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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Januar 2024
25. Jahrgang
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1. Anstiftung eines Strafunmündigen. (BGHSt)
2. Das Veranlassen der Tat eines Kindes ist nur dann als mittelbare Täterschaft anzusehen, wenn dem Veranlassenden die vom Täterwillen getragene objektive Tatherrschaft zukommt, er das Geschehen also in tatsächlicher Hinsicht steuernd in den Händen hält. Ob dies der Fall ist, richtet sich nicht nach starren Regeln, sondern ist im Einzelfall durch wertende Betrachtung des Gesamtgeschehens zu ermitteln. Von besonderer Bedeutung ist dabei, inwieweit der Strafunmündige nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung reif genug ist, das Unrecht der ihm angetragenen Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Ein dahingehendes Defizit begründet regelmäßig Steuerungsmacht und damit Tatherrschaft des Bestimmenden. (Bearbeiter)
3. Das Bestehen eines potenziell tatherrschaftsrelevanten Defizits kann zwar durch kindliches Alter des (möglichen) Werkzeugs indiziert sein. Im Einzelfall ist allerdings, etwa aufgrund der Reife des Kindes, der Modalitäten seiner Beeinflussung oder der Offenkundigkeit des Tatunrechts, eine andere Bewertung möglich. (Bearbeiter)
4. Das Gesetz begründet in § 19 StGB eine unwiderlegbare Vermutung der Schuldunfähigkeit. Indem es ausdrücklich an die Deliktsstufe der Schuld anknüpft, lässt es angesichts der limitierten Akzessorietät eine strafbare Anstiftung des schuldlos Handelnden grundsätzlich zu. Der Normzweck – das Festlegen einer pauschalen Grenze für die Strafmündigkeit – gebietet es insofern nicht, dem § 19 StGB Auswirkungen auf die Strafbarkeit eines Hintermanns zuzuerkennen. Für die Frage der Steuerungsmacht des Tatveranlassers kommt es vielmehr ausschließlich auf die tatsächlichen Verhältnisse an, über die § 19 StGB keine Aussage trifft. (Bearbeiter)
5. Für das unmittelbare Ansetzen (§ 22 StGB) in Fällen der mittelbaren Täterschaft gilt:
a) Bezieht der Täter notwendige Beiträge eines Tatmittlers in seinen Plan ein, kann bereits dessen Beeinflussung ein unmittelbares Ansetzen zur Verwirklichung des Tatbestandes sein. Dies ist regelmäßig dann der Fall, wenn der Täter seine Einwirkung auf den Tatmittler abgeschlossen hat und ihn in der Vorstellung entlässt, dieser werde die tatbestandsmäßige Handlung nunmehr in engem zeitlichen Zusammenhang vornehmen.
b) Die Einwirkung auf den Tatmittler ist hingegen bloße Vorbereitungshandlung, wenn sie erst nach längerer Zeit zur Tatbegehung führen soll oder wenn ungewiss bleibt, ob und wann sie Wirkung entfaltet. In diesen Fällen der Verzögerung oder Ungewissheit der Tatausführung durch den Tatmittler beginnt der Versuch erst, wenn der Tatmittler seinerseits unmittelbar zur Erfüllung des Tatbestands ansetzt.
c) Entscheidend für die Abgrenzung ist mithin, ob nach dem Tatplan die Handlungen des Täters schon einen derartigen Angriff auf das geschützte Rechtsgut enthalten, dass es bereits gefährdet ist und der Schaden sich unmittelbar anschließen kann, oder ob die Begründung einer solchen Gefahr dem noch ungewissen späteren Handeln des Tatmittlers überlassen bleibt. (Bearbeiter)
1. Wer lediglich einen Anderen mit dem Diebstahl eines Kfz eines bestimmten Fahrzeugtyps beauftragt, dabei aber weder in die konkrete Planung eingebunden ist noch Einfluss auf die Begehung der Tat in ihrer konkreten Gestalt, hat, ist regelmäßig nicht Mittäter des Diebstahls, sondern allenfalls Anstifter.
2. Die bloße mittäterschaftliche Beteiligung an der Wegnahme eines Fahrzeugs vermittelt nicht ohne Weiteres die für eine Einziehung nach § 73 Abs. 1, § 73c StGB erforderliche
faktische (Mit-)Verfügungsgewalt, wenn das Fahrzeug anschließend durch einen anderen Beteiligten zum Auftraggeber des Diebstahls überführt wird.
1. Zwar ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein fehlgeschlagener Versuch oder ein unfreiwilliger Rücktritt vom Versuch dann anzunehmen, wenn der Täter meint, dass er den Erfolg theoretisch noch herbeiführen könnte, er sich jedoch infolge übermächtiger Angst, eines Schocks, einer psychischen Lähmung oder einer vergleichbaren seelischen Erschütterung praktisch außerstande sieht, eine weitere auf die Tatbestandsverwirklichung ausgerichtete Ausführungshandlung vorzunehmen.
2. Eine derartige psychische Beeinträchtigung des Angeklagten, bei der er nicht mehr „Herr seiner Entschlüsse“ gewesen wäre, wird indes nicht belegt, wenn der Angeklagte in der Lage war, seinen Bruder unter Einsatz eines Messers zu „befreien“, mit diesem zunächst zu flüchten und bis zu seiner Entwaffnung seine Verfolger auf Distanz zu halten. Dass er – nachvollziehbar – der Freiheit und Unversehrtheit des ihm sehr nahestehenden Bruders den Vorrang vor der Tötung seiner ihm unbekannten und aus nichtigem Anlass von ihm angegriffenen Gegner gab, schließt einen strafbefreienden Rücktritt vom Tötungsversuch nicht aus.
1. Haben bei der Tat mehrere Faktoren zusammengewirkt und kommen daher bei der Prüfung der Schuldfähigkeit mehrere Eingangsmerkmale gleichzeitig in Betracht, so dürfen diese nicht isoliert abgehandelt werden; erforderlich ist in solchen Fällen vielmehr eine umfassende Gesamtbetrachtung.
2. Das Mordmerkmal der Tötung mit gemeingefährlichen Mitteln ist nur erfüllt, wenn der Angeklagte sein Fahrzeug derart eingesetzt hat, dass in der konkreten Tatsituation eine unbestimmte Mehrzahl von Menschen an Leib und Leben gefährdet werden konnte, weil der Angeklagte die Ausdehnung der Gefahr nicht in seiner Gewalt hatte. Eine valide Abgrenzung von der tatbestandlich nicht erfassten „schlichten“ Mehrfachtötung erfordert Feststellungen dazu, ob der Angeklagte sich mit Tötungsabsicht ausschließlich gegen eine Mehrzahl von ihm individualisierter Opfer wandte oder ob er darüber hinaus Zufallsopfer in Kauf nahm.
1. Auch nach Wegfall des § 217 StGB a.F. beginnt bei regulärem Verlauf die Geburt und damit der Anwendungsbereich der §§ 211 ff. StGB mit dem Einsetzen der Eröffnungswehen. (BGHSt)
2. Nach dem vom Gesetzgeber bezweckten und nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gebotenen durchgängigen Schutz des menschlichen Lebens muss die Strafbarkeit nach den §§ 211 ff. StGB dort beginnen, wo diejenige aus § 218 StGB endet. Es gibt während der Geburt keine Zeitspanne, in der die Tötung des Kindes einerseits zwar nicht mehr nach § 218 StGB, andererseits aber noch nicht nach den §§ 211 ff. StGB unter Strafe gestellt ist. (Bearbeiter)
3. § 218 StGB stellt den Abbruch der Schwangerschaft unter Strafe. Eine Schwangerschaft kann jedoch im Wortsinne nicht mehr abgebrochen werden, wenn sie sich bereits in Selbstauflösung befindet. Dies ist aus medizinischer Sicht grundsätzlich bereits dann der Fall, wenn die Eröffnungswehen eingesetzt haben, weil mit diesen im Normalfall der Geburtsvorgang beginnt. (Bearbeiter)
Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers bewusst zur Tötung ausnutzt. Das Ausnutzungsbewusstsein bedarf in objektiv klaren Fällen bei einem psychisch normal disponierten Täter auch bei Taten aus rascher Eingebung keiner näheren Darlegung. Denn bei erhaltener Einsichtsfähigkeit ist die Fähigkeit des Täters, die Tatsituation in ihrem Bedeutungsgehalt für das Opfer realistisch wahrzunehmen und einzuschätzen, im Regelfall nicht beeinträchtigt.
1. Eine Nötigung mit Gewalt im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB a. F. (vgl. § 177 Abs. 5 Nr. 1 StGB n. F.) ist gegeben, wenn der Täter durch eigene Kraftentfaltung das Opfer einem körperlich wirksamen Zwang aussetzt, um damit geleisteten oder erwarteten Widerstand zu überwinden. Es kommt mithin nicht darauf an, ob das Opfer des Übergriffs tatsächlich Widerstand leistet; es genügt, wenn die körperliche Zwangseinwirkung der Verhinderung von erwarteter Gegenwehr dient. Das Auseinanderdrücken der Beine oder der Einsatz überlegener Körperkraft (etwa durch das Legen des Opfers auf den Rücken) können im Einzelfall Gewalt darstellen; das Gleiche gilt, wenn der Täter sich mit seinem Körpergewicht auf das Opfer legt.
2. Eine schutzlose Lage i.S.d. § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB a.F. (vgl. § 177 Abs. 5 Nr. 3 StGB n. F.) liegt vor, wenn die Schutz- und Verteidigungsmöglichkeiten des Opfers in einem solchen Maße verringert sind, dass es dem ungehemmten Einfluss des Täters preisgegeben ist. Es kommt darauf an, dass das Tatopfer nach objektiver ex ante-Prognose möglichen nötigenden Gewalteinwirkungen des Täters schutzlos ausgeliefert wäre, das heißt, ihnen weder mit Aussicht auf Erfolg körperlichen Widerstand entgegensetzen noch sich ihnen durch Flucht entziehen oder auf die Abwendung durch Hilfe dritter Personen hoffen kann; eines gänzlichen Beseitigens jeglicher Verteidigungsmöglichkeiten bedarf es nicht.
3. Der objektive Tatbestand des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB a.F. (vgl. § 177 Abs. 5 Nr. 3 StGB n. F.) setzt zudem voraus, dass das Tatopfer unter dem Eindruck seines schutzlosen Ausgeliefertseins aus Furcht vor möglichen Einwirkungen des Täters auf einen ihm grundsätzlich möglichen Widerstand verzichtet; es muss mithin eine kausale Verbindung zwischen der Schutzlosigkeit und dem Verhalten des Opfers gegeben sein. Bei der Entscheidungsfindung sind Umstände in den äußeren Gegebenheiten, in der Person des Opfers oder des Täters im Rahmen einer Gesamtwürdigung zu bewerten.
1. Der Straftatbestand der Bandenhehlerei (§ 260 Abs. 1 StGB) erfasst nur Taten im Rahmen einer Verbindung mehrerer Täter zu einer reinen Hehlerbande, Fälle, in denen ein Hehler als Mitglied einer Diebes- oder Räuberbande handelt, sowie Hehlereitaten in sogenannten gemischten Banden, die aus Dieben bzw. Räubern und Hehlern bestehen. Gruppierungen aus Hehlern und Betrügern sind hingegen nicht erfasst.
2. Es liegt nur eine Urkundenfälschung als tatbestandliche Handlungseinheit vor, wenn eine gefälschte Urkunde dem ursprünglichen Tatplan entsprechend mehrfach gebraucht wird. Dabei hat das jeweils tateinheitliche Zusammentreffen weiterer Delikte mit der einheitlichen Urkundenfälschung zur Folge, dass sämtliche Gesetzesverstöße, die nicht schwerer wiegen, zu einer Tat im materiellrechtlichen Sinne verklammert werden.
Bei der Erpressung ist die Rechtswidrigkeit des erstrebten Vermögensvorteils ein normatives Tatbestandsmerkmal, auf das sich der – zumindest bedingte – Vorsatz des Täters erstrecken muss (st. Rspr.). Danach setzt eine Strafbarkeit voraus, dass die Bereicherung nach der materiellen Rechtslage zu Unrecht angestrebt wird. Daran fehlt es, wenn der Täter auf den Vermögensvorteil einen fälligen einredefreien Anspruch besitzt oder irrtümlich davon ausgeht, ein entsprechender Anspruch bestehe. Maßgeblich ist hierbei, ob der Täter sich bei laienhafter Bewertung der Umstände einen Anspruch auf die erstrebte Leistung zumisst oder einen solchen für zweifelhaft hält.
Zu den möglichen Bezugstaten der Vereinigung gemäß § 129 Abs. 1 Satz 1 StGB kann auch die Unterstützung einer anderen kriminellen Vereinigung nach § 129 Abs. 1 Satz 2 Alternative 1 StGB zählen.