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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Oktober 2023
24. Jahrgang
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1. Bedingter Vorsatz ist gegeben, wenn der Täter den Erfolg als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und dies billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit dem Eintritt des Erfolges abfindet, mag ihm der Erfolgseintritt auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein (Willenselement). Ob der Täter nach diesen rechtlichen Maßstäben bedingt vorsätzlich gehandelt hat, ist in Bezug auf beide Elemente im Rahmen der Beweiswürdigung umfassend zu prüfen und durch tatsächliche Feststellungen zu belegen.
2. Anders als beim direkten Vorsatz ist beim bedingten Vorsatz ein sicheres Voraussehen des tatbestandlichen Erfolges durch den Täter nicht erforderlich. Stattdessen reicht es aus, wenn der Täter die bloße Möglichkeit des Erfolgseintritts erkennt.
1. Ob Mittäterschaft anzunehmen ist, hat das Tatgericht aufgrund einer wertenden Gesamtbetrachtung aller festgestellten Umstände zu prüfen; maßgebliche Kriterien sind der Grad des eigenen Interesses an der Tat, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille dazu, so dass die Durchführung und der Ausgang der Tat maßgeblich auch vom Willen des Betreffenden abhängen.
2. Regelmäßig sind die „Abholer“ bei Betrugstaten nach dem modus operandi „Falscher Polizeibeamter“ rechtlich als Mittäter im Sinne des § 25 Abs. 2 StGB einzustufen. Dies gilt auch dann, wenn ein „Abholer“ nicht selbst mit dem Tatopfer in Kontakt tritt und diesem zumindest konkludent vorspiegelt, ein Polizeibeamter zu sein, also nicht in eigener Person alle Tatbestandsmerkmale des Betrugs verwirklicht und schon deshalb aus Rechtsgründen Mittäter ist.
3. Die Einziehung des Wertes von Taterträgen gemäß § 73c Satz 1 StGB darf – anders als eine Einziehung nach §§ 74, 74c StGB – nicht bei der Strafzumessung schuldmindernd berücksichtigt werden. Denn die Einziehung von Taterträgen beziehungsweise des Wertes von Taterträgen hat keinen Strafcharakter, sondern dient allein der Abschöpfung rechtswidrig erlangter Vermögensvorteile.
1. Voraussetzung für ein Sichbereiterklären ist die ernstgemeinte, mit Bindungswillen gegenüber dem Adressaten abgegebene Kundgabe der eigenen Bereitschaft zur täterschaftlichen Verwirklichung eines Verbrechens. Dies kann entweder in Form der Annahme einer Aufforderung oder als aktives Erbieten geschehen. Im letzteren Fall gilt dies jedenfalls dann, wenn der Erbietende als präsumtiver Täter seinen Tatentschluss unter die Bedingung der Annahme seines Erbietens stellt.
2. Neben dem Sichbereiterklären zu einem Verbrechen ist für eine Verurteilung wegen versuchter Anstiftung zur mittäterschaftlichen Begehung der nämlichen Tat kein Raum.
3. Das Merkmal der Freiwilligkeit, das in § 31 Abs. 1 StGB in gleicher Weise auszulegen ist wie in § 24 StGB, ist als subjektives Element aus der Sicht des Täters zu beurteilen. Ob dieser freiwillig zurücktrat, hängt nach ständiger Rechtsprechung davon ab, ob er noch „Herr seiner Entschlüsse“ blieb und ob er die Ausführung seines Verbrechensplans noch für möglich hielt. Die Tataufgabe kann unfreiwillig sein, wenn sich der Täter mit einer ihm, verglichen mit der Tatplanung, derart ungünstigen Risikoerhöhung konfrontiert sieht, dass er das mit der Tat verbundene Wagnis nunmehr als unvertretbar hoch einschätzt.
4. Soweit bei einem Rücktritt nach § 24 StGB darauf abgestellt wird, dass sich die Risikolage aus Sicht des Täters nach Tatbeziehungsweise Versuchsbeginn verändert hat, ist bei einem Rücktritt nach § 31 Abs. 1 Nr. 2 und 3 StGB mangels entsprechenden Beginns als maßgeblicher Zeitpunkt die jeweilige Vorbereitungshandlung heranzuziehen. Mithin kommt es bei § 31 Abs. 1 Nr. 2 StGB darauf an, ob sich die Risikoeinschätzung des Täters nach dem Sichbereiterklären entscheidend modifizierte.
Der Versuch eines Deliktes tritt regelmäßig hinter die Vollendung desselben gleichwertigen Deliktes zu Lasten des identischen Geschädigten zurück. Dies gilt auch für den Fall, dass in Bezug auf den konkreten Tatbestand noch ein weiterer, vom selben Schutzgut erfasster Taterfolg erstrebt war.
1. Als Einbrechen im Sinne des § 244 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 4 StGB ist das gewaltsame Öffnen einer Umschließung zu verstehen. Einsteigen bedeutet dagegen das Betreten der Wohnung auf einem dafür regelmäßig nicht bestimmten Weg unter Entfaltung einer gewissen Geschicklichkeit oder Kraft. Schließlich dringt derjenige im Sinne der Vorschrift ein, der gegen oder ohne den Willen des Berechtigten die Räumlichkeit mit einem nicht oder nicht mehr zur Öffnung bestimmten Schlüssel oder einem sonstigen auf den Schließmechanismus des Verschlusses einwirkenden Werkzeug betritt.
2. Für den Tatbestand des schweren Wohnungseinbruchdiebstahls genügt es nicht, wenn der Täter zwar einen ihm verbotenen, jedoch offenen bzw. herkömmlich zu öffnenden Eingang durchschreitet.
3. Der Gesetzgeber hat Verstöße gegen die verfahrensrechtlichen Sicherungen der Verständigung nicht als absolute Revisionsgründe eingestuft. Die Bandbreite bei Verstößen gegen die Transparenz- und Dokumentationspflichten reicht von geringfügigen Unvollständigkeiten bis hin zu deren völliger Missachtung oder groben Falschdarstellungen. Die Revisionsgerichte sind daher nicht gehindert, aufgrund einer an den Umständen des Einzelfalls ausgerichteten Gesamtbetrachtung ausnahmsweise zu einer Unbeachtlichkeit des Verstoßes gegen die Vorschriften zur Verständigung zu gelangen.
4. Gemäß § 275 Abs. 1 Satz 3 StPO dürfen die Urteilsgründe nach Ablauf der Absetzungsfrist des § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO grundsätzlich nicht mehr geändert werden. Danach können nur noch offensichtliche Schreibversehen und Unrichtigkeiten berichtigt werden. „Offensichtlich“ sind aber nur solche Fehler, die sich ohne Weiteres aus solchen Tatsachen ergeben, die für alle Verfahrensbeteiligten klar zu Tage treten und auch nur den entfernten Verdacht einer späteren sachlichen Änderung ausschließen. Es muss – auch ohne Berichtigung – eindeutig erkennbar sein, was das Gericht tatsächlich gewollt und entschieden hat. Bei dieser Prüfung ist ein strenger Maßstab anzulegen, um zu verhindern, dass mit einer Berichtigung eine unzulässige Abänderung des Urteils einhergeht, die Berichtigung also lediglich dazu dient, die äußere Übereinstimmung des Urteils mit dem tatsächlich durch das Gericht in der Beratung Entschiedenen und sodann Verkündeten herzustellen.
5. Die Erteilung eines rechtlichen Hinweises ist allein Aufgabe des Vorsitzenden. Ihm kommt kein bindender Charakter zu, weswegen er auch nicht die Möglichkeit ausschließt, dass die Strafkammer später in ihrer Urteilsberatung zu einer anderen tatsächlichen oder rechtlichen Würdigung der Beweisaufnahme gelangt.
6. Die erst im Nachhinein gefassten schriftlichen Urteilsgründe reichen zudem für sich alleine regelmäßig nicht aus, um die wahre Entscheidung des Gerichts aufzuzeigen. Diesbezüglich kommt der mündlichen Urteilsbegründung maßgebliche Bedeutung zu.
1. Für eine Strafbarkeit nach § 176a Abs. 1 Nr. 2, § 176c Abs. 2 StGB genügt es, wenn sich die Absicht des Täters darauf bezieht, ein von § 176a Abs. 1 Nr. 2 StGB erfasstes Tatgeschehen insoweit zum Gegenstand eines Inhalts im Sinne des § 11 Abs. 3 StGB zu machen, dass dieser der Legaldefinition des kinderpornographischen Inhalts nach § 184b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Halbsatz 2 StGB unterfällt, und diesen anschließend zu verbreiten.
2. Für eine Strafbarkeit wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in der Variante des § 174 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Abs. 3 Nr. 2 StGB ist nicht erforderlich, dass der Schutzbefohlene die von ihm vor dem Täter vorgenommene sexuelle Handlung in ihrer Bedeutung als solche erfasst.
Unter „Bestimmen“ i.S. des § 176 Abs. 1 Nr. 2 StGB ist jede Einwirkung auf den Willen des Kindes zu verstehen, die es zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen veranlasst. Wenngleich deren sexuelle Bedeutung von dem Kind nicht erfasst werden muss, ist es erforderlich, dass der Täter dessen Verhalten in irgendeiner Form beeinflusst hat und das tatsächliche Einverständnis des Kindes mit dem Geschehen – jedenfalls auch – darauf beruht
Bei Bilddateien (hier: solche, die Vorder- und Rückseite eines Ausweispapiers darstellen) kann es sich um „Drucksätze“ im Sinne von § 275 Abs. 1 Nr. 1 StGB handeln. Dass diese – anders als die übrigen in § 275 Abs. 1 Nr. 1 StGB genannten Gegenstände und Vorrichtungen – nicht in körperlicher Form vorliegen, ist lediglich die Folge eines technischen Wandels, aufgrund dessen heute elektronische, digitale Satzverfahren üblich sind, die die früher verwendeten (Bleisatz, Fotosatz etc.) abgelöst haben.
1. Es genügt nicht, wenn das Opfer nur erwartet, der Täter werde es an Leib oder Leben schädigen. Das bloße Ausnutzen der Angst eines Opfers vor einer Gewaltanwendung enthält für sich genommen noch keine Drohung.
2. Die Belehrung nach § 257c Abs. 5 StPO hat vor Abgabe der Zustimmungserklärungen (§ 257c Abs. 3 Satz 4 StPO) zu erfolgen.
3. Dass der Angeklagte die ihm vorgeworfenen Taten eingeräumt hat und dem Urteil eine Verständigung vorausgegangen ist, entbindet das Gericht nicht von der Pflicht zur Aufklärung und Darlegung des Sachverhalts, soweit dies für den Tatbestand der dem Angeklagten vorgeworfenen Gesetzesverletzung erforderlich ist (st. Rspr.).
1. Mehrere natürliche Handlungen können als eine Tat im Rechtssinne anzusehen sein (sog. rechtliche Bewertungseinheit), wenn sie sich als Teilakte einer sukzessiven Tatausführung darstellen.
2. Für den Straftatbestand der Erpressung ist insoweit anerkannt, dass mehrere Angriffe auf die Willensentschließung des Opfers als eine Tat im Rechtssinne zu werten sind, wenn dabei die anfängliche Drohung lediglich den Umständen angepasst und aktualisiert wird, im Übrigen aber nach wie vor dieselbe Leistung gefordert wird. Dabei stellen ein Wechsel des Angriffsmittels, räumliche Trennungen oder zeitliche Intervalle zwischen den jeweiligen Einzelakten die Annahme einer rechtlichen Bewertungseinheit nicht grundsätzlich in Frage. Diese endet erst dann, wenn der Täter sein Ziel vollständig erreicht hat oder wenn nach den insoweit entsprechend heranzuziehenden Wertungen des Rücktrittsrechts von einem fehlgeschlagenen Versuch auszugehen ist.
1. § 315 Abs. 3 Nr. 2 StGB ist u.a. dann erfüllt, wenn der Täter durch die Tat eine schwere Gesundheitsschädigung eines anderen Menschen verursacht. Unter einer schweren Gesundheitsschädigung sind Beeinträchtigungen zu verstehen, die den in § 226 Abs. 1 StGB bezeichneten schweren Folgen in Dauer und Schweregrad gleichkommen. Die in § 226 Abs. 1 StGB bezeichneten schweren Folgen müssen von längerer Dauer sein wobei dies nicht mit Unheilbarkeit gleichzusetzen ist. Es genügt, wenn die Behebung bzw. nachhaltige Verbesserung des ‒ länger währenden ‒ Krankheitszustands nicht abgesehen werden kann.
2. Entscheidend für die Dauer der Sperrfrist nach § 69a StGB ist die voraussichtliche Ungeeignetheit des Täters. Eine Sperre nach § 69a Abs. 1 Satz 2 StGB kann nur angeordnet werden, wenn zu erwarten ist, dass die gesetzliche Höchstfrist zur Abwehr der vom Täter drohenden Gefahr nicht ausreicht. Die Schwere der Tatschuld ist dabei nur insoweit von Bedeutung, als sie Hinweise auf die charakterliche Unzuverlässigkeit des Täters und den Grad seiner Ungeeignetheit zu geben vermag.