HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 10
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 343/19, Urteil v. 13.11.2019, HRRS 2020 Nr. 10
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Kiel vom 27. Februar 2019 dahin geändert, dass die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 245.013 Euro angeordnet wird, wobei der Angeklagte in Höhe von insgesamt 241.613 Euro als Gesamtschuldner haftet.
Die Revision des Angeklagten wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten der Rechtsmittel zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gewerbsmäßigen Bandenbetruges in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und vier Monaten verurteilt und die Einziehung von Wertersatz in Höhe von 3.400 Euro angeordnet. Während die auf die Sachrüge gestützte - unbeschränkte - Revision des Angeklagten erfolglos bleibt, führt die ebenfalls mit sachlich-rechtlichen Beanstandungen begründete Revision der Staatsanwaltschaft, die sich gegen die Höhe der Einziehungsentscheidung richtet und vom Generalbundesanwalt vertreten wird, zu den aus dem Tenor ersichtlichen Änderungen.
1. Nach den Feststellungen beging der mit dem Angeklagten bekannte gesondert verfolgte O. im Zusammenwirken mit anderen unbekannt gebliebenen Beteiligten systematisch Straftaten zum Nachteil vornehmlich älterer Menschen in Deutschland, die er mit dem sogenannten Polizistentrick um ihr Vermögen brachte. Die Taten wurden von O. und den übrigen „Drahtziehern“ von einem in der Türkei befindlichen „Call-Center“ aus initiiert und bis zur Beutesicherung bei den Geschädigten in Deutschland von dort aus gesteuert. Die Anrufer nahmen telefonisch Kontakt zu den später Geschädigten auf und gaben sich wahrheitswidrig als Polizeibeamte oder Staatsanwälte aus. In teilweise mehrstündigen Telefonaten mit wechselnden Anrufern, die sich über mehrere Tage hinziehen konnten und in denen erheblicher psychischer Druck aufgebaut wurde, spiegelten sie vor, dass das Vermögen der Angerufenen in akuter Gefahr sei und erkundeten, ob und in welcher Form tatsächlich Vermögen vorhanden sei. Gegebenenfalls veranlassten sie die arglosen Opfer, ihre Wertgegenstände in der irrigen Annahme, diese in Sicherheit zu bringen, an „falsche Polizeibeamte“ auszuhändigen. Auf dieser Ebene und als Bindeglied zwischen den Anrufern und den Abholern wurden in Deutschland „Logistiker“ tätig. Ihre Aufgabe war es, vor Ort Abholer zu akquirieren und deren mobile Erreichbarkeit für die Anrufer mittels an sie ausgehändigter „Arbeitshandys“ zu gewährleisten. Während der Beuteabholung wurden die Abholer von den Hintermännern in der Türkei engmaschig telefonisch begleitet. Nach erfolgreicher Tat oblag es den „Logistikern“, die Beute entgegenzunehmen und für deren Transfer in die Türkei zu sorgen sowie die Abholer zu entlohnen.
Anfang 2018 traf der Angeklagte in der Türkei mit O. zusammen und besuchte das dort betriebene „Call-Center“. Er erhielt Einblick in die beschriebenen Tatabläufe und erlebte mit, wie die Anrufer mit den in Aussicht genommenen Tatopfern telefonisch Kontakt aufnahmen und ihnen das angebliche Gefahrenszenario vermittelten. Nach Rückkehr des Angeklagten rief O. ihn Mitte Februar 2018 an und erzählte ihm, dass für einen Zeitraum von drei Wochen eine „wichtige Person“ in Deutschland nicht für ihn tätig sein könne. Er fragte den Angeklagten, ob dieser sowie ein bis zwei weitere „vertrauenswürdige“ Leute für diese Zeit als Ersatz einspringen könnten. Die Aufgabe sollte darin bestehen, im Rahmen der bekannten Tatabläufe Wertgegenstände von den jeweiligen Tatopfern abzuholen und dafür zu sorgen, dass während der Abholungsfahrt ein ständiger Kontakt zwischen dem „Call-Center“ und dem jeweiligen Abholer gewährleistet war. Hierzu erklärte sich der Angeklagte bereit und gewann den gesondert verfolgten Y. als Abholer. Dieser benannte seinerseits den gesondert verfolgten Yi. als möglichen Fahrer, der - nachdem ihn auch der Angeklagte hierauf angesprochen hatte - seine Teilnahme ebenfalls zusagte.
Am Abend des 8. März 2018 kontaktierte ein „falscher Polizist“ von der Türkei aus die 84-jährige Zeugin M. In mehreren bis in die Nachtstunden unmittelbar vor der Beuteübergabe um ca. 2 Uhr nahezu durchgängigen Telefongesprächen wurde die Zeugin dazu gebracht, einem vor ihrer Haustür erscheinenden vermeintlichen Polizeibeamten, bei dem es sich tatsächlich um Y. handelte, eine Tasche mit Schmuck im Wert von 153.500 Euro sowie 300 Euro Bargeld zu übergeben. Noch während die Hintermänner von der Türkei aus mit der Geschädigten telefonierten, hatten sie Kontakt zu dem vom Angeklagten mit einem „Arbeitshandy“ ausgestatteten Y. aufgenommen. Er war aufgefordert worden, die Tatbeute mit Yi. als Fahrer abzuholen. Während deren Fahrt von Hannover zur Wohnung der Geschädigten in Kiel - wie auch auf der Rückfahrt - hielt Y. Kontakt zu den Hintermännern und zum Angeklagten. Der Angeklagte wies ihn an, das „Arbeitshandy“ und die SIM-Karte getrennt zu entsorgen. In Hannover trafen sich Y. und Yi. vereinbarungsgemäß mit dem Angeklagten und händigten ihm die Tatbeute aus. Der Angeklagte übergab diese, wie von vornherein geplant, alsbald an die gesondert verfolgte „D. “, eine ehemalige Freundin des O., die für den Transfer in die Türkei sorgen sollte. Von ihr erhielt er wie zugesagt 2.000 Euro als Lohn, von dem er jeweils 300 Euro an Yi. und Y. zahlte (Tat 1).
Am Freitag, dem 9. März 2018, erhielt der damals 79 Jahre alte Zeuge B. in Kiel nachmittags von dem „Call-Center“ aus der Türkei den Anruf eines vermeintlichen Kommissars, der ihn über einen angeblich beabsichtigten Einbruch in das von ihm und seiner 70-jährigen Ehefrau bewohnte Haus informierte. In der Folgezeit kam es während des gesamten Wochenendes zu weiteren Gesprächen, in denen der Zeuge und seine Ehefrau durch weitere Täuschungen dazu veranlasst wurden, letztlich am Montag, dem 12. März 2018, nachmittags Goldbarren und -münzen in einem Gesamtwert von 90.213 Euro an einen „falschen Polizeibeamten“ zu übergeben. Die Hintermänner in der Türkei hatten im Laufe des Vormittags erneut den Angeklagten kontaktiert, der wiederum versuchte, zu Y. und Yi. Kontakt aufzunehmen, um sie von der bevorstehenden Abholfahrt in Kenntnis zu setzen. Es gelang ihm jedoch nicht, Y. zu erreichen. Der Angeklagte sah sich nun gezwungen, selbst ein Fahrzeug zu organisieren und holte anschließend Yi. sowie eine weitere Person namens „P.“ ab, die die Tatbeute entgegennehmen sollte. Während der Fahrt hielt er ständigen Kontakt zu den Hintermännern, die ihn an den Abholort dirigierten. Dort ließ sich „P.“ von den Geschädigten zwei Taschen mit dem Gold übergeben. Auf der Rückfahrt nach Hannover öffneten er und „P.“ die übergebenen Taschen und erkannten, dass es sich um eine erhebliche Beute handelte. Sie waren über die Entlohnung von insgesamt 2.000 Euro verärgert. In Hannover ließen sie die Tatbeute zunächst von einem Juwelier schätzen, der ihnen einen Wert von ca. 80.000 Euro nannte. Dies führte dazu, dass der Angeklagte - auch auf Veranlassung der anderen beiden Beteiligten - mit den Hintermännern in der Türkei über eine höhere Entlohnung verhandelte.
Man einigte sich schließlich auf eine Entlohnung von 2.000 Euro pro Person, die nachfolgend an alle gezahlt wurde. Zuvor wurde die Beute noch am selben Tag an „D.“ übergeben, die für den weiteren Transfer in die Türkei sorgen sollte (Tat 2).
2. Das Landgericht hat in beiden Fällen eine Mittäterschaft des Angeklagten bejaht. Der Angeklagte habe die Betrugstaten zudem als Mitglied einer Bande sowie gewerbsmäßig begangen.
Bei seiner Einziehungsentscheidung ist das Landgericht davon ausgegangen, dass der Angeklagte insgesamt lediglich 3.400 Euro für seine Tätigkeit bekommen habe. Auf den Gesamtwert der Tatbeute hat es nicht abgestellt, da die als Voraussetzung der Einziehung notwendige faktische Mitverfügungsgewalt des Angeklagten nicht bestanden habe; dieser habe vielmehr einen lediglich kurzen transitorischen Besitz innegehabt.
1. Die Revision des Angeklagten ist aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet.
Das Landgericht hat bei der Annahme von Mittäterschaft des Angeklagten darauf abgestellt, dass sein Tatbeitrag und die Beiträge der weiteren Beteiligten, wie er wusste, derart miteinander verschränkt gewesen seien, dass sie sich nach der Willensrichtung des Angeklagten als Teil der Tätigkeit aller darstellten. Er habe insbesondere erst die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass die Abholer akquiriert wurden, zum Tatort gelangen und die Beute entgegennehmen konnten und dabei einer Kontrolle sowohl durch die Hintermänner als auch durch ihn selbst unterlagen. Dadurch habe er wesentlichen Einfluss auf das Gelingen der Tat genommen und letztlich den Eintritt des endgültigen Vermögensvorteils bewirkt. Im Hinblick auf die in Aussicht gestellte Entlohnung habe er auch ein eigenes Interesse an der Tatdurchführung gehabt.
Auch wenn ein Zusammenschluss mit den anderen Bandenmitgliedern unter seiner Beteiligung lediglich für einen Zeitraum von drei Wochen erfolgt sei, habe der Angeklagte die Betrugstaten zudem als Mitglied einer Bande begangen. Der dem Angeklagten bekannte Modus Operandi sei dadurch gekennzeichnet gewesen, dass potenzielle Opfer mit einer hohen Frequenz anhand von Listen „abtelefoniert“ worden seien. Nach Beendigung der Tat zum Nachteil der Geschädigten M. sei noch am selben Tag die telefonische Kontaktaufnahme zu dem Zeugen B. erfolgt. Unmittelbar nach der Rückkehr von der zweiten Tat sei bereits eine neue Fahrt geplant gewesen. Angesichts der Vielzahl von in Aussicht genommenen Taten und der dem Angeklagten zugesagten Belohnung von bis 2.000 Euro pro Fall lägen auch die Voraussetzungen der Gewerbsmäßigkeit vor.
Gegen diese Begründungen eines mittäterschaftlichen, banden- und gewerbsmäßigen Handelns des Angeklagten ist nichts zu erinnern.
2. Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihrer Revision zu Recht gegen die Höhe der Einziehung des Wertes der Taterträge, auf die das Rechtsmittel wirksam beschränkt ist (vgl. BGH, Urteil vom 17. Juni 2010 - 4 StR 126/10, BGHSt 55, 174, 175 f.). Das Landgericht ist rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass der Angeklagte nur die ihm verbliebene Belohnung als Taterträge erlangt hat.
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Vermögenswert im Rechtssinne aus der Tat erlangt, wenn er dem Täter oder Teilnehmer unmittelbar aus der Verwirklichung des Tatbestands in irgendeiner Phase des Tatablaufs so zugeflossen ist, dass er hierüber tatsächliche Verfügungsgewalt ausüben kann. Bei mehreren Beteiligten ist ausreichend, aber auch erforderlich, dass sie zumindest eine faktische bzw. wirtschaftliche Mitverfügungsmacht über den Vermögensgegenstand haben. Dies ist der Fall, wenn sie im Sinne eines rein tatsächlichen Herrschaftsverhältnisses ungehinderten Zugriff auf ihn nehmen können. Unerheblich ist bei der gebotenen gegenständlichen (tatsächlichen) Betrachtungsweise dagegen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der Täter oder Teilnehmer eine unmittelbar aus der Tat gewonnene (Mit)Verfügungsmacht später aufgegeben hat und der zunächst erzielte Vermögenszuwachs durch Mittelabflüsse etwa bei Beuteteilung gemindert wurde (vgl. BGH, Urteile vom 6. März 2019 - 5 StR 543/18, Rn. 10, wistra 2019, 234, und vom 24. Mai 2018 - 5 StR 623/17, Rn. 8, jeweils mwN; Beschluss vom 21. November 2018 - 2 StR 262/18, Rn. 7).
b) Nach diesem Maßstab hatte der Angeklagte die Mitverfügungsgewalt über die in beiden Betrugsfällen erlangten Beutestücke inne.
Der Angeklagte kontrollierte in beiden Fällen den Transport der Beute nach deren Entgegennahme von den Opfern bis zur Übergabe an die für die Weiterleitung in die Türkei Verantwortliche; im Fall 2 nahm er selbst an der Abholfahrt teil. Die Tatbeute wurde ihm jeweils von den Abholern ausgehändigt und gelangte somit in seine Verfügungsgewalt. Diese nutzte er im zweiten Fall sogar dazu, den Wert der Beute vor deren Weitergabe von einem Juwelier schätzen zu lassen und für sich und die beiden Abholer im Hinblick auf das Ergebnis der Schätzung mit den türkischen Hintermännern höhere Entlohnungen auszuhandeln. Angesichts dessen stellt sich die Weiterleitung der Beute lediglich als dem Vermögenszuwachs nachgelagerter Mittelabfluss dar, der die zuvor erlangte (Mit)Verfügungsgewalt des Angeklagten nicht in Frage stellt. Dies unterscheidet den vorliegenden Fall von der Ausnahmekonstellation des bloß „transitorischen“ Besitzes (vgl. insofern BGH, Urteil vom 7. Juni 2018 - 4 StR 63/18, BGHR StGB § 73c Abs. 1 Erlangtes 1; Beschluss vom 21. August 2018 - 2 StR 311/18, NStZ 2019, 20).
c) Aufgrund der Urteilsfeststellungen kann der Senat die Höhe des einzuziehenden Wertes der Taterträge des vom Angeklagten Erlangten entsprechend § 354 Abs. 1 StPO selbst festsetzen. Er nimmt insoweit auf die zutreffende Berechnung in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts Bezug. In Höhe von 241.613 Euro haftet der Angeklagte als Gesamtschuldner mit weiteren Tatbeteiligten. Dieser Betrag ergibt sich aus dem Wert der insgesamt erlangten Beute unter Abzug des vom Angeklagten an den Geschädigten B. bereits geleisteten Wiedergutmachungsbetrages von 3.000 Euro (§ 73e Abs. 1 StGB) sowie aus den im ersten Fall an die gesondert verfolgten Y. und Yi. weitergegebenen Belohnungsbeträge in Höhe von jeweils 300 Euro.
HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 10
Bearbeiter: Christian Becker