HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 1228
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 144/20, Beschluss v. 24.09.2020, HRRS 2020 Nr. 1228
1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 5. Dezember 2019 wird
a) die Strafverfolgung im Fall II. 2. der Urteilsgründe auf den Vorwurf des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln und mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis beschränkt,
b) das vorbezeichnete Urteil aa) im Schuldspruch dahingehend abgeändert, dass der Angeklagte des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln und mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis schuldig ist, bb) im Rechtsfolgenausspruch dahingehend berichtigt, dass die erweiterte Einziehung sichergestellten Bargelds in Höhe von 5.283,50 Euro sowie die erweiterte Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 10.095,60 Euro angeordnet wird, cc) mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben (1) im Ausspruch über die im Fall II. 2. der Urteilsgründe verhängte Einzelstrafe und im Gesamtstrafenausspruch, (2) im Ausspruch über die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt, (3) im Ausspruch über die Anordnung einer Sperrfrist für die Erteilung einer Fahrerlaubnis, (4) im Ausspruch über die Einziehung des Pkw Audi A6 des Angeklagten.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln, mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis und mit „gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und acht Monaten verurteilt. Darüber hinaus hat es seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet, die Fahrerlaubnisbehörde angewiesen, dem Angeklagten vor Ablauf von drei Jahren keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen, sowie Einziehungsentscheidungen getroffen.
Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel führt zu einer Beschränkung der Strafverfolgung gemäß § 154a Abs. 2 StPO und hat im verbleibenden Umfang mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die Verfahrensrügen haben keinen Erfolg.
Insoweit bemerkt der Senat ergänzend zu den Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift das Folgende:
Die Revision macht mit mehreren Rügen geltend, das Landgericht habe rechtsfehlerhaft Beweistatsachen verwertet, die im vorbereitenden Verfahren durch verschiedene strafprozessuale Eingriffsmaßnahmen unter Verstoß gegen den verfassungsrechtlichen bzw. einfachgesetzlichen Richtervorbehalt gewonnen worden seien. Den Maßnahmen hätten zwar die erforderlichen ermittlungsrichterlichen Beschlüsse zugrunde gelegen, doch habe der Ermittlungsrichter jeweils die gebotene eigenverantwortliche und selbständige Prüfung der Eingriffsvoraussetzungen vermissen lassen, indem er vorbereitete Beschlussentwürfe der antragenden Staatsanwaltschaft ohne weiteres lediglich „gegengezeichnet“ habe. Diese Rügen dringen nicht durch.
a) Die Rüge, die sich insoweit auf den Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Erfurt vom 10. April 2019 gegen den Angeklagten bezieht, ist jedenfalls unbegründet. Der Beschluss erfüllt die sich aus Art. 13 Abs. 2 GG, § 105 Abs. 1 StPO ergebenden, durch das Bundesverfassungsgericht konkretisierten inhaltlichen Anforderungen (vgl. BVerfG, Urteil vom 5. August 1966 - 1 BvR 586/62, BVerfGE 20, 162; Beschluss vom 26. Mai 1976 - 2 BvR 294/76, BVerfGE 42, 212; Urteil vom 20. Februar 2001 - 2 BvR 1444/00, BVerfGE 103, 142) und bietet keinen Anhalt, der Ermittlungsrichter habe es unterlassen, die Voraussetzungen der Durchsuchung eigenverantwortlich und selbständig zu prüfen. Im Übrigen erlaubt allein die Übernahme eines von der Staatsanwaltschaft vorbereiteten und mit Antragstellung vorgelegten Entscheidungsentwurfs durch den Ermittlungsrichter nicht den Schluss, eine solche Prüfung sei unterblieben (vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. August 2014 - 2 BvR 200/14, NJW 2015, 851; Beschluss vom 17. März 2009 - 2 BvR 1940/05, NJW 2009, 2516).
b) Ebenfalls zumindest unbegründet ist die Rüge, die sich auf den Beschluss des Amtsgerichts Erfurt vom 30. April 2019 zur Durchsuchung der Wohnung der gesondert Verfolgten L. bezieht. Denn die mögliche Verletzung einer Verfahrensnorm, die nicht dem Schutz des Beschuldigten dient, führt ihm gegenüber nicht zu einem Beweisverwertungsverbot und kann daher nicht erfolgreich mit der Revision gerügt werden, da sein Rechtskreis nicht betroffen ist (vgl. BGH, Großer Senat für Strafsachen, Beschluss vom 21. Januar 1958 - GSSt 4/57, BGHSt 11, 212; zuletzt etwa BGH, Beschluss vom 9. August 2016 - 4 StR 195/16; Beschluss vom 12. Dezember 2019 - 5 StR 464/19; für Durchsuchungen offengelassen in BGH, Beschluss vom 30. August 2011 - 3 StR 210/11; Beschluss vom 18. April 2007 - 5 StR 546/06, BGHSt 51, 285). Vorliegend war der Angeklagte weder Bewohner noch Inhaber der betroffenen Wohnung und fiel damit hinsichtlich dieser Durchsuchung nicht in den Schutzbereich des Art. 13 Abs. 1 GG (vgl. Papier in Maunz/Dürig, Grundgesetz, 90. EL, Art. 13 Rn. 12).
c) Hinsichtlich der Rügen, die auf die Beschlüsse des Amtsgerichts Erfurt vom 7. Februar 2019 zur längerfristigen Observation des Angeklagten sowie vom 7. Februar, 2. Mai und 3. Mai 2019 zur Überwachung seiner Telekommunikation abstellen, ist mit Blick auf die Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO bereits die Zulässigkeit zweifelhaft. Denn die Revision trägt nicht vor, welche Erkenntnisse aus den einzelnen Überwachungsmaßnahmen gewonnen und durch das Landgericht verwertet worden sind. Auch dem Urteilsinhalt, den das Revisionsgericht ergänzend berücksichtigen kann, wenn - wie hier - die Sachrüge erhoben ist (BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2007 - 2 StR 510/07), lässt sich dies nicht zweifelsfrei entnehmen.
Jedenfalls sind diese Rügen aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet.
2. Die Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge führt - nach Beschränkung der Strafverfolgung - zu den aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Änderungen bzw. Teilaufhebungen. Im Übrigen weist das Urteil keine durchgreifenden Rechtsfehler auf.
a) Im Fall II. 2. der Urteilsgründe hat der Senat die Strafverfolgung aus prozessökonomischen Gründen mit Zustimmung des Generalbundesanwalts gemäß § 154a Abs. 2 StPO auf den Vorwurf des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln und mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis beschränkt, da für die weitere tateinheitliche Verurteilung nach § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB weder die erforderliche Annahme eines bewusst zweckwidrigen Einsatzes des Pkw in verkehrswidriger Absicht noch der erforderliche mindestens bedingte Schädigungsvorsatz hinreichend belegt sind. Die Verfolgungsbeschränkung zieht eine Änderung des Schuldspruchs durch den Senat nach sich, da der ausgeurteilte „gefährliche Eingriff in den Straßenverkehr“ entfällt.
Aufgrund der Verfahrensbeschränkung kann die im Fall II. 2. der Urteilsgründe verhängte Einzelstrafe nicht bestehen bleiben, da nicht auszuschließen ist, dass das Landgericht die tateinheitliche Verurteilung wegen des Verkehrsdelikts strafschärfend berücksichtigt hat. Darauf, dass auch die Ausführungen zum Strafrahmen des § 315b Abs. 3 i.V.m. § 315 Abs. 3 StGB rechtsfehlerhaft sind (Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr statt Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren) kommt es damit nicht mehr an.
Keinen Bestand hat weiter die Sperrfrist für die Erteilung einer Fahrerlaubnis. Denn das Landgericht hat diese gemäß §§ 69a Abs. 1 Satz 3, 69 Abs. 1 StGB angeordnete Maßregel insbesondere mit dem - aufgrund der Verfolgungsbeschränkung nunmehr entfallenen - gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr begründet.
b) Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt ist auf die Sachrüge ebenfalls aufzuheben, weil das Vorliegen einer hinreichend konkreten Behandlungsaussicht nach § 64 Satz 2 StGB nicht belegt ist.
aa) Gemäß § 64 Satz 2 StGB darf die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nur angeordnet werden, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, den Angeklagten innerhalb der Frist nach § 67d Abs. 1 Satz 1 oder 3 StGB zu heilen oder eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf seinen Hang zurückgehen. Sofern sich dies nicht von selbst versteht, ist es dazu erforderlich, unter Berücksichtigung der Art und des Stadiums der Sucht sowie bereits eingetretener physischer und psychischer Veränderungen und Schädigungen in der Persönlichkeit und den Lebensumständen des Angeklagten konkrete Anhaltspunkte zu benennen, die dafür sprechen, dass es innerhalb eines zumindest „erheblichen“ Zeitraums nicht (mehr) zu einem Rückfall kommen wird (vgl. BGH, Beschluss vom 1. August 2018 - 4 StR 54/18; Urteil vom 16. Januar 2014 - 4 StR 496/13 mwN). Die bloße Möglichkeit einer therapeutischen Veränderung vermag die Prognose eines hinreichend konkreten Therapieerfolgs nicht zu stützen (vgl. BGH, Urteil vom 28. Mai 2018 - 1 StR 51/18 mwN). Notwendig, aber auch ausreichend, ist eine durch Tatsachen begründete Wahrscheinlichkeit des Behandlungserfolgs; einer sicheren oder unbedingten Gewähr bedarf es nicht (vgl. BTDrucks. 16/1110, S. 13).
bb) Diesen Anforderungen an die Begründung einer konkreten Aussicht auf einen positiven Behandlungsverlauf wird das Landgericht nicht gerecht. Es hat Tatsachen, die indiziell gegen die Erfolgsaussicht einer Behandlung sprechen können, nicht in seine Abwägung einbezogen: So hatte der Angeklagte nach den Feststellungen bereits seit seinem dreizehnten Lebensjahr Betäubungsmittel konsumiert; er ist langjährig und schwerwiegend betäubungsmittelabhängig. Mögliche Auswirkungen dieser Umstände auf die Erfolgsaussicht sind jedoch unerörtert geblieben. Auch das mehrfache Scheitern von Entziehungsmaßnahmen, auf die kurzfristig Rückfälle folgten, hat das Landgericht nicht in Betracht gezogen, sondern allein einen Rückfall im Anschluss an eine Entwöhnungsbehandlung im Jahr 2016 in seine Abwägung eingestellt.
Im Übrigen fehlt es an der Feststellung und dem Beleg konkreter Anhaltspunkte für einen zu erwartenden Behandlungserfolg. Das Landgericht hat zwar im Anschluss an die Angaben des psychiatrischen Sachverständigen seiner Entscheidung zugrunde gelegt, beim Angeklagten sei ein „Veränderungswille“ auszumachen; es sei auch nicht anzunehmen, dass der Angeklagte seine Veränderungsbereitschaft dem Sachverständigen nur vorgespielt habe. Die bloß verbalen Bekundungen zur eigenen Motivation, die nicht durch weitere Tatsachen gestützt werden, weisen vor dem Hintergrund der früheren erfolglosen Behandlungen aber allenfalls auf die Möglichkeit eines Behandlungserfolgs hin. Soweit das Landgericht auf den verbesserten Kontakt des Angeklagten zu seiner Mutter und seiner Schwester abstellt, bleibt offen, in welcher Weise dieser Kontakt einen Behandlungserfolg begünstigen kann; allein der vage Hinweis auf die „Hoffnung“, der Angeklagte werde sich „im Rahmen des familiären Gefüges“ stabilisieren, reicht zur Begründung nicht aus.
c) Auch die auf § 74 Abs. 1 StGB gestützte Entscheidung, den Pkw des Angeklagten als Tatmittel einzuziehen, hat keinen Bestand. Die vom Landgericht gewählte Formulierung („ist einzuziehen“) lässt besorgen, dass es sich nicht bewusst war, dass es sich bei der Einziehung um eine Ermessensentscheidung handelt, oder dass es von dem ihm eingeräumten Ermessen keinen Gebrauch gemacht hat (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Februar 2020 - 4 StR 672/19; Beschluss vom 4. Januar 1994 ? 4 StR 718/93).
d) Schließlich ist der Rechtsfolgenausspruch hinsichtlich der Einziehung von Taterträgen bzw. ihres Werts zu berichtigen:
aa) Das Landgericht hat nach der Urteilsformel einen „Geldbetrag in Höhe von 5.283,50 Euro als Tatertrag“ eingezogen und dies in den Urteilsgründen auf § 73c Abs. 1 StGB gestützt. Nach den insoweit rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen handelte es sich bei dem Bargeld, das in dieser Höhe beim Angeklagten gefunden wurde, um dessen Erträge aus anderen, nicht verfahrensgegenständlichen Betäubungsmittelgeschäften. Hinsichtlich dieser Erträge ist daher die erweiterte Einziehung gemäß § 73a Abs. 1 StGB anzuordnen; insoweit berichtigt der Senat die Urteilsformel.
bb) Darüber hinaus hat das Landgericht die Einziehung „eines weiteren Geldbetrages als Wertersatz in Höhe von 10.095,60 Euro angeordnet“. Nach den - ebenfalls rechtsfehlerfrei getroffenen - Feststellungen hatte der Angeklagte Bargeld in dieser Höhe dazu verwendet, mehrere Wertgegenstände zu erwerben und eine Anzahlung für die Lieferung von Möbeln zu leisten. Das Bargeld stammte als Tatertrag ebenfalls aus anderen Betäubungsmittelgeschäften. Rechtlich zutreffend hat das Landgericht die Einziehung auf § 73a Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB gestützt (vgl. BGH, Beschluss vom 17. April 2019 - 5 StR 603/18; Beschluss vom 7. Mai 2019 - 5 StR 149/19). Der Senat berichtigt die Urteilsformel dahingehend, dass die erweiterte Einziehung des Wertes von Taterträgen angeordnet wird.
HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 1228
Externe Fundstellen: NStZ 2021, 59
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner