HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 1448
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 192/24, Beschluss v. 03.07.2024, HRRS 2024 Nr. 1448
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 26. Oktober 2023 aufgehoben
a) im Strafausspruch und
b) soweit festgestellt wird, dass der Angeklagte verpflichtet ist, der Adhäsionsklägerin sämtliche zukünftigen immateriellen Schäden aus den zu ihren Lasten festgestellten Taten zu erstatten, soweit der Anspruch nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen ist; insoweit wird von einer Entscheidung im Adhäsionsverfahren abgesehen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, die insoweit durch das Adhäsionsverfahren entstandenen besonderen Kosten und die der Neben- und Adhäsionsklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in zwei Fällen sowie wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in acht Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Die hiergegen gerichtete und auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet.
1. Während die auf die Sachrüge gebotene Nachprüfung des angefochtenen Urteils zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erbracht hat, kann der Strafausspruch keinen Bestand haben.
a) Das Landgericht hat bei der Strafrahmenwahl in den Fällen II.3 bis II.10 der Urteilsgründe und bei der Einzelstrafbemessung im engeren Sinn in allen Fällen, hinsichtlich der es erneut und für alle Taten auf die Erwägungen zur Strafrahmenwahl in den Fällen II.3 bis II.10 der Urteilsgründe Bezug genommen hat, die umfassenden und schwerwiegenden Tatfolgen für die Nebenklägerin strafschärfend berücksichtigt. Dies lässt - wie der Generalbundesanwalt für die Fälle II.3 bis II.10 der Urteilsgründe zutreffend ausführt, gleichermaßen aber für die Fälle II.1 und II.2 der Urteilsgründe gilt - besorgen, dass der Strafkammer aus dem Blick geraten ist, dass festgestellte Tatfolgen einer Serie von Sexualdelikten nur dann bei der Einzelstrafbemessung mit ihrem vollen Gewicht berücksichtigt werden können, wenn sie unmittelbare Folge allein einzelner Taten sind; sind sie Folge aller abgeurteilten Straftaten, können sie strafzumessungsrechtlich nur einmal bei der Gesamtstrafenbildung berücksichtigt werden (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 18. Februar 2021 - 2 StR 7/21, Rn. 4 mwN; vom 1. Februar 2022 - 4 StR 449/21, Rn. 4; vom 5. Dezember 2023 - 4 StR 421/23, Rn. 20). Eine Zuordnung bestimmter (oder aller) Folgen zu einzelnen Taten lässt sich den Urteilsgründen auch in ihrer Gesamtheit nicht entnehmen.
b) Der Senat kann nicht ausschließen, dass sich diese zur Beurteilung aller Fälle herangezogene Erwägung bei der Strafbemessung ausgewirkt hat, zumal in allen Fällen die Einzelstrafen nicht nur unwesentlich über der jeweiligen Strafrahmenuntergrenze liegen. Der Wegfall der Einzelstrafen zieht die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs nach sich. Die Feststellungen sind von dem Wertungsfehler nicht betroffen und haben Bestand (§ 353 Abs. 2 StPO).
c) Über den Strafausspruch ist deshalb insgesamt neu zu verhandeln und zu entscheiden. Das neue Tatgericht wird dabei auch in den Blick zu nehmen haben, dass in Fällen, in denen wie hier nach § 176a Abs. 4 Alt. 2 StGB in der Fassung vom 27. Dezember 2003 eine Strafrahmenverschiebung für minder schwere Fälle des Qualifikationstatbestandes vorgesehen ist, Umstände, die die Qualifikation erst begründen, im Lichte des § 46 Abs. 3 StGB weder strafschärfend (vgl. BGH, Urteil vom 6. April 2022 - 6 StR 478/21, Rn. 3 mwN) noch dazu herangezogen werden können, um einen minder schweren Fall abzulehnen (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Juni 2012 - 5 StR 269/12, NStZ-RR 2012, 306).
2. Schließlich ist auch die Adhäsionsentscheidung des Landgerichts nicht frei von Rechtsfehlern, soweit sie eine Ersatzpflicht des Angeklagten für sämtliche zukünftigen immateriellen Schäden feststellt. Zutreffend hat der Generalbundesanwalt hierzu ausgeführt:
Auch der Feststellungsausspruch bedarf grundsätzlich einer - gegebenenfalls kurzen - Begründung mit Blick auf die Umstände des Einzelfalls, soweit sich der Ausspruch nicht ohne Weiteres aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe erklärt (Senat, Beschluss vom 22. Oktober 2019 - 2 StR 397/19 -, juris Rn. 6 mwN; vgl. BGH, Beschluss vom 1. Februar 2022 - 4 StR 449/21 -, juris Rn. 7). Darzulegen ist die Möglichkeit eines zukünftigen Schadenseintritts, wobei eine bloß abstrakt-theoretische Möglichkeit nicht genügt; erforderlich ist vielmehr, dass aufgrund konkreter Anhaltspunkte bei verständiger Würdigung mit dem Eintritt eines zukünftigen Schadens wenigstens zu rechnen ist (BGH, Beschluss vom 22. August 2023 - 6 StR 359/23 -, juris Rn. 10 mwN). Verlangt der Geschädigte für erlittene Verletzungen ein Schmerzensgeld, so werden nach dem Grundsatz der Einheitlichkeit des Schmerzensgeldes davon alle Schadensfolgen erfasst, die entweder bereits eingetreten und objektiv erkennbar sind oder deren Eintritt jedenfalls vorhergesehen und bei der Entscheidung berücksichtigt werden kann (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 6. Oktober 2021 - 6 StR 389/21 -, juris Rn. 3; vgl. auch Beschluss vom 22. August 2023 - 6 StR 359/23 -, juris Rn. 11). Nach diesen Maßstäben tragen die Urteilsgründe den Feststellungsanspruch lediglich hinsichtlich zukünftiger materieller Schäden der Adhäsionsklägerin mit Blick auf ihre therapeutische Behandlung, die längst nicht beendet ist (UA S. 30). Sie enthalten aber weder in der Begründung des Feststellungsausspruchs, die sich in der Wiedergabe der angewandten Vorschriften erschöpft (UA aaO), noch in ihrer Gesamtheit Hinweise auf die Wahrscheinlichkeit anderer immaterieller Schäden als derjenigen, die das Landgericht bereits bei der Bemessung des der Adhäsionsklägerin zuerkannten Schmerzensgeldes in den Blick genommen hat. Namentlich die (noch nicht vollständig austherapierten) psychischen Probleme der Geschädigten hat das Landgericht im Rahmen der Schmerzensgeldbemessung berücksichtigt (UA aaO).
Der Feststellungsausspruch ist insoweit aufzuheben. Danach ist auszusprechen, dass von einer Entscheidung abzusehen ist, weil der Antrag insoweit unbegründet erscheint (§ 406 Abs. 1 Satz 3 StPO; vgl. BGH, Beschluss vom 13. März 2024 - 2 StR 238/23, Rn. 11).
HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 1448
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede