HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 148
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 263/22, Beschluss v. 24.11.2022, HRRS 2023 Nr. 148
1. Auf die Revision des Angeklagten K. K. wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 8. März 2022, soweit es ihn betrifft und er verurteilt worden ist, mit den Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die Revision der Angeklagten L. K. gegen das vorbezeichnete Urteil wird verworfen.
Die Beschwerdeführerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten K. K. unter Freisprechung im Übrigen wegen „unerlaubten“ Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt, von der wegen überlanger Verfahrensdauer sechs Monate als vollstreckt gelten. Die Angeklagte L. K. hat das Landgericht wegen Beihilfe zum „unerlaubten“ Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat und von der wegen überlanger Verfahrensdauer sechs Monate als vollstreckt gelten. Ferner hat das Landgericht gegen beide Angeklagte Einziehungsentscheidungen getroffen.
Hiergegen richten sich die Revisionen der Angeklagten, die der Angeklagte K. K. auf Verfahrensbeanstandungen und beide Angeklagte auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts stützen.
Die Revision des Angeklagten K. K. hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg. Auf seine weiteren Verfahrensrügen und seine Sachrüge kommt es damit nicht an. Die Revision der Angeklagten L. K. ist unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
Nach den Feststellungen errichtete und betrieb der Angeklagte K. K. von 2018 bis 2019 in einer unbewohnten Doppelhaushälfte in E. eine Plantage zur Aufzucht von Cannabispflanzen. Seine Ehefrau, die Angeklagte L. K., hatte zuvor in Absprache mit ihm an dem Grundstück ein Erbbaurecht erworben, um ihm das Haus für die Plantage zur Verfügung zu stellen. Durch zwei Ernten im Oktober 2018 und Juni 2019 erzielte der Angeklagte einen Ertrag von insgesamt 66 kg Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von 7 % THC, für die er einen Erlös von 279.000 Euro vereinnahmte. Eine dritte Ernte hätte mindestens 30 kg Marihuana erbracht, doch wurden die noch unreifen Pflanzen im Juli 2019 von der Polizei sichergestellt.
Der Angeklagte K. K. beanstandet zu Recht die fehlerhafte Ablehnung eines Beweisantrags.
1. Dem liegt nach dem Revisionsvorbringen und dem Urteilsinhalt, den das Revisionsgericht ergänzend berücksichtigen kann, wenn - wie hier - die Sachrüge erhoben ist (BGH, Beschluss vom 24. September 2020 - 4 StR 144/20; Beschluss vom 19. Dezember 2007 - 2 StR 510/07), folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
a) Der Angeklagte K. K. bestritt in der Hauptverhandlung, in dem Haus eine Cannabisplantage betrieben zu haben. Er habe das Haus von Ende 2016 bis Anfang 2019 in seinem Besitz gehabt und zeitweise renoviert. Seit dem 1. Februar 2019 sei das Haus an einen Schwager vermietet gewesen, der alle Schlüssel erhalten und nach seinen Angaben ihm - dem Angeklagten - gegenüber das Haus ab Ende Mai oder Anfang Juni 2019 an Personen aus den Niederlanden untervermietet habe.
b) Der Verteidiger des Angeklagten K. K. beantragte in der Hauptverhandlung, drei namentlich benannte Personen mit Anschrift in den Niederlanden unter Zusicherung freien Geleits als Zeugen zu vernehmen, hilfsweise, sie im Wege der Rechtshilfe durch einen ersuchten Richter in den Niederlanden vernehmen zu lassen. Der Antrag hatte insbesondere die Beweisbehauptungen zum Gegenstand, die benannten Zeugen hätten im ersten Halbjahr 2019, nicht vor dem 1. Februar 2019, die bei der polizeilichen Durchsuchung im Juli 2019 aufgefundene Cannabis-Plantage aufgebaut und Marihuana-Pflanzen „eingebracht“.
Bei den polizeilichen Ermittlungen waren DNA-Spuren in dem Haus gefunden worden, die mittels einer niederländischen Datenbank den in dem Antrag benannten Zeugen zugeordnet werden konnten. Einer der Zeugen war in den Niederlanden wegen Betäubungsmitteldelikten vorbestraft; gegen einen weiteren war ein Verfahren wegen „Hanfanbaus“ eingestellt worden.
Das Landgericht lehnte den Antrag ab. Es handele sich mangels hinreichend bestimmter Bezeichnung der Beweistatsachen um einen Beweisermittlungsantrag, dem nachzukommen die Aufklärungspflicht nicht gebiete. Hilfsweise hat das Landgericht angenommen, dass der Antrag aber auch dann abzulehnen wäre, wenn er als Beweisantrag zu beurteilen sein sollte, da die Vernehmung der im Ausland zu ladenden Zeugen zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich sei (§ 244 Abs. 5 Satz 2 StPO). Ihre Vernehmung sei voraussichtlich unergiebig, weil sie wegen der Gefahr eigener Strafverfolgung „kaum“ zu einer Aussage bereit sein würden und ihnen ein „Aussageverweigerungsrecht“ gemäß § 55 StPO zustehe. Der Beweiswert etwaiger Aussagen wäre wegen der möglichen eigenen Strafverfolgung gering. Im Übrigen bestehe kein Anhaltspunkt, dass die Zeugen die Beweisbehauptung bestätigen würden. Andernfalls würde ihnen die Kammer keinen Glauben schenken, da es bei einer Gesamtwürdigung wenig wahrscheinlich sei, dass die Zeugen für den Aufbau der Plantage aus den Niederlanden angereist seien. Allenfalls hätten sie bei der Ernte geholfen.
2. Die Verfahrensrüge ist nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO zulässig ausgeführt. Unschädlich ist, dass die Revisionsbegründung die in dem Beweisantrag in Bezug genommenen Lichtbilder der Cannabis-Plantage nur zum Teil vorgelegt hat. Denn der Senat kann die Schlüssigkeit der Rüge ohne Kenntnis der fehlenden Fotos beurteilen, weil die abgebildeten Einzelheiten weder zum Verständnis des Beweisantrags noch des Ablehnungsbeschlusses erforderlich sind.
3. Die Verfahrensrüge ist auch begründet. Das Landgericht hat den Antrag mit rechtsfehlerhafter Begründung abgelehnt und dadurch seine Aufklärungspflicht verletzt.
a) Der Antrag ist entgegen der Auffassung des Landgerichts als Beweisantrag im Sinne des § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO zu qualifizieren. Zur bestimmten Bezeichnung konkreter Tatsachen reichte es vorliegend aus, die unter Beweis gestellten Tätigkeiten der Zeugen als „Aufbauen“ der Plantage sowie als „Einbringen“ der Cannabis-Pflanzen zu benennen. Angesichts eines unter Beweis gestellten komplexen, mehraktigen Tuns der Zeugen sind solche schlagwortartigen Verkürzungen zulässig, wenn sie - wie hier - den zu beweisenden Vorgang in seinen entscheidungserheblichen Umrissen hinreichend deutlich werden lassen (vgl. BGH, Urteil vom 13. Juni 2007 - 4 StR 100/07; Becker in Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 244 Rn. 98; Bachler in BeckOK-StPO, 45. Ed., § 244 Rn. 17). Eine umfangreiche Beschreibung der Tätigkeiten war damit ebenso wenig erforderlich wie die - hier ohnehin kaum mögliche - Zuordnung einzelner Teilakte zu bestimmten Zeugen. Einer genaueren zeitlichen Eingrenzung der Tätigkeiten als auf den im Beweisantrag angegebenen Zeitraum zwischen dem 1. Februar und 30. Juni 2019 bedurfte es ebenfalls nicht, da sie von anderen Lebenssachverhalten bereits dadurch unterschieden werden konnten, dass sie sich auf den Aufbau einer bestimmten, im Beweisantrag bezeichneten und durch die in Bezug genommenen Lichtbilder näher dokumentierten Plantage bezogen.
b) Die (vom Landgericht hilfsweise ausgeführte) Ablehnung des Antrags als Beweisantrag ist ebenfalls rechtsfehlerhaft.
aa) Nach § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO kann ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre, abgelehnt werden, wenn dessen Anhörung nach pflichtgemäßer Beurteilung des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Ob die Ladung und Vernehmung eines Auslandszeugen geboten ist, richtet sich mithin - insoweit nicht anders als bei Annahme eines bloßen Beweisermittlungsantrags - nach der Aufklärungspflicht des Gerichts im Sinne des § 244 Abs. 2 StPO (BGH, Beschluss vom 21. Juli 2016 - 2 StR 383/15, NStZ 2017, 96; Beschluss vom 19. Januar 2010 - 3 StR 451/09, jeweils mwN). Ob das Gebot des § 244 Abs. 2 StPO, die Beweisaufnahme zur Erforschung der Wahrheit auf alle entscheidungsrelevanten Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, es gebietet, dem Beweisantrag auf Vernehmung eines Auslandszeugen nachzukommen, kann nur unter Berücksichtigung der jeweiligen Besonderheiten des Einzelfalles beurteilt werden. Allgemein gilt lediglich der Grundsatz, dass bei einem durch die bisherige Beweisaufnahme gesicherten Beweisergebnis auf breiter Beweisgrundlage eher von der Vernehmung des Auslandszeugen abgesehen werden kann. Dagegen wird die Vernehmung des Auslandszeugen umso eher notwendig sein, je ungesicherter das bisherige Beweisergebnis erscheint, je größer die Unwägbarkeiten sind und je mehr Zweifel hinsichtlich des Werts der bisher erhobenen Beweise überwunden werden müssen.
In die gebotene Abwägung hat das Tatgericht - vor dem Hintergrund der bisherigen Beweislage - des Weiteren die Bedeutung und den Beweiswert der Aussage des benannten Zeugen einzustellen. Dabei kommt der Aussage ein besonderes Gewicht zu, wenn der Auslandszeuge Vorgänge bekunden soll, die für den Schuldvorwurf von zentraler Bedeutung sind (vgl. zum Ganzen BGH, Beschluss vom 16. Februar 2022 - 4 StR 392/20; Beschluss vom 12. Juli 2018 - 3 StR 144/18; Urteil vom 13. März 2014 - 4 StR 445/13; Beschluss vom 26. Oktober 2006 - 3 StR 374/06; Becker in LR-StPO, 27. Aufl., § 244 Rn. 357). Bei der Bemessung des Beweiswertes der Aussage ist das Tatgericht von dem Verbot der Beweisantizipation befreit und darf seine Entscheidung davon abhängig machen, welche Ergebnisse von der beantragten Beweisaufnahme zu erwarten sind und wie diese zu erwartenden Ergebnisse zu würdigen wären. Kommt es unter Berücksichtigung sowohl des Vorbringens zur Begründung des Beweisantrags als auch der in der bisherigen Beweisaufnahme angefallenen Erkenntnisse zu dem Ergebnis, dass ein Einfluss auf seine Überzeugung auch dann sicher ausgeschlossen ist, wenn der benannte Zeuge die in sein Wissen gestellte Behauptung bestätigen werde, ist eine Ablehnung des Beweisantrags rechtlich nicht zu beanstanden (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 16. Februar 2022 - 4 StR 392/20; Beschluss vom 12. Juli 2018 - 3 StR 144/18; Urteil vom 13. März 2014 - 4 StR 445/13; Urteil vom 18. Januar 1994 - 1 StR 745/93, BGHSt 40, 60, 62; vgl. näher Thörnich, Der Auslandszeuge im Strafprozess, 2020, S. 547 ff.).
Neben der antizipierenden Würdigung des Inhalts einer Aussage des Zeugen kann die Ablehnung eines auf Vernehmung eines Auslandszeugen gerichteten Beweisantrags im Einzelfall auch dadurch gerechtfertigt sein, dass der Beweiswert des Zeugen wegen der voraussichtlichen Unergiebigkeit seiner Aussage oder der Unerreichbarkeit des Zeugen gering ist. Hierzu zählen grundsätzlich auch solche Fallgestaltungen, in denen der Aufenthalt eines Zeugen zwar bekannt, aber damit zu rechnen ist, dass er entweder einer Ladung nicht folgen oder im Falle seines Erscheinens keine Angaben zur Sache machen werde. Dies gilt insbesondere für Zeugen, die der Beteiligung an der Tat verdächtig sind und denen deswegen ein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO zusteht (BGH, Beschluss vom 16. Februar 2022 - 4 StR 392/20; Beschluss vom 23. Oktober 2013 - 5 StR 401/13; Beschluss vom 25. April 2002 - 3 StR 506/01; Becker in Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 244 Rn. 357).
Auch hierbei handelt es sich aber um Gesichtspunkte, die nicht isoliert gewürdigt werden dürfen, sondern lediglich im Rahmen der gebotenen Gesamtabwägung im Einzelfall unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit Berücksichtigung finden können, wobei der Bedeutung und dem Beweiswert des Zeugenbeweises vor dem Hintergrund der bisherigen Beweisaufnahme der zeitliche und organisatorische Aufwand einer Aufklärungsmaßnahme und die damit verbundenen Nachteile durch die Verzögerung des Verfahrens gegenüberzustellen sind (vgl. BGH, Beschluss vom 25. April 2002 - 3 StR 506/01, NStZ 2002, 653, 654 mwN; zur erforderlichen Gesamtwürdigung auch BGH, Beschluss vom 13. Februar 2014 - 1 StR 336/13, NStZ 2014, 469, 471; zur Abwägung bei besonderer Beweislage auch BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2013 - 5 StR 401/13, NStZ 2014, 51).
bb) In dem für die Ablehnung eines auf die Vernehmung eines Auslandszeugen gerichteten Beweisantrags erforderlichen Gerichtsbeschluss (§ 244 Abs. 6 Satz 1 StPO) müssen die maßgeblichen Erwägungen schließlich so umfassend dargelegt werden, dass es dem Antragsteller möglich wird, seine Verteidigung auf die neue Verfahrenslage einzustellen, und das Revisionsgericht überprüfen kann, ob die Antragsablehnung auf einer rational nachvollziehbaren, die wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalles erkennbar berücksichtigenden Argumentation beruht (BGH, Beschluss vom 16. Februar 2022 - 4 StR 392/20; Beschluss vom 12. Juli 2018 - 3 StR 144/18; Urteil vom 13. März 2014 - 4 StR 445/13; Urteil vom 18. Januar 1994 - 1 StR 745/93, BGHSt 40, 60, 62; Becker in Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 244 Rn. 357).
cc) Diesen Maßstäben entspricht der von der Revision angegriffene Ablehnungsbeschluss in mehrfacher Hinsicht nicht.
(1) Er ist ermessensfehlerhaft, weil das Landgericht die Ablehnung allein auf die Annahme gestützt hat, eine Vernehmung der Zeugen wäre voraussichtlich unergiebig, jedenfalls aber nicht beweiskräftig. Die erforderliche Gesamtwürdigung, ob es die Aufklärungspflicht gemäß § 244 Abs. 2 StPO vor dem Hintergrund des bisherigen Beweisergebnisses gebot, trotz eines möglicherweise geringen Beweiswerts ihrer Aussagen die Aussagebereitschaft der Zeugen freibeweislich zu ermitteln und sie gegebenenfalls zu vernehmen, fehlt vollständig.
(2) Die Erwägungen, mit denen das Landgericht etwaigen Aussagen der Zeugen eine erhebliche Beweisbedeutung abgesprochen hat, begegnen zudem auch für sich genommen rechtlichen Bedenken. Nicht nachvollziehbar und rechtsfehlerhaft ist zum einen die Annahme des Landgerichts, der Beweiswert einer Aussage der benannten Zeugen wäre wegen der diesen drohenden Gefahr, sich selbst der Strafverfolgung auszusetzen, gering. Denn ein solcher Schluss wäre jedenfalls dann nicht ohne weiteres zu ziehen, wenn die Zeugen die im Antrag enthaltenen Beweisbehauptungen bestätigen und damit eine eigene Strafbarkeit einräumen sollten. Zum anderen lassen die Gründe des Ablehnungsbeschlusses besorgen, dass das Landgericht das Ziel der beantragten Beweisaufnahme verkannt und ihre Bedeutung für eine Entlastung des Angeklagten unterschätzt hat, indem es offenbar zugrunde gelegt hat, die Verteidigung wolle nachweisen, dass die benannten Zeugen dem Angeklagten in dem genannten Zeitraum beim Aufbau der Plantage geholfen hätten. Eine solche Auslegung findet in der Antragsbegründung jedoch keine Stütze und liegt auch mit Blick auf das Einlassungsverhalten und die Interessenlage des Angeklagten nicht nahe: Der Angeklagte hatte in der Hauptverhandlung die ihm vorgeworfenen Taten bestritten, seinen „Besitz“ an dem Plantagengrundstück ab dem 1. Februar 2019 mit Blick auf die Vermietung in Abrede gestellt und weiter - vom Hörensagen - die Nutzung des Hauses durch Personen aus den Niederlanden in diesem Zeitraum behauptet. Der Nachweis, dass er die Hilfe Dritter in Anspruch genommen habe, hätte ihn von den Tatvorwürfen nicht entlastet, sondern ihn unter Umständen sogar dem Verdacht einer bandenmäßigen Begehung der Straftaten (§ 30a Abs. 1 BtMG) ausgesetzt. Daher waren die drei Zeugen naheliegend nicht als Helfer, sondern als mögliche Alternativtäter der dem Angeklagten seit dem 1. Februar 2019 vorgeworfenen Taten benannt. Ihre Aussagen waren im Fall der Bestätigung der so verstandenen Beweisbehauptungen grundsätzlich geeignet, den Angeklagten zu entlasten und die für seine Täterschaft sprechenden Indizien zu entkräften.
c) Das Urteil beruht auf dem Rechtsfehler. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht zu einer anderen Würdigung der Beweise gelangt wäre, wenn die Zeugen die in ihr Wissen gestellten Tatsachen bestätigt hätten. Er hebt das angefochtene Urteil daher auf, soweit der Angeklagte verurteilt worden ist. Dies gilt auch für die Tat zu Ziffer II.1. der Urteilsgründe, die der Angeklagte den Feststellungen zufolge im Jahr 2018 und damit vor dem Zeitraum beging, auf den sich der Beweisantrag bezieht. Denn das Landgericht hat aus den Beweismitteln, die bei der Durchsuchung im Juli 2019 aufgefunden worden sind und die es für den Beweis der Täterschaft der Taten nach dem 1. Februar 2019 herangezogen hat, Rückschlüsse auch auf die Tat im Jahr 2018 gezogen. Infolge dieses einheitlichen Beweisgebäudes gründet der Nachweis der Täterschaft dieser Tat zumindest auch auf der Annahme, der Angeklagte habe die späteren Taten begangen.
Die Revision der Angeklagten L. K. ist offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO). Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zu ihrem Nachteil ergeben. Insbesondere ist die Einziehung des ihr zustehenden Erbbaurechts als Tatmittel aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Das Landgericht hat sie rechtsfehlerfrei auf § 74 Abs. 1 StGB gestützt.
1. Das Erbbaurecht als Recht an einem Grundstück (vgl. näher zu seiner Rechtsnatur OLG München, Beschluss vom 30. August 2018 - 34 Wx 67/18, FGPrax 2019, 6; Heinemann in MüKoBGB, 8. Aufl., § 1 ErbbauRG Rn. 4 f.; Ingenstau/Hustedt, ErbbauRG, 12. Aufl., § 1 Rn. 5 ff., § 12 Rn. 3 ff.; Nagel, ErbbauRG, 1. Aufl., § 1 Rn. 108 ff., § 12 Rn. 6 ff.), ist ein taugliches Einziehungsobjekt. Denn als Gegenstände im Sinne des § 74 Abs. 1 StGB können außer Sachen, deren Einziehung Volleigentum des Täters oder Teilnehmers an ihnen voraussetzt (vgl. § 74 Abs. 3 StGB: „gehören“; bereits zu § 40 Abs. 2 Nr. 1 aF BGH, Beschluss vom 28. September 1971 - 1 StR 261/71, BGHSt 24, 222, 225; vgl. auch Lohse in LK-StGB, 13. Aufl., § 74 Rn. 31 ff. mwN, auch zur Gegenauffassung), auch Rechte eingezogen werden, wie sich aus dem systematischen Zusammenhang der Vorschrift (vgl. § 74 Abs. 3 StGB: „zustehen“, § 75 Abs. 1 StGB) und ihrer Entstehungsgeschichte (vgl. BT-Drucks. V/1319, S. 53 zu § 40 StGB aF; ausführlich Lohse in LK-StGB, 13. Aufl., vor § 73 Rn. 4 ff.) ergibt (st. Rspr.; vgl. zuletzt BGH, Beschluss vom 9. März 2021 - 6 StR 48/21).
2. Das Erbbaurecht ist zur Begehung der Tat, an der die Angeklagte L. K. beteiligt war, gebraucht worden und damit Tatmittel im Sinne des § 74 Abs. 1 StGB.
a) Zur Begehung einer Tat gebraucht worden oder bestimmt gewesen ist allerdings nicht jeder Gegenstand, der zu der Tat irgendeine räumliche oder zeitliche Verbindung hat. Die Benutzung eines Gegenstandes nur bei Gelegenheit der Begehung einer Straftat reicht nicht aus. Erforderlich ist darüber hinaus, dass sein Gebrauch gezielt die Verwirklichung des deliktischen Vorhabens fördert bzw. nach der Planung des Täters fördern soll (BGH, Beschluss vom 8. Dezember 2004 - 2 StR 362/04; Beschluss vom 9. Juli 2002 - 3 StR 165/02; vgl. Heine in SSW-StGB, 5. Aufl., § 74 Rn. 79; Burr, NStZ 2006, 226, 227). Diese Voraussetzung wird zunächst - in tatsächlicher Hinsicht - durch das Haus ebenso wie durch das - allerdings nicht im Eigentum der Angeklagten stehende - Grundstück erfüllt, da es ausschließlich zum Betrieb der Cannabis-Plantage vorgesehen war und der Tatplan des Indoor-Anbaus von Cannabis nur in geeigneten Räumen umgesetzt werden konnte (vgl. zur Einziehung von Grundstücken, auf denen Cannabis-Plantagen errichtet worden sind, bereits BGH, Beschluss vom 9. Oktober 2018 - 4 StR 318/18; Beschluss vom 31. März 2016 - 2 StR 243/15; anders OLG Köln, Beschluss vom 16. September 2005 - 2 Ws 336/05, NStZ 2006, 225 zur Einziehung eines Grundstücks, das zur Veranstaltung unerlaubter Glücksspiele genutzt worden ist).
b) Das Landgericht hat dennoch zutreffend nicht das Haus als Sache eingezogen. Dieses steht zwar im Eigentum der Angeklagten L. K. als Erbbauberechtigter an dem Grundstück, und zwar nach der im Schrifttum ganz überwiegend vertretenen Auffassung selbst dann, wenn das Gebäude schon vor der Entstehung des Erbbaurechts errichtet worden sein sollte (vgl. nur Heinemann in MüKoBGB, 8. Aufl., § 12 ErbbauRG Rn. 7; Rapp in Staudinger, BGB, Neubearb. 2017, § 12 ErbbauRG Rn. 11, jew. mwN). Es unterliegt gleichwohl nicht der Sacheinziehung. Denn das Gebäude ist gemäß § 12 Abs. 1 ErbbauRG wesentlicher Bestandteil des Erbbaurechts und daher nicht sonderrechtsfähig, so dass eine gesonderte Übertragung des Eigentums an ihm und damit auch ein Übergang desselben auf den Staat nach § 75 Abs. 1 StGB nicht möglich ist (vgl. Heinemann, aaO).
c) Zu Recht hat das Landgericht daher stattdessen das Erbbaurecht der Angeklagten an dem Grundstück eingezogen. Denn das für die Cannabis-Plantage benutzte Haus war infolge seiner Eigenschaft als wesentlicher Bestandteil des Erbbaurechts so eng mit diesem verknüpft, dass sich der Gebrauch des Hauses zugleich als Gebrauch des Erbbaurechts im Sinne von § 74 Abs. 1 StGB darstellte.
aa) Der diesem Ergebnis entgegenstehenden Auffassung, Tatobjekt sei bei tatsächlichem Einsatz einer Sache allein diese selbst und nicht ein an ihr bestehendes Recht (vgl. in diesem Sinn zum Anwartschaftsrecht Meyer, JR 1972, 385, 386 [krit. Anm. zu BGH, Beschluss vom 28. September 1971 - 1 StR 261/71, BGHSt 24, 222]; Saliger in NK-StGB, 5. Aufl., § 74 Rn. 25) - hier also außer dem rechtlich unselbständigen Gebäude allenfalls noch das Grundstück, welches aber im Eigentum eines tatunbeteiligten Dritten steht (§ 74 Abs. 3 StGB) ?, vermag der Senat nicht zu folgen. Es entspricht vielmehr der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, von der abzuweichen kein Anlass besteht, dass jedenfalls solche dinglichen Rechte, die an der zur Tatbegehung (körperlich) verwendeten Sache bestehen und dabei dem Volleigentum (§ 903 BGB) rechtlich angenähert sind, statt der Sache als Tatobjekte eingezogen werden können (vgl. zum Anwartschaftsrechts an einer beweglichen Sache BGH, Urteil vom 24. August 1972 - 4 StR 308/72, BGHSt 25, 10, 11 f. [zu § 40 StGB aF]; Urteil vom 27. August 1998 - 4 StR 307/98, NStZ-RR 1999, 11; zum Miteigentumsanteil BGH, Beschluss vom 28. Mai 1991 - 1 StR 731/90, NStZ 1991, 496; vgl. auch OLG Karlsruhe, Beschluss vom 19. Oktober 1973 - 1 Ws 177/73, NJW 1974, 709, 711 [zu § 40a StGB aF]). Die Rechtfertigung hierfür liegt darin, dass derartige Rechte ihrem Inhaber eine Herrschaft über die Sache vermitteln, die derjenigen des Eigentümers - jedenfalls im Hinblick auf die Möglichkeit des deliktischen Einsatzes der Sache - nicht wesentlich nachsteht. Infolgedessen bildet eine solche Rechtsposition des Täters oder Teilnehmers an der Sache mit dieser eine dem Volleigentum angenäherte „innere Einheit“, die sich einziehungsrechtlich dahin auswirkt, dass neben der tatsächlich für die Tatbegehung gebrauchten Sache auch das an ihr bestehende Recht als tatverstrickt anzusehen ist (so [zum Miteigentum] OLG Karlsruhe, aaO; K. Schäfer in FS Dreher, 1977, S. 283, 303 [zum Anwartschaftsrecht]).
bb) Das Erbbaurecht der Angeklagten an dem Grundstück, auf welchem das Plantagengebäude steht, ist ein derartiges Recht. Es steht rechtlich der Sache selbst, d.h. dem Volleigentum an dem Grundstück, in sehr weitem Umfang gleich (§ 11 Abs. 1 ErbbauRG) und wird daher zutreffend als grundstücksgleiches Recht, gar als Grundstück im Rechtssinne, qualifiziert (vgl. Toussaint in BeckOGK-BGB, Stand 1. September 2022, § 1 ErbbauRG Rn. 73; Rapp in Staudinger, BGB, Neubearb. 2017, § 11 ErbbauRG Rn. 2). Gerade in der typischen und auch hier gegebenen Fallgestaltung, in der das Erbbaurecht an einem bebauten Grundstück besteht, vermittelt es dem Berechtigten, der gleichzeitig Eigentümer des Gebäudes ist, eine (bezüglich des deliktischen Gebrauchs) dem Eigentümer des Grundstücks wenigstens nicht unterlegene Herrschaftsgewalt an demselben. Es wäre daher auch wertungsmäßig nicht einzusehen, einen Erbbauberechtigten gegenüber einem dieselbe Sache für eine Straftat gebrauchenden Volleigentümer zu privilegieren, indem jenem sein Recht belassen, es diesem aber entzogen würde (so - zum Anwartschaftsrecht - bereits BGH, Urteil vom 24. August 1972 - 4 StR 308/72, BGHSt 25, 10, 12).
3. Das Landgericht hat auch sein Ermessen ausgeübt und die Verhältnismäßigkeit der Einziehung gemäß § 74f Abs. 1 StGB rechtsfehlerfrei bejaht.
HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 148
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede