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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
März 2023
24. Jahrgang
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Von Dr. Anneke Petzsche, M.Sc . (Oxford), Humboldt-Universität zu Berlin[*]
Unter AGG-Hopping versteht man das nicht ernst gemeinte Bewerben auf (vermeintlich) diskriminierende Stellenangebote allein zum Zweck der Erlangung von Entschädigungsansprüchen nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Aus strafrechtlicher Sicht stellt sich insbesondere die Frage nach der Betrugsrelevanz des beschriebenen Verhaltens. [1] Der zentrale Punkt dabei ist, ob und ggf. zu welchem Zeitpunkt eine Täuschungshandlung vorliegt. Auf diese Frage beziehen sich auch die zentralen Ausführungen des BGH, der in seinem Urteil 1 StR 3/21 (sowie dem Parallelurteil 1 StR 138/21), beide vom 4. Mai 2022, erstmals umfassend zur strafrechtlichen Behandlung des AGG-Hoppings Stellung nimmt. In dem dort behandelten Fall hebt der BGH die Verurteilung der beiden (ursprünglich) Mitangeklagten wegen (versuchten) Betruges mit den zugrundeliegenden Feststellungen auf. Insbesondere sei eine Täuschung "nicht festgestellt" [2] und die Beweiswürdigung "rechtsfehlerhaft" [3] . Gleichwohl sind die Ausführungen zur materiell-rechtlichen Frage der Betrugsrelevanz des AGG-Hoppings umfangreich und klären – wie im Folgenden gezeigt wird – einige der sich in diesem Zusammenhang stellenden Rechtsfragen, ohne abschließend über eine Strafbarkeit zu entscheiden. Nicht nur lässt der BGH die Frage nach der Strafbarkeit des konkreten Handelns ausdrücklich offen, er stellt auch gewisse Hürden für die Annahme einer Täuschung zur Tatzeit auf, die das neue Tatgericht argumentativ zu überwinden haben wird. Die grundsätzliche Bedeutung dieser Entscheidung zeigt sich darin, dass sie zur Veröffentlichung in der amtlichen Sammlung vorgesehen ist.
Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde. Nach den Feststellungen des Landgerichts München I fassten der Angeklagte und sein Bruder den Entschluss, im Anschluss an Scheinbewerbungen des Angeklagten wiederholt Entschädigungsansprüche nach dem AGG geltend zu machen, um sich zu bereichern. Daraufhin bewarb sich der Angeklagte im Zeitraum vom 30. Juli 2011 bis zum 1. März 2012 auf zwölf Stellenanzeigen, deren Ausschreibungstexte Anhaltspunkte für einen möglichen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot enthielten. Die Bewerbungen blieben, wie vom Angeklagten erwartet und zum Teil auch provoziert, erfolglos. Hierüber informierte er jeweils seinen mitangeklagten Bruder, [4] der als Rechtsanwalt Schreiben mit einer Entschädigungsforderung nach § 15 Abs. 2 AGG versandte, die jeweils keine Angaben zur subjektiven Ernsthaftigkeit der Bewerbung enthielten. Da keines der angeschriebenen Unternehmen daraufhin zahlte, erhob der Angeklagte, vertreten durch seinen Bruder, Entschädigungsklagen, die in den meisten Fällen zu gerichtlichen Vergleichen führten. Ob und ggf. in welcher Form die subjektive Ernsthaftigkeit der Bewerbung in den gerichtlichen Verfahren zur Sprache kam, lässt sich den Feststellungen des erstinstanzlichen Urteils nicht entnehmen. Nur in einem Teil der Fälle konnte festgestellt werden, dass die Unternehmen von der Ernsthaftigkeit der Bewerbung ausgegangen waren. Das LG nahm an, dass sowohl der Angeklagte als auch sein Bruder es für möglich hielten und billigend in Kauf nahmen, dass ein Entschädigungsanspruch aufgrund einer bloßen Scheinbewerbung tatsächlich nicht bestand. Das Landgericht München I verurteilte den Angeklagten daher wegen Betruges in drei Fällen und wegen versuchten Betruges in neun Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die hiergegen gerichtete Revision hatte mit der Sachrüge Erfolg.
Auch wenn die materiell-rechtlichen Fragen einer Strafbarkeit des AGG-Hoppings in der vorliegenden Entscheidung im Vordergrund stehen, sind mit dem Fall auch zwei interessante prozessuale Aspekte verbunden. Zum einen stellt die Entscheidung eine deutliche Rüge der tatrichterlichen Beweiswürdigung dar und ist damit ein weiteres Beispiel für die Ausweitung der revisionsrechtlichen Überprüfung der tatrichterlichen Entscheidungsfindung (dazu III.1.). [5] Zum anderen weist der BGH zu Recht darauf hin, dass im Falle einer erneuten Verurteilung die Notwendigkeit der Kompensation einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung zu prüfen ist (dazu III.2.). Auf beide Punkte soll kurz eingegangen werden, bevor die materiell-rechtlichen Fragen näher beleuchtet werden.
Die tatrichterliche Beweiswürdigung sieht sich erheblicher Kritik durch den BGH ausgesetzt. Sie sei u. a. "widersprüchlich und lückenhaft" [6] sowie "rechtsfehlerhaft" [7] , der Schuldspruch "nicht tragfähig belegt" [8] . Gerade zu der zentralen Frage der Täuschungshandlung fehlten "die erforderlichen und auf den Einzelfall bezogenen Feststellungen", [9] was angesichts des erheblichen Umfangs des festgestellten Sachverhalts von über 100 Randnummern ein überraschendes Versäumnis darstellt. Gleichwohl ist die Kritik berechtigt, denn in der Tat fehlt es insbesondere an der Darstellung verschiedener für die Strafbarkeit entscheidenden Anknüpfungstatsachen. So wird weder der genaue Inhalt der anwaltlichen Forderungsschreiben und Schriftsätze an das Arbeitsgericht noch der konkrete Vortrag vor Gericht geschildert. Diese sind jedoch für die hier maßgebliche materiell-rechtliche Frage, ob in dem Vortrag des Rechtsanwalts des Angeklagten eine Täuschung im Sinne des § 263 StGB zu sehen ist, entscheidend. [10] Auch hinsichtlich der Annahme des Betrugsbeginns kritisiert der BGH die Beweiswürdigung des Tatgerichts. Der Schwerpunkt der Kritik liegt hier nicht auf den fehlenden Anknüpfungstatsachen, sondern vielmehr auf der tatsächlichen Würdigung der Umstände, bei der das Tatgericht entscheidende Aspekte außer Acht gelassen habe. So seien entscheidende Umstände nicht in die Gesamtwürdigung einbezogen worden, wie etwa die Tatsache, dass in keinem Fall das (ursprüngliche) Anspruchsschreiben unmittelbar zu einer Zahlung durch das Unternehmen geführt habe [11] oder dass "das unter dem Stichwort "AGG-Hopper" diskutierte Phänomen missbräuchlicher Entschädigungsansprüche den Marktteilnehmern durchaus bekannt" gewesen sei [12] . Auch wegen dieser Lückhaftigkeit sei die Beweiswürdigung fehlerhaft. [13]
Damit ist auch diese Entscheidung ein deutliches Beispiel dafür, dass das Revisionsrecht in seiner Entwicklung von einer zunehmenden Ausweitung der revisionsgerichtlichen Prüfungsgegenstände geprägt ist [14] und gerade auch die Darstellungsrüge zu einem "Instrument der Kontrolle auch der Plausibilität der tatrichterlichen Feststellungen" geworden ist. [15] Sie zeigt, dass das Revisionsrecht durch die immer höheren Anforderungen an die Begründung der tatrichterlichen Entscheidung der grundsätzlich bestehenden und durch § 261 StPO abgesicherten Bewertungsfreiheit faktische Grenzen setzt. [16]
Daneben weist der BGH auf einen weiteren prozessualen Aspekt hin: die mögliche Überlänge des Verfahrens. Die der Verurteilung zugrundliegenden Taten hatten sich in den Jahren 2011 und 2012 ereignet. Nach Anklageerhebung im Jahr 2014 kam es erst sechs Jahre später, im Jahr 2020, zur erstinstanzlichen Verurteilung. Da davon auszugehen ist, dass auch die erneute Hauptverhandlung einige Zeit in Anspruch nehmen wird, wird das neue Tatgericht zu prüfen haben, ob in der Gesamtdauer bereits ein Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip sowie gegen Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK [17] zu sehen ist oder ob diese "nur" strafmildernd zu berücksichtigen ist [18] . [19] Maßgeblich für die Abgrenzung sind u. a. die Dauer der durch die Justizorgane verursachten Verfahrensverzögerung, die Gesamtdauer des Verfahrens, der Umfang und die Schwierigkeit des Verfahrensgegenstandes, die Art und Weise der Ermittlungen sowie das Ausmaß der mit der Fortdauer des schwebenden Verfahrens verbundenen besonderen Belastungen für den Betroffenen. [20]
Für die Beurteilung des vorliegenden Falles wird insbesondere von Bedeutung sein, ob die einzelnen Verfahrensschritte von den staatlichen Akteuren mit der gebotenen Zügigkeit vorgenommen wurden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Eröffnung des Hauptverfahrens erst auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Ablehnungsbeschluss durch das OLG München erfolgte. Zum einen sind diese einzelnen Verfahrensschritte gesetzlich vorgesehen und führen zwangsläufig zu einer Verlängerung des Verfahrens. Zudem ist die Materie aufgrund der Vielzahl der Fälle (die Eröffnung erfolgten lediglich
bezüglich 34 der ursprünglich angeklagten 116 Fällen, von denen es bei 12 zu einer Verurteilung kam) und der zugrundeliegenden Rechtsfragen komplex. Zum anderen verpflichtet Art. 6 EMRK den Staat, die Strafrechtspflege so zu organisieren, dass auch komplexe Verfahren (hinreichend) zügig durchgeführt werden können. [21] Nach alledem liegt angesichts der bisherigen Gesamtdauer von sechs Jahren in Verbindung mit der noch zu erwartenden weiteren Dauer der Neuverhandlung ein im Wege der Strafvollstreckung zu kompensierender Verstoß gegen Art. 6 EMRK nahe, [22] auch wenn dieser Verstoß noch nicht so gravierend ist, dass er die Annahme eines Verfahrenshindernisses [23] erfordert.
Neben diesen prozessualen Aspekten stehen materiell-rechtliche Fragen im Mittelpunkt der Entscheidung. Entsprechend des amtlichen Leitsatzes geht es um die (grundsätzliche) Frage der Strafbarkeit des sog. AGG-Hoppings als Betrug, die der BGH zwar generell für möglich hält (dazu IV.1.), im konkreten Fall aber die Feststellungen des Tatgerichts für die Annahme eine Strafbarkeit als nicht ausreichend erachtet. [24] Im Rahmen der Bestimmung des Erklärungsgehalts der Geltendmachung eines AGG-Anspruchs bei nicht ernsthafter Bewerbung hat der BGH dabei in begrüßenswerter Weise den Maßstab für die Auslegung möglicher Täuschungserklärungen konkretisiert[dazu IV.1.c)]. Die Entscheidung ist für Theorie und Praxis gleichermaßen von Bedeutung. Sie greift bekannte Probleme der Betrugsstrafbarkeit auf und stellt sie zum Teil in einen neuen Kontext. Zu nennen sind insbesondere die Abgrenzung von Rechtsausführungen und Tatsachen als Täuschungsobjekt[IV.1.a)], die Bestimmung des konkreten Erklärungsgehaltes einer (außergerichtlichen und gerichtlichen) Aussage[IV.1.b)]sowie die notwendige Differenzierung zwischen ausdrücklicher und konkludenter Täuschung[IV.1.c)].
Im Mittelpunkt der Entscheidung steht die Frage, ob die Geltendmachung des Entschädigungsanspruchs nach dem AGG [25] wegen der vom Tatgericht festgestellten fehlenden Ernsthaftigkeit der Bewerbung [26] eine (ausdrückliche oder konkludente) Täuschung darstellt. Eine Täuschung liegt nach herrschender Meinung dann vor, wenn auf das intellektuelle Vorstellungsbild eines anderen in objektiv irreführender Weise eingewirkt wird. [27] Ob der Inhalt einer Äußerung eine (ausdrückliche oder konkludente) Täuschung enthält, bestimmt sich nach dem Empfängerhorizont im Rahmen der Verkehrsauffassung, [28] wobei sowohl tatsächliche als auch normative Umstände zu berücksichtigen sind. [29] Darüber hinaus muss sich die Täuschung auf Tatsachen beziehen. Dabei ist anerkannt, dass einerseits äußere Vorgänge oder Zustände der Vergangenheit oder Gegenwart, andererseits aber auch psychische Tatsachen und Vorgänge wie Kenntnisse, Vorstellungen, Überzeugungen, Absichten, Motive usw. (sog. innere Tatsachen) erfasst werden. [30]
Bei der unberechtigten Geltendmachung eines AGG-Anspruchs kommt im Grundsatz sowohl eine ausdrückliche als auch eine konkludente Täuschung über die innere Tatsache der Ernsthaftigkeit der Bewerbung in Betracht. Fehlt es an dieser Ernsthaftigkeit und ist die Bewerbung rein pekuniär motiviert gewesen, so steht dem Entschädigungsanspruch nach mittlerweile gefestigter Rechtsprechung ein Rechtsmissbrauchseinwand nach § 242 BGB entgegen. [31] Fraglich ist jedoch, ob die bloße Geltendmachung des Anspruchs eine Aussage über die Ernsthaftigkeit der Bewerbung enthält. Zentraler Punkt sowohl des vorliegenden Falles als auch generell in Fällen des AGG-Hoppings ist daher der Erklärungsgehalt der Geltendmachung eines Anspruchs nach § 15 Abs. 2 AGG.
Bei der Bestimmung der Täuschungshandlung ist zunächst zu beachten, dass reine Rechtsausführungen anerkanntermaßen keine Tatsachen, auf die sich eine Täuschung im Sinne des § 263 StGB beziehen muss, [32] darstellen. [33] Entscheidend ist daher, ob die Äußerung einen Bezug zu (zugrundeliegenden) Tatsachen aufweist. Keine bloße Rechtsausführung, sondern eine (täuschungsrelevante) Tatsache liegt demnach vor, wenn der Handelnde Angaben über die tatsächlichen Grundlagen eines geltend gemachten Anspruchs macht. [34] So ist zu prüfen, ob im konkreten Fall mit dem Anspruch zugleich tatsächliche Umstände behauptet werden, die den Anspruch
begründen. [35] Auch in diesem Zusammenhang kommt es also entscheidend darauf an, ob in der Geltendmachung des Anspruchs eine Erklärung über die Ernsthaftigkeit der Bewerbung (als täuschungsrelevante Tatsache) liegt.
Für die Bestimmung des Erklärungsgehalts differenziert der BGH überzeugend nach den verschiedenen Verfahrensstadien. Da sich die Verkehrserwartung nach dem konkreten Erklärungszusammenhang richtet, kann dieser in verschiedenen Zusammenhängen unterschiedlich zu beurteilen sein. Dementsprechend ist im vorliegenden Fall zwischen der außergerichtlichen Geltendmachung des Anspruchs durch Anwaltsschreiben und der gerichtlichen Geltendmachung zu unterscheiden.
Hierzu führt der BGH aus, dass es zunächst an einer Täuschungshandlung fehle, da das Aufforderungsschreiben keine konkludent erklärte unwahre Tatsachenbehauptung enthalte. [36] Zur Begründung stellt der BGH auf den normativen Gesamtzusammenhang zum Zeitpunkt der Tatbegehung ab. Dabei betont er zum einen, dass – entgegen der Annahme des Tatgerichts [37] – gerade noch keine gefestigte arbeitsgerichtliche Rechtsprechung bestanden habe, die einen Anspruch bei fehlender Ernsthaftigkeit der Bewerbung aus Rechtsmissbrauchserwägungen (§ 242 BGB) ablehne, [38] und auf die sich u. U. die Annahme eines entsprechenden Erklärungsgehalts begründen ließe. Auch das Vollständigkeits- und Wahrheitsgebot des § 138 Abs. 1 ZPO sei zu diesem Zeitpunkt nicht einschlägig und könne so zu keiner anderen Wertung führen, da es für das gerichtliche Verfahren gelte und gerade nicht auf die außergerichtliche Geltendmachung durchschlage. [39] Letztlich führe auch die Berücksichtigung des sonstigen Regelungszusammenhangs zu keinem anderen Ergebnis. Es sei zum einen zu berücksichtigen, dass das AGG zur Umsetzung der ihm zugrundeliegenden EU-Richtlinien sowohl spezial- als auch generalpräventiv ausgerichtet und gerade auch ein sogenanntes "private enforcement " – die Rechtsdurchsetzung durch Private – erwünscht sei. [40] So gewähre das AGG auch demjenigen einen Entschädigungsanspruch für immaterielle Schäden zu, der keinen materiellen Schaden erlitten habe. [41] Zum anderen habe der Gesetzgeber gerade keine dem § 8c Abs. 1 UWG vergleichbare Missbrauchsklausel im AGG verankert. [42] Diese Klausel war aber zentrales Argument für die Annahme einer betrugsrelevanten Täuschung in einem Fall der unberechtigten Geltendmachung wettbewerbsrechtlicher Forderungen, die allein der Generierung von Gebührenforderungen dienen sollten. [43] Abschließend betont der BGH: "Eine allgemeine Erwartung, der andere werde sich redlich verhalten, kennt der Rechtsverkehr nicht." [44]
Dass die Situation bei der gerichtlichen Geltendmachung jedoch eine andere ist und eine Täuschung durchaus durch Prozessvortrag begründbar erscheint, lässt sich den Hinweisen für die neue Hauptverhandlung entnehmen, die der BGH an das Ende seiner Ausführungen stellt. Anders als im außergerichtlichen Bereich sei bei der gerichtlichen Geltendmachung des Anspruchs selbstverständlich die Wahrheits- und Vollständigkeitspflicht des § 138 ZPO zu beachten. [45] Diese bestimme maßgeblich den Empfängerhorizont und begrenze damit letztlich auch die Strafbarkeit. [46] So naheliegend ein Verstoß hiergegen bei der gerichtlichen Geltendmachung des Anspruchs sein mag, der BGH lässt dem neuen Tatgericht eine Hintertür für die Annahme der Straflosigkeit gerade der hier Angeklagten offen. Er weist nämlich ausdrücklich darauf hin, dass bei der Frage des bewussten Verstoßes gegen die prozessuale Wahrheitspflicht die unklare Rechtslage und der normative Kontext (Ausgestaltung der Sanktionswirkung des AGG und fehlende Missbrauchsklausel) zu berücksichtigen seien, [47] womit er argumentative Hürden für die Annahme eines bewussten Verstoßes zum Tatzeitpunkt aufstellt.
Die Entscheidung klärt zunächst eine grundsätzliche Frage: Das sog. AGG-Hopping kann als Betrug strafbar sein. Ob aber im Einzelfall die dafür erforderliche Täuschungshandlung vorliegt, ist – wie so häufig im juristischen Kontext – eine Frage des Einzelfalls. Wie sehr die konkreten Umstände der einzelnen Handlung über die Einordnung als (ausdrückliche oder konkludente) Täuschung entscheiden, wird im Rahmen dieses Urteils deutlich. Gleichwohl lassen sich aus ihm allgemeine Kriterien für die Strafbarkeit des AGG-Hoppings ableiten (dazu s. Tabelle S. 286).
Für die strafrechtlich relevante Täuschungshandlung sind im Grundsatz verschiedene Anknüpfungshandlungen denkbar: die (nicht-ernsthafte) Bewerbung, das (außergerichtliche) Anspruchsschreiben sowie die gerichtliche Geltendmachung des Anspruchs. Dabei sollte klar sein, dass allein die Bewerbung als solche, auch wenn sie nicht ernsthaft ist, sondern nur zur Erlangung von Entschädigungsansprüchen erfolgt, keinen hinreichenden Anknüpfungspunkt für eine Strafbarkeit bietet. Dies erklärt sich schon daraus, dass weitere entscheidende Zwischenschritte erforderlich sind, damit ein täuschungsbedingter Irrtum über
die Ernsthaftigkeit zu einer Vermögensverfügung führen (kann). Dazu bedarf es zumindest der Geltendmachung des AGG-Anspruchs.
Erster möglicher Ansatzpunkt ist das auf § 15 Abs. 2 AGG gestützte (außergerichtliche) Schreiben. Diesbezüglich geht der BGH grundsätzlich davon aus, dass sowohl eine ausdrückliche als auch eine konkludente Täuschung in Betracht kommt. [48] Eine ausdrückliche Täuschung liegt vor, wenn der Absender die Ernsthaftigkeit seiner Bewerbung ausdrücklich erklärt. Im vorliegenden Fall wurde sich in den Schreiben hierzu nie ausdrücklich geäußert. Eine solche Erklärung wird auch in (anderen) Fällen des AGG-Hoppings in der Regel nicht (oder nur von sehr ungeschickt agierenden " Hoppern ") zu erwarten sein.
Allerdings könnte in dem Anspruchsschreiben eine konkludente Täuschung liegen. Davon ging jedenfalls das erstinstanzliche Gericht aus, das in der Geltendmachung der Entschädigung zugleich die Behauptung des Vorliegens der anspruchsbegründenden Tatsachen [49] und darin eine Erklärung über die subjektive Ernsthaftigkeit der Bewerbung sah. [50] Der BGH äußerte deutliche Zweifel an einem solchen Erklärungsgehalt. Zwar räumt er ein, dass sich ein solcher nach der Verkehrsanschauung bestimmender Erklärungswert aus den konkreten Umständen ergeben könne. Hierfür böten die Urteilsgründe im konkreten Fall jedoch keine hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte. [51] Allein aus den normativen Umständen könne dies nicht begründet werden, da es an einer gefestigten Rechtsprechung zur Frage des Rechtmissbrauchs zur Tatzeit fehle. [52] Auch der Wahrheitsgrundsatz des § 138 Abs. 1 ZPO könne zu keiner anderen Beurteilung führen, da dieser gerade nicht für die außergerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen gelte. [53] Insofern hat der BGH in begrüßenswerter Weise den Maßstab für die Auslegung möglicher Täuschungserklärungen konkretisiert, indem er die unterschiedlichen Maßstäbe des allgemeinen Rechtsverkehrs und der gerichtlichen Geltendmachung herausgearbeitet und dezidiert festgestellt hat, dass § 138 ZPO (hinsichtlich des vorgerichtlichen (Schrift-)Verkehrs) nicht vorwirkt .
Im Kern führt die Entscheidung also dazu, dass die zentrale Handlung für die (mögliche) Strafbarkeit die gerichtliche Geltendmachung des Anspruchs ist. Insoweit kommt ein (versuchter) Dreiecksbetrug in Form des Prozessbetrugs in Betracht. [54] Auch hier ist zu beachten, dass eine Täuschung über den wahren Zweck der Bewerbung sowohl ausdrücklich als auch konkludent erfolgen kann. Eine ausdrückliche Täuschung liegt bereits dann vor, wenn z.B. im Prozess vorgetragen wird, die dem Anspruch zugrunde liegende Bewerbung sei ernsthaft gewesen. Eine solche ausdrückliche Erklärung wird (wie beim Anspruchsschreiben) allerdings eher selten zu erwarten sein. Eine ausdrückliche Täuschung liegt aber auch dann vor, wenn die Gegenseite im Prozess den Einwand des Rechtsmissbrauchs erhebt und insoweit (darlegungs- und beweisbelastet) eine Scheinbewerbung behauptet und dieses Vorbringen ausdrücklich bestritten wird. In dem Bestreiten liegt auch eine ausdrückliche Täuschung. Beruft sich die Partei dagegen nur auf die Beweislastregeln, fehlt es wiederum an der Ausdrücklichkeit.
Häufig wird letztlich die Frage nach einer konkludenten Täuschung im Entschädigungsprozess entscheidend sein. [55] Erst dann wird § 138 ZPO relevant. Denn der für den Erklärungsgehalt maßgebliche Empfängerhorizont wird im (arbeits-)gerichtlichen Verkehr durch die Zivilprozessordnung und damit zentral durch das Wahrheits- und Vollständigkeitsgebot des § 138 ZPO bestimmt. Aus dem Vollständigkeitsgebot als Teil der Wahrheitspflicht wird abgeleitet, dass rechtsvernichtende Einwendungen – wie der Rechtsmissbrauchseinwand – offenzulegen sind. [56] Damit scheint der Erklärungsgehalt auf den ersten Blick klar. Wenn sich die Wahrheitspflicht des § 138 ZPO gerade auch auf rechtsvernichtende Einwendungen bezieht, erwartet die Verkehrsauffassung eine Erklärung hierzu. [57] Wird der Anspruch ohne Hinweis auf diese Einwendung geltend gemacht, so wird damit konkludent deren Nichtbestehen erklärt, da die Regelung normativ schutzwürdiges Vertrauen begründet [58] . Es ist daher regelmäßig davon auszugehen, dass (allein) die Geltendmachung des Anspruchs im gerichtlichen Verfahren die Annahme einer betrugsrelevanten Täuschung begründet.
Ganz so eindeutig ist die Lage (jedenfalls für den vorliegenden Fall) jedoch nicht, denn im Rahmen des § 138 ZPO ist anerkannt, dass die Pflicht dann nicht besteht, wenn der Kläger sie nicht anerkennt, nicht von ihr überzeugt ist oder sie nur für möglich hält. [59] So betont auch der BGH, dass § 138 ZPO nur den bewusst falschen und unvollständigen Vortrag verbietet. [60] Auch aus diesem Grund bleibt es in dieser Entscheidung letztlich offen, ob eine konkludente Täuschung zum Tatzeitpunkt begründet werden kann. Genau hier wird also die entscheidende Frage in der Neuverhandlung liegen, wobei zu berücksichtigen ist, dass die Rechtslage zum Tatzeitpunkt noch unklar war. Spätestens mit der Klärung der Rechtsprechung zum Missbrauchseinwand durch die hierzu ergangenen
Entscheidung des EuGH [61] sowie der nachfolgenden arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung [62] liegen für spätere Fälle andere Beurteilungsumstände vor. Seitdem und (spätestens auch) mit der medialen und juristischen Resonanz auf die vorliegende Entscheidung dürfte das Vorbringen einer nicht bewusst falschen Darstellung zukünftig wenig überzeugend und zumeist als Schutzbehauptung einzuordnen sein.
Eine Klärung des der BGH-Entscheidung zugrundeliegenden Falles war mangels der Darstellung entscheidender Anknüpfungstatsachen wie dem Inhalt der Anspruchsschreiben und dem gerichtlichen Vortrag letztlich nicht möglich. Die Strafbarkeit der Brüder bleibt demnach zunächst offen und wird von einem neuen Tatgericht nach den dargestellten Grundsätzen zu entscheiden sein.
Tabelle: Betrugsrelevante Täuschung durch AGG-Hopper:
Ausdrückliche Täuschung | Konkludente Täuschung | |
---|---|---|
Bewerbung |
(-)
|
(-)
|
Außergerichtliches Anspruchsschreiben |
(+)
|
(+/-)
|
Gerichtliche Anspruchsgeltendmachung |
(+)
|
(+/-)
|
Neben der grundsätzlichen Klärung der Strafbarkeit des AGG-Hoppings enthält die Entscheidung wichtige Konturierungen des Täuschungsbegriffs. Zusätzlich zu der dargestellten begrüßenswerten Fortentwicklung des Beurteilungsmaßstabs für außergerichtliche und gerichtliche Erklärungen zeigt sie hier erneut die zunehmende Relevanz normativer Wertungen in der Betrugsdogmatik. Zwar liegt der Entscheidung eine normative Bestimmung des konkludenten Erklärungsinhalts zugrunde, doch analysiert der BGH diese kritisch und gleitet so nicht "in normative Unterstellungen" ab. [63] Insbesondere erkennt er an, dass eine ungeklärte Rechtslage zum Tatzeitpunkt kein ausschlaggebendes Indiz für die Annahme konkludenter Erklärungen sein kann, [64] und geht damit bei der Anwendung des normativen Maßstabs vergleichbar vorsichtig vor. Ein solch kritisches Vorgehen ist zu begrüßen.
Für die Praxis enthält die Entscheidung einige wichtige Aussagen. Auf Verteidigerseite sollten insbesondere die Ausführungen in Rn. 52 ff. aufmerksam studiert werden, da sie Hinweise enthalten, was im AGG-Prozess auf keinen Fall vorgetragen werden sollte, um sich nicht strafbar zu machen. Auf Arbeitgeberseite ist es in jedem Fall sinnvoll, den Einwand des Rechtsmissbrauchs im AGG-Prozess, insbesondere auch bei geführten Vergleichsverhandlungen, bei entsprechenden Anhaltspunkten ausdrücklich zu erheben.
In der neuen Hauptverhandlung könnte neben der Frage der Täuschung auch eine europarechtliche Frage stärker in den Vordergrund rücken. So hatte der mitangeklagte Rechtsanwalt vorgetragen, er sei davon ausgegangen, dass einer Strafbarkeit seines Handelns Unionsrecht entgegenstehe. [65] Insofern könnte sich durchaus die Frage stellen, wie der (mögliche) Vortrag des Angeklagten, sein Anwalt habe ihn darauf hingewiesen, dass eine Strafbarkeit mit Europarecht nicht vereinbar sei, rechtlich zu bewerten ist. Da der BGH nicht einmal eine Täuschung als hinreichend begründet ansieht, äußert er sich in der vorliegenden Entscheidung zu dieser Frage nicht.
Zunächst ist festzuhalten, dass die (europarechtliche) Rechtslage zum Tatzeitpunkt tatsächlich insofern ungeklärt war, als dass der EuGH erst im Jahr 2016 auf Vorlage des BAG [66] bestätigt hat, dass eine nicht ernsthafte Bewerbung nicht unter den Begriff "Zugang zur Beschäftigung oder zu abhängiger Erwerbstätigkeit" im Sinne der Art. 3 I a Gleichbehandlungs-Rahmen-Richtlinie und Art. 14 I a Arbeitnehmer-Gleichbehandlungs-Richtlinie falle und als Rechtsmissbrauch bewertet werden könne, wobei er die Voraussetzungen eines Rechtmissbrauchs konkretisierte und insoweit strengere Anforderungen aufgestellt hat. [67] Insofern bestand zum Tatzeitpunkt eine unionsrechtlich ungeklärte Situation.
Fraglich ist, ob und wie sich dies auf die Beurteilung der Strafbarkeit auswirken kann. Ging der Angeklagte deshalb davon aus, dass sein Handeln keine Täuschung darstellt (trotz fehlenden Vortrags zur nicht gegebenen
Ernsthaftigkeit, eben weil es dazu aufgrund seiner – erst nachträglich als fehlerhaft eingestuften – Annahme keines Vortrages bedarf), kommt sogar ein vorsatzausschließender Tatbestandsirrtum nach § 16 StGB in Betracht. Ist er hingegen davon ausgegangen, dass er zwar täuscht, diese Täuschung aber europarechtlich gerechtfertigt ist, kommt ein Verbotsirrtum nach § 17 StGB in Form eines Erlaubnisirrtums [68] in Betracht. Entscheidend wäre dann die Vermeidbarkeit des Irrtums. Angesichts der hohen Hürden, die die Rechtsprechung an deren Annahme stellt, [69] ist sie auch hier wohl eher zu verneinen. So hätte bereits die erforderliche Gewissensanspannung zur Unrechtseinsicht führen können. Insofern hätte sich der Betroffene auch nicht (allein) auf die (hier unterstellte) diesbezügliche Rechtsauskunft seines Anwalts und Bruders verlassen dürfen. Auch an eine solche Rechtsauskunft sind bestimmte Anforderungen zu stellen. [70] So darf der Auskunftsgebende kein (bedenkliches) Eigeninteresse verfolgen, was vorliegend zweifelhaft ist. Geht man mit dem Tatgericht davon aus, dass die beiden Brüder den Plan zur Verfolgung unberechtigter AGG-Ansprüche gemeinsam entwickelt haben, wäre seine Objektivität zweifelhaft und eine pflichtgemäße Auskunftserteilung nicht zu erwarten. Es spricht daher einiges dafür, dass hier lediglich ein (vermeidbarer) Verbotsirrtum in Betracht käme und damit zumindest die Milderungsmöglichkeit des § 17 S. 2 StGB verbliebe. Andererseits führten über Jahre nicht abschließend geklärte Zweifel an der Vereinbarkeit des deutschen Glücksspielstrafrechts zur zunehmenden Bejahung eines unvermeidbaren Verbotsirrtums [71] bis hin zu der schließlich nicht ohne Grund konstatierten weitgehenden Neutralisierung dieses Strafrechtsfeldes. [72]
In dieser prüfungs- und praxisrelevanten Entscheidung klärt der BGH, ob und ggf. wann sich der AGG-Hopper wegen Betruges strafbar macht. Neben zwei prozessual interessanten Aspekten ist die zentrale Frage, wann in der außergerichtlichen und gerichtlichen Geltendmachung eines Entschädigungsanspruchs nach § 15 Abs. 2 AGG bei fehlender Ernsthaftigkeit der Bewerbung eine (ausdrückliche oder konkludente) betrugsrelevante Täuschung zu sehen ist. Vor diesem Hintergrund entwickelt der BGH den Beurteilungsmaßstab für außergerichtliche und gerichtliche Erklärungen in überzeugender Weise weiter und erteilt auch der allgemeinen Erwartung an die Redlichkeit des Handelns im außergerichtlichen Verkehr eine Absage. Wenngleich sich auch in dieser Entscheidung die zunehmende Relevanz normativer Wertungen zeigt, geht der BGH bei der Ermittlung der normativen Umstände bemerkenswert behutsam vor und wendet sich damit gegen (unzulässige) Schlussfolgerungen aus einer ungeklärten Rechtslage, was zu begrüßen ist. Die (europarechtliche) Frage, ob und wie sich ein Irrtum über die europarechtliche Rechtmäßigkeit eines Handels auf die Strafbarkeit nach nationalem Recht auswirken kann, bleibt hier – da nicht entscheidungserheblich – offen, könnte aber in der Neuverhandlung relevant werden.
[*] Anneke Petzsche ist Habilitandin und Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Europäisches Strafrecht und Neuere Rechtsgeschichte von Prof. Dr. Martin Heger. Ihm danke ich für die Diskussion der Inhalte dieses Beitrags.
[1] Daneben kommen auch eine (versuchte) Nötigung und Erpressung in Betracht aufgrund der "Drohung" mit einer arbeitsrechtlichen Klage, dazu Brand/Rahimi-Azar NJW 2015, 2993, 2996 f.; Metz NZA 2019, 876, 881.
[2] Rn. 17.
[3] Rn. 44, 46.
[4] Das Verfahren wurde während des Prozesses aufgrund einer Corona-Infektion abgetrennt. Beide Brüder wurden durch das LG München I als Mittäter wegen Betruges in drei Fällen und wegen versuchten Betruges in neun Fällen verurteilt. Die Verurteilungen wurden durch den BGH wieder aufgehoben.
[5] Dazu Fezer, Die erweiterte Revision – Legitimierung der Rechtswirklichkeit? (1974); Schmitt, Die richterliche Beweiswürdigung im Strafprozeß (1992), S. 173 ff.; Schaper NJW Festheft für Tepperwien (2010), S. 61, 62 f.
[6] Rn. 44.
[7] Rn. 44, 46
[8] Rn. 38.
[9] Rn. 37.
[10] Dazu siehe unter IV.1.c).
[11] Rn. 46.
[12] Rn. 47.
[13] Rn. 46 f.
[14] Schmitt, Die richterliche Beweiswürdigung (Fn . 5), S. 173 ff.; Tolksdorf, in: Festschrift für Meyer-Goßner (2001), S. 523 ff.
[15] So bereits Tolksdorf, in: FS Meyer-Goßner ( Fn . 14), S. 523.
[16] Schmitt, Die richterliche Beweiswürdigung ( Fn . 5), S. 189 f.
[17] Vertiefend dazu MüKoStPO -Gaede (2018), Art. 6 EMRK Rn. 361 ff.
[18] BGH NStZ-RR 2016, 7. Die Verfahrenslänge ist bei dem ursprünglich Mitangeklagten Bruder in der Strafzumessung strafmildern berücksichtigt worden, LG München I, Urteil vom 6. Juli 2020 – 12 KLs 231 Js 129557/20, Rn. 668.
[19] Zu der Differenzierung siehe nur NomosKommentar -Streng, 5. Auflage (2017), § 46 StGB Rn. 90 f.
[20] Schönke/Schröder-Kinzig, 30. Auflage (2019), § 46 StGB Rn. 57c. Vertiefend Pest, Das Verzögerungsverbot im Strafverfahren (2017), S. 73 ff.
[21] EGMR 10.12.2002 – 49771/99, Rn. 45 ff. – Jordan/UK II; EGMR 25.11.1992 – 12728/87, Rn. 24; dazu auch MüKoStPO -Gaede (2018), Art. 6 EMRK Rn. 385.
[22] Das neue Tatgericht hätte dann im Falle einer erneuten Verurteilung die konkrete Überlänge festzustellen und eine messbare Kompensation festzusetzen, s. BVerfG NStZ 97, 591; BGH NJW 99, 1199; MüKoStPO -Gaede (2018), Art. 6 EMRK Rn. 402.
[23] So auch in Ausnahmefällen von der Rechtsprechung anerkannt BGHSt 35, 137; 46 169 ff. m. Anm. Kempf StV 2001, 134; vgl. auch BVerfG NJW 1984, 967; 1995, 1278; Schönke/Schröder-Kinzig, 30. Auflage (2019), § 46 StGB Rn. 57e; vertiefend zu den Rechtsfolgen I. Roxin, Die Rechtsfolgen schwerwiegender Rechtsstaatsverstöße in der Strafrechtspflege, 4. Aufl. (2004), S. 91 ff.; Pest, Das Verzögerungsverbot ( Fn . 20), S. 173 ff.
[24] Siehe oben unter III.1.
[25] Vertiefend dazu Metz NZA 2019, 876 ff.
[26] Rn. 5.
[27] Vgl. BGH NJW 2001, 2187; NKWSS-Heger/Petzsche, 2. Aufl. (2022), § 263 StGB Rn. 21.
[28] Matt/ Renzikowski -Saliger, 2. Aufl. (2020), § 263 StGB Rn. 29; NKWSS-Heger Petzsche , 2. Aufl. (2022), § 263 StGB Rn. 33, 37.
[29] AnwKommStGB -Gaede, 3. Aufl. (2020), § 263 Rn. 27.
[30] BGHSt 54, 69 (121) = NJW 2009, 3448; Brandt/Rahimi-Azar NJW 2015, 2993; Lackner/Kühl/Heger, 2022, § 263 Rn. 4.
[31] Anerkannt durch BAG, Urteil vom 26. Januar 2017 – 8 AZR 848/13, EzTöD 100 § 2 TVöD-AT Auswahlverfahren Nr 71. Vertiefend zu dem Rechtsmissbrauchsmaßstab Helm AuR 2020, 64 ff.
[32] NKWSS-Heger/ Petzsche , 2. Aufl. (2022), § 263 StGB Rn. 53; Matt/ Renzikowski -Saliger, 2. Aufl. (2020), § 263 StGB Rn. 11; Lackner/Kühl/Heger, 30. Aufl. (2022), § 263 Rn. 3.
[33] NKWSS-Heger/ Petzsche , 2. Aufl. (2022), § 263 StGB Rn. 55; Matt/ Renzikowski -Saliger, 2. Aufl. (2020), § 263 StGB Rn. 11
[34] NKWSS-Heger/ Petzsche , 2. Aufl. (2022), § 263 StGB Rn. 60.
[35] AnwKommStGB -Gaede, 3. Aufl. (2020), § 263 Rn. 19.
[36] Rn. 21.
[37] Dass das Tatgericht so dezidiert davon ausgeht, dass dem Angeklagten die Rechtsmissbräuchlichkeit seines Verhaltens bewusst sein musste, mag auch durch einen hindsight -bias (Rückschaufehler; dazu Arntz JR 2017, 253 ff.) erklärbar sein. Es könnte die Voraussehbarkeit der EuGH-Entscheidung, in dem er den Rechtsmissbrauchseinwand letztlich billigte, im Tatzeitpunkt möglichweise als höher eingeschätzt habe, weil die Entscheidung letztlich so eingetreten ist. Der Rückschaufehler ist ein bei richterlichen Entscheidungen robustes Phänomen, Arntz JR 2017, 253, 256.
[38] Rn. 24 ff.
[39] Rn. 30.
[40] Rn. 32 f.
[41] Rn. 33.
[42] Rn. 34.
[43] BGH NStZ 2017, 536, 537 m.Anm . Krell NStZ 2017, 537 f.; Becker HRRS 2017, 404 ff.
[44] Rn. 35.
[45] Rn. 54.
[46] Rn. 55.
[47] Rn. 56.
[48] Vgl. Rn. 19.
[49] Vgl. BGHSt 57, 95.
[50] LG München I, Urteil vom 6.7.2020, 12 KLs 231 Js 129557/20, Rn. 613.
[51] Rn. 35.
[52] Rn. 24 ff.
[53] Rn. 30.
[54] Nicht vergessen werden sollten dabei in (naheliegenden) Versuchskonstellationen die Besonderheiten des Prozessbetrugs. Nach der Rechtsprechung des BGH kommt ein unmittelbares Ansetzen hier erst dann in Betracht, wenn im gerichtlichen Verfahren ausdrücklich auf den schriftsätzlich gestellten Antrag Bezug genommen wird, BGH, Urteil vom 09.05.2017 – 1 StR 265/16 Rn. 98. Darauf weist auch von Heintschel-Heinegg JA 2022, 1047, 1049 ausdrücklich hin.
[55] Eine Täuschung durch Unterlassen wird mangels Garantenpflicht regelmäßig abzulehnen sein, dazu Metz NZA 2019, 876, 878.
[56] MüKoZPO -Fritsche, 6. Aufl. (2020), § 138 Rn. 6; NomosKommentarZPO -Wöstmann, 9.Aufl. (2021), § 139 Rn. 2.
[57] So auch Metz NZA 2019, 876, 880.
[58] So auch Becker HRRS 2017, 404, 406.
[59] MüKoZPO -Fritsche, 6. Aufl. (2020), § 138 Rn. 6; NomosKommentarZPO -Wöstmann, 9.Aufl. (2021), § 139 Rn. 2.
[60] Rn. 55 unter Verweis auf BGH, Urteil vom 31. Oktober 2019 – 1 StR 219/17 Rn. 58 m.w.N .
[61] EuGH, Urteil vom 28. Juli 2016 – C-423/15, EuZW 2016, 699 m. Anm. Kappler AuR 2017, 33 ff.
[62] BAG, Urteil vom 26. Januar 2017 – 8 AZR 848/13, EzTöD 100 § 2 TVöD-AT Auswahlverfahren Nr 71.
[63] AnwKommStGB -Gaede, 3. Aufl. (2020), § 263 Rn. 27.
[64] So auch AnwKommStGB -Gaede, 3. Aufl. (2020), § 263 Rn. 29.
[65] LG München I, Urteil vom 6. Juli 2020 – 12 KLs 231 Js 129557/20, Rn. 136.
[66] BAG, EuGH-Vorlage vom 18. Juni 2015 – 8 AZR 848/13[A], NZA 2015, 1063 ff .
[67] EuGH, Urteil vom 28.07.2016 – C-423/15, EuZW 2016, 699; vgl. auch BAG, Urteil vom 26. Januar 2017 – 8 AZR 848/13 Rn. 123 ff. und 134.
[68] Dazu BeckOK StGB- Heuchemer (2022), § 17 Rn. 31; Matt/Renzikowski -Gaede, 2. Aufl. (2020), § 17 StGB Rn. 15.
[69] Matt/ Renzikowski -Gaede, 2. Aufl. (2020), § 17 StGB Rn. 21.
[70] Vertiefend Matt/ Renzikowski -Gaede, 2. Aufl. (2020), § 17 StGB Rn. 28. Kritisch gegenüber den hohen Prüfungsobliegenheiten Gaede HRRS 2013, 449, 455 ff.
[71] Vgl. KG, Urteil vom 2.2.2012 – (4) 1 Ss 552/11 (327/11); Heger ZIS 2021, 396, 401.
[72] Vgl. nur Saliger/ Tsambikakis , Neutralisiertes Strafrecht, 2017.