HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 241
Bearbeiter: Christoph Henckel
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 346/23, Beschluss v. 24.01.2024, HRRS 2024 Nr. 241
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 5. Mai 2023 aufgehoben
a) im Adhäsionsausspruch, soweit eine Ersatzpflicht des Angeklagten für bereits entstandene immaterielle Schäden festgestellt worden ist; insoweit wird von einer Entscheidung über den Adhäsionsantrag abgesehen;
b) im Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung betreffend das Adhäsionsverfahren.
2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.
3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels, die dadurch entstandenen besonderen Kosten des Adhäsionsverfahrens und die der Neben- und Adhäsionsklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Das Landgericht hatte den Angeklagten im ersten Rechtsgang wegen schweren sexuellen Missbrauch eines Kindes in Tateinheit mit Vergewaltigung in Tateinheit mit Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet.
Auf die Revision des Angeklagten hatte der Senat mit Beschluss vom 22. März 2022 - 1 StR 455/21 - dieses Urteil im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben und die weitergehende Revision als unbegründet verworfen.
Im zweiten Rechtsgang hat das Landgericht den Angeklagten erneut zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Es hat dies unter anderem mit den Folgen der Tat für die Geschädigte begründet, die sich zwischenzeitlich als noch gravierender, als im ersten Rechtsgang angenommen, darstellten. Den erst im zweiten Rechtsgang gestellten Adhäsionsantrag der Nebenklägerin hat der Angeklagte anerkannt. Die auf die Sachrüge gestützte Revision hat hinsichtlich der Adhäsionsentscheidung den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die materiellrechtliche Überprüfung des angefochtenen Urteils hat im Wesentlichen keinen den Angeklagten benachteiligenden Rechtsfehler aufgedeckt. Insbesondere begegnet es keinen rechtlichen Bedenken, dass das Landgericht, das die Vorgaben aus dem Beschluss des Senats vom 22. März 2022 beachtet hat, gegen den Angeklagten die gleichen Rechtsfolgen wie im ersten Rechtsgang verhängt hat. Lediglich die Adhäsionsentscheidung erweist sich in geringem Umfang als rechtsfehlerhaft. Hierzu hat der Generalbundesanwalt in seiner Zuleitungsschrift Folgendes ausgeführt:
"2. Soweit die Strafkammer neben der Verurteilung des Angeklagten zur Zahlung eines Schmerzensgelds eine Ersatzpflicht für entstandene immaterielle Schäden festgestellt hat, ist der zu Grunde liegende Feststellungsantrag unzulässig.
Verlangt der Geschädigte für erlittene Verletzungen ein Schmerzensgeld, so werden nach dem Grundsatz der Einheitlichkeit des Schmerzensgeldes davon alle Schadensfolgen erfasst, die entweder bereits eingetreten und objektiv erkennbar sind oder deren Eintritt jedenfalls vorhergesehen und bei der Entscheidung berücksichtigt werden kann (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 15. August 2023 - 5 StR 288/23, Rn. 3). Ein Feststellungsinteresse kann daher nur hinsichtlich etwaiger zukünftiger, noch nicht vorhersehbarer Folgeschäden bestehen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Juni 2023 - 2 StR 156/23 Rn. 3; Beschluss vom 1. September 2020 - 5 StR 222/20, Rn. 5; Beschluss vom 7. Mai 2019 - 5 StR 152/19, Rn. 2). Das Feststellungsinteresse war von der Strafkammer trotz des Anerkenntnisses des Angeklagten zu prüfen, weil die Parteien nur über den sachlich-rechtlichen Anspruch disponieren können und nicht über die Sachurteilsvoraussetzungen (vgl. BGH, Beschluss vom 8. September 2021 - 4 StR 166/21, Rn. 16 m. w. N.).
Der betreffende Teil des Adhäsionsausspruchs ist daher aufzuheben. Im Umfang der Aufhebung ist gemäß § 406 Abs. 1 Satz 3 StPO von einer Entscheidung im Adhäsionsverfahren abzusehen. Eine Zurückverweisung der Sache zur teilweisen Erneuerung des Adhäsionsverfahrens scheidet aus (vgl. BGH, Beschluss vom 2. März 2022 - 4 StR 493/21, Rn. 4 m. w. N.).
3. Die Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit hinsichtlich der vom Angeklagten zu tragenden besonderen Kosten des Adhäsionsverfahrens und der von ihm zu tragenden notwendigen Auslagen der Nebenklägerin als Adhäsionsklägerin ist rechtsfehlerhaft.
Soweit die Anordnung als Teil der Kostenentscheidung anzusehen sein sollte, ist der Senat an ihrer Überprüfung nicht dadurch gehindert, dass der Angeklagte die Kostenentscheidung nicht angefochten hat (vgl. § 464 Abs. 3 StPO). Da der Senat bezüglich des Adhäsionsausspruchs in der Sache selbst entscheidet, ist ihm auch die Entscheidung über die zugehörigen Kosten des Verfahrens und notwendigen Auslagen der Beteiligten zugewiesen (vgl. Senat, Beschluss vom 25. Februar 2021 - 1 StR 423/20, Rn. 11 m. w. N.). Die Anordnung entbehrt einer rechtlichen Grundlage. Die Vorschriften der Zivilprozessordnung über die vorläufige Vollstreckbarkeit von Urteilen (§§ 708 ff. ZPO) finden nach § 406 Abs. 3 Satz 2 StPO nur Anwendung auf die Entscheidung über den Adhäsionsantrag und nicht auf die Kostenentscheidung (vgl. Ferber in BeckOK-StPO, 49. Edition Stand 01.10.2023, § 406 Rn. 16).“
Dem schließt sich der Senat an und ändert das Urteil entsprechend ab (§ 354 Abs. 1 StPO analog).
2. Angesichts des geringen Erfolgs der Revision ist es nicht unbillig, den Angeklagten mit den gesamten Kosten seines Rechtsmittels und den notwendigen Auslagen der Nebenklägerin zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO). Gleiches gilt für die durch das Adhäsionsverfahren entstandenen Kosten und notwendigen Auslagen der Adhäsionsklägerin (§ 472a Abs. 2 StPO).
HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 241
Bearbeiter: Christoph Henckel