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HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 810

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 429/22, Urteil v. 13.04.2023, HRRS 2023 Nr. 810


BGH 4 StR 429/22 - Urteil vom 13. April 2023 (LG Koblenz)

Beweiswürdigung (Tötungsvorsatz; Körperverletzungsvorsatz); Mord (Versuch: Tatentschluss, Kausalzusammenhang, Möglichkeit der Erfolgsvermeidung; mit gemeingefährlichen Mitteln: subjektive Voraussetzungen; Verdeckungsabsicht: bedingter Tötungsvorsatz); Strafzumessung (strafmildernde Berücksichtigung des Fehlens eines Strafschärfungsgrundes; Strafmilderungsgründe); Revisionsbegründung (Revisionsbeschränkung; Widerspruch zwischen Revisionsantrag und Inhalt der Revisionsbegründungsschrift: Ermittlung des Angriffsziels durch Auslegung); Kognitionspflicht.

§ 211 StGB; § 23 StGB; § 46 StGB; § 344 StPO; § 264 StPO; § 261 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Der Tatbestand eines versuchten Delikts verlangt in subjektiver Hinsicht (Tatentschluss) das Vorliegen einer vorsatzgleichen Vorstellung, die sich auf alle Umstände des äußeren Tatbestands bezieht. Handelt es sich um ein Erfolgsdelikt, so gehört zu diesen objektiven Umständen außer der Tathandlung und dem tatbestandsmäßigen Erfolg auch der zwischen beiden bestehende Kausalzusammenhang, das heißt der von jener zu diesem führende Geschehensverlauf. Bei einem vorsätzlichen Erfolgsdelikt muss auch dieser daher - in seinen wesentlichen Zügen - vom Willen des Täters umfasst sein. Mit Tatvorsatz handelt demnach nur derjenige Täter, der willentlich eine nach seiner Vorstellung erfolgsursächliche Handlung vornimmt. Da nach ständiger Rechtsprechung als erfolgsursächlich im strafrechtlichen Sinn solche Bedingungen anzusehen sind, die nicht hinweggedacht werden können, ohne dass der Erfolg entfiele, muss der Vorsatz oder - bei einem strafbaren Versuch - der Tatentschluss folglich die Vorstellung von der Möglichkeit der Erfolgsvermeidung umfassen.

2. Das Mordmerkmal der Tötung mit gemeingefährlichen Mitteln ist gegeben, wenn der Täter ein Mittel zur Tötung einsetzt, das in der konkreten Tatsituation eine Mehrzahl von Menschen an Leib und Leben gefährden kann, weil er die Ausdehnung der Gefahr nicht in seiner Gewalt hat. In subjektiver Hinsicht erfordert es, dass der Täter die mangelnde Beherrschbarkeit der Wirkung des Tötungsmittels und die daraus resultierende Möglichkeit der Gefährdung einer unbestimmten Zahl von Personen an Leib oder Leben kennt oder jedenfalls ernsthaft für möglich hält und einen solchen Gefahreneintritt wünscht oder wenigstens billigend in Kauf nimmt.

3. Auch der mit bedingtem Tötungsvorsatz vorgehende Täter kann mit Verdeckungsabsicht handeln. Dies setzt voraus, dass er davon ausgeht, die Aufdeckung der vorangegangenen Straftat durch die mit bedingtem Tötungsvorsatz ausgeführte Tathandlung als solche unabhängig vom Eintritt eines Todeserfolgs verhindern zu können.

4. Die sich aus § 264 StPO ergebende Kognitionspflicht erfordert, dass der - durch die zugelassene Anklage abgegrenzte - Prozessstoff durch vollständige Aburteilung des einheitlichen Lebensvorgangs erschöpft wird. Der Unrechtsgehalt der Tat muss ohne Rücksicht auf die dem Eröffnungsbeschluss zugrunde gelegte Bewertung ausgeschöpft werden, soweit keine rechtlichen Gründe entgegenstehen. Fehlt es daran, so stellt dies einen sachlich-rechtlichen Mangel dar.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 29. Juni 2022 aufgehoben

a) mit den Feststellungen zur subjektiven Tatseite, soweit der Angeklagte im Fall II.2. der Urteilsgründe verurteilt worden ist,

b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe und den Vorwegvollzug,

c) im Ausspruch über die Anordnung einer isolierten Sperrfrist.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „versuchten Mordes in Tateinheit mit vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs und mit vorsätzlichen verbotenen Kraftfahrzeugrennens und mit vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tatmehrheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis in weiteren drei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln“, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und acht Monaten verurteilt, die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt sowie den Vorwegvollzug eines Teils der Gesamtfreiheitsstrafe angeordnet und eine isolierte Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis verhängt.

