HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 881
Bearbeiter: Christoph Henckel
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 194/22, Beschluss v. 09.08.2022, HRRS 2022 Nr. 881
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Ellwangen (Jagst) vom 7. März 2022 mit den Feststellungen aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen bestehen.
2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten von Diebstahlsvorwürfen freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB angeordnet. Die hiergegen mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts eingelegte Revision hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
1. Der Angeklagte brach in der Nacht vom 29. auf den 30. August 2021 im Untergeschoss eines Parkhauses in A. insgesamt acht Fahrzeuge auf. Er schlug deren Scheiben ein und drang in die Fahrzeuge ein, um diese nach stehlenswerten Gegenständen zu durchsuchen und jene dann zu entwenden. Es entstand ein Gesamtschaden von 27.100 Euro.
Der Angeklagte war bereits mehrfach in stationärer psychiatrischer Behandlung und leidet seit drei Jahren an einer paranoiden Schizophrenie und damit an einer überdauernden Störung. Bei den Taten war er auf Grund einer akutpsychotischen Symptomatik in seiner Steuerungsfähigkeit sicher erheblich eingeschränkt, wobei eine völlig aufgehobene Steuerungsfähigkeit nicht ausschließbar war.
2. Im Rahmen der Gefahrprognose nach § 63 Satz 1 StGB sieht das Landgericht beim Angeklagten eine hohe Rückfallgeschwindigkeit, weil er vor den verfahrensgegenständlichen Anlasstaten einen ähnlichen versuchten Diebstahl am Tag des Urteils des Amtsgerichts Düsseldorf vom 29. Januar 2021 begangen hatte, der mit Urteil des Amtsgerichts Düsseldorf vom 2. Juni 2021 geahndet worden war; zudem beging der Angeklagte die verfahrensgegenständlichen Anlasstaten nur zwei Tage nach seiner Entlassung aus einer vom 29. Januar 2021 bis 28. August 2021 vollzogenen Haft.
1. Der Maßregelausspruch hält sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand:
a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die besonders gravierend in die Rechte des Betroffenen eingreift. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Täter bei Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung auf diesem Zustand beruht. Daneben muss es überwiegend wahrscheinlich sein, dass der Betroffene infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird; dadurch muss eine schwere Störung des Rechtsfriedens zu besorgen sein. Die notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten zu entwickeln. Sie muss sich darauf erstrecken, welche rechtswidrige Taten drohen und wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist (st. Rspr.; BGH, Beschlüsse vom 7. September 2021 - 1 StR 255/21 Rn. 7; vom 9. März 2021 - 1 StR 15/21 Rn. 3; vom 2. September 2020 - 1 StR 273/20 Rn. 11; vom 6. August 2020 - 1 StR 93/20 Rn. 10 und vom 15. Januar 2015 - 4 StR 419/14 Rn. 14; je mwN).
b) Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil zur Gefährlichkeitsprognose nicht.
Nicht verfahrensgegenständliche Taten dürfen bei der Gefährlichkeitsprognose nur dann berücksichtigt werden, wenn sie ihrerseits in einem Zusammenhang mit der Erkrankung des Täters stehen (st. Rspr.; BGH, Beschlüsse vom 7. September 2021 - 1 StR 255/21 Rn. 10; vom 9. März 2021 - 1 StR 15/21 Rn. 7; vom 19. Januar 2021 - 4 StR 449/20 Rn. 20 und vom 3. Dezember 2020 - 4 StR 371/20 Rn. 18; je mwN). Zu diesem symptomatischen Zusammenhang in Bezug auf die Vorahndungen des Angeklagten hat das Landgericht jedoch bei seiner Gefährlichkeitsprognose keine Feststellungen getroffen. Gleichwohl hat es in seiner „Zusammenschau“ aber mit der vom Angeklagten gezeigten Rückfallgeschwindigkeit eine hohe Wahrscheinlichkeit weiterer vergleichbarer Straftaten begründet (UA S. 24). Ob die am 29. Januar 2021 abgeurteilte Tat des Diebstahls und der an diesem Tag begangene versuchte Diebstahl bereits im Zusammenhang mit der seit 2018 beim Angeklagten festzustellenden Erkrankung standen, bleibt offen. Dasselbe gilt für etwaige Auffälligkeiten des Angeklagten während der Inhaftierung vom 29. Januar 2021 bis 28. August 2021. Vor diesem Hintergrund ist die Einbeziehung der Vortaten in die Prognose rechtsfehlerhaft.
2. Die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen sind von dem aufgezeigten Rechtsfehler nicht betroffen und bleiben daher aufrechterhalten (§ 353 Abs. 2 StPO). Hingegen unterliegt auch der Freispruch der Aufhebung (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO; vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. März 2021 - 1 StR 15/21 Rn. 8; vom 18. Februar 2021 - 4 StR 429/20 Rn. 15 und vom 19. Januar 2021 - 4 StR 449/20 Rn. 22; je mwN).
HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 881
Bearbeiter: Christoph Henckel