HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Januar 2024
25. Jahrgang
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Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen

Wirtschaftskriminelle Zusammenschlüsse als kriminelle Vereinigung nach § 129 StGB?

Von Prof. Dr. Dennis Bock und RA/FAStrR Dr. Friedrich Fülscher[*]

A. Einleitung

Der Verdacht auf das Vorliegen einer kriminellen Vereinigung gem. § 129 StGB öffnet den Strafverfolgungsbehörden das Tor zur Durchführung zahlreicher Ermittlungsmaßnahmen.[1] So sind neben den Standardmaßnahmen[2] wie etwa einer Durchsuchung gem. §§ 102, 105 StPO auch verdeckte Maßnahmen[3] (z.B. eine TKÜ gem. § 100a StPO) möglich, wie etwa aus § 100a II Nr. 1 lit. d StPO a.E. hervorgeht. Im Regelfall handelt es sich bei Taten, deren Verdacht derartige Ermittlungsmaßnahmen rechtfertigt, um solche, an deren materiell-rechtliches Vorliegen hohe Anforderungen zu stellen sind, da nicht nur strafprozessual dem Beschuldigten, sondern auch auf sanktionenrechtlicher[4] Ebene dem Verurteilten, erhebliche Konsequenzen drohen.

Ausgehend von den strafprozessualen Befugnissen, die sich aufgrund eines Verdachts auf das Vorliegen einer kriminellen Vereinigung gem. § 129 StGB den Ermittlungsbehörden eröffnen, untersucht der nachfolgende Beitrag die materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Norm hinsichtlich wirtschaftskrimineller Zusammenschlüsse, wobei auf die jüngere Rechtsprechung des 3. Strafsenats des Bundesgerichtshofs[5] Bezug genommen wird.

B. Befugnisse der Strafverfolgungs-behörden im Falle des Verdachts auf das Vorliegen einer kriminellen Vereinigung

Zusammenschlüsse, die den Verdacht erregen, eine kriminelle Vereinigung gem. § 129 StGB zu sein, können schwerwiegenden und grundrechtsintensiven Ermittlungsmaßnahmen unterliegen.[6]

I. Zulässige Maßnahmen und Zuständigkeit der Staatsschutzkammer

Zu diesen Befugnissen gehören die verdeckten Maßnahmen der Telekommunikationsüberwachung gem. § 100a StPO, der Online-Durchsuchung gem. § 100b StPO, der akustischen Wohnraumüberwachung gem. § 100c StPO, der akustischen Überwachung außerhalb von Wohnraum gem. § 100f StPO, der Erhebung von Verkehrsdaten gem. § 100g StPO, der technischen Ermittlungsmaßnahmen bei Mobilfunkendgeräten gem. § 100i StPO und der Erhebung von Nutzungsdaten bei Telemediendiensten gem. § 100k StPO.

Des Weiteren ist eine Vermögensbeschlagnahme gem. § 443 I 1 Nr. 1 StPO beim Vorliegen des Verdachts auf die Begehung des § 129 StGB möglich.

Darüber hinaus ist mit Anklage einer Tat nach § 129 StGB die Staatsschutzkammer gem. § 74a GVG zuständig.[7]

II. Tragweite dieser Befugnisse

Die genannten Ermittlungsmaßnahmen eröffnen die Möglichkeit einer nahezu vollständigen Überwachung des der Bildung einer kriminellen Vereinigung verdächtigen Personenkreises. Derartige Befugnisse auf strafprozessualer Ebene machen wegen ihrer Eingriffsintensität eine restriktive Auslegung des Tatbestands auf materiell-rechtlicher Ebene erforderlich.

Problematisch erscheint in diesem Kontext, dass der Gesetzgeber jüngst den Begriff der Vereinigung gem. § 129 II StGB erweitert[8], die prozessualen Befugnisse jedoch keinesfalls eingeschränkt hat.

Einer solchen Erweiterung auf materiell-rechtlicher Ebene kann nur mit einer streng restriktiven Auslegung derselben durch die Rechtsprechung begegnet werden, da ansonsten flächendeckende strafprozessuale Befugnisse in allen nunmehr von § 129 StGB erfassten Lebensbereichen ermöglicht werden. Den Ermittlungsbehörden würden keine Grenzen gesetzt und Zusammenschlüssen insbesondere in den "Graubereichen" der Wirtschaftskriminalität droht, Ziel solch ausufernder Maßnahmen zu werden.

Gerade im Bereich der Wirtschaftskriminalität ist die Möglichkeit einer Vermögensbeschlagnahme gem. § 443 I Nr. 1 StPO verheerend. Mittels einer solchen kapitalentziehenden Maßnahme können ganzen Unternehmen auf reiner Verdachtsgrundlage jegliche wirtschaftliche Handlungsmöglichkeiten genommen werden. Es mag sich später herausstellen, dass es an den Voraussetzungen einer kriminellen Vereinigung gefehlt hat; dennoch hat in der Zwischenzeit ein Unternehmen auf sein Kapital verzichten müssen und wird ggf. in die Insolvenz getrieben.

Ebenso sind die Folgen für den Ruf eines Unternehmens, das Ziel derartiger Ermittlungsmaßnahmen wird, enorm. So kann der Verdacht, eine kriminelle Vereinigung zu sein, insbesondere nach erfolgter Anklageerhebung, selbst im Falle eines später ergehenden Freispruchs bei Geschäftspartnern und Kunden bestehen bleiben, sodass eine irreparable Rufschädigung im Raume steht.

Die Tragweite der den Ermittlungsbehörden zur Verfügung stehenden Befugnisse ist auch hinsichtlich der Beeinträchtigung des von § 129 StGB geschützten Rechtsguts von Bedeutung.[9] Nach der Rspr. schützt die Vorschrift den öffentlichen Frieden.[10] Angesichts der "Türöffnerfunktion" des § 129 StGB ist eine gewisse Erheblichkeit der Friedensbeeinträchtigung erforderlich.[11] So hat der BGH[12] den öffentlichen Frieden dann für gefährdet gehalten, wenn die Aktionen einer Gruppe einer anderen Gruppe das Gefühl nehmen, hierzulande in Sicherheit leben zu können. Gerade im Bereich der Wirtschaftskriminalität erscheint es fernliegend, den öffentlichen Frieden als gefährdet anzusehen, da Wirtschaftskriminalität auf einen in aller Regel beschränkten Bereich ausstrahlt, der nicht im Fokus der Öffentlichkeit steht, wie dies etwa bei weltanschaulich-ideologischen Gruppen[13] der Fall ist.

All dies spricht für eine äußerst restriktive Auslegung der materiell-rechtlichen Voraussetzungen des § 129 StGB durch die höchstrichterliche Rechtsprechung.

C. Die Rechtsprechung des BGH zu § 129 StGB und dessen materiell-rechtlichen Voraussetzungen

Der 3. Strafsenat BGH hat von einer restriktiven Auslegung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 129 StGB zuletzt Abstand genommen und den Anwendungsbereich der Vorschrift in seiner Rechtsprechung auf bisher nicht einbezogene Kriminalitätsbereiche erweitert. So stellt er im Tenor seines Urteils fest, dass unter die Legaldefinition der kriminellen Vereinigung nach § 129 II StGB auch

Tätergruppierungen aus dem Bereich der Wirtschaftskriminalität fallen können.[14]

I. Sachverhalt

Dem Urteil des BGH lagen folgende Tatsachenfeststellungen des LG Köln[15] zugrunde[16]: Im Jahr 2017 schlossen sich ein Freund der Familie des Angeklagten und zwei weitere Personen in der Türkei zusammen, um sich telefonisch gegenüber älteren, in Deutschland lebenden Menschen als Polizeibeamte auszugeben und diese unter Vortäuschung einer Gefahrenlage zur Herausgabe von Vermögenswerten zu bewegen. Die Täter wollten sich eine fortlaufende Einnahmequelle von einigem Gewicht verschaffen. Hierzu mieteten sie Büroräume an und beschafften sich die erforderliche technische Ausrüstung. Sie setzten ihnen loyale Personen zur Abholung der Beute ein, die an ebenfalls einbezogene "Logistiker" weitergegeben wurde. Der Angeklagte sagte in Kenntnis der Vorgehensweise zu, sich ab Winter 2017/2018 als "Abholer" jederzeit verfügbar zu halten. Er sollte als Entlohnung einen kleineren Anteil aus der Beute und Fahrtkosten erhalten.

Entsprechend dem allgemein vereinbarten Vorgehen brachte ein in der Türkei ansässiges Mitglied der Gruppierung am 18.10.2018 eine 91jährige Frau dazu, Bargeld und Gegenstände im Wert von 17.190 EUR zur vermeintlichen Sicherstellung durch Polizeibeamte in einer Tasche vor ihre Wohnungstür zu legen. Der entsprechend instruierte Angeklagte nahm die Dinge an sich, übergab sie am Folgetag an einen "Logistiker" und erhielt 200 EUR von dem Bargeld.

[…].

II. Bewertung des Sachverhalts durch den BGH

Das LG sprach die Angeklagten wegen banden- und gewerbsmäßigen Betruges schuldig.[17] Der BGH begründete seine Aufhebung dieses Urteils damit, dass das LG eine Verurteilung des Angeklagten u.a. wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung trotz gegebener Anhaltspunkte nicht in Betracht gezogen hat.[18]

1. Subsumtion wirtschaftskrimineller Vereinigungen unter den Vereinigungsbegriff des § 129 I StGB
a) Methodenorientierte Vorgehensweise des Senats

Der BGH beginnt damit, auf die Legaldefinition der Vereinigung in § 129 II StGB[19] einzugehen. Nach dieser Definition ist eine Vereinigung "ein auf längere Dauer angelegter, von einer Festlegung von Rollen der Mitglieder, der Kontinuität der Mitgliedschaft und der Ausprägung der Struktur unabhängiger organisierter Zusammenschluss von mehr als zwei Personen zur Verfolgung eines übergeordneten gemeinsamen Interesses."

Der Senat stellt dabei fest, dass nach dieser ein organisatorisches, ein personelles und ein interessenbezogenes Element gegeben sein müssen.[20] Schwerpunktmäßig erörtert der Senat im Folgenden das letztgenannte Element der Legaldefinition des § 129 II StGB in Bezug auf wirtschaftskriminelle Personenzusammenschlüsse[21], wobei er sich an den juristischen Auslegungsmethoden[22] orientiert. Bezüglich solcher Zusammenschlüsse stellt der Senat fest, dass das nach § 129 II StGB erforderliche übergeordnete gemeinsame Interesse bei gemeinschaftlicher Begehung von Taten, die auf Gewinnerzielung ausgerichtet sind, nicht ohne weiteres gegeben[23] sind, sondern eine Gesamtwürdigung der äußeren Tatumstände erforderlich ist.[24]

b) Anwendung der Auslegungsmethoden
aa) Wortlaut

Nach dem Wortlaut des § 129 II StGB muss das Interesse "übergeordnet" und "gemeinsam" sein. Demnach reicht ein bloßes Zusammentreffen mehrerer Einzelinteressen – wie dies bei Gewinnerzielungsabsichten i.d.R. der Fall ist – nicht aus für die Begründung des interessenbezogenen Elements des § 129 II StGB, sondern der gemeinsame Zweck muss den eigenen Zielen vorrangig sein.[25]

bb) Systematik

In systematischer Hinsicht bemüht sich der Senat um eine Unterscheidung der Merkmale "Vereinigung" des § 129 II StGB und "Bande"[26]. Bei einer Bande handelt es sich nach ständiger Rspr.[27] um einen Zusammenschluss von mindestens drei Personen, die sich mit dem Willen verbunden haben, künftig für eine gewisse Dauer mehrere selbstständige, im Einzelnen noch ungewisse Straftaten des im Gesetz genannten Deliktstypus zu begehen.

Im Falle wirtschaftskrimineller Gruppierungen liegt nicht selten ein Handeln als Mitglied einer Bande vor.[28] Fraglich ist, ob die beabsichtigte Begehung von Straftaten allein ein gemeinsames übergeordnetes Interesse i.S.d. § 129 II StGB zu begründen vermag.[29] Der Senat stellt fest, dass die Systematik des Gesetzes gegen das Vorliegen eines solchen Interesses im Falle einer Bande spricht, da ansonsten dem Tatbestandsmerkmal der Vereinigung im Vergleich zum Merkmal der Bande kein eigenständiger Anwendungsbereich zukomme.[30]

Ergänzend bemerkt der Senat in prozessualer Hinsicht, dass die Annahme einer kriminellen Vereinigung in Bezug auf bandenmäßig begangene Vermögensdelikte die Zuständigkeit der Staatsschutzkammer nach § 74a I Nr. 4 GVG begründet wäre, die sich ansonsten selten mit reinen Vermögensdelikten auseinandersetzt.[31]

cc) Gesetzesbegründung

Nach der Gesetzesbegründung[32] soll gerade das Element des übergeordneten gemeinsamen Interesses der Unterscheidung der Tatbestandsmerkmale "Bande" und "Vereinigung" dienen – ein zu weitreichendes Verständnis der übergeordneten gemeinsamen Interessen läuft nach Ansicht des BGH[33] diesem Zweck zuwider.

Zwar hat der Gesetzgeber in Umsetzung des EU-Rahmenbeschlusses 2008/841/JI[34] den Tatbestand des § 129 StGB ausgedehnt, jedoch auch klargestellt, dass eine kriminelle Vereinigung "mehr verlangt als die bloße Übereinkunft von mindestens drei Personen, miteinander bestimmte Straftaten begehen zu wollen"[35].

In Bezug auf wirtschaftskriminelle Gruppierungen werden diesbezüglich beispielhaft Kriterien angeführt, die ein übergeordnetes Interesse zu begründen vermögen. Diese Kriterien sind "die Verwendung gewerblicher oder geschäftsähnlicher Strukturen, die Anwendung von Gewalt oder anderer zur Einschüchterung geeigneter Mittel oder dem (Versuch) der Einflussnahme auf Politik, Medien, öffentliche Verwaltung, Justiz oder Wirtschaft"[36].

dd) Gesetzeszweck

Der Zweck des Gesetzes spricht nach Auffassung des Senats ebenfalls nicht gegen die bisher gefundenen Ergebnisse, da die Vorschrift der Gefährlichkeit der vereinigungsspezifischen Dynamik begegnet, die über die bloße gemeinsame, auf Wiederholung angelegte Tatbegehung hinausgeht.[37] Ebenso zielt die Umsetzung des Rahmenbeschlusses vor allem auf die Bekämpfung grenzüberschreitender organisierter Kriminalität ab[38], welche im Falle bandenmäßig begangener Vermögensdelikte im Inland i.d.R. nicht vorliegt.

ee) Ergebnisse

Im Ergebnis stellt der Senat fest, dass die zur Feststellung des übergeordneten gemeinsamen Interesses erforderliche Gesamtwürdigung anhand bestimmter, beispielhaft genannter objektiver Kriterien[39] zu erfolgen hat. Zu diesen Kriterien zählen: der Umfang und das Ausmaß genutzter (ggf. grenzüberschreitender) organisatorischer Strukturen sowie sachlicher Mittel; eine festgelegte einheitliche Willensbildung; eine interne Sanktionierung von Verstößen gegen gemeinschaftliche Regeln; die Anzahl der Mitglieder; ein von den konkreten Personen losgelöster Bestand; eine etwaige Gemeinschaftskasse; die Beanspruchung quasi-staatlicher Autorität; die Einflussnahme auf grundlegende gesellschaftliche oder hoheitliche Akteure.[40]

Je ausgeprägter Kriterien dieser Art vorliegen, desto eher sei nach Ansicht des Senats gerade bei wirtschaftskriminellen Zusammenschlüssen ein übergeordnetes gemeinsames Interesse im Sinne eines spezifischen Macht- oder Gewinnstrebens[41] gegeben. Es müssten aber nicht sämtliche der genannten Merkmale vorliegen.[42] Der Senat stellt klar, dass viele dieser Merkmale auch bei grundsätzlich legal am Markt operierenden Unternehmen vorliegen können; dies reiche für sich genommen aber nicht aus, sofern der Geschäftszweck des Unternehmens nicht primär auf der Begehung von Straftaten liegt.[43]

2. Ergebnis des BGH im konkreten Fall

In Bezug auf den o.g. Sachverhalt kam der BGH zu dem Ergebnis, dass sich aus den vom LG getroffenen Tatsachenfeststellungen die Verwirklichung des Tatbestands des § 129 II StGB zwar nicht ergibt, sie jedoch auch nicht auszuschließen ist; es sei eine weitergehende Aufklärung des Sachverhalts geboten.[44] Allein die Anmietung der Büroräume sowie die Beschaffung der technischen

Ausrüstung und die Dauer der Tätigkeit reichen nach Ansicht des Senats nicht aus.[45]

D. Eignung der vom BGH ausge-wählten Kriterien zur restriktiven Auslegung des § 129 StGB

Zwar hat sich der 3. Senat des BGH bemüht, geeignete Kriterien zu finden, um eine ausufernde Erfassung von Wirtschaftskriminalität von § 129 StGB zu vermeiden. Fraglich ist indes, ob der Senat mit diesen Kriterien eine effektive Eingrenzung des § 129 StGB in Bezug auf wirtschaftskriminelle Zusammenschlüsse auch tatsächlich erreicht. Eine solche Einschränkung lässt sich vor allem in einer Unterscheidung der Vereinigung zur Bande erreichen, die anhand klarer Kriterien vorgenommen werden und zweifelsfreie Ergebnisse erzeugen muss. Die vom BGH hierzu verwendeten Kriterien lassen sich in intern-organisatorische Aspekte und das Verhalten der Organisation nach außen hin gliedern.

I. Intern-organisatorische Kriterien

1. Umfang und Ausmaß genutzter organisatorischer Strukturen und sachlicher Mittel; Gemeinschafts-kasse

Zu den die interne Organisation betreffenden Kriterien zählt der Umfang und das Ausmaß genutzter organisatorischer Strukturen sowie sachlicher Mittel. Die Auswahl eines solchen Kriteriums verkennt, dass derartige Strukturen auch in Banden vorhanden sein können, insbesondere wenn es um die Beurteilung von Taten geht, die innerhalb eines (Groß-)Unternehmens und unter Zuhilfenahme dessen Strukturen und sachlicher Mittel begangen werden.

Auch das Vorliegen einer Gemeinschaftskasse erscheint als Abgrenzungskriterium zur Bande ungeeignet, da es auch bei Banden üblich ist, das aus den Taten Erlangte zunächst zu sammeln und erst später unter den Mitgliedern zu teilen.

2. Einheitliche Willensbildung und Anzahl der Mitglieder

Ebenso kann auch eine einheitliche Willensbildung innerhalb einer Gruppe kein gemeinsames übergeordnetes Interesse bilden, da auch eine Bande einen Willen in dieser Art fasst, ganz unabhängig davon, ob die Unterordnung unter einen gefestigten Bandenwillen nicht erforderlich[46] ist: Jedenfalls ist der Wille der gemeinsamen Straftatbegehung auch im Falle der Bande gegeben.[47] Die Anzahl der Mitglieder ist auch bei der Bande unerheblich, es müssen – wie bei der Vereinigung – mehr als zwei Personen sein.[48]

3. Interne Sanktionierung von Verstößen und von den konkreten Personen losgelöster Bestand

Eine interne Sanktionierung von Verstößen gegen gemeinsame Regeln eignet sich zumindest dann nicht als Kriterium zur Abgrenzung von Vereinigung und Bande, wenn die Taten unter Ausnutzung der Strukturen eines schon bestehenden Unternehmens begangen werden, da in einem solchem interne Sanktionierungen vorgenommen zu werden pflegen.

Ebenso wenig vermag der Aspekt des von den konkreten Personen losgelösten Bestands zu überzeugen: denn auch im Falle einer Bande bedarf es keiner hierarchischen Struktur[49], etwa im Sinne eines Bandenführers, dem sich der Rest der Bande unterordnen müsste. Auch eine Bande kann von den konkret beteiligten Personen in ihrem Bestand unabhängig bleiben.

II. Verhalten der Gruppierung nach außen

1. Die Einflussnahme auf grundlegende gesellschaftliche oder hoheitliche Akteure
a) Gesellschaftliche Akteure

Die Einflussnahme auf grundlegende gesellschaftliche Akteure erscheint bei genauer Betrachtung als ein überaus unbestimmtes Merkmal, da nicht geklärt ist, welche Personen oder Institutionen von diesen Akteuren erfasst sein sollen. Ohne eine solche Klarstellung kann keine Einschränkung in der Auslegung des übergeordneten gemeinsamen Interesses erreicht werden.

b) Hoheitliche Akteure

Soweit es um die Einflussnahme auf hoheitliche Akteure wie etwa durch Bestechung oder ähnliche Vorgehensweisen geht, ist dieser Kriminalitätsbereich bereits von den Amtsdelikten gem. §§ 334 ff. StGB vollständig erfasst. Sollte § 129 StGB allein einer erneuten Erfassung eben dieses Bereiches für die Wirtschaftskriminalität dienen, handelte es sich um eine Norm ohne eigenen Anwendungsbereich in diesem Gebiet und damit um eine überflüssige.

2. Die Beanspruchung quasi-staatlicher Autorität

Ebenso wie die Einflussnahme auf hoheitliche Akteure ist auch die Beanspruchung quasi-staatlicher Autorität ein Feld der Kriminalität, das der Gesetzgeber bereits berücksichtigt hat. So steht mit der Amtsanmaßung gem. § 132 StGB bereits ein Tatbestand zur Verfügung, dessen Anwendungsbereich oder Rechtsgüterschutz keinesfalls durch eine ausufernde Auslegung des § 129 StGB erweitert würde.

E. Fazit

Die Kriterien des BGH erweisen sich insgesamt als unzureichend, um zu verhindern, dass nunmehr bei Vermögensdelikten aus dem Bereich der Wirtschaftskriminalität der Verdacht des § 129 StGB im Raum steht und damit die Zuständigkeit der Staatsschutzkammer begründet sowie zahlreichen Ermittlungsmaßnahmen Tür und Tor geöffnet ist. Eine derartig vorgenommene Addition für sich ungeeigneter Kriterien kann keine geeignete Gesamtschau ergeben. Viele wirtschaftliche Personenzusammenschlüsse befinden sich ab nun unter dem Damoklesschwert der genannten weitreichenden Befugnisse und sind in ihrer Handlungsfreiheit erheblich eingeschränkt.

Darüber hinaus ist in dieser Rechtsprechung die gefährliche Tendenz zu erkennen, Deliktsbereiche, die bisher materiell-rechtlich und prozessual getrennt waren, zu vermischen, um einen verstärkten Zugriff der Ermittlungsbehörden auf Beschuldigte insbesondere im Bereich der Wirtschaftskriminalität zu ermöglichen.


* Univ.-Prof. Dr. Dennis Bock ist Inhaber des Lehrstuhls für Deutsches und Internationales Strafrecht, Strafprozessrecht und Wirtschaftsstrafrecht an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und Strafverteidiger (als Of Counsel) in der Kanzlei Contra.Strafverteidiger in Kiel, Hamburg und München. Dr. Friedrich Fülscher ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Strafrecht und Partner der Kanzlei Contra.Strafverteidiger.

[1] Singelnstein/Winkler NJW 2023, 2815 (2817).

[2] Eine Übersicht zu den Standardmaßnahmen bei Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, 30. Aufl. 2022, Kap. 6 S. 253 ff.

[3] Zu den verdeckten Ermittlungsmaßnahmen im Allgemeinen s. Krey/Heinrich, Deutsches Strafverfahrensrecht, 2.Aufl. 2019 Rn. 856 ff.

[4] Ein Überblick zu den Sanktionsmöglichkeiten im deutschen Strafrecht bei Streng, Strafrechtliche Sanktionen, 3. Aufl. 2012, Rn. 114 ff.

[5] Sog. "Callcenter-Entscheidung", vgl. BGHSt 66, 137 = HRRS 2021 Nr. 795.

[6] Kritisch hierzu insbes. Singelnstein/Winkler NJW 2023, 2815; ebenso aus Verteidigerperspektive Venn ZWH 2022, 18 (22).

[7] Skeptisch Mosbacher NStZ 2022, 606 (611).

[8] BT-Drucks 18/11275 S. 11.

[9] Seel StV 2023, 784 (788 f.).

[10] BGHSt 30, 328 (331); BGHSt 41, 47 (50 f.); zust. MüKo-StGB/Schäfer/Anstötz 4. Aufl. 2021, § 129 Rn. 1.

[11] Kritisch hierzu jüngst in Bezug auf die "Letzte Generation" als kriminelle Vereinigung Seel StV 2023, 784 (788 f.).

[12] BGHSt 41, 47 (53 ff.).

[13] So lag BGHSt 41, 47 das Handeln einer rechtsextremistischen Gruppe zugrunde.

[14] BGHSt 66, 137 (137, 140) = HRRS 2021 Nr. 795; s. auch BT-Drucks. 18/11275, 11; zuvor bereits BGHSt 54, 216 Rn. 42 = HRRS 2010 Nr. 71; vgl. Lackner/Kühl/Heger, StGB, 30. Aufl. 2023, § 129 Rn. 2 a.E.

[15] LG Köln Urteil v. 20.03.2020 – 112 KLs 5/19 = BeckRS 2020, 49941.

[16] Abgedruckt in BGHSt 66, 137 (137 f.) = HRRS 2021 Nr. 795.

[17] LG Köln Urteil v. 20.03.2020 – 112 KLs 5/19.

[18] BGHSt 66, 137 (138) = HRRS 2021 Nr. 795.

[19] Diese gilt seit 17.07.2017, vgl. BGBl. I 2240.

[20] BGHSt 66, 137 (139) = HRRS 2021 Nr. 795; s. auch NK-StGB/Eschelbach, 6. Aufl. 2023, § 129 Rn. 31.

[21] Auch diese sollen nach der Gesetzesbegründung unter § 129 II StGB fallen können, vgl. BT-Drucks. 18/11275, 11.

[22] Grundlegend zu den Auslegungsmethoden und ihrer Anwendung Wank Juristische Methodenlehre, 2020, 121 ff.

[23] In aller Regel unproblematisch liege das übergeordnete gemeinsame Interesse im Falle von weltanschaulich-ideologischen, religiösen oder politischen Gruppierungen vor, vgl. BGHSt 66, 137 (140) = HRRS 2021 Nr. 795.

[24] BGHSt 66, 137 (140 a.E.) = HRRS 2021 Nr. 795.

[25] BGHSt 66, 137 (141) = HRRS 2021 Nr. 795.

[26] Die bandenmäßige Begehung als strafschärfendes Merkmal u.a. in §§ 244 I Nr. 2, 244a I, 250 I Nr. 2, 253 IV StGB.

[27] BGH NStZ 2004, 398; BGH NStZ 2005, 230.

[28] Vgl. "Hawala-System" BGH StV 2022, 520 = HRRS 2022 Nr. 386; aber auch BGHSt 66, 137 = HRRS 2021 Nr. 795, das LG Köln in seiner Bejahung der Bande bestätigend (LG Köln v. 20.03.2020 – 112 KLs 5/19 = BeckRS 2020, 49941).

[29] Bejahend, da "kriminelle" Vereinigung meine, der Zweck der gemeinsamen Straftatbegehung reiche aus: Fischer, StGB, 71. Aufl. 2024, Rn. 14; zust. Zöller KriPoZ 2017, 26 (33).

[30] BGHSt 66, 137 (142) = HRRS 2021 Nr. 795; s. auch Sch/Sch/Sternberg-Lieben/Schittenhelm, 30. Aufl. 2019, § 129 StGB Rn. 4a.

[31] BGHSt 66, 137 (143) = HRRS 2021 Nr. 795.

[32] BT-Drucks 18/11275 S. 11.

[33] BGHSt 66, 137 (143) = HRRS 2021 Nr. 795.

[34] Vgl. Abl. L 300/42; s. dazu BeckOK-StGB/von Heintschel-Heinegg/Kulhanek, Stand  01.11.2023, § 129 Rn. 17 f.

[35] BT-Drucks. 18/11275 S. 11.

[36] BT-Drucks. 18/11275 S. 11.

[37] BGHSt 66, 137 (144) = HRRS 2021 Nr. 795.

[38] Abl. L 300/42; BGHSt 66, 137 (144) = HRRS 2021 Nr. 795.

[39] BGHSt 66, 137 (144 f.) = HRRS 2021 Nr. 795; s. auch NK-StGB/Eschelbach, 6. Aufl. 2023, § 129 Rn. 46.

[40] BGHSt 66, 137 (145) = HRRS 2021 Nr. 795.

[41] Vgl. BT-Drucks. 18/11275 S. 11; vgl. NK-StGB/Eschelbach, 6. Aufl. 2023, § 129 Rn. 46 a.E.

[42] BGHSt 66, 137 (145) = HRRS 2021 Nr. 795.

[43] BGHSt 66, 137 (145) = HRRS 2021 Nr. 795; s. auch BeckOK-StGB/von Heintschel-Heinegg/Kulhanek, Stand 01.11.2023, § 129 Rn. 31.

[44] BGHSt 66, 137 (146 f.) = HRRS 2021 Nr. 795: Insbesondere müsse das neue Tatgericht, sollte es eine kriminelle Vereinigung annehmen, feststellen, wo die Vereinigung örtlich einzuordnen ist und ob es ggf. einer Ermächtigung des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz gem. § 129b I 3 StGB bedarf.

[45] BGHSt 66, 137 (146) = HRRS 2021 Nr. 795.

[46] BGH StV 1998, 599; BGH NStZ 2007, 339 = HRRS 2006 Nr. 666.

[47] BGH NStZ 2004, 398.

[48] BGHSt 46, 321.

[49] BGH wistra 2000, 135; s. auch Fischer, StGB, 71. Aufl. 2024 § 244 StGB Rn. 36b.