HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 937
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, AK 37/19, Beschluss v. 31.07.2019, HRRS 2019 Nr. 937
Die Untersuchungshaft hat fortzudauern. Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.
Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem Oberlandesgericht Stuttgart übertragen.
Der Angeschuldigte wurde am 16. Januar 2019 aufgrund Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 15. Januar 2019 (5 BGs 3/19) festgenommen und befindet sich seither ununterbrochen in Untersuchungshaft.
Gegenstand des Haftbefehls sind die Vorwürfe, der Angeschuldigte habe sich vom 30. August 2002 bis mindestens 19. Mai 2009 in Sri Lanka in drei Fällen als Mitglied an der Vereinigung im außereuropäischen Ausland „Liberation Tigers of Tamil Eelam“ (fortan: LTTE) beteiligt, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet gewesen seien, Mord (§ 211 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB) zu begehen, davon in einem Fall zugleich gemeinschaftlich handelnd einen Menschen heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen getötet und in einem weiteren Fall zugleich unmittelbar dazu angesetzt, einen Menschen aus niedrigen Beweggründen zu töten (§ 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Sätze 1 und 2, § 211 Abs. 2, §§ 22, 23, 25 Abs. 2, §§ 52, 53 StGB).
Der Generalbundesanwalt hat am 9. Juli 2019 Anklage zum Oberlandesgericht Stuttgart erhoben.
Über den Antrag des Generalbundesanwalts vom 4. Juli 2019, den Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 15. Januar 2019 nach Maßgabe der Anklageschrift neu zu fassen, hat das Oberlandesgericht bislang nicht entschieden. Es hat am 17. Juli 2019 Haftfortdauer angeordnet.
1. Gegenstand der Haftprüfung des Senats sind ausschließlich die Tatvorwürfe der zwei tatmehrheitlichen Fälle der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer ausländischen terroristischen Vereinigung (§ 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Sätze 1 und 2, § 53 StGB), davon in einem Fall in Tateinheit mit Beihilfe (vormals Mittäterschaft) zum Mord (§ 211 Abs. 2, §§ 27, 52 StGB). Denn der Verfolgungswille des Generalbundesanwalts im vorliegenden Strafverfahren bezieht sich ausweislich der Anklageschrift vom 4. Juli 2019 nicht mehr auf den weiteren Tatvorwurf der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer ausländischen terroristischen Vereinigung in Tateinheit mit versuchtem Mord zu Lasten des Führers der Eelam People's Democratic Party (EPDB), Douglas Devananda. Insoweit hat er das Ermittlungsverfahren gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Dieser Tatvorwurf kann daher seiner Funktion, Auskunft über den Grund der Untersuchungshaft im vorliegenden Verfahren zu geben, nicht mehr weiter gerecht werden.
2. Die Voraussetzungen für die Anordnung der Untersuchungshaft und deren Fortdauer über sechs Monate hinaus liegen vor.
a) Der Angeschuldigte ist der verbleibenden, ihm im Haftbefehl vom 15. Januar 2019 vorgeworfenen Taten dringend verdächtig.
aa) Nach dem bisherigen Ermittlungsstand ist derzeit im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Sachverhalt auszugehen:
(1) Die LTTE entstanden im Jahre 1976 durch den Zusammenschluss verschiedener tamilischer Bewegungen in Sri Lanka, deren gemeinsames Ziel die Loslösung des mehrheitlich von Tamilen besiedelten Nord- und Ostteils der Insel vom singhalesisch geprägten Reststaat war. Dabei verstanden sie sich als allgemeine Vertretungsmacht der srilankischen Tamilenbewegung weltweit. Hierarchisch auf die Person ihres Führers Vellupillai Prabhakaran und dessen Ideologie ausgerichtet, verfolgten sie ihr Ziel eines selbständigen „Tamil Eelam“ in erster Linie durch bewaffneten Kampf, der sich nicht nur gegen die srilankischen Regierungstruppen, sondern auch gegen rivalisierende Gruppierungen richtete. Bis 1986 gelang es ihnen, neben der Halbinsel Jaffna weite Teile der Nord- und der Ostprovinzen des Landes unter ihre Kontrolle zu bringen, wo sie nach und nach eigene staatsähnliche Strukturen schufen. Ab 2002 wurden dort ein zentrales „politisches Büro“ mit Sitz in Kilinochchi sowie „Ministerien“ für Justiz, Polizei, Finanzen und Verteidigung errichtet. Der von den LTTE erhobene Alleinvertretungsanspruch für alle Tamilen weltweit führte in der Zuständigkeit eines „Außenministeriums“ zur Entwicklung von Organisationsstrukturen auch über Sri Lanka hinaus. Militärisch verfügten die LTTE über Infanterieeinheiten („Tigers“) sowie über eine Anzahl zu Kampfzwecken umgerüsteter Schnellboote („Sea Tigers“) und Flugzeuge („Air Tigers“). Daneben unterhielten sie eine Spezialeinheit („Black Tigers“), deren Aufgabe neben militärischen Kommandoaktionen auch (Selbstmord-)Anschläge auf zivile Ziele waren.
Im Guerillakampf mit den Truppen des abtrünnigen Kommandeurs Muralitharan („Karuna“) verloren die LTTE ab 2004 zunächst die Ostprovinzen. Verstärkte Offensiven der srilankischen Regierungsarmee ab 2007 drängten sie weiter zurück, bis es im Frühjahr 2009 zu ihrer militärischen Zerschlagung kam. Insbesondere im Jahr 2008 fanden zwischen den Konfliktparteien ausgedehnte bewaffnete Auseinandersetzungen mittels Bodentruppen, zur See und zur Luft statt, im Verlauf derer tausende Menschen getötet und mehr als 200.000 Personen aus ihren angestammten Wohngebieten vertrieben wurden. Der Führer der LTTE Prabhakaran und weitere 18 hochrangige Funktionäre wurden am 19. Mai 2009 von Regierungstruppen getötet.
Zwischen dem 5. Juli 1987 und dem Ende des Bürgerkriegs verübten die LTTE eine Vielzahl von Anschlägen, darunter in der Zeit von März 1991 bis Februar 2009 zumindest 17 Attentate auf zivile Einrichtungen, bei denen 457 Zivilpersonen ihr Leben verloren. Zu den Anschlägen zählten etwa die Ermordung des indischen Premierminister Rajiv Ghandi am 21. Mai 1991 bei Madras sowie die des srilankischen Staatspräsidenten Ranasinghe Premadasa am 1. Mai 1993 in Colombo. Bei einem weiteren dort kurz vor dem Ende des Bürgerkriegs verübten Selbstmordanschlag wurden 17 Menschen getötet.
(2) Spätestens von 30. August 2002 an und jedenfalls bis 19. Mai 2009 gliederte sich der Angeschuldigte in die LTTE ein und betätigte sich zur Förderung deren Ziele in Sri Lanka.
(a) Der Angeschuldigte, der seit 1995 eine spezielle Nachrichtendienstschule der LTTE besucht hatte und umfassend als Agent ausgebildet worden war, wurde im Jahr 2002 von seinem unmittelbaren Vorgesetzten und alleinigen Ansprechpartner „S.“ zur Durchführung nachrichtendienstlicher Tätigkeiten vom VanniGebiet nach Colombo entsandt. Er sollte Informationen über Personen sammeln, die „gegen die LTTE“ waren und deshalb liquidiert werden sollten. In dieser Eigenschaft leitete er unter anderem Erkenntnisse über Mitglieder der mit der LTTE konkurrierenden und mit der Regierung kooperierenden EPDP an „S.“ weiter.
In der Endphase des bewaffneten Bürgerkrieges zwischen der LTTE und der srilankischen Armee wurde der Angeschuldigte Ende 2008 oder Anfang 2009 in das VanniGebiet zurückbeordert, um vor dem Hintergrund seiner detaillierten Ortskenntnis (einschließlich nicht allgemein bekannter Wege und Routen) und seiner persönlichen Verbindungen zu Mitgliedern und Sympathisanten der LTTE zur Evakuierung mehrerer Führungspersönlichkeiten der LTTE aus dem VanniGebiet und deren Flucht aus Sri Lanka beizutragen. Unter anderem brachte der Angeschuldigte „N. ", der die LTTE nach der militärischen Niederlage neu organisieren sollte, im Juni 2009 nach Malaysia.
(b) Während seiner Tätigkeit für die Geheimdiensteinheit der LTTE traf sich der Angeschuldigte im Juni 2003 mit „S.“ im Vanni-Gebiet. Er erhielt anlässlich dieser Gelegenheit Fotos des srilankischen Außenministers Lakshman Kadirgamar mit dem Auftrag, Informationen über dessen Person und Umfeld zu sammeln. Dabei war dem Angeschuldigten bekannt, dass die LTTE den Außenminister durch ein Attentat töten wollte, weil sich Lakshman Kadirgamar als Tamile an der srilankischen Regierung beteiligte und sich in dieser Funktion für die Bekämpfung der LTTE einsetzte.
Über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr kundschaftete der Angeschuldigte die Tagesabläufe und Gewohnheiten des späteren Opfers und die Gegebenheiten an dessen Privatwohnsitz in Colombo aus. Er begab sich hierzu unter anderem in eine leerstehende Wohnung auf einem zur Liegenschaft des Lakshman Kadirgamar benachbarten Grundstück. Von dort aus stellte er unter anderem fest, dass die Zielperson zwar außerhalb ihres Wohnanwesens streng bewacht wurde, sie die Mehrzahl ihrer Sicherheitskräfte aber nur bis zum Eingang ihres Privathauses begleitete. Insbesondere bot der auf dem Grundstück gelegene Swimmingpool wenig Schutz vor Attentätern. Über seine Erkenntnisse unterrichtete er fortwährend „S. ". Zur Überprüfung der Validität der Angaben des Angeschuldigten entsandte dieser eine Person aus dem Vanni-Gebiet namens „Su.“ nach Colombo. Der Angeschuldigte zeigte „Su.“ in der genannten Wohnung das Fenster mit Blick auf das Anwesen des Außenministers und wies dabei insbesondere auf die freie Sicht auf den Swimmingpool und die sich daraus ergebende Gelegenheit zu einem Schusswaffengebrauch für einen Scharfschützen hin. Anfang 2005 erhielt der Angeschuldigte von „S.“ die Weisung, die Observation einzustellen.
Unter Verwendung der von dem Angeschuldigten beschafften Informationen wurde Lakshman Kadirgamar am späten Abend des 12. August 2005 von einem bislang unbekannten Scharfschützen erschossen, als er sich in oder in der Nähe des Swimmingpools im Innenhof seines Wohnanwesens aufhielt.
bb) Der dringende Tatverdacht ergibt sich aus Folgendem:
(1) Hinsichtlich der außereuropäischen Vereinigung LTTE beruht er auf den Gutachten des Sachverständigen Dr. W. vom 26. Juli 2011, 15. März 2019 und 20. Mai 2019, öffentlich zugänglichen Quellen und nachrichtendienstlichen Erkenntnissen, insbesondere der Behördenerklärung des Bundesnachrichtendienstes vom 19. Januar 2010.
(2) Betreffend die dem Angeschuldigten zur Last gelegten Taten ergibt sich der dringende Tatverdacht aus seinen eigenen Einlassungen im Asylverfahren sowie seinen verantwortlichen Vernehmungen vom 1. und 3. April 2019. Wegen der Einzelheiten der jeweils getätigten Äußerungen wird auf die ausführliche Darstellung in der Anklageschrift des Generalbundesanwalts vom 4. Juli 2019 Bezug genommen.
Die Angaben des Angeschuldigten sind - nachdem sein Prozessbevollmächtigter im Asylverfahren erstmals mit Schreiben vom 27. März 2017 die dem Haftprüfungsverfahren gegenständlichen Sachverhalte dargelegt hatte - im Hinblick auf das Kerngeschehen im Wesentlichen konsistent und insgesamt glaubhaft.
So hat der Angeschuldigte in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Freiburg am 5. Juli 2017 den komplexen, mehraktigen Geschehensablauf präzisiert, ohne inhaltliche Brüche geschildert und dabei eine Vielzahl von Details genannt, die auf eine erlebnisbasierte Schilderung schließen lassen. Er hat sich detailliert zu seinem Werdegang in der LTTE, den Gründen für seine wechselnden Verwendungen und seine Spezialisierung im Bereich „geheimdienstliche“ Tätigkeit geäußert. Überdies hat er ergänzende Angaben zum Aufbau und zu den Führungspersönlichkeiten der LTTE gemacht und dabei vertieftes Insiderwissen offenbart. Durch das Verwaltungsgericht ist der Sachvortrag des Angeschuldigten im Urteil vom 5. Juli 2017 daher als erlebnisbasiert bewertet worden.
Die Genese und das weitere Aussageverhalten des Angeschuldigten sprechen gegen die Annahme, dieser habe bewusst falsche Angaben gemacht, um sich einen Asylgrund in der Bundesrepublik Deutschland zu verschaffen. So hat er zunächst im Asylverfahren anlässlich seiner Erstanhörung mit Informationen zu seiner eigenen mitgliedschaftlichen Beteiligung an der LTTE aus Furcht davor zurückgehalten, deswegen als Asylbewerber abgelehnt zu werden. Ein in der Wohnung des Angeschuldigten aufgefundener schriftlicher Lebenslauf, der zumindest teilweise den falschen Angaben anlässlich der Erstanhörung entspricht, ist ein weiteres Indiz dafür, dass diese Informationen nicht der Wahrheit entsprachen. Überdies hat der anwaltlich beratene Angeschuldigte eine mitgliedschaftliche Beteiligung an der LTTE und seine Beteiligung an dem Attentat auf den damaligen Außenminister Lakshman Kadirgamar unter dem Eindruck seiner Festnahme und der im Anschluss vollstreckten Untersuchungshaft in seinen verantwortlichen Vernehmungen am 1. und 3. April 2019 wiederholt und im Detail berichtigt bzw. ergänzt. Die insoweit bestehenden geringfügigen Abweichungen und Widersprüche im Randgeschehen vermögen angesichts der genannten Aspekte den Erlebnisbezug der im Kern konsistenten Aussage nicht in Frage zu stellen.
Die Angaben des Angeschuldigten werden durch bei ihm aufgefundene Märtyrerbilder, Dokumente und Fotos hinsichtlich seiner Mitgliedschaft in der LTTE bestätigt. Der Umstand, dass der seinerzeitige Außenminister Lakshman Kadirgamar am 12. August 2005 in seinem Wohnanwesen durch einen Scharfschützen ermordet wurde, ist überdies durch offen zugängliche Informationen belegt.
cc) Der Angeschuldigte hat sich mit hoher Wahrscheinlichkeit der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer ausländischen terroristischen Vereinigung in zwei tatmehrheitlichen Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Beihilfe zum Mord strafbar gemacht (§ 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Sätze 1 und 2, § 211 Abs. 2, §§ 27, 52, 53 StGB).
(1) Die LTTE stellen nach den vorliegenden Erkenntnissen eine terroristische Vereinigung im außereuropäischen Ausland im Sinne des § 129a Abs. 1 Nr. 1 StGB aF dar, der sich der Angeschuldigte mit hoher Wahrscheinlichkeit spätestens im August 2002 anschloss und für die er sich bis mindestens 19. Mai 2009 vielfach betätigte (zu den Voraussetzungen der mitgliedschaftlichen Beteiligung s. BGH, Beschluss vom 15. Mai 2019 - AK 22/19, juris Rn. 22 f.).
Die nach § 129b Abs. 1 Satz 3 i.V.m. Satz 2 StGB erforderliche Verfolgungsermächtigung des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz liegt seit dem 20. April 2010 vor.
Angesichts dessen, dass der Angeschuldigte einräumte, noch im Juni 2009 einer hochrangigen LTTE-Führungspersönlichkeit Hilfe zur Flucht nach Malaysia geleistet zu haben, ist - ungeachtet etwaiger kurzer „Ruhepausen“ - von einer durchgängigen mitgliedschaftlichen Beteiligung zumindest bis zur Ermordung des Führers Vellupillai Prabhakaran am 19. Mai 2009 auszugehen (vgl. BGH, Beschluss vom 30. März 2001 - StB 4 und 5/01, BGHSt 46, 349). Verjährungsbeginn ist damit frühestens am 19. Mai 2009 (vgl. MüKoStGB/Schäfer, 3. Aufl., § 129 Rn. 169), so dass die Tat bei Erlass des gegenständlichen Haftbefehls am 15. Januar 2019 noch nicht verjährt war (§ 78 Abs. 3 Nr. 3, § 78c Abs. 1 Nr. 5, Abs. 3 StGB).
(2) Die - oben unter II .2. a) aa) (2) (b) geschilderte - Tötung des ehemaligen Außenministers erfüllt zudem den Straftatbestand des Mordes nach § 211 Abs. 2 StGB. Mit hoher Wahrscheinlichkeit leistete der Angeschuldigte hierzu zumindest Beihilfe (§ 27 StGB), indem er die Lebensgewohnheiten des späteren Opfers und einen günstigen Ort für die Tötung der Zielperson in Kenntnis der Zielsetzung der LTTE auskundschaftete.
(a) Das Attentat wurde aus niedrigen Beweggründen verübt, mithin aus einem nach allgemeiner sittlicher Anschauung verachtenswert und auf tiefster Stufe stehenden Motiv (vgl. BGH, Urteil vom 12. Januar 2005 - 2 StR 229/04, BGHSt 50, 1). Eine politische Tatmotivation ist jenseits des Widerstandsrechts aus Art. 20 Abs. 4 GG nach allgemeiner sittlicher Anschauung grundsätzlich verachtenswert und steht auf tiefster Stufe, da die bewusste Missachtung des Prinzips der Gewaltfreiheit der politischen Auseinandersetzung durch physische Vernichtung politischer Gegner mit der Rechtsordnung schlichtweg unvereinbar ist (vgl. BGH, Beschluss vom 2. Mai 2018 - 3 StR 355/17, NStZ 2019, 342 Rn. 12; MüKoStGB/Schneider, 3. Aufl., § 211 Rn. 93 f.). Die Tötung des Lakshman Kadirgamar durch die LTTE erfolgte aus politischer Zielsetzung. Denn dieser war als Tamile an der demokratisch legitimierten Regierung Sri Lankas beteiligt, durch die sich die LTTE an der einseitigen Durchsetzung ihrer Interessen gehindert sah, und sollte aus diesem Grund liquidiert werden.
Offen bleiben kann, ob auch der Angeschuldigte selbst aus politischer Motivation handelte, denn mit hoher Wahrscheinlichkeit wusste er zumindest um die Tatmotivation seiner Vorgesetzten und des ausführenden Attentäters (vgl. BGH, Urteil vom 12. Januar 2005 - 2 StR 229/04, BGHSt 50, 1, 5).
(b) Auch das Mordmerkmal der Heimtücke ist gegeben, da der Attentäter eine zum Zeitpunkt des Angriffs bestehende Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers mit hoher Wahrscheinlichkeit bewusst zur Tat ausnutzte (vgl. BGH, Urteil vom 16. Februar 2005 - 5 StR 14/04, BGHSt 50, 16, 18). Als die Schüsse auf Lakshman Kadirgamar abgegeben wurden, befand sich dieser in der geschützten Umgebung seines von einer hohen Mauer umgebenen und von Wachen gesicherten Wohnhauses, so dass er nicht mit einem Angriff auf sein Leben rechnete und infolgedessen keine Abwehrbereitschaft an den Tag legte. Der Annahme von Heimtücke steht dabei auch nicht entgegen, dass Lakshman Kadirgamar durch sein Amt in der srilankischen Regierung mit einem Anschlag der LTTE auf sich rechnen konnte oder musste, denn ein berufs- oder rollenbedingtes generelles Misstrauen führt als solches noch nicht zum dauerhaften Ausschluss der Arglosigkeit (vgl. BGH, Beschluss vom 19. April 2017 - StB 9/17, juris Rn. 22).
Diese Tatumstände waren dem Angeschuldigten auch bekannt, da gerade er diese ihm günstig erscheinende Möglichkeit zur Schussabgabe aufzeigte.
(3) Die mitgliedschaftlichen Beteiligungshandlungen des Angeschuldigten, die allgemein dem Zusammenhalt und der „Arbeit“ der Organisation dienen, ohne für sich betrachtet strafbar zu sein, sind in einer tatbestandlichen Handlungseinheit zusammenzufassen. Der Tatbestand der Beihilfe zum Mord, idealkonkurrierend mit der eigenständigen Erfüllung der §§ 129a, 129b StGB, tritt hierzu in Tatmehrheit (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Juli 2015 - 3 StR 537/14, BGHSt 60, 308 Rn. 38 f.).
(4) Deutsches Strafrecht ist anwendbar. Hinsichtlich des Vereinigungsdelikts folgt dies jedenfalls aus § 129b Abs. 1 Satz 2 Variante 4 StGB, weil sich der Angeschuldigte in Deutschland befindet (zum Strafanwendungsrecht einer Straftat nach § 129b StGB s. im Einzelnen BGH, Beschluss vom 6. Oktober 2016 - AK 52/16, juris Rn. 33 ff.). Hinsichtlich der Beihilfe zum Mord folgt die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts aus § 7 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 StGB. Mord und Totschlag standen auch im Tatzeitraum nach srilankischem Recht unter Strafe (§§ 293 ff. Sri Lanka Penal Code in der Fassung von 1998). Entsprechend dem Schreiben des Bundesamtes für Justiz vom 16. April 2019 (III 1 - 9352 ES21-B2 729/2019) ist eine Auslieferung des Angeschuldigten nach Sri Lanka bis auf Weiteres nicht durchführbar.
Die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts Stuttgart ist gemäß § 120 Abs. 1 Nr. 6 GVG, § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Sätze 1 und 2 StGB gegeben.
b) Es besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO sowie - auch bei der gebotenen restriktiven Auslegung des § 112 Abs. 3 StPO (BGH, Beschlüsse vom 22. September 2016 - AK 47/16, juris Rn. 26; vom 24. Januar 2019 - AK 57/18, juris Rn. 30 ff.) - derjenige der Schwerkriminalität.
Der Angeschuldigte hat im Fall seiner Verurteilung mit einer erheblichen Freiheitsstrafe zu rechnen. Dem davon ausgehenden Fluchtanreiz stehen keine hinreichenden fluchthemmenden Umstände entgegen. Der Angeschuldigte verfügt weder über familiäre Beziehungen im Inland noch sonstige hinreichend tragfähigen sozialen Bindungen. Es besteht vielmehr die hohe Wahrscheinlichkeit, dass er, nachdem ihm nunmehr die Intensität des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens bekannt ist, in ein anderes Land ausreisen oder in Deutschland untertauchen könnte, um sich dem weiteren Verfahren zu entziehen. Dies gilt auch eingedenk des seit dem Jahr 2012 in der Bundesrepublik Deutschland bestehenden Aufenthalts, des durch das Verwaltungsgericht Freiburg in Bezug auf Sri Lanka rechtskräftig festgestellten Abschiebeverbots (§ 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK) und des Umstandes, dass der Angeschuldigte bislang in Deutschland nicht straffällig geworden ist. Diese Umstände sind nicht ausreichend, um dem von der hohen Straferwartung ausgehenden erheblichen Fluchtanreiz nachhaltig entgegenzuwirken.
Der Zweck der Untersuchungshaft kann nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen als deren Vollzug erreicht werden (§ 116 StPO).
c) Die besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) liegen vor.
Der Umfang und die Schwierigkeiten der Ermittlungen haben ein Urteil innerhalb von sechs Monaten seit der Inhaftierung des Angeschuldigten noch nicht zugelassen. Ein erstes Rechtshilfeersuchen des Generalbundesanwalts an die zuständige Justizbehörde der demokratischen sozialistischen Republik Sri Lanka vom 14. März 2018 ist trotz mehrmaliger Erinnerungen zunächst unerledigt geblieben, weshalb umfangreiche Ermittlungen in öffentlich zugänglichen Quellen betreffend die Angaben des Angeschuldigten zu dem Attentat auf Lakshman Kadirgamar erforderlich geworden sind. Die vornehmlich in englischer und tamilischer Sprache abgefassten Quellen haben zudem übersetzt werden müssen. Am 11. Februar 2019 ist der Sachverständige Dr. W. mit der Erstattung eines Gutachtens zur Vereinigung der LTTE beauftragt worden. Beschuldigtenvernehmungen haben in Abstimmung mit dem Verteidiger erst am 1. und 3. April 2019 erfolgen können. Die Angaben des Angeschuldigten in den Vernehmungen haben sodann durch den beauftragten Sachverständigen einer Plausibilitätskontrolle unterzogen werden müssen. Das vorläufige Gutachten des Herrn Dr. W. ist am 20. Mai 2019 bei dem Generalbundesanwalt eingegangen. Schließlich hat das srilankische Justizministerium am 17. Juni 2019 umfangreiche Erledigungsstücke zu dem vorgenannten Rechtshilfeersuchen übersandt. Der Generalbundesanwalt hat am 9. Juli 2019 Anklage zum Oberlandesgericht Stuttgart erhoben. Unmittelbar nach Eingang der Anklageschrift hat der Vorsitzende des 7. Strafsenats die Zustellung derselben verfügt und dem Angeschuldigten gemäß § 201 Abs. 1 Satz 1 StPO eine angemessene Frist zur Stellungnahme innerhalb eines Monats eingeräumt. Für den Fall der Eröffnung des Hauptverfahrens sind Hauptverhandlungstermine ab Oktober 2019 in Aussicht gestellt worden.
In Anbetracht dessen ist das Verfahren bislang mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung geführt worden.
d) Schließlich steht der weitere Vollzug der Untersuchungshaft auch nicht außer Verhältnis zu der Bedeutung der Sache und der im Fall einer Verurteilung zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).
HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 937
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2019, 309
Bearbeiter: Christian Becker