HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 1069
Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 191/11, Urteil v. 11.08.2011, HRRS 2011 Nr. 1069
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 23. August 2010 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des schweren Raubes freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft rügt mit ihrer hiergegen gerichteten Revision die Verletzung sachlichen Rechts. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.
1. Die unverändert zur Hauptverhandlung zugelassene Anklage hatte dem Angeklagten Folgendes zur Last gelegt:
Eine Tätergruppe um A., Ak. und P. habe einen Überfall auf die Filiale der Sparkasse W. in O. geplant. Der Angeklagte habe als Fachkraft für Sicherheit bei dem Unternehmen Pr. zahlreiche Geldtransporte für die Sparkasse W. in O. vorgenommen und habe daher die örtlichen Gegebenheiten und Sicherheitslücken gut gekannt und gewusst, wann besonders hohe Geldbeträge an die Sparkasse geliefert wurden. Er sei über seinen Schwager T. angeheuert worden, den ausführenden Tätern Zutritt zu den Räumlichkeiten des Haupttresors im Untergeschoss der Sparkasse zu verschaffen. Am Morgen des 2. Dezember 2009 gegen 9.00 Uhr hätten der Angeklagte und sein Kollege Wi. einen Geldbetrag in Höhe von etwa 435.000 € an die Sparkasse ausgeliefert. Der Angeklagte habe entgegen der üblichen Vorgehensweise die Rolle des Beifahrers übernommen. Nach Auslieferung des Geldes habe er das Rolltor für den Geldtransporter geöffnet und dabei unauffällig eine Tür vom Tresorbereich zum Treppenhaus geöffnet, die vom Treppenhaus nur durch Eingabe einer PIN geöffnet werden konnte. Durch diese Tür hätten sich wenig später die beiden tatausführenden Mittäter Zugang zum Tresorraum verschafft. Die Mittäter hätten im Tresorraum den Kassierer überwältigt und mit Kabelbindern gefesselt und Scheingeld in Höhe von 697.000 € aus dem Tresor entwendet.
2. Der Angeklagte hat in der Hauptverhandlung bestritten, an der Tat beteiligt gewesen zu sein. Das Landgericht hat ihn aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Es hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen: Zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt vor dem 5. November 2009 fassten der frühere Mitangeklagte P. und der gesondert verfolgte Ak. den Entschluss, die Sparkasse W. in O. zu überfallen. Am 2. Dezember 2009 gelang es den beiden angeworbenen unmittelbar tatausführenden Personen, deren Identität bislang nicht ermittelt werden konnte, den Kassierer im Tresorraum der Sparkasse zu überwältigen und Geld im Wert von über 690.000 € zu erbeuten. Die Tat wurde ihnen dadurch ermöglicht, dass sie über Insiderwissen hinsichtlich der Abläufe innerhalb der Sparkasse bei Geldanlieferungen durch das Sicherheitsunternehmen Pr. aus verfügten. P. und Ak. hatten insbesondere davon Kenntnis erlangt, dass bei den Geldanlieferungen entgegen der geltenden Dienstanweisung sämtliche weiteren Türen auf dem Weg vom Sicherheitsbereich bis zum Tresorraum solange offen gehalten wurden, bis der Kassierer die gelieferten Geldmengen in den Tresor einsortiert hatte. Der Zugang zum Sicherheitsbereich war entweder über die Tiefgarage durch die Einfahrt für den Geldtransporter möglich oder vom Treppenhaus durch eine Tür zum Sicherheitsbereich, die vom Treppenhaus her nur mittels eines Zahlencodes, vom Sicherheitsbereich aus allerdings durch einen einfachen Drücker zu öffnen war. Welcher Zugangsweg tatsächlich genutzt worden ist, konnte das Landgericht nicht feststellen. P. fuhr die den Überfall unmittelbar ausführenden Täter von einem Parkplatz an der Autobahn A2 in G. nach O. und nach der Tat wieder zurück. Das Landgericht konnte sich keine Überzeugung davon verschaffen, dass der Angeklagte der Hinweisgeber für die Tätergruppe war.
Der Freispruch begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Spricht der Tatrichter einen Angeklagten frei, weil er Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Denn die Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Der Beurteilung durch das Revisionsgericht unterliegt insoweit nur, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (vgl. BGH, Urteil vom 6. November 1998 - 2 StR 636/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16 m.w.N.). Insbesondere sind die Beweise auch erschöpfend zu würdigen (BGH, Beschluss vom 7. Juni 1979 - 4 StR 441/78, BGHSt 29, 18, 20). Das Urteil muss erkennen lassen, dass der Tatrichter solche Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (BGH, Urteil vom 14. August 1996 - 3 StR 183/96, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 11). Aus den Urteilsgründen muss sich auch ergeben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden (BGH, Urteil vom 23. Juli 2008 - 2 StR 150/08, NJW 2008, 2792, 2793 m.w.N.). Rechtsfehlerhaft ist die Beweiswürdigung auch dann, wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt sind (BGH, Urteil vom 6. November 1998 - 2 StR 636/97 a.a.O.; BGH, Urteil vom 26. Juni 2003 - 1 StR 269/02, NStZ 2004, 35, 36). Es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (BGH, Urteile vom 26. Juni 2003 - 1 StR 269/02 aaO und vom 18. August 2009 - 1 StR 107/09, NStZ-RR 2010, 85, 86).
Dem wird die Beweiswürdigung nicht gerecht.
1. Die Beweiswürdigung ist bereits deshalb lückenhaft, weil das Urteil keinerlei Angaben dazu enthält, worauf die Feststellungen zum Ablauf des Überfalls und zu den daran beteiligten Mittätern beruhen. Der als Zeuge gehörte Nebenkläger, der die Tat als Kassierer im Tresorraum erlebt hat, konnte ersichtlich zu den Hintermännern und zu der An- und Abreise der unmittelbar tatausführenden Mittäter keine Angaben machen. Der im Urteil als früherer Mitangeklagter bezeichnete P. hat sich, wie sich aus der Erwähnung UA S. 18 ergibt, zur Sache eingelassen; was er zu seinem eigenen Tatbeitrag, zu seinen Kenntnissen von der Tatplanung und einem etwaigen Mitwirken des Angeklagten ausgesagt hat, teilen die Urteilsgründe nicht mit. Als nach den Feststellungen an der Planung und der Tatausführung beteiligter Mittäter dürfte P. gewusst haben, von wem die für die Tatausführung benötigten Insider-Informationen stammten. Seine Einlassung hätte deshalb im Urteil dargelegt werden müssen, um dem Revisionsgericht die Prüfung der Beweiswürdigung zu ermöglichen.
2. Das Landgericht beschränkt sich rechtsfehlerhaft darauf, die einzelnen Belastungsindizien gesondert zu erörtern und auf ihren jeweiligen Beweiswert zu prüfen. Es setzt sich hingegen nicht damit auseinander, ob die Belastungsindizien, die für sich genommen zum Beweis der Täterschaft nicht ausreichen, in ihrer Gesamtheit die für eine Verurteilung notwendige Überzeugung hätten begründen können (vgl. BGH, Urteil vom 24. Juni 2004 - 4 StR 15/04, wistra 2004, 432 m.w.N.). Bei der Prüfung wesentlicher einzelner Belastungsindizien legt das Landgericht zudem Annahmen als nicht ausschließbar zugrunde, für die sich in der Hauptverhandlung keine Anhaltspunkte ergeben haben:
a) Der nach Auffassung des Landgerichts naheliegend in die Tat verwickelte Hinweisgeber Z. kann danach möglicherweise nicht gewusst haben, von wem der Tipp für den Banküberfall gekommen ist, und um an das ausgelobte Geld zu kommen, den ihm bekannten und bereits verhafteten Angeklagten benannt haben. Ob gerade die Benennung eines tatbeteiligten Geldtransportfahrers Voraussetzung für die Erlangung einer Belohnung war, teilt das Urteil jedoch nicht mit; möglicherweise wäre für eine Belohnung ausreichend gewesen, Hinweise auf die unmittelbar tatausführenden Täter zu geben - Z. hatte zwei Polen namentlich benannt.
b) Die Zeugin We. war sich sicher, den Angeklagten im Hotel "Holiday Inn" in G. gesehen zu haben, ohne einen Zusammenhang mit dem gesondert verurteilten Tatbeteiligten P. herstellen zu können, an den sie sich ebenfalls erinnerte. Nach den Feststellungen hatte P. das Hotelzimmer angemietet, was für ein Wiedererkennen durch die Zeugin spricht. Das Landgericht hält es jedoch allein deshalb für möglich, dass sich die Zeugin bei dem Wiedererkennen des Angeklagten geirrt hat, weil das Hotel ca. 5.000 Gäste im Monat hat.
3. Das Landgericht geht im Übrigen auch von einem unzutreffenden Ansatzpunkt aus. Es würdigt die Einlassung des Angeklagten zu den einzelnen Belastungsindizien und hält sie für nicht widerlegt. Einlassungen des Angeklagten, für deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit es keine objektiven Anhaltspunkte gibt, sind aber nicht ohne weiteres als "unwiderlegbar" hinzunehmen und den Feststellungen zu Grunde zu legen. Der Tatrichter hat vielmehr auf der Grundlage des gesamten Beweisergebnisses darüber zu entscheiden, ob derartige Angaben geeignet sind, seine Überzeugungsbildung zu beeinflussen.
4. Schließlich ist die Beweiswürdigung auch in einem weiteren Punkt lückenhaft.
Das Landgericht sieht es als wesentliches Entlastungsindiz an, dass der Angeklagte am Tattag nicht damit rechnen konnte, als Bote eingesetzt zu werden (UA S. 11 und 13). Sie hält die Aussage des Zeugen W. für glaubhaft, dass er den Angeklagten kurz vor Fahrtantritt für diesen überraschend gefragt habe, ob er die Tätigkeit des Boten übernehmen könne. Die Plausibilität dieser Schlussfolgerung lässt sich für das Revisionsgericht jedoch nicht nachprüfen, weil die Urteilsgründe keine Angaben dazu enthalten, wie die Aufteilung der Tätigkeiten als "Bote" und "Fahrer" zwischen dem Angeklagten und dem Zeugen üblicherweise erfolgte. Die Urteilsgründe enthalten auch keine Angaben dazu, weshalb es am Tattag zu einem Tausch der Tätigkeiten gekommen sein soll. Nähere Darlegungen wären hier erforderlich gewesen, um die vom Landgericht bejahte Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage überprüfen zu können.
Denn der Zeuge W. hatte sich nach den Feststellungen zunächst auch eine falsche Aussage zum tatsächlich vorschriftswidrigen Ablauf der Ausfahrt aus dem Sicherheitsbereich zurecht gelegt.
HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 1069
Bearbeiter: Karsten Gaede