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HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 151

Bearbeiter: Fabian Afshar

Zitiervorschlag: BGH, StB 73/23, Beschluss v. 20.12.2023, HRRS 2024 Nr. 151


BGH StB 73/23 - Beschluss vom 20. Dezember 2023

Untersuchungshaft (Haftbeschwerde; dringender Tatverdacht; Haftgrund der Schwerkriminalität); mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland als Rädelsführer; Gründung einer terroristischen Vereinigung im Ausland als Rädelsführer; Kriegsverbrechen gegen Personen durch Vertreibung.

§ 112 StPO; § 116 Abs. 1 Satz 1 StPO; § 304 StPO; § 129a StGB; § 129b StGB; § 8 Abs. 1 Nr. 6 VStGB; § 8 Abs. 6 Nr. 2 VStGB

Entscheidungstenor

1. Die Beschwerde des Beschuldigten gegen den Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 22. August 2023 in Verbindung mit dessen Aufrechterhaltungs- und Invollzugsetzungsbeschluss vom 6. September 2023 wird verworfen.

2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

I.

Der Beschuldigte ist am 6. September 2023 aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 22. August 2023 (2 BGs 1156/23) festgenommen worden. Nach Verkündung des Haftbefehls sowie Erlass eines Beschlusses über dessen Aufrechterhaltung und Invollzugsetzung am Tag der Festnahme (2 BGs 1208/23) wird gegen den Beschuldigten ununterbrochen die Untersuchungshaft vollzogen.

Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, der Beschuldigte habe seit Februar 2013 bis zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt im Jahr 2015 in Syrien im Bereich Deir ez-Zor durch drei selbständige Handlungen sich an einer Vereinigung im Ausland beteiligt, deren Zwecke und deren Tätigkeit darauf gerichtet gewesen seien, Mord (§ 211 StGB), Totschlag (§ 212 StGB), Völkermord (§ 6 VStGB), Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 VStGB) oder Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder 12 VStGB) zu begehen („Liwa Jund al-Rahman“ und „Islamischer Staat“), wobei er in einem Fall die Vereinigung als Rädelsführer gegründet und sich als Rädelsführer an ihr beteiligt habe sowie in einem weiteren Fall sich als Rädelsführer an ihr beteiligt und gemeinschaftlich handelnd im Zusammenhang mit einem nichtinternationalen bewaffneten Konflikt eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person, die sich rechtmäßig in einem Gebiet aufgehalten habe, vertrieben oder zwangsweise überführt habe, indem er sie unter Verstoß gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts durch andere Zwangsmaßnahmen in einen anderen Staat oder in ein anderes Gebiet verbracht habe, strafbar nach § 129a Abs. 1 Nr. 1 Variante 1 und 2, Abs. 4 Variante 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB, § 8 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 6 Nr. 2 VStGB, § 25 Abs. 2, § 53 StGB.

Gegen den Haftbefehl in Gestalt des Haftfortdauerbeschlusses wendet sich der Beschuldigte mit seiner Beschwerde. Er macht geltend, es liege kein Haftgrund vor.

II.

Die nach § 304 Abs. 5 StPO statthafte und auch im Übrigen zulässige (§ 306 Abs. 1 StPO) Beschwerde des Beschuldigten hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Der Beschuldigte ist der ihm im Haftbefehl vorgeworfenen Taten dringend verdächtig.

a) Im Sinne eines dringenden Tatverdachts ist von folgendem Sachverhalt auszugehen:

aa) Zum bewaffneten nichtinternationalen Konflikt in der syrischen Provinz Deir ez-Zor sowie zu den dort agierenden terroristischen Vereinigungen „Islamischer Staat“ (IS) beziehungsweise „Islamischer Staat im Irak und in Großsyrien“ (ISIG) und „Liwa Jund al-Rahman“ (LJAR):

(1) Die in Syrien seit Februar 2011 gegen die Regierung von Bashar al-Assad schwelenden Proteste eskalierten ab dem 15. März 2011 aufgrund des repressiven und gewaltsamen Vorgehens syrischer Sicherheitskräfte, Milizen sowie der Armee gegen Demonstranten und Oppositionelle. Die dadurch bewirkte Militarisierung der Protestbewegung entwickelte sich zu einem bewaffneten Aufstand, der Anfang 2012 schließlich weite Teile des Landes erfasste und sich zu einem großflächigen Bürgerkrieg ausweitete. In dem Konflikt bekämpften sich die syrischen Streitkräfte, unterstützt durch militärisch aufgerüstete Sicherheitskräfte und Milizen, einerseits und quasimilitärisch organisierte, mit Kriegswaffen ausgestattete Rebellengruppen andererseits. In der Provinz Deir ez-Zor eroberten Rebellengruppen bis März 2013 fast das gesamte Euphrattal samt in der Provinz befindlichen Ölquellen, die sie fortan ausbeuteten. Regimekräfte konnten sich lediglich in der Stadt Deir ez-Zor und westlich angrenzenden Gebieten einschließlich des Militärflughafens behaupten.

Zu den Hauptakteuren der Aufständischen in Syrien zählte die im Juli 2011 als Dachorganisation für die Widerstandsgruppen entstandene Freie Syrische Armee (FSA), die kein ausgeprägtes ideologisches Profil besaß. Ab dem Jahr 2013 wurden FSA-Einheiten von nunmehr dominierenden islamistischen und jihadistischen Milizen insbesondere des ISIG und der „Jabhat al-Nusra“ (JaN) aus großen Teilen der von ihnen bis dahin kontrollierten Gebiete verdrängt. Der ISIG führte eine solche Verdrängungskampagne unter anderem in der Provinz Deir ez-Zor spätestens seit Mitte 2013 gegen FSA-Einheiten ebenso wie gegen die Ja-N und mit ihr verbündete Gruppen. Die Konfliktparteien bekämpften sich intensiv mit militärischen Mitteln.

(2) Der „Islamische Staat“ - bis zum Juni 2014 „Islamischer Staat im Irak und in Großsyrien“ - ist eine Organisation mit militant-fundamentalistischer islamischer Ausrichtung, die es sich ursprünglich zum Ziel gesetzt hatte, einen das Gebiet des Irak und die historische Region „ash-Sham“ (die heutigen Staaten Syrien, Libanon und Jordanien sowie Palästina) umfassenden und auf ihrer Ideologie gründenden „Gottesstaat“ unter Geltung der Scharia zu errichten und dazu die schiitisch dominierte Regierung im Irak und das Regime des syrischen Präsidenten Assad zu stürzen. Zivile Opfer nahm und nimmt sie bei ihrem fortgesetzten Kampf in Kauf, weil sie jeden, der sich ihren Ansprüchen entgegenstellt, als „Feind des Islam“ begreift; die Tötung solcher „Feinde“ oder ihre Einschüchterung durch Gewaltakte sieht der IS als legitimes Mittel des Kampfes an.

Die Führung der Vereinigung hatte seit 2010 bis zu seinem Tod im Oktober 2019 der „Emir“ Abu Bakr al-Baghdadi inne. Al-Baghdadi wurde von seinem Sprecher mit der Ausrufung des „Kalifats“ im Juni 2014 - die mit der Abstandnahme von der territorialen Selbstbeschränkung einherging - zum „Kalifen“ erklärt, dem die Muslime weltweit Gehorsam zu leisten hätten.

Dem Anführer des IS unterstanden ein Stellvertreter sowie „Minister“ als Verantwortliche für einzelne Bereiche, so ein „Kriegsminister“ und ein „Propagandaminister“. Zur Führungsebene gehörten außerdem beratende „Shura-Räte“. Veröffentlichungen wurden von eigenen Medienstellen produziert und verbreitet. Das auch von den Kampfeinheiten verwendete Symbol der Vereinigung besteht aus dem „Prophetensiegel“ (einem weißen Oval mit der Inschrift „Allah - Rasul - Muhammad“) auf schwarzem Grund, überschrieben mit dem islamischen Glaubensbekenntnis. Die zeitweilig über mehrere Tausend Kämpfer waren dem „Kriegsminister“ unterstellt und in lokale Kampfeinheiten mit jeweils einem Kommandeur gegliedert.

Die Vereinigung teilte von ihr besetzte Gebiete in Gouvernements ein und richtete einen Geheimdienstapparat ein; diese Maßnahmen zielten auf die Schaffung totalitärer staatlicher Strukturen. Angehörige der irakischen und syrischen Armee, aber auch von in Gegnerschaft zum IS stehenden Oppositionsgruppen, ausländische Journalisten und Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen sowie Zivilisten, die den Herrschaftsbereich des IS in Frage stellten, sahen sich der Verhaftung, Folter und der Hinrichtung ausgesetzt. Filmaufnahmen von besonders grausamen Tötungen wurden mehrfach vom IS zu Zwecken der Einschüchterung veröffentlicht. Darüber hinaus beging er immer wieder Massaker an Teilen der Zivilbevölkerung und außerhalb seines Machtbereichs Terroranschläge. So übernahm er für Anschläge in Europa, etwa in Paris, Brüssel und Berlin, die Verantwortung.

Im Jahr 2014 gelang es dem IS, große, aneinander angrenzende Teile der Staatsterritorien von Syrien und dem Irak zu besetzen. Ab dem Jahr 2015 geriet die Vereinigung militärisch zunehmend unter Druck und musste schrittweise massive territoriale Verluste hinnehmen. Im März 2019 galt der IS als militärisch besiegt, ohne dass die Vereinigung als solche zerschlagen wäre.

(3) Die „Liwa Jund al-Rahman“ („Brigade der Soldaten des Barmherzigen“) wurde im Februar 2013 in der Provinz Deir ez-Zor gegründet. Sie bestand als eigenständige bewaffnete Rebellengruppe bis zu ihrer Eingliederung in den IS Anfang Juli 2014. Ihr Gründer und Anführer war der Beschuldigte (s. unten bb] [1]).

Ziel der LJAR war der Sturz der syrischen Regierung durch andauernden bewaffneten Kampf. Die Vereinigung bekannte sich zwar zur FSA, verfolgte aber eine islamistische Agenda. Von Anfang an und im Weiteren zunehmend bediente sie sich islamistisch-jihadistischer Rhetorik und Symbolik. Im Dezember 2013 gründete und dominierte sie unter dem Namen „Tajammu Mujahidin al-Qa’qa“ („Sammelbewegung der Jihad-Kämpfer von al-Qa’qa“) ein Bündnis mit anderen bewaffneten Gruppen. Es grenzte sich bewusst von dem Bündnis „Mishmish“ um die Ja-N ab, das die Ausbreitung des ISIG kämpferisch unterbinden wollte. Offen erklärtes Ziel der LJAR war jedenfalls ab diesem Zeitpunkt auch die Einführung der Scharia, die Errichtung eines islamischen Staates in Syrien und die Kooperation mit dem sich ausbreitenden ISIG.

Bei ihrer Gründung verfügte die LJAR mindestens über eine niedrige dreistellige Anzahl von Kämpfern, einen Anführer und ein Generalkommando. Sie untergliederte sich hierarchisch in Katiba (Bataillone), die durch Katiba-Anführer sowie Feldkommandeure geleitet und befehligt wurden. Den anfangs acht Katiba wurden durch Beitritte anderer bewaffneter Gruppen aus Deir ez-Zor und dem Umland in der Folgezeit mindestens sieben weitere Katiba hinzugefügt. Die LJAR unterhielt mehrere logistische Stützpunkte und verwendete eigene Logos und Banner. Für propagandistische Öffentlichkeitsarbeit betrieb sie ein „Medienbüro“, nutzte einschlägige Socialmedia-Plattformen und veröffentlichte Presseerklärungen, Interviews sowie insbesondere Videos, etwa auf ihrem Youtube-Kanal“ “. Eine Einheit unter zeitweiliger Leitung eines Bruders des Beschuldigten verwaltete die von der Vereinigung eingenommenen Ölquellen und nutzte den Vertrieb des gewonnenen Öls zur Finanzierung der Gruppierung sowie zur Beschaffung von Waffen.

Die LJAR engagierte sich langfristig in Bündnissen und Dachverbänden. Die Kämpfer wurden durch einen gemeinschaftlichen Schwur auf die Vereinigung und die Förderung von deren Zielen verpflichtet. Sie erhielten Verpflegung, Waffen, Ausrüstung, Ausbildung sowie teilweise Sold und dienten der LJAR in einer Art Schichtdienst. Die Organisation verfügte über Sturmgewehre, Maschinengewehre, leichte Panzerabwehrwaffen, selbstgefertigte ungelenkte Raketenartillerie und Mörser aller Kaliber sowie über mindestens ein rückstoßfreies Geschütz samt zugehöriger Munition. Sie nutzte außerdem eine größere Anzahl Geländefahrzeuge, teils mit aufgepflanzten schweren Maschinengewehren, und mindestens zwei erbeutete Panzer der syrischen Armee. Auch im städtischen Gebiet bediente sie sich massiv ungelenkter Artillerie und Raketen; sie setzte Gebäudesprengungen und Scharfschützenbeschuss von Passanten ein. Zudem verwendete sie minderjährige Rekruten, verhöhnte in ihren Propagandavideos Leichen getöteter Gegner und prägte die generalisierenden Feindbilder „Regimetreue“, „Schiiten“, „Alawiten“. Als kämpfende Konfliktpartei engagierte sie sich dauerhaft an mehreren Frontabschnitten zu Gebieten, die von Einheiten des syrischen Regimes gehalten wurden, und führte zusätzlich begrenzte militärische Aktionen durch. Neben anderen bewaffneten Gruppierungen nahm sie spätestens ab April 2013 kontinuierlich an der Belagerung des von der syrischen Regierung innegehaltenen Flughafens von Deir ez-Zor teil. In gleicher Weise betätigte sie sich an den Frontabschnitten in der Stadt selbst und dem nahegelegenen Industriegebiet.

Im Juni 2013 führte die LJAR in dem Ort Hatlah gemeinsam mit der Ja-N und weiteren bewaffneten Gruppen eine als „Säuberung“ bezeichnete, gegen die dortige schiitische Bevölkerung gerichtete Vertreibungsoperation durch, die sämtliche schiitische Präsenz in Hatlah beendete und die gesamte schiitische Infrastruktur wie Moscheen und Gebetshäuser zerstörte (s. unten bb] [2]). Spätestens ab Anfang 2014 unterstützte die Vereinigung den ISIG bei der Einnahme der Provinz Deir ez-Zor und der Vertreibung gegnerischer bewaffneter Einheiten. Anfang Juli 2014 trat sie dem IS bei, gab eine Gefolgschaftserklärung ab und beteiligte sich anschließend - als dessen Untergruppe - an der Eroberung der Stadt Al-Mayadin sowie der Unterwerfung des Shu’aytat-Gebiets (s. unten bb] [3]). Im weiteren Verlauf des Jahres 2014 verschwand sie als abgrenzbare Untergruppe des IS und ging vollständig in ihm auf.

bb) Zu den Taten des Beschuldigten:

(1) Der Beschuldigte gründete die LJAR. Am 10. Februar 2013 vollzog er eine Gründungszeremonie, indem er eine Gründungserklärung vor den versammelten Vereinigungsmitgliedern, darunter die Katiba-Anführer und Kämpfer, verlas und die Anwesenden gemeinsam einen Eid ablegten. Das Geschehen wurde auf Video aufgezeichnet und auf dem Youtube-Kanal“ “ veröffentlicht.

Im Anschluss war der Beschuldigte der alleinige Anführer der LJAR. Er betätigte sich als Befehlshaber, als militärischer, politischer und weltanschaulicher Führer sowie als Verhandlungsspitze bei Kontakttreffen mit anderen bewaffneten Gruppen. Mehrfach verortete er die Vereinigung strategisch neu, indem er aus Bündnissen austrat, neue gründete und vor allem eine schrittweise Hinwendung zum ISIG vollzog. Er bekleidete formal wie faktisch die leitende Position, bestimmte Organisationszwecke, -tätigkeiten und -ziele und legte die ideologische Ausrichtung der Gruppierung fest. Seine Befehlsgewalt unterlag keiner übergeordneten.

Insbesondere übte der Beschuldigte bestimmenden Einfluss auf die Funktionsfähigkeit der LJAR als kämpfende Konfliktpartei aus. Er finanzierte sie durch Einnahmen aus einer eroberten Ölquelle und stattete sie mit militärischem Material aus. Er rekrutierte, befehligte und versorgte Kämpfer. Er gab selbst Ausrüstung und Waffen an sie aus, zahlte persönlich Löhne aus und inspizierte Stellungen sowie Waffen. Auch nach außen trat der Beschuldigte stets als Zentralperson auf und gab sich als Anführer, so an der Front, in Einsätzen, in Besprechungen, in Koordinierungstreffen mit anderen FSA.Gruppen, in übergeordneten Gremien wie dem „Militärischen Rat für die Provinz Deir ez-Zor“, im Medienkontakt und in der Propaganda. Vor allem durch veröffentlichte Videos ließ er einen regelrechten Personenkult um sich betreiben. Außerdem führte er Verhandlungen mit Führungspersonen der Gegner der LJAR, etwa dem Kommandanten des militärischen Flughafens von Deir ez-Zor. Ferner verkündete er seine strategischen Entscheidungen für die Vereinigung, beispielsweise das Verhältnis zum IS betreffend.

Der Beschuldigte betrieb einige Socialmedia-Kanäle, auf denen er die LJAR sowie sich selbst als ihr Anführer darstellte. Insbesondere auf dem Youtube-Kanal“ “ veröffentlichte er in den Jahren 2013 und 2014 mit Unterstützung des „Medienbüros“ eine Vielzahl von Videos oder ordnete deren Veröffentlichung an. In einigen der Videos trat er persönlich auf (Fall 1).

(2) Am 10. oder 11. Juni 2013 kam der Beschuldigte als Anführer der LJAR mit den Anführern anderer bewaffneter sunnitisch-jihadistischer Gruppen, darunter die Ja-N, überein, in einer gemeinschaftlichen, konzertierten Operation ihrer Kämpfer die Ortschaft Hatlah, einen Vorort der Stadt Deir ez-Zor, gewaltsam und dauerhaft von sämtlicher, auch ziviler, schiitischer Präsenz zu „säubern“. Sie vereinbarten, dort durch Tötung sich wehrender Einwohner, Plünderung und Vernichtung schiitischen Eigentums, Zerstörung der schiitischen religiös-kulturellen Einrichtungen sowie durch Verhaftungen, Entführungen, Bedrohungen und Beschimpfungen ein Klima der Angst und Hoffnungslosigkeit unter den ansässigen Schiiten und ihren Unterstützern zu erzeugen. Das Vorhaben zielte vor allem darauf ab, die Schiiten, soweit sie nicht getötet werden, zur Flucht zu zwingen, indem sie ihrer Lebensgrundlage und spirituellen Infrastruktur beraubt werden, und sie - durch intensive propagandistische Multiplikation der Bedrohungskulisse - zur dauerhaften Umsiedlung in das Ausland oder andere von syrischen Streitkräften noch kontrollierte Landesteile zu nötigen. Durch mediale Verbreitung der „Säuberungsaktion“ sollte der Effekt der Vertreibung mittels des Klimas der Angst und Hoffnungslosigkeit verstärkt und verstetigt werden. Der Beschuldigte kam mit den anderen Anführern überein, die Kämpfer der LJAR auf eine gemeinsame Operation und eine arbeitsteilige Ausführung zu verpflichten. Er versprach den Anführern der JaN und der weiteren beteiligten Gruppen, sich durch entsprechenden Befehl an die Kämpfer der LJAR, durch persönliche Präsenz, durch Ausgabe von Munition und Waffen sowie durch mediale Effekterhöhung an der Operation zu beteiligen.

Gemäß dem gemeinsamen Tatplan wurde der Angriff am 11. Juni 2013 in Hatlah durchgeführt. Die Kämpfer der beteiligten bewaffneten Gruppen handelten, wie zuvor vereinbart, nach der Operationsplanung auf Befehl ihrer Anführer. Der Beschuldigte gab in Hatlah zu Beginn der Operation Waffen und Munition an die Kämpfer der LJAR wie auch anderer Gruppen aus und erteilte Befehle an sie.

Wie von dem Beschuldigten angeordnet, beteiligten sich die Kämpfer der LJAR an der konzertierten Operation, indem sie - vor allem nach der Ausschaltung bewaffneten Widerstands - gemeinsam mit Kämpfern der weiteren Gruppen die „Durchkämmung“ und „Säuberung“ Hatlahs betrieben. Die LJAR-Milizionäre suchten die Ortschaft nach Schiiten und schiitischen Liegenschaften ab, setzten Passanten fest und nötigten sie, sich zu ihrer Religionszugehörigkeit zu erklären sowie schiitische Liegenschaften zu lokalisieren. Sie beteiligten sich an Plünderungen und am Abtransport schiitischer Habe sowie der Bedrohung, Verhöhnung und Verächtlichmachung der Schiiten, ihres Glaubens, ihrer religiösen und kulturellen Artefakte ebenso wie an der Stürmung und Verbrennung schiitischer Häuser. LJAR-Mitglieder leisteten überdies den anderen bewaffneten Gruppen Hilfe, indem sie sich unter sie mischten, sie durch bewaffnete Präsenz unterstützten und in ihrem Handeln bestärkten. Bei der Operation wurden entsprechend dem gemeinsamen Plan bis zu 60 schiitische Bewohner getötet, die restliche schiitische Bevölkerung durch Verbreitung der Nachricht des Tötungswillens zur Flucht veranlasst und ihr Besitz einschließlich ihrer Gotteshäuser und religiösen Artefakte unter herabwürdigenden Beschimpfungen zerstört, verwüstet, geplündert oder in Brand gesetzt. Die Angreifer errichteten Checkpoints und hielten tatsächliche oder vermeintliche Schiiten fest. Dabei kam es jedenfalls in Einzelfällen zu Misshandlungen, Inhaftierungen, Verschleppungen und Folterungen. Mit Billigung des Beschuldigten sprengten im Rahmen des Operationsplans tätige Angreifer in Hatlah am 12. Juni 2013, dem Folgetag des Hauptangriffs, zwei schiitische Moscheen.

Wie von dem Beschuldigten und den anderen Anführern verabredet, filmten die Akteure Teile der Kämpfe sowie des „Durchkämmens“ der Ortschaft nach verbliebenen Schiiten und deren Behausungen und schlachteten den Erfolg durch Veröffentlichung von Propagandavideos auf der Plattform Youtube aus. In den Videos wurden Opfer, gefangene Schiiten sowie Beute präsentiert; zudem wurden Schiiten beschimpft und verhöhnt, die als „Säuberung“ oder „Reinigung“ bezeichnete Beseitigung schiitischer Präsenz verkündet und zur Tötung von Schiiten aufgerufen. Der Beschuldigte beauftragte einen Mann, die Operation filmend und kommentierend zu begleiten. Dieser äußerte sich auf Geheiß des Beschuldigten dabei im Sinne des Vertreibungsziels und animierte so die gefilmten Kämpfer zu antischiitischen Handlungen und Reden. Auftragsgemäß veröffentlichte er im Internet zwei Filme, die sich in die Gesamtheit der das Geschehen inszenierenden Videos einfügten.

Wie beabsichtigt, wurden Erzählungen des Vorgehens gegen alle Schiiten und die veröffentlichten Videos medial aufgegriffen. Hierdurch wurde das Bild eines Massakers an den Schiiten Hatlahs, ihrer Vertreibung sowie der vollständigen Zerstörung ihrer sozioökonomischen und religiös-kulturellen Lebensgrundlage verbreitet. Dem Operationsziel entsprechend flüchteten als Folge des Angriffs alle - nicht getöteten oder gefangengenommenen - Schiiten der Ortschaft in Todesangst, entschlossen sich zur Aufgabe ihrer dortigen Wohnsitze und siedelten in das Ausland oder in andere syrische Gebiete um. Dies betraf 3.000 Zivilisten aus ungefähr 300 Familien (Fall 2).

(3) Anfang Juli 2014 trat der Beschuldigte dem IS bei. Zur Unterstützung des IS, für den er bereits zuvor geworben hatte, leistete der Beschuldigte öffentlich als regional bekannte Respektsperson gegenüber einem Emir des IS ein förmliches Treuegelöbnis, ließ sich selbst zum Emir eines Dorfes ernennen und stellte die LJAR mit dem wesentlichen Bestand ihrer Kämpfer, Waffen, Ausrüstung, Stützpunkte sowie Ölquellen in die Organisation. Die korrespondierende Anschlusserklärung der LJAR an den IS ließ er am 5. Juli 2014 veröffentlichen.

Im Verdrängungskampf gegen die Ja-N und andere Rebellengruppen griff der IS im Juli 2014 die Stadt Al-Mayadin an und nahm sie am 5. Juli 2014 ein. Der Beschuldigte führte diesen Angriff für den IS an und marschierte an der Seite eines anderen IS-Kommandeurs in die Stadt ein. Als IS-Emir und -Kommandeur trat er dort in der Folge zur Demonstration der Präsenz und des Machtanspruchs mit IS-Flagge, -Fahrzeugen und -Kleidung auf, ebenso in einem anschließend auf Youtube veröffentlichten Video. Gleichfalls im Juli 2014 warb er als IS-Vertreter bei den Dorfältesten des Shu’aytat-Stamms für die Unterwerfung unter die Vereinigung. Auch an der militärischen Niederschlagung des Widerstands der Verteidiger des Shu’aytat-Gebiets sowie dessen Abriegelung und Besetzung Ende Juli bis Anfang August 2014 beteiligte sich auf Befehl des Beschuldigten die nunmehr dem IS beigetretene LJAR, vor allem durch Einsatz ihrer Artillerie (Fall 3).

b) Der dringende Tatverdacht beruht, soweit es den bewaffneten nichtinternationalen Konflikt in der syrischen Provinz Deir ez-Zor sowie die terroristischen Vereinigungen IS und LJAR als solche betrifft, insbesondere auf mehreren Sachverständigengutachten, daneben auf Auswerteberichten des Bundeskriminalamts. Speziell für die LJAR kommen die - in den Gutachten verwerteten - Erkenntnisse aus verschiedenen Videos und die Aussagen zahlreicher aus Syrien stammender Zeugen hinzu, die ihren Bekundungen zufolge der Gruppierung angehörten oder Kontakt zu ihr hatten.

Die Stellung des Beschuldigten als Gründer und Anführer der LJAR sowie seine Betätigungen für diese werden mit dem im Sinne des § 112 Abs. 1 Satz 1 StPO erforderlichen Verdachtsgrad vor allem durch zwei der Gutachten und verschiedene sich mit deren Ergebnissen deckende Angaben syrischer Zeugen belegt. Soweit er anlässlich einer polizeilichen Gefährderansprache einen anderen Anführer der Vereinigung benannt hat, lässt sich den bisherigen Ermittlungen, insbesondere dem vorbeschriebenen Sachverständigen- und Zeugenbeweis, kein Hinweis auf die Existenz einer derartigen Person entnehmen. Dass sich der Beschuldigte mit großer Wahrscheinlichkeit auf die geschilderte Weise an der gegen die schiitische Bevölkerung von Hatlah gerichtete Vertreibungsoperation beteiligte, ergibt sich ebenfalls aus den beiden Gutachten, in welche hierfür ergiebige Quellen- und Videoauswertungen eingeflossen sind, daneben aus entsprechenden Bekundungen syrischer Zeugen, besonders desjenigen, der die Operation mutmaßlich im Auftrag des Beschuldigten filmend sowie kommentierend begleitete und zwei Videos veröffentlichte.

Der dringende Verdacht der Überführung der LJAR in den IS, des Auftretens des Beschuldigten auch für diese Organisation sowie seiner Tätigkeit für sie stützt sich namentlich auf Zeugenaussagen, Erkenntnisse, die eine Nichtregierungsorganisation mitgeteilt hat, und eines der Gutachten. Soweit der Beschuldigte mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 29. November 2023 zur Begründung eines Antrags auf Vernehmung mehrerer Zeugen vorgetragen hat, er sei Gefangener des IS gewesen und gefoltert worden, beeinflusst die schlichte Behauptung die aus den Sachakten ersichtliche vergleichsweise gefestigte Beweislage ohnehin nicht maßgebend. Im Übrigen wurde der Beschuldigte nach derzeitigem Ermittlungsstand hochwahrscheinlich nach der Konsolidierung der Macht des IS marginalisiert und entmachtet, weil er nach der Niederwerfung des bewaffneten Widerstands anderer Gruppen im Euphrattal sowie als starker lokaler Führer mit Bestrebungen, sich eine gewisse Autonomie und seine Pfründe aus lukrativen Erdölquellen zu bewahren, entbehrlich und hinderlich für die Organisation wurde.

Wegen der Einzelheiten wird auf den angefochtenen Haftbefehl, die ihm zugrundeliegende Antragschrift des Generalbundesanwalts vom 17. August 2023 und dessen Zuschrift vom 6. Dezember 2023 verwiesen.

c) In rechtlicher Hinsicht ist der Beschuldigte dringend verdächtig jedenfalls der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland als Rädelsführer in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Gründung einer terroristischen Vereinigung im Ausland als Rädelsführer und in einem Fall mit einem Kriegsverbrechen gegen Personen durch Vertreibung, sowie der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland nach § 129a Abs. 1 Nr. 1 Alternative 1 und 2, Abs. 4 Alternative 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB, § 8 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 6 Nr. 2 VStGB, § 25 Abs. 2, §§ 52, 53 StGB.

aa) Näherer Erörterung bedarf nur das Kriegsverbrechen gegen Personen durch Vertreibung:

(1) Nach § 8 Abs. 1 Nr. 6 VStGB macht sich strafbar, wer im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person (§ 8 Abs. 6 VStGB), die sich rechtmäßig in einem Gebiet aufhält, vertreibt oder zwangsweise überführt, indem er sie unter Verstoß gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts durch Ausweisung oder andere Zwangsmaßnahmen in einen anderen Staat oder in ein anderes Gebiet verbringt.

Die Vorschrift des § 8 Abs. 1 Nr. 6 VStGB beruht auf den Regelungen des Art. 8 Abs. 2 Buchst. a (vii) IStGH-Statut für internationale bewaffnete Konflikte und des Art. 8 Abs. 2 Buchst. e (viii) IStGH-Statut für nichtinternationale bewaffnete Konflikte. Sie fasst beide Rechtsnormen unter Beibehaltung ihres sachlichen Gehalts zusammen. Nach Art. 8 Abs. 2 Buchst. e (viii) IStGH-Statut darf die Verlegung der Zivilbevölkerung nicht aus Gründen im Zusammenhang mit einem solchen Konflikt angeordnet werden, sofern dies nicht im Hinblick auf die Sicherheit der betreffenden Bevölkerung oder aus zwingenden militärischen Gründen geboten ist. Die Regelung ist aus Art. 17 Abs. 1 Satz 1 des II. Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer nichtinternationaler bewaffneter Konflikte vom 8. Juni 1977 (BGBl. 1990 II S. 1637; nachfolgend: ZP II) abgeleitet und an den Rechtsgedanken des - für internationale bewaffnete Konflikte geltenden - Art. 49 Abs. 1 und 2 des IV. Genfer Abkommens vom 12. August 1949 zum Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten (BGBl. 1954 II S. 917; fortan: GK IV) angelehnt. § 8 Abs. 1 Nr. 6 VStGB stellt allerdings - anders als Art. 8 Abs. 2 Buchst. e (viii) IStGH-Statut - nicht die Anordnung der Verlegung (vgl. IStGH, Urteil vom 8. Juli 2019 - ICC-01/04-02/06, Rn. 1080 - Bosco Ntaganda), sondern diese selbst unter Strafe; dabei genügt es, wenn sie auch nur eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person betrifft (zum Ganzen BGH, Beschluss vom 30. November 2022 - 3 StR 230/22, NJW 2023, 1138 Rn. 45).

Als Tathandlung erfasst § 8 Abs. 1 Nr. 6 VStGB mit dem Vertreiben und dem zwangsweisen Überführen jede Form des gegen den freien Willen erzwungenen tatsächlichen Verbringens von dem rechtmäßigen Aufenthaltsort an einen anderen, im Fall des Vertreibens außerhalb des Staatsgebiets, im Fall des Überführens innerhalb desselben (s. BGH, Beschluss vom 30. November 2022 - 3 StR 230/22, NJW 2023, 1138 Rn. 46). Das Verbringen muss weder ein bestimmtes Ziel haben, noch muss der Zielort unter der Kontrolle der verbringenden Konfliktpartei stehen. Beide Alternativen erfordern einen erzwungenen Ortswechsel. Zwang bedeutet dabei nicht allein die Ausschaltung alternativer Handlungsmöglichkeiten, sondern umfasst auch die Fälle, in denen das Opfer durch Druck im Wege einer angedrohten oder gegenwärtigen Übelzufügung unfreiwillig selbst seine Umsiedlung beschließt. Nach der Rechtsprechung des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien, von der abzuweichen kein Anlass besteht, genügt das Ausnutzen einer generellen Zwangssituation; entstehen kann diese Lage etwa durch nicht aushaltbare Lebensumstände, fortgesetzte militärische Operationen gegen bestimmte Städte, ein Leben in ständiger Angst und Unsicherheit sowie die völkerrechtswidrige Zerstörung von Wohngebäuden oder Unterkünften (s. die Rechtsprechungsnachweise von LK/Krüger, StGB, 13. Aufl., § 8 VStGB Rn. 92 f.; MüKoStGB/Geiß/Zimmermann, 4. Aufl., § 8 VStGB Rn. 173 ff.; vgl. ferner - zu den entsprechenden Tathandlungen beim Verbrechen gegen die Menschlichkeit - Werle/Jeßberger, Völkerstrafrecht, 5. Aufl., Rn. 1038 f., 1339).

(2) Auf der Grundlage des dem Beschuldigten angelasteten Sachverhalts liegt ein Vertreiben und zwangsweises Überführen der schiitischen Zivilisten Hatlahs vor. Aufgrund massiver Gewalt und Drohung flüchteten sie in das von syrischen Streitkräften gehaltene Nachbargebiet jenseits des Euphrat und siedelten dauerhaft in andere syrische Gebiete oder ins Ausland um. In Hatlah hatte nach dem 12. Juni 2013 kein vormaliger schiitischer Bewohner mehr Wohnsitz oder Aufenthalt.

Die auf Befehl des Beschuldigten und der anderen Anführer handelnden Angreifer schufen für die Schiiten Hatlahs nicht aushaltbare Lebensumstände sowie ein Klima der Angst und Hoffnungslosigkeit. Dies geschah insbesondere durch die - mit Tötungen, Verhaftungen und Entführungen verdeutlichte - Bedrohung mit dem Tode, die Zerstörung der Wohngebäude, Gottes- und Versammlungshäuser sowie die Plünderung des Besitzes. Durch das zumal medial verstärkte Androhen und Zufügen schwerer Schäden erzwangen die Angreifer die unfreiwillige Entscheidung der Schiiten, sich selbst in vom Regime kontrollierte Gebiete zu flüchten und anschließend durch Umzug ins Ausland oder fernere syrische Gebiete ihren gewählten Wohn- oder Aufenthaltsort aufzugeben.

(3) Bei den schiitischen Zivilisten handelte es sich um nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Personen im Sinne des § 8 Abs. 6 Nr. 2 VStGB (zu den Voraussetzungen s. BGH, Urteil vom 20. Dezember 2018 - 3 StR 236/17, BGHSt 64, 10 Rn. 78 ff., 84 ff.; Beschluss vom 4. April 2019 - AK 12/19, NStZ-RR 2019, 229, 231). Das zwangsweise Verbringen dieser Menschen in andere Gebiete stand im notwendigen funktionalen Zusammenhang mit dem damals in Syrien herrschenden nichtinternationalen bewaffneten Konflikt (vgl. BGH, Urteil vom 27. Juli 2017 - 3 StR 57/17, BGHSt 62, 272 Rn. 55 mwN; Beschluss vom 17. Oktober 2019 - AK 56/19, juris Rn. 38). Dabei verstieß das Handeln der Angreifer, für das kein legitimer sachlicher Grund bestand, gegen eine in den Vorschriften des GK IV und des ZP II zum Ausdruck kommende allgemeine Regel des Völkerrechts im Sinne des Art. 25 GG (vgl. BT-Drucks. 14/8524 S. 21, 27; LK/Krüger, StGB, 13. Aufl., § 8 VStGB Rn. 94 f.; MüKoStGB/Geiß/Zimmermann, 4. Aufl., § 8 VStGB Rn. 179 mwN).

Das Vorgehen der Angreifer ist dem Beschuldigten bereits nach den allgemeinen Grundsätzen als Mittäter (§ 25 Abs. 2 GG i.V.m. § 2 VStGB) zuzurechnen (vgl. BGH, Beschluss vom 5. September 2019 - AK 47/19, juris Rn. 47). Auf die Vorgesetztenverantwortlichkeit nach § 4 VStGB (dazu BGH, Beschluss vom 17. Juni 2010 - AK 3/10, BGHSt 55, 157 Rn. 35 ff.; Urteil vom 20. Dezember 2018 - 3 StR 236/17, BGHSt 64, 10 Rn. 148 f.) kommt es deshalb hier nicht an.

bb) Was das Vereinigungsdelikt der §§ 129a, 129b Abs. 1 StGB betrifft, so ist zu beurteilen: Fall 1 (LJAR) als Gründung einer und zugleich mitgliedschaftliche Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland als Rädelsführer, Fall 2 (LJAR) als - mit dem Kriegsverbrechen idealkonkurrierende - mitgliedschaftliche Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland als Rädelsführer, Fall 3 (IS) als mitgliedschaftliche Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland (zum Vereinigungsbegriff nach dem bis zum 21. Juli 2017 geltenden Recht s. BGH, Urteil vom 3. Dezember 2009 - 3 StR 277/09, BGHSt 54, 216 Rn. 23, 33, 37 ff. mwN; zu den Tathandlungen des Gründens und - anschließenden - Sichbeteiligens s. BGH, Beschluss vom 7. Mai 2019 - AK 13/19 u.a., juris Rn. 20 f., 30 mwN; zum Merkmal des Rädelsführers vgl. BGH, Urteil vom 12. September 2023 - 3 StR 306/22, juris Rn. 69 mwN; zur konkurrenzrechtlichen Beurteilung s. BGH, Beschlüsse vom 9. Juli 2015 - 3 StR 537/14, BGHSt 60, 308 Rn. 23, 37 ff.; vom 20. Februar 2019 - AK 4/19, BGHR VStGB § 8 Abs. 1 Konkurrenzen 1 Rn. 27).

Die nach § 129b Abs. 1 Satz 2 und 3 StGB erforderliche Ermächtigung zur strafrechtlichen Verfolgung der Taten des Beschuldigten liegt sowohl hinsichtlich der LJAR als auch des ISIG beziehungsweise IS vor.

cc) Die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts ergibt sich für das Kriegsverbrechen aus § 1 Satz 1 VStGB, für die strafbewehrten Zuwiderhandlungen gegen das Vereinigungsverbot aus § 7 Abs. 2 Nr. 2 in Verbindung mit § 129b Abs. 1 Satz 2 Variante 4 StGB. Der Anschluss an eine terroristische Organisation ist nach Art. 1 und 3 des syrischen Anti-Terror-Gesetzes Nr. 19 vom 28. Juni 2012 in Syrien mit Strafe bedroht (s. BGH, Beschluss vom 9. März 2022 - AK 6/22, juris Rn. 42).

dd) Ob und inwieweit durch die mutmaßliche Beteiligung des Beschuldigten an der gegen die schiitische Bevölkerung von Hatlah gerichteten Vertreibungsoperation (Fall 2) weitere Straftatbestände erfüllt sind, ist für die Haftfrage ohne Bedeutung (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Februar 2015 - StB 2/15, juris Rn. 26; ferner BGH, Beschluss vom 21. Juni 2023 - StB 38/23, juris Rn. 4).

2. Die Strafgerichtsbarkeit des Bundes und damit die Zuständigkeit des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs für den Erlass des Haftbefehls ergibt sich aus § 169 Abs. 1 StPO, § 120 Abs. 1 Nr. 6 und 8, § 142a Abs. 1 GVG.

3. Gegen den Beschuldigten besteht jedenfalls der Haftgrund der Schwerkriminalität (§ 112 Abs. 3 StPO). Daher kann dahinstehen, ob der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO) ebenfalls gegeben ist. Dies könnte insofern zweifelhaft sein, als der Beschuldigte schon lange Zeit Kenntnis von dem Ermittlungsverfahren hatte und im Januar 2023 über den Verdacht unter anderem von „Kriegsverbrechen nach §§ 8, 9 VStGB“ sowie „von Verbrechen nach §§ 129a, 129b StGB“ im Zusammenhang mit einer Betätigung für die LJAR und den IS in der Provinz Deir ez-Zor im Zeitraum von 2012 bis 2015 informiert worden ist, gleichwohl jedenfalls keine erkennbaren Bemühungen entfaltet hat, sich dem Verfahren zu entziehen.

a) Bei den in § 112 Abs. 3 StPO aufgeführten Straftaten, zu denen sowohl die Gründung einer terroristischen Vereinigung im Ausland als auch die mitgliedschaftliche Beteiligung an einer solchen zählen, darf nach dem Gesetzeswortlaut die Untersuchungshaft auch dann angeordnet werden, wenn ein Haftgrund nach § 112 Abs. 2 StPO nicht besteht. Allerdings ist die Vorschrift wegen eines sonst darin geregelten offensichtlichen Verstoßes gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verfassungskonform auszulegen. Der Erlass eines Haftbefehls ist danach nur zulässig, wenn Umstände vorliegen, welche die Gefahr begründen, dass ohne die Verhaftung des Beschuldigten die alsbaldige Aufklärung und Ahndung der Tat gefährdet sein könnte (s. BVerfG, Beschluss vom 15. Dezember 1965 - 1 BvR 513/65, BVerfGE 19, 342, 350 f.).

Genügen kann bereits die zwar nicht mit bestimmten Tatsachen belegbare, aber nach den Umständen des Falls doch nicht auszuschließende Flucht- oder Verdunkelungsgefahr, ferner die ernstliche Befürchtung, der Täter werde weitere Taten ähnlicher Art begehen. Ausreichend, aber auch erforderlich ist die Feststellung, dass eine verhältnismäßig geringe oder entfernte Gefahr dieser Art besteht. Wenn allerdings nach den Umständen des Einzelfalls gewichtige Gründe gegen jede Flucht-, Verdunkelungs- oder Wiederholungsgefahr (§ 112a StPO) sprechen, ist nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit von einem Haftbefehl nach § 112 Abs. 3 StPO abzusehen (s. BGH, Beschluss vom 20. April 2022 - StB 15/22, juris Rn. 12 mwN).

b) Nach diesen rechtlichen Maßstäben liegt der Haftgrund der Schwerkriminalität vor. Es bestehen zumindest eine verhältnismäßig geringe Flucht- und Verdunkelungsgefahr.

aa) Unter Würdigung sämtlicher fluchtfördernder und -hemmender Faktoren ist eine Fluchtgefahr nicht auszuschließen. Die vom Beschuldigten zu erwartende Strafe begründet einen hohen Fluchtanreiz. Im Hinblick auf die Schwere der dem Beschuldigten vorgeworfenen Verbrechen hat er mit einer langjährigen Haftstrafe zu rechnen. Es bestehen gewichtige Anhaltspunkte dafür, dass er sich über das Gewicht des Tatvorwurfs und die voraussichtliche Validität der den Verdacht stützenden Beweismittel vor seiner Festnahme nicht im Klaren gewesen ist. Er hat demgegenüber erlebt, dass ein weiterer Verdacht - derjenige der Beteiligung an dem sog. Shu’aytat-Massaker - nicht hat erhärtet werden können und andere strafrechtliche Maßnahmen gegen ihn sowie ihm Bekannte „im Sande verlaufen“ sind.

Den sozialen und beruflichen Bindungen des Beschuldigten nach Deutschland kommt kein Gewicht zu, das ihn, auf freien Fuß gelangt, mit hinreichender Sicherheit von einer Flucht abhielte. Dies gilt auch unter Berücksichtigung seiner Kenntnis vom Ermittlungsverfahren sowie des Umstands, dass er von einem Türkeiaufenthalt in den Jahren 2017 und 2018 freiwillig zurückkehrte. Hinzu kommt, dass er bei der Einreise nach Deutschland einen in der Türkei erworbenen gefälschten syrischen Pass mit sich führte, hochwahrscheinlich familiäre Bezüge ebenso dorthin wie nach Syrien hat und - für eine Flucht nützliche - Kontakte zu ehemaligen Gefährten beziehungsweise Untergebenen im In- und Ausland unterhält.

bb) Nach den Umständen des Falls ist eine Verdunkelungsgefahr ebenfalls nicht auszuschließen.

In dem Ermittlungsverfahren gewonnene Erkenntnisse lassen darauf schließen, dass aus Syrien stammende Zeugen eingeschüchtert werden, um sie von Aussagen abzuhalten, die den Beschuldigten belasten. Es kommt ernstlich in Betracht, dass er sich, auf freien Fuß gelangt, unter Einsatz eines Netzwerks von Familienangehörigen und Unterstützern aktiv steuernd an der Einschüchterung von Zeugen beteiligte, weshalb die alsbaldige Aufklärung und Ahndung der ihm vorgeworfenen Taten gefährdet erschiene. So hat die anwaltliche Vertreterin eines Zeugen Anfang Oktober 2023 schriftsätzlich mitgeteilt, er und seine in Syrien verbliebene Familie seien seit der Inhaftierung des Beschuldigten auf Socialmedia-Plattformen massiven Drohungen ausgesetzt. Der angegebene Name der drohenden Person weist dabei Ähnlichkeit mit dem des Beschuldigten auf. Dem Schriftsatz zufolge sei der Familie vermittelt worden, diese Ankündigungen würden nur dann nicht wahrgemacht, falls der Zeuge seine Aussage nicht vor Gericht wiederhole. Sollte er dies indes in Anwesenheit des Beschuldigten („von Angesicht zu Angesicht“) tun, dann werde Rache geübt.

cc) Wegen näherer Einzelheiten wird auf den angefochtenen Haftbefehl, die ihm zugrundeliegende Antragschrift des Generalbundesanwalts vom 17. August 2023 und dessen Zuschrift vom 6. Dezember 2023 verwiesen.

4. Eine - bei verfassungskonformer Auslegung auch im Rahmen des § 112 Abs. 3 StPO mögliche - Außervollzugsetzung des Haftbefehls (§ 116 StPO analog) ist nicht erfolgversprechend. Unter den gegebenen Umständen kann der Zweck der Untersuchungshaft nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen als ihren Vollzug erreicht werden.

5. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht derzeit nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der im Fall einer Verurteilung zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO). Eine Verletzung des Gebots, die Ermittlungen zügig zu führen, ist nicht ersichtlich. Der Generalbundesanwalt hat mitgeteilt, mit deren Abschluss sei zeitnah zu rechnen; gegenwärtig würden die abschließenden polizeilichen Vermerke über die Auswertung insbesondere des umfangreichen Videomaterials erstellt. Er beabsichtige, die öffentliche Klage Anfang des Jahres 2024, vor der Sechs-Monats-Haftprüfung, zu erheben.

HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 151

Bearbeiter: Fabian Afshar