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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Oktober 2023
24. Jahrgang
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Zu den Voraussetzungen eines Hanges, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, i.S.d. § 64 StGB (in der bis zum 30.9.2023 geltenden Fassung):
a) Für einen Hang genügt eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss.
b) Ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln im Sinne des § 64 StGB ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betreffende auf Grund seiner psychischen Abhängigkeit sozial gefährdet oder gefährlich erscheint. Ein jahrelanger täglicher Konsum von Betäubungsmitteln legt die Annahme eines Hangs regelmäßig nahe.
Die Feststellung einer zu Beschaffungsdelikten führenden physischen oder jedenfalls psychischen Betäubungsmittelabhängigkeit trägt regelmäßig die Annahme eines Hangs im Sinne des § 64 StGB, ohne dass es auf den Grad oder die Ausprägung der Abhängigkeit im Einzelnen ankommt.
Das Berufsverbot ist ein schwerwiegender Eingriff, mit dem die Allgemeinheit, sei es auch nur ein bestimmter Personenkreis, vor weiterer Gefährdung geschützt werden soll. Es darf nur dann verhängt werden, wenn die Gefahr besteht, dass der Täter auch in Zukunft den Beruf, dessen Ausübung ihm verboten werden soll, zur Verübung erheblicher Straftaten missbrauchen wird. Voraussetzung hierfür ist, dass eine – auf den Zeitpunkt der Urteilsverkündung abgestellte – Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten das Tatgericht zu der Überzeugung führt, dass die Wahrscheinlichkeit künftiger ähnlicher erheblicher Rechtsverletzungen durch den Täter besteht. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass die Verhängung eines Berufsverbotes ausscheidet, wenn zu erwarten ist, dass der Angeklagte bereits durch die Verurteilung zu der verhängten Strafe von weiteren Taten abgehalten werden kann.
1. Der Begriff der „hohen Wahrscheinlichkeit“ setzt voraus, dass ein „hohes Maß an Gewissheit“ (Prognosesicherheit) über die Gefahr besteht, dass der Täter neue Katalogtaten begehen werde. Dass lediglich überwiegende Umstände auf eine entsprechende zukünftige Delinquenz des Verurteilten hindeuten, genügt nicht.
2. An Inhalt und Qualität der Prognoseentscheidung sind höchste Anforderungen zu stellen. Sie erfordert eine
Gesamtwürdigung der Person des Angeklagten, seiner Taten und seiner weiteren Entwicklung und muss die vorhandenen Prognosemöglichkeiten ausschöpfen. Dabei ist die Beurteilung ‒ nicht anders als bei anderen qualifizierten Gefährlichkeitsprognosen ‒ darauf zu erstrecken, ob und welche Katalogtaten künftig von dem Täter drohen, wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist (Häufigkeit und Rückfallfrequenz) und welche Rechtsgüter bedroht sind. Zudem muss die spezifische Gefährlichkeit im Hinblick auf die Begehung von den Anlasstaten vergleichbaren schweren Taten in der Persönlichkeit des Täters angelegt sein.
1. Allein die Diagnose einer schizophrenen Psychose führt für sich genommen nicht zur Feststellung einer generellen oder zumindest längere Zeiträume überdauernden gesicherten Beeinträchtigung bzw. Aufhebung der Schuldfähigkeit. Erforderlich ist vielmehr stets die konkretisierende Darlegung, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Taten auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat. Beurteilungsgrundlage ist das konkrete Tatgeschehen, wobei neben der Art und Weise der Tatausführung auch die Vorgeschichte, der Anlass der Tat, die Motivlage des Angeklagten und sein Verhalten nach der Tat von Bedeutung sein können. Zu prüfen ist dabei insbesondere auch, ob in der Person des Angeklagten oder in seinen Taten letztlich nicht nur Eigenschaften und Verhaltensweisen hervortreten, die sich im Rahmen dessen halten, was bei schuldfähigen Menschen eine übliche Ursache für strafbares Verhalten und somit normalpsychologisch zu erklären ist.
2. Eifersucht ist nicht grundsätzlich eine Eigenschaft, die von vornherein Krankheitswert aufweist. Eifersucht und Handykontrolle können ohne Weiteres auch Ausdruck von Verhaltensweisen sein, die sich in einem normalpsychologisch erklärbaren Rahmen bewegen und nicht pathologisch sind.
1. Ein symptomatischer Zusammenhang liegt vor, wenn der Hang alleine oder zusammen mit anderen Umständen dazu beigetragen hat, dass der Täter eine erhebliche rechtswidrige Tat begangen hat und dies bei unverändertem Verhalten auch für die Zukunft zu erwarten ist. Die hangbedingte Gefährlichkeit muss sich in der konkreten Tat äußern. Dabei ist nicht erforderlich, dass der Hang die alleinige Ursache für die Anlasstaten ist. Vielmehr ist ein symptomatischer Zusammenhang auch dann zu bejahen, wenn der Hang neben anderen Umständen mit dazu beigetragen hat, dass der Angeklagte erhebliche rechtswidrige Taten begangen hat, und dies bei einem unveränderten Suchtverhalten auch für die Zukunft zu besorgen ist.
2. Ein solcher Zusammenhang ist typischerweise gegeben, wenn die Straftat unmittelbar oder mittelbar über den Erlös aus der Verwertung der Beute auch der Beschaffung von Drogen für den Eigenkonsum gedient hat. Bei Taten, die nicht auf die Erlangung von Rauschmitteln selbst oder von Geld zu deren Beschaffung abzielen, bedarf die Annahme eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen Hang und Anlasstat besonderer hierfür sprechender Umstände. Ein solcher Zusammenhang fehlt, wenn die Taten allein zur Finanzierung des allgemeinen Lebensbedarfs oder zur Gewinnerzielung bestimmt waren. Bei einem Rauschgifthändler, dem es alleine darum geht, erworbene Betäubungsmittel mit Gewinn zu verkaufen, fehlt der symptomatische Zusammenhang regelmäßig auch dann, wenn er gelegentlich selbst Suchtmittel konsumiert.
1. Bei der Strafzumessung sind etwaige Härten in den Blick zu nehmen, die durch die zusätzliche Vollstreckung von Strafen drohen, welche von Gerichten anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union verhängt wurden, wenn diesbezüglich in zeitlicher Hinsicht die Voraussetzungen für eine Gesamtstrafenbildung nach § 55 StGB erfüllt wären. Derartige Härten werden in vergleichbaren Fällen vorausgegangener Verurteilungen durch deutsche Gerichte nach § 55 StGB durch eine nachträglich zu bildende Gesamtstrafe vermieden, während ausländische Strafen wegen des mit einer Gesamtstrafenbildung verbundenen Eingriffs in deren Vollstreckbarkeit grundsätzlich nicht gesamtstrafenfähig sind. Die Mitgliedstaaten müssen jedoch grundsätzlich sicherstellen, dass ihre Gerichte frühere, in anderen Mitgliedstaaten ergangene Verurteilungen in dem Maße berücksichtigen wie im Inland ergangene frühere Verurteilungen und ihnen gleichwertige Rechtswirkungen zuerkennen.
2. Auf welche Weise dies geschieht, ist unionsrechtlich nicht vorgegeben. Es gelten daher dieselben Grundsätze wie bei einer an sich gesamtstrafenfähigen, aus zufälligen Gründen aber nicht mehr berücksichtigungsfähigen inländischen Vorstrafe. Hiernach ist die konkrete Ausgestaltung des Härteausgleichs im Fall der Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe davon abhängig, ob die besondere Schwere der Schuld vom Tatgericht festgestellt wor-
den ist. Hat das Tatgericht die besondere Schwere der Schuld verneint, kann die Kompensation nicht anders als im Wege der so genannten Vollstreckungslösung, nämlich durch Anrechnung des als vollstreckt geltenden Teils der Strafe auf die Mindestverbüßungsdauer im Sinne des § 57a Abs. 1 Nr. 1 StGB, erfolgen. Es handelt sich in diesem Fall zwangsläufig um einen dem Tatrichter überantworteten Akt der Strafzumessung. Eine Verlagerung der Kompensation auf das Vollstreckungsverfahren, namentlich auf die bei festgestellter besonderer Schuldschwere durch das Vollstreckungsgericht zu treffende Entscheidung über die Verlängerung der Mindestverbüßungsdauer, scheidet hier aus.
Eine Anordnung einer lebenslangen Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis gemäß § 69a Abs. 1 Satz 2 StGB bedarf stets besonders sorgfältiger Prüfung und erschöpfender Begründung. Sie setzt voraus, dass eine Sperre von fünf Jahren zur Abwendung der vom Täter drohenden Gefahr nicht ausreicht. Bei charakterlichen Mängeln kommt sie in der Regel nur bei Fällen schwerster Verkehrskriminalität in Betracht; so z.B. bei chronischer Trunkenheitsdelinquenz und sonstiger auf fest verwurzeltem Hang beruhender Verkehrsdelinquenz, bei mehreren Vorstrafen und mehrfacher Entziehung der Fahrerlaubnis.
Auch bei geplantem und geordnetem Vorgehen kann die Fähigkeit erheblich eingeschränkt sein, Anreize zu einem bestimmten Verhalten und Hemmungsvorstellungen gegeneinander abzuwägen und danach den Willensentschluss zu bilden.
Die Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 2 und 3 StGB steht im pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters. Dieser hat die Möglichkeit, sich trotz Vorliegens der formellen und materiellen Voraussetzungen gegen die Anordnung einer Sicherungsverwahrung zu entscheiden. Dieses Ermessen muss tatsächlich ausgeübt werden. Um dem Revisionsgericht eine Nachprüfung der Ermessensausübung zu ermöglichen, müssen die Urteilsgründe nicht nur erkennen lassen, dass sich der Tatrichter seiner Entscheidungsbefugnis insoweit bewusst war. Vielmehr muss auch nachvollziehbar dargelegt werden, aus welchen Gründen von diesem Ermessen in einer bestimmten Weise Gebrauch gemacht worden ist.
1. Zwar kann der Maßregelausspruch regelmäßig nicht wirksam vom Revisionsangriff ausgenommen werden, wenn zugleich der Schuldspruch angegriffen wird, weil die Feststellung der Symptomtat unerlässliche Voraussetzung für die Maßregelanordnung ist. Richtet sich die Revision aber nur teilweise gegen den Schuldspruch und sind mehrere Symptomtaten von dem Revisionsangriff ausgenommen, welche die Maßregelanordnung losgelöst von den mit dem Rechtsmittel angegriffenen Taten tragen, ist die Rechtsmittelbeschränkung auch insoweit als wirksam anzusehen.
2. Das Unrecht einer Betäubungsmittelstraftat und die Schuld des Täters werden maßgeblich durch die Wirkstoffkonzentration und die Wirkstoffmenge des Rauschgifts bestimmt. Die Gesamtmenge des Wirkstoffs ist ‒ bezogen auf die einfache nicht geringe Menge ‒ ein für die Strafzumessung wesentlicher Gesichtspunkt. Eine erhebliche Überschreitung der nicht geringen Menge ist regelmäßig als Strafschärfungsgrund in die Strafzumessung einzustellen. Das Tatgericht ist daher regelmäßig verpflichtet, konkrete Feststellungen zum Wirkstoffgehalt der Betäubungsmittel zu treffen.
Verlangt der Geschädigte für erlittene Verletzungen ein Schmerzensgeld, so werden nach dem Grundsatz der Einheitlichkeit des Schmerzensgeldes davon alle Schadensfolgen erfasst, die entweder bereits eingetreten und objektiv erkennbar sind oder deren Eintritt jedenfalls vorhergesehen und bei der Entscheidung berücksichtigt werden kann.