Mit ihrer zuungunsten des Angeklagten eingelegten, auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision, die vom Generalbundesanwalt teilweise vertreten wird, beanstandet die Staatsanwaltschaft die unterbliebene Annahme eines weiteren Mordmerkmals, erstrebt die Verurteilung des Angeklagten wegen weiterer tateinheitlich verwirklichter Straftatbestände und wendet sich gegen den Strafausspruch. Das Rechtsmittel hat sowohl zulasten als auch zugunsten des Angeklagten (§ 301 StPO) teilweise Erfolg und ist im Übrigen unbegründet.

1. Die Revision ist wirksam dahin beschränkt, dass sie sich nur gegen den Schuld- und Strafausspruch im Fall II.2. der Urteilsgründe (Tat vom 3. Februar 2021), die Gesamtstrafe und die Anordnung des Vorwegvollzugs eines Teils derselben sowie gegen die Fahrerlaubnissperre richtet.

a) Die Beschwerdeführerin beanstandet ausweislich der Revisionsbegründung, dass das Landgericht im Fall II.2. der Urteilsgründe rechtsfehlerhaft das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht verneint sowie die Verurteilung des Angeklagten wegen tateinheitlich verwirklichter weiterer Straftatbestände unterlassen habe. Sie wendet sich somit trotz ihres ausdrücklich nur auf den Rechtsfolgenausspruch gerichteten Aufhebungsantrags auch gegen den - diesen Fall betreffenden - Schuldspruch.

Das Rechtsmittel erfasst dabei, obschon die Beschwerdeführerin lediglich eine Erweiterung des Schuldspruchs erstrebt, gemäß § 301 StPO auch die Verurteilung des Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit verbotenem Kraftfahrzeugrennen, vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs und vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis. Denn diese Straftatbestände stehen mit den weiteren Delikten, deretwegen die Revision die weiter gehende Verurteilung des Angeklagten erstrebt, im Verhältnis der Tateinheit und somit in einem untrennbaren Zusammenhang (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Oktober 2018 - 4 StR 314/18, NStZ-RR 2019, 32 mwN).

b) Ungeachtet des - zum Rechtsfolgenausspruch - umfassend formulierten Revisionsantrags ergibt die Auslegung der Revisionsbegründungsschrift unter Berücksichtigung von Nr. 156 Abs. 2 RiStBV, dass die Staatsanwaltschaft die Verurteilungen in den (nach Teileinstellung des Verfahrens) verbleibenden Fällen II.3., 5., 7. und 8. der Urteilsgründe sowie die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt von ihrem Rechtsmittelangriff ausgenommen hat. In der Revisionsbegründung werden allein der Schuld- und der Strafausspruch im Fall II.2. der Urteilsgründe als rechtsfehlerhaft beanstandet; Bedenken gegen den Schuldspruch und Strafausspruch im Ãœbrigen oder die Maßregelentscheidung werden nicht geltend gemacht. Folglich widersprechen sich Revisionsantrag und Inhalt der Revisionsbegründungsschrift. In einem solchen Fall ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs das Angriffsziel durch Auslegung zu ermitteln (vgl. nur BGH, Urteil vom 24. November 2022 - 4 StR 175/22 Rn. 9 mwN). Diese ergibt hier, dass die Staatsanwaltschaft mit ihrer Revision außer dem Schuldspruch im Fall II.2. der Urteilsgründe nur die insoweit verhängte Einzelstrafe sowie die hiermit in untrennbarem Zusammenhang stehenden weiteren Teile des Rechtsfolgenausspruchs, nämlich den Ausspruch über die Gesamtstrafe, den Vorwegvollzug sowie die vom Landgericht auch auf den Fall II.2. gestützte Fahrerlaubnissperre angreifen will.

c) Die Rechtsmittelbeschränkung ist auch wirksam (vgl. zu den Anforderungen BGH, Urteil vom 15. Dezember 2022 - 3 StR 295/22 Rn. 9 mwN). Die genannten Beschwerdepunkte können losgelöst von dem nicht angefochtenen Teil des Urteils rechtlich und tatsächlich beurteilt werden und die Teilanfechtung kann zu keinen inneren Widersprüchen zwischen dem angegriffenen und dem von der Beschwerdeführerin hingenommenen Urteilsteil führen. Dies gilt insbesondere auch für die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt, denn die Strafkammer hat diese Maßregelentscheidung nicht auf den Fall II.2. der Urteilsgründe, sondern allein auf andere urteilsgegenständliche Straftaten gestützt; soweit die Strafkammer hierbei auch die Tat II.6. der Urteilsgründe genannt hat, hinsichtlich deren sie das Verfahren gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt hatte, handelt es sich offenkundig um ein Schreibversehen.

2. Die Revision hat in ihrem beschränkten Anfechtungsumfang ganz überwiegend Erfolg. Die auf die Sachrüge gebotene Nachprüfung des Urteils ergibt Rechtsfehler sowohl zugunsten als auch zulasten des Angeklagten.

a) Der Schuldspruch im Fall II.2. der Urteilsgründe hat keinen Bestand.

aa) Das Landgericht hat zu diesem Fall - soweit hier von Bedeutung - die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen:

Der Angeklagte, der über keine Fahrerlaubnis verfügte, führte am 3. Februar 2021 seinen Pkw im öffentlichen Straßenverkehr. Hierbei wurde er von Polizeibeamten bemerkt, die ihn einer Verkehrskontrolle unterziehen wollten und dies durch entsprechende Anhaltesignale zu erkennen gaben. Um der Kontrolle zu entgehen und nicht als Täter eines Fahrens ohne Fahrerlaubnis erkannt zu werden, flüchtete er mit seinem Pkw, wobei er zunächst von dem Polizeiwagen verfolgt wurde. Wegen der hohen Geschwindigkeit des Angeklagten entschlossen sich die Polizeibeamten, die Verfolgungsfahrt abzubrechen, was der Angeklagte nicht bemerkte. Er setzte seine Fahrt mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit fort, um seinen vermeintlichen Verfolgern zu entkommen, und fuhr in eine Straße ein, die für den Fahrzeugverkehr gesperrt war. Auf der dortigen Fahrbahn gingen die Zeuginnen K. und A. mit einem Kinderwagen, in dem sich das Kleinkind der Zeugin A. befand. Der Angeklagte nahm die ihm entgegenkommenden Personen wahr, verringerte seine Fahrgeschwindigkeit aber nicht. Den beiden Frauen gelang es, sich „durch ihr umgehendes Handeln samt Kinderwagen zwischen zwei geparkten Fahrzeugen in einer leeren Parklücke in Sicherheit zu bringen“.

Wenige Meter weiter ging die Zeugin H. ebenfalls mit einem Kinderwagen, in dem sich eines ihrer Kinder befand, auf der Fahrbahn, begleitet von einem weiteren Kind, das mit einem Laufrad auf dem schmalen Bürgersteig fuhr. Auch diese Personen nahm der Angeklagte wahr. Obwohl er nicht hätte an ihnen vorbeifahren können, reduzierte er auch hier seine Geschwindigkeit nicht. Die Zeugin H. bemerkte das sich annähernde Fahrzeug des Angeklagten und konnte sich und ihr Kind durch schnelles Ausweichen auf den Bürgersteig in Sicherheit bringen. Anschließend durchfuhr der Angeklagte weiterhin mit überhöhter Geschwindigkeit eine S-Kurve, wobei ihm nach der Vorbeifahrt an den Zeuginnen K., A. und H. bewusst war, dass in dem von ihm befahrenen Straßenabschnitt reger Fußgängerverkehr herrschte und auch Familien mit Kleinkindern unterwegs waren.

Wenige Meter hinter dem Kurvenausgang hielten sich die Zeugin T. sowie die Eheleute Z. jeweils mit ihrem Kleinkind auf. Während sich die Zeugin T. mit ihrem Kind nahe einem Geländer am Rand der Straße und die Zeugin Z. aus Sicht des Angeklagten links der Fahrbahnmitte befanden, saß der vierjährige B. Z. ungefähr in der Mitte der Fahrbahn auf seinem Laufrad; der Zeuge Z. stand unmittelbar neben seinem Sohn. Der Angeklagte nahm B. Z. erstmals beim Ausfahren aus der S-Kurve wahr; er verringerte jedoch weder seine Geschwindigkeit noch versuchte er dem in seiner Fahrbahn stehenden Kind auszuweichen. Der Zeuge Z. ergriff sein Kind samt Laufrad und zog es von dem herannahenden Fahrzeug des Angeklagten fort, welches beide sodann mit einem Abstand von ca. 80 cm passierte. Der Angeklagte war sich dabei bewusst, dass er im Falle einer Kollision dem B. Z. tödliche Verletzungen zufügen könnte, und nahm dies billigend in Kauf.

Das Landgericht hat das Zufahren auf das Kind B. Z. als versuchten Mord mit einem gemeingefährlichen Mittel gewürdigt. Hinsichtlich des Vaters des Kindes, des Zeugen Z., vermochte die Strafkammer sich nicht von einem Tötungsvorsatz zu überzeugen, da sie nicht feststellen konnte, ob der Zeuge in der Fahrspur des Angeklagten stand oder außerhalb derselben.

bb) Die Strafkammer hat - zum Vorteil des Angeklagten - gegen ihre umfassende Kognitionspflicht verstoßen, indem sie nicht erörtert hat, ob der Angeklagte sich durch das Zufahren auf die Zeuginnen A., K. und H. (nebst Kindern) eines versuchten Tötungsdelikts oder einer versuchten gefährlichen Körperverletzung schuldig gemacht hat.

Die sich aus § 264 StPO ergebende Kognitionspflicht erfordert, dass der - durch die zugelassene Anklage abgegrenzte - Prozessstoff durch vollständige Aburteilung des einheitlichen Lebensvorgangs erschöpft wird. Der Unrechtsgehalt der Tat muss ohne Rücksicht auf die dem Eröffnungsbeschluss zugrunde gelegte Bewertung ausgeschöpft werden, soweit keine rechtlichen Gründe entgegenstehen. Fehlt es daran, so stellt dies einen sachlich-rechtlichen Mangel dar (BGH, Urteil vom 15. Dezember 2022 - 3 StR 295/22 Rn. 12; Urteil vom 8. Dezember 2021 ? 5 StR 236/21, NStZ 2022, 409 Rn. 10; Urteil vom 21. April 2022 ? 3 StR 360/21, NJW 2022, 2349 Rn. 9, jew. mwN).

Diesen Anforderungen wird das Urteil nicht gerecht.

Das Landgericht hat zur inneren Tatseite lediglich festgestellt, dass der Angeklagte die ihm entgegenkommenden Personen auf der Fahrbahn wahrnahm. Feststellungen zum subjektiven Tatbestand hinsichtlich eines möglichen Tötungs- oder Körperverletzungserfolges zum Nachteil der Zeugen A., K. und H. hat die Strafkammer nicht getroffen und den festgestellten Sachverhalt demgemäß nicht unter dem Gesichtspunkt eines versuchten Tötungs- oder Körperverletzungsdelikts geprüft, obwohl der festgestellte äußere Sachverhalt hierfür zureichende Anhaltspunkte bot.

cc) Hingegen ist die Verneinung eines Tötungs- und - wie sich aus den beweiswürdigenden Ausführungen des Landgerichts ohne weiteres ergibt - zugleich eines Körperverletzungsvorsatzes in Bezug auf den (erwachsenen) Zeugen Z. revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Revisionsgericht muss es grundsätzlich hinnehmen, wenn das Tatgericht Zweifel an dem Vorliegen eines den Angeklagten belastenden Sachverhalts nicht zu überwinden vermag. Denn die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Die revisionsrechtliche Prüfung beschränkt sich deshalb darauf, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, wenn sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder das Gericht überspannte Anforderungen an die Ãœberzeugungsbildung gestellt hat (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 26. Januar 2023 - 3 StR 154/22 Rn. 16 mwN). Derartige Rechtsfehler weisen die - wenn auch knappen - Erwägungen des Landgerichts zum inneren Tatbestand des Angeklagten in Bezug auf den Zeugen Z. nicht auf. Dass die Strafkammer sich mangels sicher feststellbarer Position des Zeugen in der Tatsituation außerstande gesehen hat, aus der hohen äußeren Gefährlichkeit der Tathandlung zu schließen, dass der Angeklagte eine Kollision mit diesem für möglich hielt und billigend in Kauf nahm, stellt eine mögliche und damit vom Revisionsgericht hinzunehmende tatrichterliche Würdigung dar. Das Landgericht war auch nicht gehalten zu erörtern, ob der Zeuge Z. sich zur Rettung seines Sohnes in den Fahrweg des Angeklagten begeben musste und dieses dem Angeklagten gegebenenfalls bewusst gewesen sein könnte. Denn dafür, dass der Angeklagte in dem kurzen Zeitraum, in dem er den Zeugen und seinen Sohn bis zu der Vorbeifahrt an ihnen sehen konnte, eine derartige Ãœberlegung angestellt und infolgedessen einen Tatentschluss in Bezug auf die Tötung des Zeugen Z. gefasst haben könnte, bieten die Feststellungen keine Anhaltspunkte.

Auch die unterbliebene (ausdrückliche) Erörterung eines versuchten Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts zum Nachteil der Zeugin T. und ihres Kindes sowie der Zeugin Z. ist nicht rechtsfehlerhaft. Nach den Feststellungen befanden diese sich in (noch) größerer Entfernung zu dem Fahrweg des Angeklagten als der Zeuge Z., weshalb sich aus dem Zusammenhang der beweiswürdigenden Ausführungen des Urteils entnehmen lässt, dass die Strafkammer - tragfähig - auch insoweit einen entsprechenden Vorsatz des Angeklagten nicht hat feststellen können.

Weitere Rechtsfehler zum Vorteil des Angeklagten lässt der Schuldspruch nicht erkennen. Insbesondere tragen die Urteilsfeststellungen zu Fall II.2. - wie in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts zutreffend ausgeführt ist - weder eine Verurteilung wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte noch wegen weiterer tateinheitlich begangener Fälle der Straßenverkehrsgefährdung.

dd) Der Schuldspruch weist allerdings Rechtsfehler auch zum Nachteil des Angeklagten auf (§ 301 StPO).

(1) Die Verurteilung des Angeklagten wegen versuchten Mordes zum Nachteil des Kindes B. Z. hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Landgericht hat einen hierauf gerichteten Tatentschluss des Angeklagten auch unter Berücksichtigung des eingeschränkten Prüfungsmaßstabs (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 26. April 2022 - 4 StR 343/21, StV 2023, 1 Rn. 4 mwN) nicht tragfähig belegt. Die Beweiswürdigung ist lückenhaft.

Der Tatbestand eines versuchten Delikts verlangt in subjektiver Hinsicht (Tatentschluss) das Vorliegen einer vorsatzgleichen Vorstellung, die sich auf alle Umstände des äußeren Tatbestands bezieht (BGH, Beschluss vom 9. März 2022- 4 StR 200/21, NStZ 2023, 153 Rn. 10). Handelt es sich - wie hier - um ein Erfolgsdelikt, so gehört zu diesen objektiven Umständen außer der Tathandlung und dem tatbestandsmäßigen Erfolg auch der zwischen beiden bestehende Kausalzusammenhang, das heißt der von jener zu diesem führende Geschehensverlauf. Bei einem vorsätzlichen Erfolgsdelikt muss auch dieser daher - in seinen wesentlichen Zügen - vom Willen des Täters umfasst sein (vgl. BGH, Urteil vom 3. Dezember 2015 - 4 StR 223/15, NStZ 2016, 721, 722 f. mwN). Mit Tatvorsatz handelt demnach nur derjenige Täter, der willentlich eine nach seiner Vorstellung erfolgsursächliche Handlung vornimmt. Da nach ständiger Rechtsprechung als erfolgsursächlich im strafrechtlichen Sinn solche Bedingungen anzusehen sind, die nicht hinweggedacht werden können, ohne dass der Erfolg entfiele (vgl. BGH, Urteil vom 13. November 2003 - 5 StR 327/03, BGHSt 49, 1, 3 mwN), muss der Vorsatz oder - bei einem strafbaren Versuch - der Tatentschluss folglich die Vorstellung von der Möglichkeit der Erfolgsvermeidung umfassen (vgl. - zum vollendeten Tötungsdelikt - BGH, Urteil vom 1. März 2018 - 4 StR 399/17, BGHSt 63, 88, 91 f. mwN).

Dass der Angeklagte einen derartigen Tatentschluss in Bezug auf den Geschädigten B. Z. gefasst hatte, ist in dem angefochtenen Urteil nicht rechtsfehlerfrei belegt. Das Landgericht hat, wie die beweiswürdigenden Ausführungen in dem Urteil (UA 46 ff.) erkennen lassen, einen bedingten Tötungsvorsatz erst für den Zeitpunkt festgestellt, zu dem der Angeklagte nach der S-Kurve auf den Geschädigten B. Z. zufuhr. Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts kann auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht entnommen werden, dass die Strafkammer sich von einem bereits früher, noch ohne Konkretisierung auf den B. Z., gefassten Vorsatz überzeugt hätte. Zwar hat sie bei ihrer - für sich genommen rechtlich unbedenklichen - beweiswürdigenden Schlussfolgerung vom äußeren Tatgeschehen auf den bedingten Tötungsvorsatz auch darauf abgestellt, dass der Angeklagte bereits von Beginn seiner Flucht an mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit gefahren sei, und schon in Bezug auf das Vorbeifahren an den Zeuginnen K. und A. angenommen, er habe „seinen starken Fluchtwillen und die Durchsetzung dessen über alles gestellt“. Den sicheren Schluss auf einen bereits hierbei bestehenden bedingten Tötungsvorsatz hat sie aber nicht gezogen und dementsprechend einen Tötungsversuch zum Nachteil dieser Zeuginnen nicht erwogen. Auch ein dem voluntativen Element des bedingten Vorsatzes entgegenstehendes Vertrauen auf das Ausbleiben tödlicher Verletzungen hat das Landgericht allein in Bezug auf den vom Angeklagten bereits wahrgenommenen Geschädigten B. Z. ausgeschlossen.

Dies zugrunde gelegt, hätte indes der - beweiswürdigenden - Erörterung bedurft, ob der Angeklagte den tatbestandlichen Erfolg hier gerade in der Vorstellung für möglich hielt und billigte, ihn durch sein Verhalten noch vermeiden zu können. Die Feststellungen, wonach der Geschädigte sich nur „wenige Meter vom Kurvenausgang entfernt“ in der Fahrbahnmitte aufhielt und von dem Angeklagten erst „beim Ausfahren aus der S-Kurve“ wahrgenommen wurde, legen nahe, dass der Angeklagte, der sein Fahrzeug „weiterhin mit Grenzgeschwindigkeit lenkte“, zur Vermeidung einer etwaigen Kollision, namentlich zu einem erfolgreichen Abbremsen oder Ausweichen, objektiv gar nicht mehr in der Lage gewesen sein könnte, als er das Kind wahrnahm und dessen tödliche Verletzung als möglich erkannte. Dies schlösse zwar einen - dann untauglichen - Tötungsversuch nicht aus, sofern der Angeklagte sich eine Vermeidemöglichkeit (irrig) vorstellte. Ein solches Vorstellungsbild versteht sich nach den Feststellungen aber nicht von selbst und hätte daher ausdrücklich beweiswürdigend unterlegt werden müssen.

(2) Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet darüber hinaus die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe das Mordmerkmal der Tötung mit gemeingefährlichen Mitteln verwirklicht. Dieses Mordmerkmal ist gegeben, wenn der Täter ein Mittel zur Tötung einsetzt, das in der konkreten Tatsituation eine Mehrzahl von Menschen an Leib und Leben gefährden kann, weil er die Ausdehnung der Gefahr nicht in seiner Gewalt hat (BGH, Beschluss vom 10. November 2022 - 4 StR 192/22 Rn. 8; Urteil vom 18. Juni 2020 - 4 StR 482/19, NJW 2020, 2900 Rn. 49, jew. mwN). In subjektiver Hinsicht erfordert es, dass der Täter die mangelnde Beherrschbarkeit der Wirkung des Tötungsmittels und die daraus resultierende Möglichkeit der Gefährdung einer unbestimmten Zahl von Personen an Leib oder Leben kennt oder jedenfalls ernsthaft für möglich hält und einen solchen Gefahreneintritt wünscht oder wenigstens billigend in Kauf nimmt (BGH, Beschluss vom 10. Februar 2021 - 1 StR 500/20, NStZ 2021, 361 Rn. 8). Einen solchen mindestens bedingten Vorsatz des Angeklagten hat das Landgericht weder festgestellt noch beweiswürdigend unterlegt. Es hat lediglich - im Rahmen der rechtlichen Würdigung - ausgeführt, dass der Einsatz des Fahrzeugs in der konkreten Situation, in der der Angeklagte auf den Geschädigten B. Z. zufuhr, geeignet war, auch Dritte wie beispielsweise die sich in der Nähe aufhaltenden weiteren Passanten Z. und T. an Leib oder Leben zu gefährden. Dass der Angeklagte über die mögliche Kollision mit dem Geschädigten B. Z. hinausgehende weitere Unfallfolgen für Dritte für möglich hielt und in Kauf nahm und welche Szenarien seine Vorstellung dabei umfasste, hat das Landgericht allerdings nicht dargelegt. Hinsichtlich der umstehenden Personen hat es ein strafbares Verhalten des Angeklagten ausgeschlossen (so bezüglich des Vaters des B. Z.) oder gar nicht erörtert. Dies schließt einen auf das Mordmerkmal der Tötung mit gemeingefährlichen Mitteln bezogenen Vorsatz zwar nicht von vornherein aus. Ohne nähere Erörterung erschließt sich dessen Annahme durch das Landgericht vor diesem Hintergrund aber nicht.

ee) Die der Verurteilung wegen versuchten Mordes zugrundeliegenden Rechtsfehler ziehen die Aufhebung des Schuldspruchs auch bezüglich der tateinheitlich ausgeurteilten Delikte nach sich (vgl. BGH, Beschluss vom 11. November 2021 - 4 StR 134/21 Rn. 8 mwN). Ãœberdies leidet die Beweiswürdigung zu dem Gefährdungsvorsatz des Angeklagten im Rahmen des § 315c Abs. 1 StGB und § 315d Abs. 2 StGB (vgl. zu letzterem BGH, Urteil vom 18. August 2022 - 4 StR 377/21 Rn. 10) betreffend das Zufahren auf den Geschädigten B. Z. an demselben Rechtsfehler wie diejenige zu dem bedingten Tötungsvorsatz.

b) Die Aufhebung des Schuldspruchs entzieht der Einzelstrafe im Fall II.2., dem Gesamtstrafenausspruch sowie dem Ausspruch über den Vorwegvollzug eines Teils der Gesamtfreiheitsstrafe die Grundlage.

Der Strafausspruch im Fall II.2. weist überdies auch seinerseits einen Rechtsfehler zum Vorteil des Angeklagten auf. Allerdings ist die Strafbemessung grundsätzlich Sache des Tatgerichts. Ein Eingriff des Revisionsgerichts ist nur möglich, wenn die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, von unzutreffenden Tatsachen ausgehen, das Tatgericht gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstößt oder wenn sich die verhängte Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein, so weit löst, dass sie nicht mehr innerhalb des dem Tatrichter eingeräumten Spielraums liegt. Eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle ist ausgeschlossen. In Zweifelsfällen muss das Revisionsgericht die vom Tatgericht vorgenommene Bewertung bis an die Grenze des Vertretbaren hinnehmen. Dabei ist der Tatrichter lediglich verpflichtet, in den Urteilsgründen die für die Strafzumessung bestimmenden Umstände darzulegen (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO); eine erschöpfende Aufzählung aller Strafzumessungserwägungen ist weder vorgeschrieben noch möglich. Was als wesentlicher Strafzumessungsgrund anzusehen ist, ist unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls vom Tatrichter zu entscheiden (st. Rspr.; vgl. - zum Ganzen - nur BGH, Urteil vom 24. Juni 2021 - 5 StR 545/20 mwN).

Diesem Maßstab werden die Strafzumessungserwägungen des Landgerichts im Fall II.2. der Urteilsgründe teilweise nicht gerecht. Die Strafkammer hat rechtsfehlerhaft zugunsten des Angeklagten bei der Wahl des Strafrahmens (§ 23 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB) sowie innerhalb desselben strafmildernd berücksichtigt, dass der Geschädigte B. Z. durch die Tat keine körperlichen Verletzungen davongetragen hat. Hiermit hat sie dem Angeklagten - wie der Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift zutreffend geltend gemacht hat - zu Unrecht das Fehlen eines Strafschärfungsgrundes strafmildernd zugute gebracht (vgl. BGH, Urteil vom 2. Juni 2022 - 3 StR 472/21, JR 2022, 605 Rn. 10).

Ebenfalls rechtsfehlerhaft hat das Landgericht dem Angeklagten im Rahmen der Strafzumessung im engeren Sinn zugute gebracht, dass die Tat „letztlich im Versuchsstadium geblieben ist“. Nachdem die Strafkammer aufgrund des vertypten Strafmilderungsgrundes des § 23 Abs. 2 StGB bereits den Strafrahmen zugunsten des Angeklagten gemäß § 49 Abs. 1 StGB verschoben hatte, war sie zwar nicht gehindert, den Umstand der unterbliebenen Tatvollendung in die zur Strafbemessung innerhalb dieses Rahmens gebotene Gesamtwürdigung erneut einzustellen (vgl. BGH, Beschluss vom 27. November 2019 - 3 StR 521/19 mwN). Hierbei kommt aber nicht mehr der vertypte Milderungsgrund als solcher, also das der Strafrahmenverschiebung zugrundeliegende abstraktrechtliche Wertungsergebnis, sondern allein das konkrete Ausmaß und Gewicht der ihm zugrundeliegenden tatsächlichen Umstände in Betracht (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2019 - 2 StR 512/19, NStZ-RR 2020, 204, 205 mwN; SSW/Eschelbach, StGB, 5. Aufl., § 49 Rn. 19). Besonderheiten des Versuchs, die in diesem Sinne zugunsten des Angeklagten gewertet werden könnten, hat die Strafkammer jedoch nicht angeführt, sondern - im Gegenteil - dessen hohe „konkrete Gefährlichkeit des Versuchs“ hervorgehoben.

Demgegenüber besorgt der Senat entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin und des Generalbundesanwalts nicht, dass dem Landgericht die festgestellte Gefährdung einer Vielzahl von Personen bei der Strafzumessung aus dem Blick geraten sein könnte. Das Missverhältnis zwischen den Folgen, die dem Angeklagten durch eine Polizeikontrolle drohten, und der vom Landgericht angenommenen versuchten Tötung, dessen Berücksichtigung die Beschwerdeführerin zudem vermisst, hat die Strafkammer - rechtlich unbedenklich - ausdrücklich strafschärfend herangezogen.

c) Die Aufhebung des Schuldspruchs im Fall II.2. entzieht schließlich auch der - vom Landgericht unter anderem auf diese Tat gestützten - Maßregel nach § 69a StGB die Grundlage.

3. Die aufgezeigten Rechtsfehler nötigen zu der Aufhebung des Urteils in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang. Ebenfalls der Aufhebung unterliegen die Feststellungen zur subjektiven Tatseite. Die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen sowie die den der Aufhebung unterliegenden Teilen des Rechtsfolgenausspruchs zugehörigen Feststellungen werden hingegen von den Rechtsfehlern nicht betroffen und können daher bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Das neue Tatgericht wird auch zum äußeren Tatgeschehen gegebenenfalls ergänzende Feststellungen treffen können, soweit diese den bisherigen Feststellungen nicht widersprechen.

4. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass das neu zur Entscheidung berufene Tatgericht, sofern es (erneut) zu der Ãœberzeugung gelangen sollte, dass der Angeklagte in Bezug auf den Geschädigten B. Z. oder eine der weiteren Personen mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt hat, auch die Mordmerkmale der Heimtücke und der Verdeckungsabsicht zu prüfen haben wird. Hierbei wird es zu berücksichtigen haben, dass das letztgenannte Mordmerkmal mit der im aufgehobenen Urteil gegebenen Begründung nicht verneint werden kann. Auch der mit bedingtem Tötungsvorsatz vorgehende Täter kann mit Verdeckungsabsicht handeln. Dies setzt voraus, dass er davon ausgeht, die Aufdeckung der vorangegangenen Straftat durch die mit bedingtem Tötungsvorsatz ausgeführte Tathandlung als solche unabhängig vom Eintritt eines Todeserfolgs verhindern zu können (vgl. BGH, Beschluss vom 30. März 2022 - 4 StR 356/21, NStZ 2022, 476 Rn. 9 mwN). Hiernach steht der Umstand, dass der Angeklagte eine Identifizierung durch das Kind, auf das er zufuhr, nicht befürchtet haben mag, der Annahme einer Verdeckungsabsicht nicht entgegen, so fern der Angeklagte nur seine Tathandlung ausführte, um seine Entdeckung als Täter einer vorangegangenen Straftat (durch die ihn verfolgende Polizei) zu verhindern.

HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 810

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede