hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 881

Bearbeiter: Fabian Afshar

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 68/23, Beschluss v. 19.04.2023, HRRS 2023 Nr. 881


BGH 3 StR 68/23 - Beschluss vom 19. April 2023 (LG Mainz)

Nachträgliche Bildung der Gesamtstrafe (keine Aufrechterhaltung von in früheren Entscheidungen angeordnete Maßnahmen nach ihrer Erledigung).

§ 55 Abs. 2 StGB; § 64 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

Für die erneute Anordnung einer Maßregel im Zuge einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung ist jedenfalls dann kein Raum, wenn sie auch bei gleichzeitiger Aburteilung aller Taten nicht anders als in dem früheren Urteil hätte lauten können.

Entscheidungstenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Mainz vom 10. November 2022 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Wohnungseinbruchdiebstahls in Tateinheit mit Sachbeschädigung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Diebstahl, Diebstahls in zwei tateinheitlichen Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Sachbeschädigung, Diebstahls in Tateinheit mit Sachbeschädigung in sechs Fällen sowie Diebstahls in zwei Fällen verurteilt. Unter Einbeziehung zuvor vom Amtsgericht W. verhängter Strafen hat es auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und fünf Monaten erkannt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Der Angeklagte rügt mit seiner Revision die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Die Verfahrensrüge dringt aus den in der Zuschrift des Generalbundesanwalts dargelegten Gründen nicht durch.

2. Die auf die Sachrüge hin veranlasste umfassende materiellrechtliche Überprüfung des Urteils lässt keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erkennen.

Der Erörterung bedarf lediglich, dass das Tatgericht nicht über eine Maßregel nach § 64 StGB entschieden hat.

a) Dem liegt im Wesentlichen Folgendes zugrunde:

Die vom Landgericht festgestellten Taten hatte der Angeklagte unter anderem zur Finanzierung seiner Drogensucht begangen. Dies hatte er auch mit den im gesamtstrafenfähigen Erkenntnis abgeurteilten Taten bezweckt, weswegen bereits das Amtsgericht W. seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet hatte. Von der Strafvollstreckungskammer war jene allerdings schon vor dem Urteil des Landgerichts Mainz gemäß § 67d Abs. 5 StGB für erledigt erklärt worden.

b) Bei dieser Sachlage ist es nicht zu beanstanden, dass das Landgericht keine Entscheidung zu einer Unterbringung des Angeklagten getroffen hat.

aa) Eine Aufrechterhaltung der durch das Amtsgericht W. angeordneten Maßregel kommt nicht in Betracht.

Dies folgt zwar nicht ohne Weiteres aus dem Wortlaut des § 55 Abs. 2 StGB, der dahin verstanden werden könnte, im früheren Urteil angeordneter Maßnahmen seien stets aufrechtzuerhalten, soweit diese nicht ausnahmsweise „durch die neue Entscheidung“ gegenstandslos werden. Jedoch kann eine Maßregel darüber hinaus ebenfalls deshalb gegenstandslos geworden sein, weil sie auf andere Weise ihre Erledigung gefunden hat (vgl. LK/Rissing-van Saan/Scholze, StGB, 13. Aufl., § 55 Rn. 59; SK-StGB/Jäger, 9. Aufl., § 55 Rn. 38). § 55 Abs. 2 StGB trägt nämlich dem Umstand Rechnung, dass mit der nachträglichen Gesamtstrafenentscheidung diese die alleinige Vollstreckungsgrundlage bildet. Ist aber eine im früheren Urteil angeordnete Maßnahme - aus welchen Gründen auch immer - erledigt, so fehlt es an der Notwendigkeit, gleichwohl über ihre Aufrechterhaltung zu befinden (vgl. BGH, Urteil vom 11. Februar 2003 - 4 StR 398/03, NStZ-RR 2004, 247, 248; Beschlüsse vom 24. Oktober 2017 - 4 StR 184/17, juris; vom 18. November 2015 - 4 StR 442/15, juris Rn. 3).

bb) Die - erneute - Anordnung einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt scheidet ebenfalls aus.

Dem Grundgedanken des § 55 StGB entsprechend soll der Täter auch im Bereich der Nebenfolgenentscheidung so gestellt werden, wie er bei gleichzeitiger Aburteilung aller Taten in dem „früheren“ Urteil gestanden hätte (vgl. BGH, Urteile vom 23. Juni 2009 - 5 StR 149/09, BGHR StGB § 55 Abs. 2 Aufrechterhalten 10 Rn. 10; vom 29. Mai 2008 - 3 StR 94/08, NStZ-RR 2008, 275, 276; Beschluss vom 6. Dezember 2017 - 4 StR 358/17, juris Rn. 8; LK/Rissing-van Saan/Scholze, StGB, 13. Aufl., § 55 Rn. 58). Daraus folgt:

Wäre schon zum Zeitpunkt des Erkenntnisses des Amtsgerichts W. zugleich über die vom Landgericht Mainz abgeurteilten Taten entschieden und dabei die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet worden, wäre die Maßregel mit der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer gemäß § 67d Abs. 5 StGB insgesamt erledigt gewesen. Damit wären auch die möglichen weiteren Rechtsfolgen einer Unterbringung nach § 64 StGB, etwa eine Strafaussetzung zur Bewährung gemäß § 67 Abs. 5 Satz 1 StGB, nicht mehr in Betracht gekommen. Die abermalige Anordnung der Unterbringung liefe dieser Sach- und Rechtslage zuwider. Für die erneute Anordnung einer Maßregel ist daher jedenfalls dann kein Raum, wenn sie auch bei gleichzeitiger Aburteilung aller Taten nicht anders als in dem früheren Urteil hätte lauten können (vgl. BGH, Urteile vom 10. September 2003 - 1 StR 147/03, BGHR StGB § 55 Abs. 2 Aufrechterhalten 9; vom 10. Dezember 1981 - 4 StR 622/81, BGHSt 30, 305, 307).

HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 881

Bearbeiter: Fabian Afshar