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HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 1253

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 240/23, Beschluss v. 08.08.2023, HRRS 2023 Nr. 1253


BGH 1 StR 240/23 - Beschluss vom 8. August 2023 (LG Baden-Baden)

Adhäsionsklage (erforderliche Bezifferung des geltend gemachten Anspruchs).

§ 403 StPO; § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Baden-Baden vom 29. November 2022 im Adhäsionsausspruch aufgehoben,

a) soweit das Landgericht einen Anspruch der Nebenkläger K. und P. gegen den Angeklagten auf Zahlung eines Hinterbliebenengeldes jeweils dem Grunde nach angenommen hat; insoweit wird von einer Entscheidung im Adhäsionsverfahren abgesehen,

b) über die Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit; diese entfällt.

2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.

3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels, die hierdurch den Nebenklägern entstandenen notwendigen Auslagen, die hierdurch im Adhäsionsverfahren betreffend den Adhäsionskläger M. entstandenen besonderen Kosten und diesem Adhäsionskläger entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen; im Übrigen haben die Adhäsionskläger K. und P. ihre im Revisionsverfahren entstandenen Auslagen selbst zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes, Störung der Totenruhe und versuchten Mordes in Tateinheit mit versuchter Brandstiftung mit Todesfolge, mit gefährlicher Körperverletzung und mit Sachbeschädigung zu einer lebenslangen Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt, die besondere Schwere der Schuld festgestellt sowie ein Messer und eine Gasflasche als Tatmittel eingezogen. Im Adhäsionsverfahren hat das Landgericht einen Anspruch der Nebenkläger K. und P. auf Zahlung eines Hinterbliebenengeldes jeweils dem Grunde nach angenommen. Ferner hat es eine Ersatzpflicht des Angeklagten gegenüber dem Nebenkläger M. für alle entstandenen sowie künftigen materiellen und immateriellen Schäden aus der gegen den Nebenkläger gerichteten Tat festgestellt, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger und Dritte übergegangen sind, und, dass die Ansprüche auf einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung beruhen. Zudem hat das Landgericht eine Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des Adhäsionsausspruchs getroffen.

Hiergegen richtet sich die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel führt lediglich zu der aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilaufhebung der Adhäsionsentscheidung (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

1. Der Antrag der Adhäsionskläger K. und P. auf Zahlung eines Hinterbliebenengeldes nach § 844 Abs. 3 BGB genügt nicht den Zulässigkeitsanforderungen gemäß § 404 Abs. 1 Satz 2 StPO. Der diesbezügliche Adhäsionsausspruch ist daher aufzuheben.

a) Der Erlass eines Grundurteils nach § 406 Abs. 1 Satz 2 StPO in Verbindung mit § 304 ZPO setzt voraus, dass die klagende Partei einen bezifferten Anspruch geltend macht (BGH, Beschlüsse vom 24. Mai 2023 - 4 StR 66/23 Rn. 4; vom 10. August 2021 - 6 StR 333/21 Rn. 2 und vom 29. September 2020 - 3 StR 280/20 Rn. 9; jeweils mwN). Wenn der Umfang einer beantragten Geldleistung - wie beim Hinterbliebenengeld - im richterlichen Ermessen steht, verlangt § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zumindest die Angabe einer Größenordnung, um das Gericht und den Gegner darüber zu unterrichten, welchen Umfang der Streitgegenstand haben soll (vgl. BGH, Beschlüsse vom 19. Juni 2019 - 5 StR 249/19 Rn. 3 und vom 12. März 2019 - 2 StR 595/18 Rn. 6 mwN). Auch bei der Bestimmung der Hinterbliebenenentschädigung darf das Gericht nicht lediglich „schematisch bemessen“, sondern muss die konkrete seelische Beeinträchtigung des betroffenen Hinterbliebenen bewerten und die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalls berücksichtigten (BGH, Urteil vom 23. Mai 2023 - VI ZR 161/22 Rn. 12 mwN).

b) Im Übrigen sind die Adhäsionsanträge, die ihrer Formulierung nach ohnehin auf den Erlass eines Feststellungsurteils gerichtet sind, auch schon deshalb unzulässig, weil es an dem nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderlichen Feststellungsinteresse fehlt. Die Adhäsionskläger haben nicht erläutert, warum sie nicht in der Lage sind, die Höhe des Hinterbliebenengeldes zu beziffern und den Anspruch bereits im Wege der Leistungsklage geltend zu machen (vgl. BGH, Beschluss vom 8. September 2021 - 4 StR 166/21 Rn. 16 mwN).

2. Im Umfang der Aufhebung ist gemäß § 406 Abs. 1 Satz 3 StPO von einer Entscheidung im Adhäsionsverfahren abzusehen. Eine Zurückverweisung der Sache zur teilweisen Erneuerung des Adhäsionsverfahrens scheidet aus (BGH, Beschluss vom 2. März 2022 - 4 StR 493/21 Rn. 4 mwN).

3. Auch die Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit in Ziffer 8 der Urteilsformel ist aufzuheben. Einer Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit gemäß § 406 Abs. 3 Satz 2 StPO in Verbindung mit §§ 708 ff. ZPO bedarf es nicht, da es sich im verbleibenden Teil der Adhäsionsentscheidung des Landgerichts nur um ein Feststellungsurteil handelt, aus dem nicht vollstreckt werden kann.

HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 1253

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede