HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 1063
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 643/17, Beschluss v. 01.08.2018, HRRS 2018 Nr. 1063
1. Das Urteil des Landgerichts Aachen vom 20. Juni 2017 wird mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) im Schuldspruch, soweit der Angeklagte wegen Umsatzsteuerhinterziehung durch Nichtabgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung für das Jahr 2014 verurteilt worden ist,
b) im Strafausspruch, soweit der Angeklagte wegen Umsatzsteuerhinterziehung durch Nichtabgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung für das Jahr 2013 verurteilt worden ist,
c) im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe.
2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in sieben Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Im Übrigen hat es den Angeklagten freigesprochen.
Die in Italien verbüßte Auslieferungshaft hat es im Verhältnis 1:1 auf die Freiheitsstrafe angerechnet. Die vom Angeklagten auf die Sachrüge gestützte Revision hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
1. Der Schuldspruch wegen Steuerhinterziehung aufgrund unterlassener Abgabe der Umsatzsteuerjahreserklärung 2014 hält sachlichrechtlicher Überprüfung nicht stand.
Der Angeklagte ist wegen Umsatzsteuerhinterziehung durch aktives Tun in Form der Geltendmachung nicht vorhandener Vorsteuern für die Voranmeldungszeiträume September 2013 bis Januar 2014 nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO sowie durch Unterlassen wegen Nichtabgabe von Umsatzsteuerjahreserklärungen für die Besteuerungszeiträume 2013 und 2014 nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO verurteilt worden.
Das Landgericht teilt in den Urteilsgründen mit, dass das Steuerstrafverfahren gegen den Angeklagten am 4. August 2014 eingeleitet und im Zuge dessen auf der Grundlage eines richterlichen Beschlusses am 16. Oktober 2014 beim Angeklagten in dessen Anwesenheit durchsucht worden ist. Es verhält sich nicht dazu, auf welchen Tatzeitraum sich die spätestens bei der Durchsuchung erfolgte Bekanntgabe der Einleitung des Steuerstrafverfahrens bezog. Dies ist jedoch für die strafrechtliche Bewertung von Belang.
Der Angeklagte war steuerrechtlich nach § 149 Abs. 2 AO, § 18 Abs. 3 UStG verpflichtet, für 2014 bis zum Ablauf der gesetzlichen Abgabefrist am 31. Mai 2015 eine Umsatzsteuerjahreserklärung abzugeben. Die Strafbewehrung der Pflicht zur Abgabe der Steuererklärung wäre jedoch suspendiert worden, wenn das dem Angeklagten bekannt gegebene Steuerstrafverfahren auch Zeiträume betroffen hätte, auf die sich diese Erklärungspflicht erstreckte. Denn sonst würde gegen das in § 393 Abs. 1 Satz 2 und 3 AO normierte Zwangsmittelverbot verstoßen (BGH, Beschlüsse vom 26. April 2001 - 5 StR 587/00, BGHSt 47, 1 Rn. 25; vom 27. Mai 2009 - 1 StR 665/08, NStZ-RR 2009, 340; vom 23. Januar 2002 - 5 StR 540/01, NStZ 2002, 437 und vom 10. August 2017 - 1 StR 573/16 Rn. 18, wistra 2018, 42).
Bereits aufgrund der verfahrensgegenständlichen Verurteilung des Angeklagten wegen Umsatzsteuerhinterziehung durch Abgabe einer unrichtigen Umsatzsteuervoranmeldung für Januar 2014 liegt nahe, dass dem Angeklagten gegenüber während der Durchsuchung am 16. Oktober 2014 das Strafverfahren auch wegen Voranmeldungszeiträumen ab Januar 2014 bekannt gegeben worden war. Damit wäre aber die Strafbewehrung seiner Erklärungspflicht für die Umsatzsteuerjahreserklärung 2014 durch die Bekanntgabe der Einleitung des Steuerstrafverfahrens vor Vollendung der Tat suspendiert worden.
2. a) Der Schuldspruch wegen unterlassener Abgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung 2013 wird davon nicht berührt. Denn diese Tat war am 31. Mai 2014 und mithin sogar schon vor Einleitung des Steuerstrafverfahrens vollendet.
b) Jedoch hat der Strafausspruch insoweit keinen Bestand. Der Senat kann nicht ausschließen, dass der Schuldumfang rechtsfehlerhaft zu hoch bestimmt worden ist.
Nach den Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte eingetragener Geschäftsführer der C. Im- und Export Verwaltungs UG, die u.a. aus dem Handel mit Kraftfahrzeugen und Körperpflegeprodukten steuerpflichtige Ausgangsumsätze erzielte und hieraus im Besteuerungszeitraum 2013 Umsatzsteuer in Höhe von 72.121,91 Euro und im Besteuerungszeitraum 2014 in Höhe von 126.665,54 Euro schuldete. Der Angeklagte gab entgegen seiner gesetzlichen Pflicht für beide Besteuerungszeiträume bis zum 31. Mai des Folgejahres keine Umsatzsteuerjahreserklärungen ab.
Aus den vom Landgericht festgestellten Veräußerungsumsätzen ergibt sich jeweils Umsatzsteuer in Höhe von 19 % auf den ebenfalls festgestellten Bruttobetrag (bspw. Fiat 500c vom 21. Juni 2013 Bruttoumsatz 17.700 Euro x 19 % = 3.363 Euro), die sich daraus ergebende Differenz wird als steuerpflichtiger Nettobetrag bezeichnet (17.700 Euro abzgl. 3.363 Euro = 14.337 Euro). Nach § 10 Abs. 1 S. 1 UStG wird der Umsatz bei Lieferungen und sonstigen Leistungen (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG) und bei dem innergemeinschaftlichen Erwerb (§ 1 Abs. 1 Nr. 5 UStG) nach dem Entgelt bemessen. Entgelt ist nach Satz 2 alles, was der Leistungsempfänger aufwendet, um die Leistung zu erhalten, jedoch abzüglich der Umsatzsteuer.
Aufgrund der mitgeteilten Zahlen zum „Brutto-, Netto- und Steuerbetrag“ kann der Senat nicht nachvollziehen, ob sowohl im Besteuerungszeitraum 2013 als auch 2014, fälschlicherweise die Steuer „auf“ anstatt „aus“ dem „Bruttobetrag“ ermittelt wurde oder ob die Umsatzsteuer tatsächlich in der von der Kammer angegebenen Höhe auf den Rechnungen des Angeklagten offen ausgewiesen wurde.
Wäre die Steuer nach § 10 Abs. 1 S. 2 UStG aus dem Bruttoumsatz zu errechnen gewesen, dann hätte diese beispielsweise für die Lieferung des o.g. Fiat 500c vom 21. Juni 2013 2.826,05 Euro anstatt 3.363 Euro betragen. Diese Berechnung hat die Kammer für alle Lieferungen in 2013 und 2014 vorgenommen, so dass die im Urteil zugrunde gelegten Schäden jeweils höher wären als die nach § 10 Abs. 1 S. 2 UStG geschuldete Steuer.
Der Schuldumfang, also die Höhe der verkürzten Steuer, wäre nur dann richtig festgestellt, wenn der Angeklagte den von der Strafkammer festgestellten Betrag fälschlicherweise in dieser Höhe offen auf den Rechnungen ausgewiesen hätte (§ 14c Abs. 2 UStG). Hierfür ergibt sich allerdings nichts aus dem Urteil, so dass revisionsrechtlich nicht überprüfbar ist, ob die Berechnung der geschuldeten Steuer rechtsfehlerfrei erfolgte.
c) Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht eine niedrigere als die verhängte Einzelstrafe festgesetzt hätte, wenn es von einem zutreffenden Schuldumfang ausgegangen wäre.
Da die Verurteilung des Angeklagten für den Besteuerungszeitraum 2014 bereits im Schuldspruch aufgehoben wird, wirkt sich der hier ebenfalls vorhandene Fehler nicht aus. Sollte das neue Tatgericht allerdings feststellen, dass die Strafbewehrung der Pflicht des Angeklagten zur Abgabe der Umsatzsteuerjahreserklärung 2014 nicht suspendiert worden ist, wird auch insofern der Schaden zu überprüfen sein.
3. Angesichts der Aufhebung der beiden Einzelstrafen kann auch die Gesamtfreiheitsstrafe keinen Bestand haben.
4. Der Senat weist für die neue tatrichterliche Entscheidung noch auf Folgendes hin:
Soweit das neue Tatgericht die Umsatzsteuer nach der Differenzbesteuerung zu bestimmen hat, ist der Umsatz in diesen Fällen nach dem Betrag zu bemessen, um den der Verkaufspreis den Einkaufspreis für den Gegenstand übersteigt (§ 25a Abs. 3 S. 1 UStG). Aus diesem Betrag ist die Umsatzsteuer zu berechnen (§ 25a Abs. 3 S. 3 UStG).
HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 1063
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2018, 379
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede