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HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 634

Bearbeiter: Christoph Henckel

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 440/22, Beschluss v. 22.03.2023, HRRS 2023 Nr. 634


BGH 1 StR 440/22 - Beschluss vom 22. März 2023 (LG Hamburg)

Steuerhinterziehung durch Unterlassen (Pflicht zur Abgabe einer Steuererklärung: erschlichene Befreiung durch Finanzverwaltung; Suspendierung der Erklärungspflicht wegen drohender Selbstbelastung; nemo tenetur).

§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO; § 393 AO; Art. 6 EMRK

Leitsatz des Bearbeiters

Befreit die Finanzverwaltung den Täter von der Pflicht zur Abgabe von Steuererklärungen, steht das einer Strafbarkeit nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO auch entgegen, wenn die Befreiung durch falsche Angaben erschlichen wurde. Vor dem Hintergrund des Bestimmtheitsgrundsatzes entfaltet bei verwaltungsakzessorischen Straftatbeständen die Verwaltungsentscheidung grundsätzlich Tatbestandswirkung.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 4. August 2022 aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen aufrechterhalten.

2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in 16 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und fünf Monaten verurteilt, den Anrechnungsmaßstab für erlittene Auslieferungshaft bestimmt und die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 55.505 € angeordnet. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

1. Das Landgericht hat Folgendes festgestellt und gewertet:

a) Der Angeklagte schloss sich im Jahr 2018 einer Personengruppe an, die sich zur fortgesetzten Begehung von Umsatzsteuerhinterziehungen beim Handel mit Platin- und (in geringerem Umfang) Palladiummünzen verabredet hatte. Diese Gruppe bestand neben dem Angeklagten insbesondere aus den gesondert verfolgten R. und D. sowie weiteren, dem Angeklagten unbekannten Personen, die in der Slowakei ansässig waren. Ab November 2018 war der Angeklagte zusammen mit seinem Bruder Gesellschafter und seit Dezember 2018 alleiniger Geschäftsführer der in B. ansässigen M. H. GmbH (M. GmbH). In Ausgangsrechnungen, denen jeweils keine tatsächliche Leistung zu Grunde lag, wies die M. GmbH von Februar 2019 bis Mai 2020 insgesamt Umsatzsteuer in Höhe von 9.240.643,61 € aus. Weder der Angeklagte noch ein anderer Beteiligter gab für die M. GmbH Umsatzsteuervoranmeldungen oder Umsatzsteuerjahreserklärungen für 2019 und 2020 ab. Aufgrund eines Antrags von R. stufte das zuständige Finanzamt die M. GmbH mit Schreiben vom 24. April 2019 als umsatzsteuerliche Jahreszahlerin ein. Dabei war dem Angeklagten und R. bewusst, dass im Jahr 2019 Umsatzsteuer in erheblicher Höhe entstehen würde. Tatsächlich erhielt der Angeklagte als Geschäftsführer der M. GmbH im Jahr 2019 insgesamt 20.000 € und im Jahr 2020 insgesamt 35.505 € als Arbeitslohn ausschließlich für seine vorsätzliche Beteiligung an den verfahrensgegenständlichen Taten.

b) Das Landgericht ist davon ausgegangen, der Angeklagte habe als Geschäftsführer der M. GmbH das zuständige Finanzamt jeweils pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen, indem er für die Monate von Februar 2019 bis Mai 2020 keine Umsatzsteuervoranmeldungen abgab, und dadurch insgesamt Umsatzsteuer in Höhe von 9.240.643,61 € verkürzt (§ 370 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 2, § 34 Abs. 1 Satz 1 AO; § 18 Abs. 1 Satz 1 UStG). Die M. GmbH habe die in den Rechnungen an E., F. und A. ausgewiesene Umsatzsteuer geschuldet, weil sie diese gesondert ausgewiesen habe, obwohl sie in Wirklichkeit keine Lieferungen ausgeführt habe (§ 14c Abs. 2 Satz 2 UStG). Ungeachtet der Befreiung durch das Finanzamt sei sie zur Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen verpflichtet gewesen, da der Antrag auf die Befreiung rechtsmissbräuchlich gewesen sei. Die Strafbewehrung der Verpflichtung zur Abgabe von Umsatzsteuerjahreserklärungen 2019 und 2020 sei hingegen wegen einer Durchsuchung und der Bekanntgabe des Ermittlungsverfahrens suspendiert gewesen.

2. Die Revision hat überwiegend Erfolg. Der Schuldspruch begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Hiervon nicht betroffen sind indes die rechtsfehlerfreien Feststellungen, die Bestand haben.

a) Der Schuldspruch wird von den Feststellungen nicht getragen. Denn diese belegen keine Verpflichtung der M. GmbH zur Abgabe von monatlichen Umsatzsteuervoranmeldungen. Im Einzelnen:

aa) Voranmeldungszeitraum ist nach § 18 Abs. 2 Satz 1 UStG grundsätzlich das Kalendervierteljahr. Danach wäre für die Monate Januar bis März 2019 und die folgenden Quartale jeweils nur eine einzige monatsübergreifende Umsatzsteuervoranmeldung abzugeben. Ob die Umsatzsteuervoranmeldungen nach § 18 Abs. 2 Sätze 2, 4 oder 5 UStG monatlich abzugeben waren, kann der Senat nicht beurteilen; denn das Landgericht hat nicht festgestellt, dass die M. GmbH vor dem Einstieg des Angeklagten und seines Bruders gewerblich oder beruflich tätig war oder sonst Umsatzsteuertatbestände verwirklichte.

bb) Darüber hinaus ist für die Monate ab April 2019 zumindest nicht auszuschließen, dass die Verpflichtung zur Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen (§ 18 Abs. 1 UStG) und Entrichtung der Vorauszahlungen aufgrund einer Befreiung (vgl. § 18 Abs. 2 Satz 3 UStG) durch die „Einstufung als Jahreszahlerin“ im April 2019 entfallen ist.

(a) Der Generalbundesanwalt hat dazu zutreffend ausgeführt:

„Eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen Steuerhinterziehung durch die unterlassene Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen für die M. H. GmbH hinsichtlich der Voranmeldungszeiträume von April 2019 bis Mai 2020 (Fall 3 bis 16) ist nicht gegeben.

Täter einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO kann nur derjenige sein, der selbst zur Aufklärung steuerlich erheblicher Tatsachen besonders verpflichtet ist (st. Rspr.; vgl. etwa Senat, Beschluss vom 14. Oktober 2020 - 1 StR 265/20 -, Rn. 5). Das Tatbestandsmerkmal der ‚Pflichtwidrigkeit‘ rekurriert auf außerstrafrechtliche Sonderpflichten und stellt ein besonderes persönliches Merkmal gemäß § 28 Abs. 1 StGB dar (vgl. Senat, Urteil vom 28. Juli 2022 - 1 StR 470/21-, Rn. 25 m. w. N.). Der Unternehmer - oder wenn es sich bei dem Unternehmen um eine juristische Person handelt, deren gesetzlicher Vertreter (§ 34 Abs. 1 AO) - ist gemäß § 18 Abs. 1 Satz 1 UStG verpflichtet, bis zum zehnten Tag nach Ablauf des Voranmeldungszeitraums eine Umsatzsteuervoranmeldung abzugeben. Von dieser Pflicht kann ihn das Finanzamt gemäß § 18 Abs. 2 Satz 3 UStG befreien, wenn die Steuer für das vorangegangene Kalenderjahr nicht mehr als 1.000 Euro betragen hat. Bei einer solchen Befreiung handelt es sich um einen Verwaltungsakt gemäß § 118 Satz 1 AO.

Die M. H. GmbH, deren Geschäftsführer der Angeklagte war, ist durch das Schreiben des Finanzamts in B. vom 24. April 2019 von der Verpflichtung zur Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen befreit worden.

Dass die Befreiung durch den gesondert Verfolgten R. vom Finanzamt ‚erschlichen‘ wurde, spielt keine Rolle. Vor dem Hintergrund des Bestimmtheitsgrundsatzes entfaltet bei verwaltungsakzessorischen Straftatbeständen die Verwaltungsentscheidung grundsätzlich Tatbestandswirkung. Es kommt allein auf die formelle Wirksamkeit der Entscheidung, nicht auf ihre materielle Rechtmäßigkeit an (Senat, Urteil vom 6. September 2022 - 1 StR 389/21 -, Rn. 16 m. w. N.). Verwaltungsakzessorische Straftatbestände bedürfen eines eindeutigen Auslegungsmaßstabs in Bezug auf ihre verwaltungsrechtlichen Vorgaben. Würden - verborgene - materiellrechtliche Mängel, etwa in Folge von Täuschung oder sonstiger missbräuchlicher Verhaltensweisen zum Abgrenzungskriterium des strafbaren und nicht strafbaren Verhaltens gemacht, so wären Voraussetzungen und Grenzen der Strafbarkeit im Allgemeinen ungewiss, weil im Einzelfall von zufällig nachweisbaren und nicht nachweisbaren Tatumständen abhängig (vgl. Senat, Urteil vom 26. Januar 2021 - 1 StR 289/20 -, BGHSt 65, 257, 268).“

(b) Aus § 130 Abs. 2 Nr. 2 AO ergibt sich, dass auch ein Verwaltungsakt, der durch unlautere Mittel wie arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt worden ist, grundsätzlich wirksam ist. Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist die Befreiung auch nicht deswegen unbeachtlich, weil ihr ein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten (§ 42 AO) zugrunde läge. Schon der Tatbestand des Gestaltungsmissbrauchs ist nicht erfüllt, weil eine Gestaltung im Sinne von § 42 AO ein tatsächlich verwirklichter Sachverhalt ist (vgl. BFH, Beschluss vom 1. Februar 1983 - VIII R 30/80, BFHE 138, 4, unter I.2.a.), der zu einem gesetzlich nicht vorgesehenen Vorteil führt; ein lediglich vorgetäuschter Sachverhalt oder die bloße Geltendmachung eines Anspruchs, sei er auch offensichtlich unbegründet, ist dementsprechend keine Gestaltung in diesem Sinne. Vor allem aber betreffen die Vorschriften über das Steuerschuldverhältnis, zu denen § 42 AO gehört, den abstrakten Steueranspruch, nicht dessen Konkretisierung durch Verwaltungsakt (vgl. BFH, Urteile vom 28. Januar 1983 - VI R 35/78, BFHE 138, 188 unter 1.c.aa. und vom 29. Februar 2012 - II R 19/10, BFHE 237, 188 Rn. 19. Wird die richtige Steuerschuld bei der Konkretisierung verfehlt, so kann nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften auf dem Rechtsbehelfsweg oder durch Korrektur des Verwaltungsakts eine Anpassung an die entstandene Steuerschuld erreicht werden (BT-Drucks. 6/1982, S. 113, 114; vgl. BFH, Urteil vom 28. April 1987 - IX R 9/83; Ratschow in Klein, AO, 16. Auflage § 42 Rn. 88). Bis dahin ist es nicht zulässig, einem Verwaltungsakt einen anderen als den bekannt gegebenen Inhalt (§ 124 Abs. 1 Satz 2 AO) beizumessen oder den Verwaltungsakt zum Nachteil des Adressaten umzudeuten (§ 128 Abs. 2 Satz 1 AO).

cc) Der Senat kann allerdings nicht abschließend entscheiden, in welchem Umfang die „Einstufung als Jahreszahlerin“ zu einer Befreiung von der Verpflichtung zur Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen und der Entrichtung der Vorauszahlungen führte.

(a) Der Inhalt eines Verwaltungsakts ist vom Tatgericht festzustellen. Das Revisionsgericht kann dessen Auslegung nur darauf überprüfen, ob diese allgemeine Erfahrungssätze, Denkgesetze oder verbindliche Auslegungsregeln verletzt hat. Eine eigene Wertung steht dem Revisionsgericht nicht zu (BGH, Urteil vom 30. März 2021 - 3 StR 474/19 Rn. 25 mwN). Für den Regelungsgehalt eines Verwaltungsakts ist entsprechend §§ 133, 157 BGB der erklärte Wille der Behörde maßgebend, wie ihn der Empfänger bei objektiver Würdigung nach Treu und Glauben verstehen musste, wobei Erwägungen und Überlegungen, die in der Entscheidung keinen erkennbaren Niederschlag gefunden haben, außer Betracht bleiben. Bei der Ermittlung dieses objektiven Erklärungswertes ist mithin vom Wortlaut der Erklärung auszugehen und deren objektiver Gehalt unter Berücksichtigung des Empfängerhorizontes zu bestimmen. Hierzu sind alle dem Empfänger bekannten oder erkennbaren, dem Erlass des Verwaltungsaktes vorausgegangenen Umstände sowie die Begründung des Verwaltungsaktes heranzuziehen (BGH, aaO Rn. 27 mwN).

(b) Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Es teilt schon den konkreten Wortlaut der Entscheidung des Finanzamts B. zur „Einstufung als Jahreszahlerin“ nicht mit. Die Finanzämter sind zwar gehalten, bei Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen (§ 18 Abs. 2 Satz 3 UStG) die Befreiung von Amts wegen zu erteilen (UStAE Abschn. 18.2 Abs. 2 Satz 2). Die gesetzlichen Voraussetzungen sind aber für jedes Kalenderjahr eigenständig zu prüfen. Es ist daher nicht ohne Weiteres davon auszugehen, eine Befreiung sei ohne Nebenbestimmungen (§ 120 AO) erteilt, die das andauernde Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen sicherstellen.

b) Die getroffenen Feststellungen sind von dem vorgenannten Fehler nicht betroffen und haben daher Bestand (§ 353 Abs. 2 StPO). Sie sind, wie ausgeführt, zum genauen Umfang und Inhalt der Befreiung zu ergänzen. Im Übrigen sind ergänzende Feststellungen möglich, sofern sie den bisherigen nicht widersprechen.

3. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

Soweit das Landgericht und der Generalbundesanwalt nicht nur die Strafbewehrung der Pflicht zur Abgabe der Umsatzsteuerjahreserklärung für den Besteuerungszeitraum 2020 aufgrund der Bekanntgabe der Einleitung des Steuerstrafverfahrens im Mai 2021 als suspendiert angesehen haben („nemo-tenetur“; vgl. insbesondere § 393 Abs. 1 Satz 2, 3, § 371 Abs. 2, Abs. 2a AO), sondern auch diejenige betreffend den Besteuerungszeitraum 2019 aufgrund der Durchsuchung vom 28. Mai 2020, vermag der Senat letzteres auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen (insbesondere UA S. 22, 77 f.) nicht zu beurteilen:

a) Bislang hat der Senat die Suspendierung der Strafbewehrung unter dem Gesichtspunkt der Selbstbelastungsfreiheit in folgenden Ausnahmekonstellationen angenommen: bezüglich der Pflicht zur Abgabe der Umsatzsteuerjahreserklärung, wenn dem Betroffenen vor Ablauf der Abgabefrist bekanntgegeben worden war, dass gegen ihn ein Steuerstrafverfahren betreffend die Voranmeldungszeiträume desselben Jahres eingeleitet war (zuletzt BGH, Beschluss vom 1. August 2018 - 1 StR 643/17 Rn. 6 mwN; grundlegend BGH, Beschluss vom 26. April 2001 - 5 StR 587/00, BGHSt 47, 8, 12 ff.), bezüglich der Pflicht zur Abgabe einer Ertragsteuererklärung, wenn der Betroffene durch die Nichtabgabe bereits das Versuchsstadium erreicht hatte, die Tat aber noch nicht vollendet war (zuletzt BGH, Beschlüsse vom 4. November 2021 - 1 StR 236/21 Rn. 16 und vom 1. Juni 2021 - 1 StR 127/21 Rn. 8 mwN), sowie im Verhältnis der Steuerhehlerei (§ 374 AO) zur Steuerhinterziehung (BGH, Beschluss vom 23. Mai 2019 - 1 StR 127/19, BGHR AO § 374 Konkurrenzen 6, Rn. 9-17). Bezüglich der beiden zuerst genannten Fallgruppen hat der Senat maßgeblich darauf abgestellt, dass erst mit der Bekanntgabe dem Betroffenen die Abgabe einer wirksamen Selbstanzeige verwehrt ist (vgl. § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b AO), nicht also bereits mit der dem Täter unbekannten Strafverfahrenseinleitung (BGH, Beschluss vom 27. Mai 2009 - 1 StR 665/08 Rn. 9; vgl. auch BGH, Beschluss vom 3. November 2021 - 1 StR 215/21 Rn. 9 f.), bzw. in der dritten Fallgruppe die Vorschrift der Selbstanzeige auf die Steuerhehlerei nicht anwendbar ist.

b) Demgegenüber besteht die Strafbewehrung der Pflicht zur Abgabe von Steuererklärungen, die sich auf andere Besteuerungszeiträume oder andere Steuerarten beziehen, auch nach Eingreifen eines Sperrgrundes (§ 371 Abs. 2 AO) fort. Soweit zutreffende Angaben in solchen Erklärungen mittelbar zu einer Selbstbelastung des Steuerpflichtigen hinsichtlich zurückliegender Besteuerungszeiträume oder anderer Steuerarten führen, dürfen diese Angaben allerdings nicht gegen seinen Willen in einem Strafverfahren gegen ihn verwendet werden (grundlegend BGH, Beschluss vom 12. Januar 2005 - 5 StR 191/04 BGHR AO § 393 Abs. 1 Erklärungspflicht 5 Rn. 12-21; siehe auch BGH, Beschluss vom 10. Februar 2015 - 1 StR 405/14, BGHSt 60, 188 Rn. 22 mwN). Ein Beweismittelverwertungs- oder verwendungsverbot hat der Senat auch erwogen, wenn eine strafbefreiende Selbstanzeige aus anderen Sperrgründen als der Bekanntgabe der Einleitung des Steuerstrafverfahrens ausgeschlossen ist (Beschluss vom 17. März 2009 - 1 StR 479/08, BGHSt 53, 210 Rn. 27).

c) Hier bedarf es zur umfassenden rechtlichen Überprüfung der möglichen Suspendierung der Strafbewehrung der Erklärungspflicht der Aufklärung und Erläuterung, warum der Angeklagte, obwohl er bereits seit Dezember 2018 als Geschäftsführer im Handelsregister eingetragen war, im Mai 2020 jedenfalls noch nicht „formell“ als Beschuldigter geführt wurde, wenn die Einbindung der M. H. GmbH in die „Umsatzsteuerbetrugskette“ zu diesem Zeitpunkt bereits erkannt war (UA S. 22; vgl. § 397 Abs. 3 AO und BGH, Beschluss vom 23. Januar 2002 - 5 StR 540/01 Rn. 7, BGHR AO § 393 Abs. 1 Erklärungspflicht 3); die Tatentdeckung allein, die den Sperrgrund nach § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO herbeiführt (dazu BGH, Beschluss vom 20. Mai 2010 - 1 StR 577/09, BGHSt 55, 180 Rn. 24, 26), genügt nicht. Ohnehin ist im Verhältnis der Strafbarkeit nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO, § 18 Abs. 1 Satz 1, § 14c Abs. 2 Satz 2 UStG durch Nichtabgabe der Umsatzsteuervoranmeldungen zum möglichen Entfallen der Strafbewehrung der Pflicht zur Abgabe der Umsatzsteuerjahreserklärung vorrangig aufzuklären, ob die Pflicht zur Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldungen überhaupt bestand. Sollte dies nicht der Fall gewesen sein, hätte sich der Angeklagte im Mai 2020 insoweit nicht strafbar gemacht; freilich wäre dann eine mögliche Beteiligung des Angeklagten an etwaigen Umsatzsteuerhinterziehungen zugunsten der AC. als Organträgerin der E. (Abgabe von 15 Umsatzsteuervoranmeldungen) in den Blick zu nehmen. Gegebenenfalls ist der vorläufig eingestellte Fall 7 der Anklageschrift wiederaufzunehmen (§ 154 Abs. 5 StPO) oder zu prüfen, inwieweit die möglicherweise erschlichene Befreiung von der Pflicht zur Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldungen ein strafrechtlich relevanter Steuervorteil ist (§ 370 Abs. 1 Alternative 2 AO).

HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 634

Bearbeiter: Christoph Henckel