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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Juni 2022
23. Jahrgang
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1. Zum Umfang der Kontrollpflichten bei vertikaler Aufgabendelegation auf einer Großbaustelle und zur Reichweite des Vertrauensgrundsatzes bei horizontal arbeitsteiligem Handeln zwischen mehreren Abteilungen einer bauausführenden Arbeitsgemeinschaft. (BGHSt)
2. Nach anerkannten Rechtsgrundsätzen hat jeder, der Gefahrenquellen – wie eine Baustelle – schafft oder unterhält, die nach den Umständen des Einzelfalls aus Sicht eines umsichtig Handelnden notwendigen Vorkehrungen zum Schutze anderer zu treffen. Dabei kann der Umfang von sich aus einer Garantenstellung ergebenden Pflichten durch deren Übertragung – insbesondere bei einem arbeitsteiligen Handeln – maßgebliche Änderungen erfahren. Kommt es zu einer Aufgabenverteilung bzw. -delegation bedeutet dies grundsätzlich nicht, dass hierdurch der ursprünglich Verantwortliche gänzlich von seinen Pflichten frei würde. (Bearbeiter)
3. Bei der Bestimmung der die Beteiligten treffenden Pflichten ist bei einem arbeitsteiligen Handeln zwischen einer horizontalen Verteilung von Aufgaben durch Bildung verschiedener Zuständigkeitsbereiche sowie in vertikaler Richtung durch Bildung von Hierarchien im Wege einer fachlichen Über- und Unterordnung zu unterscheiden. Beiden Arten der Arbeitsteilung ist gemein, dass eine Verpflichtung zu einer näheren Überwachung und ggf. einem Einschreiten jedenfalls dann besteht, sobald sich Zweifel an der Zuverlässigkeit eines Beteiligten auftun. (Bearbeiter)
4. Bei horizontaler Arbeitsteilung darf grundsätzlich auf die Zuverlässigkeit der anderen Beteiligten vertraut werden. Überwachungspflichten der Beteiligten untereinander bestehen nicht, da sie dem Sinn der Arbeitsteilung in einem gleichberechtigten Zusammenwirken entgegenlaufen. Dieses Vertrauen in die Zuverlässigkeit eines Dritten setzt jedoch eigenes sorgfaltsgerechtes Verhalten voraus, welches jedenfalls dann nicht vorliegt, wenn einem Mitwirkenden für das arbeitsteilige Handeln maßgebliche Informationen vorenthalten werden. (Bearbeiter)
5. Bei arbeitsteiligem Handeln auf horizontaler Ebene – jedenfalls bei komplexen oder besonders gefahrgeneigten Vorhaben – besteht zudem eine Verpflichtung zu wechselseitiger Koordination und Information; dies gilt insbesondere dann, wenn gerade aus dem arbeitsteiligen Handeln selbst Gefahren erwachsen können. Kommt es nicht von vorneherein zu einer wechselseitigen Information bzw. Koordination, so sind alle Beteiligten verpflichtet, sich von der Güte von Vorleistungen eines Mitwirkenden, die für die gefahrlose Umsetzung der eigenen Arbeitsleistung von Bedeutung sind – jedenfalls bei Vorliegen erkennbarer Unzulänglichkeiten – im Rahmen des Zumutbaren zu vergewissern. (Bearbeiter)
6. Der bei einer horizontalen Arbeitsteilung geltende Vertrauensgrundsatz wird umso weiter zurückgedrängt – und damit eine eigene Kontrollpflicht der übrigen Beteiligten umso mehr begründet – je mehr die Pflichten zur gebotenen wechselseitigen Information und Koordination verletzt werden. Deren Erfüllung ist Grundlage, um in die Zuverlässigkeit eines Mitwirkenden überhaupt vertrauen zu können. Der Vertrauensgrundsatz bei horizontalem arbeitsteiligem Handeln schützt nicht die „blinde“ Hoffnung der Beteiligten darin, dass die übrigen Mitwirkenden ordnungsgemäß handeln werden, sondern nur ein berechtigtes Vertrauen, das allein auf einer belastbaren Grundlage Ausgangspunkt des eigenen Handelns sein kann. Grundsätzlich genügt hierfür die Information des einen Mitwirkenden durch den weiteren Beteiligten. Auf dessen Mitteilung darf grundsätzlich – bei Fehlen von Zweifeln – vertraut werden und diese zum Fundament des eigenen Handelns gemacht werden. (Bearbeiter)
7. Bei einer vertikalen Arbeitsteilung bestehen neben der Pflicht zu einer sorgfältigen Auswahl und Instruktion zur Erfüllung der übertragenen Aufgabe allgemeine – jedenfalls stichprobenartige – Überwachungspflichten, die dabei umso strenger sind, desto höher die drohende Gefahr ist. Auch wird der Umfang solcher Kontrollpflichten bei einer vertikalen Arbeitsteilung im Einzelfall davon abhängen, inwieweit dem Delegaten bei der Ausführung seiner Tätigkeit Eigenverantwortlichkeit zukommt. Ungeachtet der Frage, ob insbesondere ein Arbeitnehmer bzw. ein Arbeiter eines Unternehmens selbst einstandspflichtig sein kann, verbleiben umso mehr Pflichten – und damit einhergehend Verantwortung für das gefährdete Rechtsgut – bei dem Delegierenden, desto weniger demjenigen, dem eine Aufgabe übertragen worden ist, Handlungsspielraum zukommt. (Bearbeiter)
Bei einem Erfolgsdelikt muss der Täter im Zeitpunkt der zum Taterfolg führenden Handlung einen Vorsatz haben, der auf alle tatsächlichen Umstände bezogen ist, die die Merkmale des gesetzlichen Tatbestands erfüllen (§ 16 Abs. 1 StGB). Ein der erfolgsursächlichen Handlung nachfolgender Vorsatz (sog. dolus subsequens) ist bedeutungslos. Dies führt im Rahmen der Abgrenzung von Tun und Unterlassen dazu, solche Verhaltensweisen außer Betracht zu lassen, die nicht vom Vorsatz des Angeklagten getragen waren.
Die Auffassung, dass der Günstigkeitsvergleich des § 2 Abs. 3 StGB nur Bedeutung für die Strafzumessung hat,
während der Schuldspruch sich nach dem Tatzeitrecht (§ 2 Abs. 1 StGB) richtet, trifft nicht zu. Vielmehr ist das mildere Gesetz stets in seiner Gesamtheit anzuwenden.
Erforderlich für ein Sich-bereit-Erklären ist, dass der Angeklagte sein Erbieten ernst gemeint hat. Die bloße Kundgabe, ein Verbrechen begehen zu wollen, erfüllt den Tatbestand des § 30 Abs. 2 Variante 1 StGB nicht.
1. Der Tatbestand des § 177 Abs. 1 StGB erfordert, dass der entgegenstehende Wille zum Tatzeitpunkt erkennbar sein muss, dass dies aus Sicht eines objektiven Dritten zu bestimmen ist, und dass eine erklärte ausdrückliche Ablehnung durch nachfolgende entgegenstehende Handlungen oder Äußerungen des Opfers entkräftet werden kann. Auch muss sich der Vorsatz des Täters auf den entgegenstehenden Willen erstrecken.
2. Der subjektive Tatbestand des § 177 Abs. 1 StGB ist erfüllt, „wenn es der Täter zumindest billigend in Kauf nimmt, dass die sexuelle Handlung gegen den objektiv erkennbaren entgegenstehenden Willen des Opfers geschieht“. Ein nur für möglich gehaltenes Einverständnis schließt einen bedingten Vorsatz im Hinblick auf § 177 Abs. 1 StGB nicht aus.
3. Eine zentrale Regel der Beweiswürdigung ist das Gebot, alle wesentlichen, für und gegen den Angeklagten sprechenden Tatsachen und Beweisergebnisse, die Gegenstand der Hauptverhandlung waren, erschöpfend in einer Gesamtschau zu würdigen.
1. Die Straftatbestände der Bandenhehlerei (§ 260 Abs. 1 Nr. 2 StGB) und der gewerbsmäßigen Bandenhehlerei (§ 260a Abs. 1 StGB) erfassen Taten im Rahmen einer Verbindung mehrerer Täter zu einer reinen Hehlerbande, Fälle, in denen ein Hehler als Mitglied einer Diebes- oder Räuberbande handelt, sowie Hehlereitaten in sogenannten gemischten Banden, die aus Dieben bzw. Räubern und Hehlern bestehen. Gruppierungen aus Hehlern und Betrügern sind nicht erfasst.
2. Bei der Anordnung der Einziehung eines dem Wert des Erlangten entsprechenden Geldbetrages nach § 73 Abs. 1, § 73c StGB kommt es für die Wertbestimmung bei Einziehungsgegenständen, die Wertschwankungen unterliegen, auf den Zeitpunkt des Eintritts der Voraussetzungen für die Wertersatzeinziehung ankommt. Denn die Abschöpfung muss spiegelbildlich dem Vermögensvorteil entsprechen, den der Täter aus der Tat zog. Wertsteigerungen oder -verluste, die der ursprüngliche Gegenstand erfährt, bevor der Täter ihn erlangt oder nachdem er ihn nicht mehr innehat, tangieren sein Vermögen nicht.
Auch der mehrfache selbständige Gebrauch einer unechten Urkunde bildet mit dem Herstellen der unechten Urkunde eine tatbestandliche Handlungseinheit und damit eine materiellrechtliche Tat, wenn der mehrfache Gebrauch dem schon bei der Fälschung bestehenden konkreten Gesamtvorsatz des Täters entspricht. Dieser Gesamtvorsatz ist naheliegend gegeben, wenn der Täter die für ein anderes Fahrzeug ausgegebenen amtlichen Kennzeichen an einem Fahrzeug anbringt, um dieses im öffentlichen Straßenverkehr zu nutzen.
Zwar kann festes Würgen am Hals geeignet sein, eine Lebensgefährdung herbeizuführen, doch reicht insoweit nicht jeder Griff aus, ebenso wenig bloße Atemnot. Von
maßgeblicher Bedeutung sind insoweit Dauer und Stärke der Einwirkung, die abstrakt geeignet sein muss, das Leben des Opfers zu gefährden.
Für das Verwenden bei der Tat im Sinne des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB reicht es aus, wenn die Waffe oder das gefährliche Werkzeug im Zeitraum zwischen Versuchsbeginn und Tatbeendigung eingesetzt wird. Ein durchgehender Einsatz ist ebenso wenig erforderlich wie das Verwenden bei der Wegnahmehandlung selbst.
Je näher sich die Schadenshöhe eines besonders schweren Falls des Computerbetrugs der Geringfügigkeitsgrenze des § 243 Abs. 2 StGB annähert, umso mehr spricht dafür, von der Indizwirkung des Regelbeispiels abzusehen.