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HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 1116

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 238/24, Beschluss v. 24.07.2024, HRRS 2024 Nr. 1116


BGH 1 StR 238/24 - Beschluss vom 24. Juli 2024 (LG München I)

Formanforderungen an die Begründung der Revision (Formunwirksamkeit bei Einreichen in einfach signierter Form über das beA-Postfach einer Kanzleimitarbeiterin).

§ 32a Abs. 3 Alt. 2 StPO

Entscheidungstenor

Der Angeklagten wird auf ihren Antrag und auf ihre Kosten Wiedereinsetzung in den Stand vor Ablauf der Frist zur Einlegung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 15. Dezember 2023 gewährt.

Mit der Zustellung dieses Beschlusses beginnt die Frist zur Begründung der Revision.

Gründe

1. Das Landgericht München I hat die Angeklagte mit am 15. Dezember 2023 verkündeten Urteil wegen Steuerhinterziehung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und fünf Monaten verurteilt. Mit Schriftsatz vom 21. Dezember 2023, eingegangen beim Landgericht am selben Tage, hat die Verteidigerin der Angeklagten Revision eingelegt. Eine Kanzleiangestellte hat den Revisionsschriftsatz über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) ohne qualifizierte elektronische Signatur mittels einer ihr zur Verfügung gestellten beA-Mitarbeiterkarte übermittelt. Mit Zuschrift des Generalbundesanwalts vom 11. Juni 2024, dem Verteidiger im Revisionsverfahren zugegangen am 4. Juli 2024, hat dieser beantragt, die Revision der Angeklagten als unzulässig zu verwerfen, und auf die Formunwirksamkeit der eingelegten Revision gemäß § 32d Satz 2, § 32a Abs. 3, Abs. 4 StPO hingewiesen. Mit Schriftsatz vom 10. Juli 2024 hat der Verteidiger im Revisionsverfahren einen Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Einlegung der Revision gestellt. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass die Angeklagte ihre Verteidigerin am Morgen des 20. Dezember 2023 mit der Revisionseinlegung beauftragt und diese ihr zugesichert habe, dies am nächsten Tag, dem 21. Dezember 2023, zu erledigen. Nach Übermittlung der Revisionseinlegung durch eine Kanzleimitarbeiterin mittels beA-Mitarbeiterkarte am 21. Dezember 2023 habe diese der Angeklagten per E-Mail bestätigt, dass die Revision auftragsgemäß „soeben per beA“ beim Landgericht eingelegt worden sei. Der E-Mail sei eine Abschrift der Revisionseinlegung, nicht aber das dazugehörige Prüfprotokoll beigefügt gewesen. Weitere Informationen zum genauen Übermittlungsweg der Revision habe die Angeklagte nicht erhalten. Erstmals am Abend des 4. Juli 2024 habe sie über ihre Verteidiger aufgrund der Zuschrift des Generalbundesanwalts von der Formunwirksamkeit der eingelegten Revision erfahren.

2. Der Angeklagten ist auf ihren Antrag Wiedereinsetzung in den Stand vor Ablauf der Frist zur Einlegung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 15. Dezember 2023 zu gewähren (§ 45 StPO).

a) Die Angeklagte hat die Frist zur Einlegung der Revision (§ 341 Abs. 1 StPO) versäumt. Nach § 32d Satz 2 StPO müssen Verteidiger und Rechtsanwälte die Revision und ihre Begründung als elektronisches Dokument übermitteln. Insoweit handelt es sich um eine Form- und Wirksamkeitsvoraussetzung der jeweiligen Prozesshandlung, welche bei Nichteinhaltung deren Unwirksamkeit zur Folge hat (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 21. März 2024 - 3 StR 300/23 Rn. 7; vom 6. Februar 2024 - 6 StR 609/23 Rn. 4; vom 12. September 2023 - 5 StR 308/23 Rn. 3 und vom 19. Juli 2023 - 2 StR 369/22 Rn. 4). Diesen Anforderungen genügt die Revisionseinlegungsschrift vom 21. Dezember 2023 nicht. Denn diese ist weder qualifiziert elektronisch signiert (§ 32a Abs. 3 Alternative 1 StPO) noch einfach signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg im Sinne von § 32a Abs. 4 StPO übermittelt worden (§ 32a Abs. 3 Alternative 2 StPO). Gemäß § 32a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 StPO ist ein sicherer Übermittlungsweg u.a. gegeben bei einer Übermittlung zwischen dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach und der elektronischen Poststelle der Behörde oder des Gerichts. Dies setzt voraus, dass der Verteidiger oder Rechtsanwalt, dessen Name als einfache Signatur in dem Schriftsatz als verantwortende Person aufgeführt ist, selbst die Einreichung eigenhändig vornimmt; bei einer Übermittlung über das besondere elektronische Anwaltspostfach muss die Übertragung mithin über das Postfach dieses Verteidigers oder Rechtsanwalts geschehen und zudem dieser - und nicht etwa ein Kanzleimitarbeiter - selbst der tatsächliche Versender sein (vgl. BGH, Beschlüsse vom 4. Oktober 2023 - 3 StR 292/23 Rn. 2; vom 20. Juni 2023 - 2 StR 39/23 Rn. 7; vom 7. Februar 2023 - 2 StR 162/22 Rn. 8 und vom 3. Mai 2022 - 3 StR 89/22 Rn. 11). Das Recht, nicht qualifiziert elektronisch signierte Dokumente alternativ formwahrend über das besondere elektronische Anwaltspostfach zu versenden, kann der Rechtsanwalt gemäß § 23 Abs. 3 Satz 5 Rechtsanwaltsverzeichnis- und -postfachverordnung (RAVPV) nicht auf Dritte übertragen (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Juni 2023 - 2 StR 39/23 Rn. 9). Geschieht die Übermittlung gleichsam durch einen Boten - wie hier durch eine Kanzleimitarbeiterin mittels einer dieser gemäß § 23 Abs. 2, Abs. 3 RAVPV eingeräumten Berechtigung - wird die Authentizität des elektronischen Dokuments nicht gewährleistet (vgl. BGH, Beschlüsse vom 7. Februar 2023 - 2 StR 162/22 Rn. 6 ff. und vom 24. Januar 2023 - 6 StR 466/22 Rn. 4).

b) An dieser Fristversäumnis trifft die Angeklagte, wie ihr Verteidiger fristgerecht vorgetragen und glaubhaft gemacht hat (§ 45 Abs. 2 Satz 1 StPO), allerdings kein Verschulden. Das Verschulden des Verteidigers bei der formwidrigen Übermittlung von Schriftsätzen ist der Angeklagten nicht als eigenes zuzurechnen (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Februar 2024 - 6 StR 609/23 Rn. 6). Die Angeklagte hat ihre Verteidigerin rechtzeitig mit der Revisionseinlegung beauftragt und sich die rechtzeitige Revisionseinlegung „per beA“ von dieser ausdrücklich bestätigen lassen. Weitere Informationen zum Übermittlungsweg der Revisionseinlegung hat die Angeklagte nicht erhalten. Die Angeklagte hat daher auf eine formwirksame und rechtzeitige Revisionseinlegung vertrauen dürfen. Es ist somit allein auf der Angeklagten nicht zurechenbares Anwaltsverschulden zurückzuführen, dass die Revision nicht formgerecht und mithin nicht wirksam eingelegt worden ist (vgl. auch BGH, Beschlüsse vom 6. Februar 2024 - 6 StR 609/23 Rn. 6, 9; vom 16. August 2023 - 5 StR 322/23 Rn. 4; vom 1. August 2023 - 2 StR 124/23 Rn. 14; vom 6. Juni 2023 - 5 StR 164/23 Rn. 5; vom 19. April 2023 - 2 StR 56/23 Rn. 4; vom 24. Oktober 2022 - 5 StR 375/22 und vom 9. August 2022 - 6 StR 268/22 Rn. 4).

c) Die versäumte Handlung hat der Verteidiger frist- und formwirksam nachgeholt (§ 45 Abs. 2 Satz 2 StPO). Die innerhalb der Wochenfrist nach § 45 Abs. 1 StPO eingelegte Revision erfüllt die gesetzlichen Formerfordernisse der §§ 32a, 32d Satz 2 StPO.

d) Da das Landgericht bereits ein vollständiges Urteil abgefasst hat und dieses zudem wirksam zugestellt worden ist, bedarf es keiner Rückgabe der Akten zur Ergänzung der Urteilsgründe oder deren Zustellung. Mit der Zustellung dieses Beschlusses beginnt die Frist zur Begründung der Revision (vgl. BGH, Beschlüsse vom 12. März 2024 - 2 StR 15/24 Rn. 3; vom 6. Februar 2024 - 6 StR 609/23 Rn. 10 und vom 16. August 2023 - 5 StR 322/23 Rn. 5).

HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 1116

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede