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HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 557

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 428/23, Beschluss v. 01.02.2024, HRRS 2024 Nr. 557


BGH 2 StR 428/23 - Beschluss vom 1. Februar 2024 (LG Köln)

Reihenfolge der Vollstreckung (Vorwergvollzug: Halbstrafenzeitpunkt, Unterbringung in einer Entziehungsanstalt, nachträgliche Bildung der Gesamtstrafe, zeitliche Geltung).

§ 67 StGB; § 64 StGB; § 55 StGB; § 2 Abs. 6 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Liegen die Voraussetzungen des § 55 StGB vor, soll ein Angeklagter, dessen Straftaten in verschiedenen Verfahren abgeurteilt werden, nicht schlechter, aber auch nicht besser gestellt werden, als wenn alle Taten in dem zuerst durchgeführten Verfahren abgeurteilt worden wären. Daraus folgt, dass § 2 Abs. 6 StGB keine Anwendung findet, wenn eine rechtskräftig angeordnete Unterbringung nach § 55 Abs. 2 StGB aufrechterhalten wird. Denn nur so kann der Zweck des § 55 StGB, dass dem Angeklagten durch die nachträgliche Gesamtstrafenbildung weder Vor- noch Nachteile entstehen sollen, erreicht werden.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 2. Juni 2023 dahingehend geändert, dass der Angeklagte hinsichtlich der Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 39.000 Euro als Gesamtschuldner haftet.

2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sieben Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, sowie wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 22 Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, unter Einbeziehung einer Einzelstrafe aus einem Urteil des Landgerichts Köln vom 16. März 2022 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren und sechs Monaten verurteilt. Außerdem hat es die in dem vorgenannten Urteil angeordnete Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt aufrechterhalten, einen Vorwegvollzug der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten angeordnet sowie eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat nur hinsichtlich der Einziehungsentscheidung einen Teilerfolg; im Übrigen ist sie offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

1. Den Verfahrensrügen bleibt aus den vom Generalbundesanwalt genannten Gründen der Erfolg versagt.

2. Die Überprüfung des Schuldspruchs sowie des gesamten Rechtsfolgenausspruchs hat einen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten nur hinsichtlich der Einziehungsentscheidung ergeben. In den Fällen des bandenmäßig begangenen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge hat das Landgericht nicht erkennbar bedacht, dass außer dem Angeklagten auch seine „Jungs“, die für ihn die Betäubungsmittel veräußerten, zuvor die Erlöse aus dem Verkauf aus einer rechtswidrigen Tat erlangt hatten und deshalb der Angeklagte neben ihnen als Gesamtschuldner haftet (vgl. BGH, Urteil vom 25. April 2018 - 2 StR 14/18, juris Rn. 11 f. mwN). Der Senat hat die entsprechende Anordnung nachgeholt (§ 354 Abs. 1 analog StPO).

3. Die Entscheidung über die Anordnung des Vorwegvollzuges weist hingegen keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.

a) Die Strafkammer hat die im Urteil des Landgerichts Köln vom 16. März 2022 angeordnete Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB zutreffend gemäß § 55 Abs. 2 StGB aufrechterhalten. Dass sie auch für die dem angefochtenen Urteil zugrundeliegenden Anlasstaten die Voraussetzungen des § 64 StGB bejaht hat, ändert nichts an dem Umstand, dass es sich bei der Entscheidung nicht um eine erneute Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt, sondern allein um die Aufrechterhaltung einer bereits rechtskräftig angeordneten Maßregel handelt (vgl. BGH, Urteil vom 10. Dezember 1981 - 4 StR 622/81, BGHSt 30, 305, 307 ff.; Beschlüsse vom 25. November 2010 - 3 StR 406/10, NStZ-RR 2011, 243; vom 27. August 2020 - 4 StR 670/19, NStZ-RR 2021, 72).

b) Da die einbezogene Maßregel vor dem 1. Oktober 2023 rechtskräftig angeordnet worden ist, findet für die Berechnung des Vorwegvollzuges hier der Halbstrafenzeitpunkt des § 67 Abs. 2 Satz 3 und Abs. 5 Satz 1 StGB a.F. Anwendung (vgl. Art. 3160 Abs. 1 Satz 1 EGStGB). Insoweit stellt sich § 55 Abs. 2 StGB als andere gesetzliche Bestimmung im Sinne des § 2 Abs. 6 StGB dar (vgl. auch BGH, Beschluss vom 14. November 2023 - 1 StR 354/23, juris Rn. 3 mwN zur Berechnung des Vorwegvollzuges für „Altfälle“).

Liegen die Voraussetzungen des § 55 StGB vor, soll ein Angeklagter, dessen Straftaten in verschiedenen Verfahren abgeurteilt werden, nicht schlechter, aber auch nicht besser gestellt werden, als wenn alle Taten in dem zuerst durchgeführten Verfahren abgeurteilt worden wären (vgl. BGH, Urteil vom 12. August 1998 - 3 StR 537/97, BGHSt 44, 179, 184 mwN; Beschlüsse vom 23. November 2017 - 4 StR 477/17, NStZ 2018, 526; vom 19. April 2023 - 3 StR 68/23, NStZ-RR 2023, 306). Daraus folgt, dass § 2 Abs. 6 StGB keine Anwendung findet, wenn eine rechtskräftig angeordnete Unterbringung nach § 55 Abs. 2 StGB aufrechterhalten wird. Denn nur so kann der Zweck des § 55 StGB, dass dem Angeklagten durch die nachträgliche Gesamtstrafenbildung weder Vor- noch Nachteile entstehen sollen, erreicht werden. Demnach gilt für die Berechnung des Vorwegvollzuges hier entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts nicht § 67 Abs. 2 Satz 3, Abs. 5 Satz 1 StGB in seiner aktuellen Fassung, sondern die zum Zeitpunkt der ursprünglichen Anordnung der Maßregel am 16. März 2022 geltende Rechtslage.

c) Soweit der Berechnung des Vorwegvollzuges in dem angefochtenen Urteil eine längere Therapiedauer als in dem einbezogenen Urteil zugrunde gelegt wurde, ist der Angeklagte dadurch nicht beschwert.

d) Der Änderungsantrag des Generalbundesanwalts, der sich allein auf den Ausspruch der Vollstreckungsreihenfolge nach § 67 Abs. 2 StGB bezieht, steht einer Entscheidung nach § 349 Abs. 2 StPO im Beschlusswege nicht entgegen (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Juni 2008 - 4 StR 204/08, juris Rn. 3).

HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 557

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede