittlungsergebnisse in einen umfangreichen Vermerk des Bundeskriminalamts vom 13. Dezember 2023 niedergelegt. Darin sind - neben Erkenntnissen aus Sachverständigengutachten, Zeugenvernehmungen und sonstigen Ermittlungsmaßnahmen - die Resultate aus der seit der Festnahme vorgenommenen Auswertung der relevanten Inhalte zweier YouTube-Kanäle und eines Twitter-Kanals der Vereinigung sowie weiterer zahlreicher Videos eingeflossen.

Der Angeschuldigte O. hatte die mitgliedschaftliche Beteiligung an der LJAR zunächst in Abrede gestellt. So hatte er im Asylverfahren bestritten, in Syrien einer bewaffneten Gruppierung angehört zu haben. In einem anderen Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft München I hat er dann zwar über seinen Verteidiger eingeräumt, er sei einer der Organisationen beigetreten, die sich nach Ausbruch des Bürgerkrieges gegen das syrische Regime gerichtet hätten. Jedoch habe er lediglich an Propagandavideos für eine Rebellengruppierung mitgewirkt, in denen Kampfszenen nur nachgeahmt worden seien. An realen Kampfhandlungen habe er sich nicht beteiligt. Im hiesigen Verfahren hat er sich erstmals mit der Stellungnahmeschrift seines Verteidigers vom 18. März 2024 dahin geäußert, er habe der LJAR angehört und aktiv an bewaffneten Auseinandersetzungen mit dem syrischen Militär um den Militärflughafen Deir ez-Zor mitgewirkt, allerdings nicht in leitender Funktion sowie „weniger aus religiösen bzw. fanatischen ..., sondern eher ... aus finanziellen und logistischen Gründen“.

Hinsichtlich der führenden Stellung des Angeschuldigten O. innerhalb der LJAR und seiner mitgliedschaftlichen Beteiligungshandlungen stützt sich der dringende Tatverdacht im Wesentlichen auf die Auswertung einer Vielzahl gesicherter Videos, welche die Medienabteilung der Vereinigung in das Internet einstellte, und hierauf bezogene Identifizierungsgutachten des Bayerischen Landeskriminalamts. Den Videos lässt sich sowohl entnehmen, dass der Angeschuldigte mit großer Wahrscheinlichkeit auf Seiten der LJAR an verschiedenen Kampfeinsätzen teilnahm, namentlich im Bereich des Militärflughafens Deir ez-Zor und der Ortschaft Al-Jaffrah, als auch, dass er hochwahrscheinlich eine den regulären Kämpfern übergeordnete leitende und koordinierende Funktion einnahm (beispielsweise aufgrund des Untertitels „Ansprache des Militärkommandeurs“). Dass er damals die Ideologie der LJAR teilte, ergibt sich insbesondere aus seinen offenkundig von einer islamistischen Gesinnung getragenen Äußerungen, die auf den Videos dokumentiert sind.

Soweit sich der Angeschuldigte in dem anderen Ermittlungsverfahren über seinen Verteidiger dahin eingelassen hat, auf den Videos seien lediglich zu Propagandazwecken nachgeahmte Kampfszenen zu sehen, vermag dies den dringenden Tatverdacht nicht zu entkräften. Auf der Grundlage der bisherigen Ermittlungsergebnisse besteht hierfür weder ein tatsächlicher Anhalt, noch ist dies im Hinblick auf das auf den Videos wiedergegebene Geschehen plausibel. Die nunmehrigen Ausführungen in der Stellungnahmeschrift geben ebenfalls keinen Anlass, den dringenden Tatverdacht abweichend zu bewerten. Auch für den Vorwurf, dass der Angeschuldigte im militärischen Bereich der Vereinigung eine führende Position einnahm, liegt aus den genannten Gründen weiterhin der nach § 112 Abs. 1 Satz 1 StPO erforderliche Verdachtsgrad vor. Die eingehende Würdigung seiner voneinander divergierenden Angaben bleibt einer voraussichtlichen Hauptverhandlung vorbehalten (vgl. zudem BGH, Urteil vom 26. Januar 2023 - 3 StR 154/22, juris Rn. 17).

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den gegen den Angeschuldigten vollzogenen Haftbefehl, die diesem zugrundeliegende Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 16. August 2023 und dessen Zuschrift vom 28. Februar 2024 verwiesen.

cc) In rechtlicher Hinsicht ist der Angeschuldigte O. dringend verdächtig der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland nach § 129a Abs. 1 Nr. 1 Alternative 2, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB. Die nach § 129b Abs. 1 Satz 2 und 3 StGB erforderliche Ermächtigung zur strafrechtlichen Verfolgung seiner Taten im Zusammenhang mit der Betätigung für die LJAR liegt vor. Die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts ergibt sich aus § 7 Abs. 2 Nr. 2 in Verbindung mit § 129b Abs. 1 Satz 2 Variante 4 StGB. Der Anschluss an eine terroristische Organisation ist nach Art. 1 und 3 des syrischen Anti-Terror-Gesetzes Nr. 19 vom 28. Juni 2012 in Syrien mit Strafe bedroht (s. BGH, Beschluss vom 9. März 2022 - AK 6/22, juris Rn. 42).

b) Die Strafgerichtsbarkeit des Bundes und damit die Zuständigkeit des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs für den Erlass des Haftbefehls folgt aus § 169 Abs. 1 StPO, § 120 Abs. 1 Nr. 6, § 142a Abs. 1 GVG.

c) Gegen den Angeschuldigten O. liegt jedenfalls der Haftgrund der Schwerkriminalität (§ 112 Abs. 3 StPO) vor. Daher kann offenbleiben, ob der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO) ebenfalls gegeben ist. Dies könnte insofern zweifelhaft sein, als der Angeschuldigte in Deutschland familiär eingebunden sowie sozial integriert scheint (dazu sogleich) und gewichtige Anhaltspunkte dafür bestehen, dass er bereits seit September 2022 mit Ermittlungen zu strafbarem Verhalten im syrischen Bürgerkriegsgebiet gerechnet, gleichwohl bislang jedenfalls keine erkennbaren Bemühungen entfaltet hat, sich dem Verfahren zu entziehen.

Bei den in § 112 Abs. 3 StPO angeführten Straftaten, zu denen die mitgliedschaftliche Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland gehört, kann für die Anordnung der Untersuchungshaft bereits die zwar nicht mit bestimmten Tatsachen belegbare, aber nach den Umständen des Falls doch nicht auszuschließende Fluchtgefahr genügen (zu den rechtlichen Anforderungen s. BGH, Beschluss vom 20. April 2022 - StB 15/22, juris Rn. 11 f. mwN). So liegt es hier, sollte der Angeschuldigte O. auf freien Fuß gelangen:

Im Fall seiner Verurteilung hat der Angeschuldigte eine empfindliche, einen erheblichen Fluchtanreiz begründende Strafe zu erwarten. Dem stehen keine hinreichenden die Fluchtgefahr ausschließenden Umstände gegenüber. Zwar verfügt der Angeschuldigte in Deutschland über soziale Bindungen. Er ist seit Oktober 2021 mit einer deutschen und niederländischen Staatsangehörigen verheiratet, mit der er zwei kleine Kinder hat. Vier seiner Geschwister wohnen in Deutschland. Der Angeschuldigte zeigte sich um seine Integration bemüht. So sind seine Deutschkenntnisse mittlerweile gut; vor seiner Inhaftierung absolvierte er an einer Hochschule ein Masterstudium in Interkultureller Kommunikation und engagierte sich ehrenamtlich. Jedoch ist sein aufenthaltsrechtlicher Status ungesichert. Das auf seinen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis eingeleitete Verwaltungsverfahren ist derzeit wegen Anhängigkeit eines Ermittlungsverfahrens ausgesetzt. Überdies leben seine Eltern und drei Geschwister noch in Syrien. Er unterhält Kontakte in den Irak und plante, in Begleitung seiner Familie dorthin zu fliegen, nach eigenen Angaben für ein Treffen mit seinen Eltern. Sollte sich der Angeschuldigte ins Ausland absetzen, ist zu erwarten, dass seine Ehefrau, die zum islamischen Glauben konvertiert ist und seine im Kern traditionellen islamischen Wertvorstellungen teilt, ihm mit den gemeinsamen Kindern dorthin folgt. Ein Abtauchen innerhalb von Deutschland ist ebenso wenig ausgeschlossen.

d) Eine - bei verfassungskonformer Auslegung auch im Rahmen des § 112 Abs. 3 StPO mögliche - Außervollzugsetzung des Haftbefehls (§ 116 StPO analog) verspricht beim Angeschuldigten O. keinen Erfolg. Entgegen dem Antrag der Verteidigung kann unter den gegebenen Umständen der Zweck der Untersuchungshaft nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen als ihren Vollzug erreicht werden.

3. Bei beiden Angeschuldigten liegen die Voraussetzungen des § 121 Abs. 1 StPO für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus vor. Der besondere Umfang und die besondere Schwierigkeit der Ermittlungen haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen den weiteren Vollzug.

a) Seit der Festnahme der Angeschuldigten sind die Inhalte zweier YouTube-Kanäle und eines Twitter-Kanals der LJAR, insgesamt 498 Videos und 72 Seiten Tweets, sowie weitere 64 Videos ausgewertet worden.

b) Hinsichtlich des gegen den Angeschuldigten A. erhobenen Vorwurfs sind seit der Invollzugsetzung des Haftbefehls neun Zeugen im In- und Ausland vernommen worden, wobei die letzte Vernehmung auf den 16. Februar 2024 datiert. Auf die Beweisanregungen des Verteidigers des Angeschuldigten vom 29. November 2023 und vom 16. Januar 2024 hat der Generalbundesanwalt zeitnah Rechtshilfeersuchen an die Niederlande sowie an Österreich auf Vernehmung von insgesamt fünf Zeugen gerichtet. Vier bei dem Angeschuldigten anlässlich der Festnahme sichergestellte Mobiltelefone sind vorläufig gesichtet worden. Aufgrund der darauf gespeicherten großen Datenmenge ist die Auswertung der einzelnen Inhalte noch nicht abgeschlossen.

c) Hinsichtlich des gegen den Angeschuldigten O. erhobenen Vorwurfs sind seit der Invollzugsetzung des Haftbefehls fünf Zeugen einvernommen worden, die sich im maßgeblichen Zeitraum in dem syrischen Muhassan, seiner 20 Kilometer südöstlich von Deir ez-Zor gelegenen Heimatstadt, aufhielten und bei denen Anhaltspunkte vorgelegen haben, dass sie ihn kennen. Die Vernehmungen haben im Oktober 2023 stattgefunden. Die aufwändige Auswertung der Beweismittel, die im Rahmen der anlässlich der Festnahme durchgeführten Durchsuchung sichergestellt worden sind (Mobiltelefon und USB-Stick), ist im November 2023 abgeschlossen gewesen. Der Schlussbericht der Finanzermittlungen ist im Oktober 2023 vorgelegt worden. Die - zum Teil zeitintensiven - Internetermittlungen, mittels derer abgeklärt worden ist, ob Hinweise auf eine (fortbestehende) radikalislamische Gesinnung des Angeschuldigten oder Anhaltspunkte für weitere mitgliedschaftliche Beteiligungsakte innerhalb der LJAR bestehen, haben ebenfalls bis November 2023 gedauert.

Nachdem der Angeschuldigte O. über seinen Verteidiger wiederholt mitgeteilt hatte, er wolle sich zur Sache einlassen, hat der Generalbundesanwalt seine Vernehmung für den 29. und 30. November 2023 vorgesehen, von welcher der Angeschuldigte allerdings kurzfristig Abstand genommen hat. Der polizeiliche Schlussbericht ist daraufhin unter dem 14. Dezember 2023 vorgelegt worden.

d) Der Generalbundesanwalt hat hinreichend zügig Anklage erhoben. Dem Angeschuldigten O. gegenüber begründet es keine Verletzung des Beschleunigungsgrundsatzes, dass die vom Verteidiger des Angeschuldigten A. angeregten Zeugenvernehmungen zu einer unbeträchtlich späteren Anklageerhebung auch gegen ihn geführt haben. Dass der Generalbundesanwalt es als sachgerecht erachtet hat, die Ermittlungsverfahren zu verbinden, und somit auf die Zulassung nur einer Hauptverhandlung gegen beide angetragen hat, ist nicht zu beanstanden.

e) Wegen näherer Einzelheiten wird auf die Zuschrift des Generalbundesanwalts vom 28. Februar 2024 Bezug genommen.

4. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht bei keinem der Angeschuldigten derzeit außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der im Fall einer Verurteilung jeweils zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).

HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 593

Bearbeiter: Fabian Afshar/Karsten Gaede