HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 1322
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 449/23, Beschluss v. 20.06.2024, HRRS 2024 Nr. 1322
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 30. Mai 2023
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des Handeltreibens mit Cannabis schuldig ist,
b) im Strafausspruch aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „unerlaubten“ Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge im Hinblick auf Anbaumengen im November 2017 zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und acht Monaten verurteilt. Ferner hat es eine Kompensationsentscheidung und eine Entscheidung über die Anrechnung der in Griechenland erlittenen Untersuchungshaft getroffen. Dagegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die erhobenen Verfahrensrügen bleiben aus den Gründen der Zuschrift des Generalbundesanwalts ohne Erfolg.
Soweit sich den Urteilsgründen Anhaltspunkte zu einer am 14. November 2019 durchgeführten richterlichen Vernehmung des V. entnehmen lassen, verhält sich die Rechtfertigungsschrift nicht zu den weiteren Voraussetzungen des § 168c Abs. 2 StPO. Der Inhalt des Vernehmungsprotokolls ist nicht mitgeteilt; der Senat kann daher nicht prüfen, ob V. zu diesem Zeitpunkt als Beschuldigter gemäß § 168c Abs. 1 StPO oder als Zeuge im hiesigen Verfahren richterlich vernommen wurde und ob - im letzteren Fall - tatsächlich die Verletzung von Anwesenheitsrechten des Angeklagten in Rede steht.
2. Die auf die Sachrüge veranlasste umfassende Nachprüfung des Urteils führt zur Änderung des Schuld- und zur Aufhebung des Strafausspruchs.
a) Nach den Feststellungen des Landgerichts bezog sich die abgeurteilte Tat des Angeklagten von November 2017 ausschließlich auf seinen Umgang mit Marihuana. Der Schuldspruch kann aus diesem Grund keinen Bestand haben. Denn mit dem am 1. April 2024 in Kraft getretenen Gesetz zum Umgang mit Konsumcannabis (Konsumcannabisgesetz - KCanG) fällt, was der Senat als im konkreten Fall milder nach § 2 Abs. 3 StGB, § 354a StPO zu berücksichtigen hat, der Umgang mit Cannabis nicht mehr unter das Betäubungsmittelgesetz, sondern allein unter das Konsumcannabisgesetz. Bei Marihuana handelt es sich um ein Produkt der Cannabispflanze, das nach den Begriffsbestimmungen des Konsumcannabisgesetzes als „Cannabis“ erfasst wird (§ 1 Nr. 4 KCanG).
b) Das vom Landgericht - auch eingedenk des eingeschränkten Beweiswerts von Angaben von Zeugen vom Hörensagen - rechtsfehlerfrei festgestellte Tatgeschehen im November 2017 ist nunmehr als Handeltreiben mit Cannabis gemäß § 34 Abs. 1 Nr. 4 KCanG zu würdigen. Dass sich die Tat auf ein Handeltreiben mit Cannabis in nicht geringer Menge bezogen hat (zum Grenzwert der nicht geringen Menge nach dem KCanG vgl. BGH, Beschlüsse vom 18. April 2024 - 1 StR 106/24, juris Rn. 7 ff. und vom 23. April 2024 - 5 StR 153/24, juris Rn. 11 ff.), stellt gemäß § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG lediglich ein Regelbeispiel für einen besonders schweren Fall dar, der im Schuldspruch keinen Ausdruck findet.
c) Der Senat ändert den Schuldspruch entsprechend § 354 Abs. 1 StPO ab. § 265 StPO steht dem nicht entgegen, weil sich der Angeklagte nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.
3. Die gesetzliche Neuregelung zwingt zur Aufhebung der festgesetzten Freiheitsstrafe, weil (auch) der Strafrahmen des § 34 Abs. 3 KCanG gegenüber dem Strafrahmen des § 29a Abs. 1 BtMG deutlich milder ist. Der Senat kann trotz des beachtlichen Schuldumfangs, der im Handel mit großen Marihuanamengen liegt, und trotz des Umstandes, dass das Landgericht die mindere Gefährlichkeit des gehandelten Rauschmittels ausdrücklich in den Blick genommen hat („weiche Droge“), nicht ausschließen, dass es bei Anwendung des Strafrahmens des Konsumcannabisgesetzes eine niedrigere Freiheitsstrafe verhängt hätte.
Die zum Strafausspruch gehörigen Feststellungen werden von der aufgrund der Gesetzesänderung notwendigen Aufhebung der Einzelstrafen und der Gesamtstrafe nicht berührt und können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO); sie können um solche ergänzt werden, die den bisher getroffenen nicht widersprechen.
4. Die Kompensationsentscheidung und die Entscheidung über die Anrechnung der in Griechenland erlittenen Untersuchungshaft bleiben von der Schuldspruchänderung unberührt, lassen keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erkennen und haben Bestand (BGH, Beschlüsse vom 6. April 2022 - 1 StR 89/22, juris Rn. 8 und vom 24. August 2023 - 2 StR 271/23, juris Rn. 13).
5. Soweit dem Angeklagten mit der unverändert zugelassenen Anklage auch zur Last gelegt worden ist, dass eine erste Ernte im Juni 2017 erzielt und das so gewonnene Marihuana an unbekannt gebliebene Abnehmer gewinnbringend verkauft wurde, steht ein weiterer selbständiger Fall des Handeltreibens mit Cannabis im Raum. Denn gesonderte Anbauvorgänge, die auf gewinnbringende Veräußerung der dadurch erzeugten Betäubungsmittel abzielen, sind grundsätzlich als für sich selbständige Taten des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu bewerten (vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 22. Januar 2019 - 2 StR 212/18, juris Rn. 14 und vom 28. Mai 2018 - 3 StR 95/18, BGHR BtMG § 29a Abs. 1 Nr. 2 Konkurrenzen 4, jeweils mwN).
Das angefochtene Urteil erschöpft die Anklage insoweit nicht. Zwar wird eine erste Ernte bereits im Juni 2017 und ein Weiterverkauf in den Urteilsgründen sowohl im Rahmen des festgestellten Sachverhaltes als auch bei der Beweiswürdigung wiedergegeben, doch weder in der verkündeten Urteilsformel im Schuld- und Strafausspruch aufgeführt noch in den Urteilsgründen bei der rechtlichen Würdigung und den Erwägungen zur Strafzumessung berücksichtigt (vgl. BGH, Beschluss vom 11. April 2017 - 2 StR 345/16, juris Rn. 18). Vielmehr teilt das Landgericht in Bezug auf diesen Sachverhalt in den Urteilsgründen lediglich mit, dass der Angeklagte insoweit nicht verurteilt worden sei. Ein Freispruch oder eine Verfahrenseinstellung erfolgte jedoch nicht. Aufgrund der umfassenden Kognitionspflicht des Tatrichters hätte die Strafkammer indessen zwei angeklagte Taten im Juni 2017 und im November 2017, so wie sie sich nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung darstellten, ohne Bindung an die dem Eröffnungsbeschluss und der unverändert zugelassenen Anklage zugrunde liegende rechtliche Beurteilung als tateinheitliches Handeltreiben erschöpfend aburteilen müssen (vgl. BGH, Beschluss vom 24. September 2009 - 3 StR 280/09, juris Rn. 18). Weil die Strafkammer dies unterlassen hat, ist die Tat im Juni 2017 beim Landgericht anhängig geblieben (vgl. BGH, Beschluss vom 23. März 2001 - 2 StR 7/01, juris Rn. 2). Sie unterliegt nicht der Überprüfung durch das Revisionsgericht, sondern weiterhin der Kognition des Landgerichts. Es wird zu erwägen sein, dieses - noch bei der bisher zuständigen Strafkammer anhängig gebliebene - Verfahren zu dem zurückverwiesenen Verfahren entsprechend § 4 StPO hinzuzuverbinden (vgl. BGH, Urteil vom 20. Juli 2022 - 2 StR 474/21, juris Rn. 16).
HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 1322
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede