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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Dezember 2019
20. Jahrgang
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Die beabsichtigte Entscheidung des 5. Strafsenats, wonach eine Hinweispflicht auf die Rechtsfolge der nach den §§ 73, 73c StGB obligatorischen Einziehung, die an bereits in der Anklageschrift enthaltene tatsächliche Umstände anknüpft, weder nach § 265 Abs. 1 StPO noch § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO vorgesehen ist, widerspricht der Rechtsprechung des 1. Strafsenats, der an dieser Rechtsprechung festhält.
1. Nach § 169 Abs. 3 S. 1 GVG kann das Gericht für die Verkündung von Entscheidungen in besonderen Fällen Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung oder der Veröffentlichung ihres Inhalts zulassen. Zur Wahrung schutzwürdiger Interessen der Beteiligten oder Dritter sowie eines ordnungsgemäßen Ablaufs des Verfahrens können die Aufnahmen oder deren Übertragung teilweise untersagt oder von der Einhaltung von Auflagen abhängig gemacht werden (§ 169 Abs. 3 Satz 2 GVG). Die Entscheidung steht danach im Ermessen des Gerichts. Abzuwägen sind dabei das Informationsinteresse der Öffentlichkeit an dem gerichtlichen Verfahren und die schutzwürdigen Interessen der Beteiligten.
2. Zugelassen sind Aufnahmen danach u.a. mit folgenden Maßgaben:
a) Zugelassen sind höchstens zwei TV- bzw. Filmkameras auf Stativen an festgelegten Plätzen im Sitzungssaal. Es sind geräuscharme Kameras zu verwenden.
b) Der Aufbau der Kameras ist spätestens 10 Minuten vor Beginn der Verkündung einer Entscheidung abzuschließen.
c) Während der Eröffnung der Urteilsgründe sind die Kameras an ihren Plätzen zu belassen. Soweit aus technischen Gründen eine fortwährende Bedienung der Kameras unabdingbar ist, darf je Kamera eine Person bei der Kamera verbleiben. Diese Person hat ein Hin- und Herlaufen zu unterlassen.
d) Während der Eröffnung der Urteilsgründe sind die Kameras ausschließlich auf die Richterbank zu richten. Kameraschwenks sind nur innerhalb des Bereichs der Richterbank zu lässig. Aufnahmen der Verfahrensbeteiligten und der Zuhörer sind nicht zugelassen.
Aus dem Recht des Angeklagten auf ein faires, rechtstaatliches Verfahren und seinem Anspruch auf rechtliches Gehör ergibt sich die Pflicht des Landgerichts, über den unmittelbar nach Ende der Revisionseinlegungsfrist gestellten Antrag auf Wechsel des Pflichtverteidigers so rechtzeitig zu entscheiden, dass der Angeklagte noch
innerhalb der Revisionsbegründungsfrist entweder seinen bisherigen Verteidiger hätte auffordern können, die von ihm selbst eingelegte Revision zu begründen, selber einen anderen Verteidiger hätte beauftragen oder die Revisionsbegründung zu Protokoll der Geschäftsstelle erklären können.
1. Eine stillschweigende Zustimmung i.S.d. § 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO kommt nur in Betracht, wenn aufgrund der vorangegangenen Verfahrensgestaltung davon ausgegangen werden darf, dass sich alle Verfahrensbeteiligten der Tragweite ihres Schweigens bewusst gewesen sind. Dabei muss auch ein solches stillschweigendes Einverständnis bereits im Zeitpunkt der Anordnung der Verlesung durch das Gericht vorliegen.
2. Eine Verlesung gem. § 251 Abs. 1 S. 2 StPO bedarf der Anordnung durch einen vom gesamten Spruchkörper erlassenen und begründeten Beschluss. Dessen Fehlen kann grundsätzlich allein zur Begründung einer Revision ausreichen.
3. Die Verletzung des § 251 Abs. 1 StPO kann ohne ein Vorgehen nach § 238 Abs. 2 StPO gerügt werden, weil es gemäß § 251 Abs. 4 Satz 1 StPO dem gesamten Spruchkörper und nicht dem Vorsitzenden allein obliegt, über die Verlesung zu beschließen. Damit ist der Anwendungsbereich des § 238 StPO nicht eröffnet.
4. Eine Ausdehnung der eine Durchbrechung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes gestattenden Ausnahmevorschrift des § 256 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StPO auf von privaten Instituten erstellte Gutachten kommt auch dann nicht in Betracht, wenn die konsultierten Institute vielfach von Ermittlungsbehörden beauftragt werden und als zuverlässig bekannt sind.
1. Die Elternzeit ist geeignet, den mitwirkenden Richter an der Unterschrift zu hindern. Dienstgeschäfte, zu denen auch die Unterzeichnung eines Strafurteils zählt, können dem Richter in der Elternzeit nicht abverlangt werden, denn ihre Inanspruchnahme hat eine Befreiung von der Dienst- bzw. Arbeitspflicht - ohne Fortzahlung der Bezüge - zur Folge. Die Elternzeit mit ihren intensiven Aufsichts- und Betreuungspflichten bei Kindern in den ersten Lebensjahren ist damit ein vorübergehender rechtlicher und tatsächlicher Hinderungsgrund und - ebenso wie genehmigter Erholungsurlaub - generell geeignet, den Richter von der Unterschriftsleistung abzuhalten, zumal die Unterschrift regelmäßig das Lesen, unter Umständen das Überarbeiten und gegebenenfalls eine Fassungsberatung voraussetzt.
2. Wurde eine Verhinderung fristgerecht beurkundet und auf einen diese grundsätzlich tragenden Grund gestützt, kann das Revisionsgericht diese Entscheidung lediglich daraufhin überprüfen, ob dabei der eingeräumte Spielraum in rechtsfehlerhafter Weise überschritten ist oder die Annahme der Verhinderung auf sachfremden Erwägungen beruht und sie sich deshalb als willkürlich erweist.
Die Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Sie ist etwa dann rechtsfehlerhaft, wenn sie lückenhaft ist, namentlich wesentliche Feststellungen nicht erörtert, widersprüchlich oder unklar ist, gegen Gesetze der Logik oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt sind. Dies ist auch dann der Fall, wenn eine nach den Feststellungen naheliegende Schlussfolgerung nicht gezogen ist, ohne dass konkrete Gründe angeführt sind, die dieses Ergebnis stützen können.
1. Die Verbindung oder Trennung von Verfahren gemäß § 4 StPO ist dem Ermessen des Tatgerichts überlassen. Dies gilt grundsätzlich auch in Verfahren, in denen einem Angeklagten verschiedene Straftaten zur Last gelegt werden, die er teils als Jugendlicher oder Heranwachsender, teils als Erwachsener begangen haben soll. Die auf Fälle gleichzeitiger Aburteilung beschränkte Vorschrift des § 32 JGG ändert daran nichts.
2. Die Verfahrenstrennung kann auf eine entsprechende Verfahrensrüge hin nur auf Ermessensmissbrauch geprüft werden, also darauf, ob von dem Ermessen in einer dem Gesetzeszweck nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde. Ein solcher Ermessensmissbrauch kommt beispielsweise im Fall gezielter Umgehung jugendgerichtlicher Zuständigkeit zur Vermeidung der Anwendung von Jugendrecht oder in Fällen in Betracht, in denen das Gericht bei seiner Entscheidung die Bedeutung und Tragweite von Grundrechten des Beschuldigten nicht oder nicht hinreichend berücksichtigt hat, wie etwa die Rechte auf ein rechtsstaatliches, faires
Verfahren und auf zügigen Abschluss des Strafverfahrens sowie das Übermaßverbot.
1. Nach § 257c Abs. 2 Satz 1 StPO dürfen nur Rechtsfolgen, die Inhalt des Urteils und der dazugehörigen Beschlüsse sein können, sonstige Maßnahmen im zugrundeliegenden Erkenntnisverfahren und das Prozessverhalten der Verfahrensbeteiligten Gegenstand der Verständigung sein. Ob sich hieraus ergibt, dass eine Rechtsmittelrücknahme in einem anderen Verfahren tauglicher Gegenstand einer Verständigung gemäß § 257c StPO sein kann, wird unterschiedlich beantwortet. Der Senat braucht diese Streitfrage nicht zu entscheiden.
2. Der Senat lässt auch offen, ob es der Wirksamkeit der Verständigung entgegensteht, dass die Strafkammer den Beteiligten eine „bedingte Verständigung“ vorgeschlagen hat, obwohl Prozesshandlungen grundsätzlich bedingungsfeindlich sind.
3. Handelt der Täter als Organ, Vertreter oder Beauftragter eines Unternehmens mit dem Ziel, dass infolge der Tat bei dem Unternehmen eine Vermögensmehrung eintritt, ist nicht der Täter, sondern das Unternehmen im Erfolgsfall Drittbegünstigter im Sinne des § 73b Abs. 1 Nr. 1 StGB. Eine Vermögensmehrung bei einem Drittbegünstigten schließt grundsätzlich eine gegen den Täter anzuordnende Einziehung aus. Für die Anordnung einer Einziehung gegen den Täter bedarf es in derartigen Fällen einer über die faktische Verfügungsgewalt hinausgehenden Feststellung, dass dieser selbst durch die Tat etwas erlangt hat, was zu einer Änderung seiner Vermögensbilanz geführt hat.
4. Liegen die Voraussetzungen des § 55 StGB vor, sind Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßnahmen gleicher Art grundsätzlich durch das spätere Urteil einheitlich anzuordnen, so dass über sie durch den Gesamtstrafenrichter neu zu entscheiden ist. Dabei ist er an die Rechtskraft der ursprünglichen Entscheidung gebunden. Sofern die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für die (weitere) Vollstreckung vorliegen, ist die frühere Einziehungsentscheidung in das neue Urteil einzubeziehen. Dies geschieht – trotz des auf die Aufrechterhaltung der früheren Entscheidung gerichteten Wortlauts des § 55 Abs. 2 StGB – durch das Zusammenzählen der Beträge aus der früheren und der aktuellen Einziehungsentscheidung.
Die auf der Grundlage von § 32a Abs. 2 S. 2 StPO zur Bestimmung eines geeigneten technischen Rahmens erlassene Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung, ERVV) und damit auch das in § 4 Abs. 2 ERVV normierte Verbot der sogenannten Containersignatur gelten in Ansehung ihrer Entstehungsgeschichte lediglich für die Neuregelung des § 32a StPO, nicht auch für § 41a StPO a. F.
1. Nach § 265 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. Abs. 1 StPO ist das Gericht zu einem Hinweis verpflichtet, wenn sich erst in der Verhandlung besonders vorgesehene Umstände ergeben, die die Möglichkeit einer Aberkennung der Wählbarkeit und Amtsfähigkeit ergeben.
2. Beim Delikt der Steuerhinterziehung kann die verkürzte Steuer „erlangtes Etwas“ im Sinne von § 73 Abs. 1 StGB sein, weil sich der Täter Aufwendungen für diese Steuern erspart (st. Rspr.). Dies gilt jedoch nicht schlechthin, weil die Einziehung an einen durch die Tat tatsächlich beim Täter eingetretenen Vermögensvorteil anknüpft und damit mehr als die bloße Tatbestandserfüllung voraussetzt. Offene Steuerschulden begründen nicht stets über die Rechtsfigur der ersparten Aufwendungen einen Vorteil im Sinne des § 73 Abs. 1 StGB. Maßgeblich bleibt immer, dass sich ein Vorteil im Vermögen des Täters widerspiegelt. Nur dann hat der Täter durch die ersparten Aufwendungen auch wirtschaftlich etwas erlangt.
1. Der Zweck der Verlesung des Anklagesatzes geht dahin, die Richter – insbesondere die Schöffen –, denen der Inhalt der Anklage noch nicht bekannt ist, sowie die Öffentlichkeit darüber zu unterrichten, auf welchen geschichtlichen Vorgang sich das Verfahren bezieht, und ihnen zu ermöglichen, während der ganzen Verhandlung ihr Augenmerk auf die Umstände zu richten, auf die es in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht ankommt. Auf die
Verlesung kann nicht verzichtet werden; sie hat grundsätzlich vor Eintritt in die Beweisaufnahme zu erfolgen.
2. Das Verlesungsgebot gilt uneingeschränkt auch nach Zurückverweisung der Sache durch ein Rechtsmittelgericht, wobei Einschränkungen durch eine eingetretene Teilrechtskraft oder vorgenommene Beschränkungen oder Erweiterungen des Verfahrensgegenstandes nach § 154a Abs. 2 und 3 StPO zu berücksichtigen sind.
3. Bei rechtsfehlerhafter Nichtverlesung des Anklagesatzes ist ein Beruhen regelmäßig dann auszuschließen, wenn die Prozessbeteiligten über den Gegenstand in anderer Weise unterrichtet wurden. Dies kann auch durch Verlesung des im ersten Durchgang ergangenen Urteils geschehen. Voraussetzung hierfür ist, dass das verlesene Urteil alles enthält, was der Anklagesatz dem Angeklagten zur Last legt.
Ein Angeklagter muss bei Abgabe einer Rechtsmittelrücknahmeerklärung bzw. der Ermächtigung hierzu in der Lage sein, seine Interessen vernünftig wahrzunehmen und bei hinreichender Freiheit der Willensentschließung und Willensbetätigung die Bedeutung seiner Erklärung zu erkennen. Dies wird allein durch eine Geschäfts- und Schuldunfähigkeit des Angeklagten nicht notwendig ausgeschlossen. Vielmehr ist von einer Unwirksamkeit der Rücknahmeerklärung erst auszugehen, wenn hinreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Rechtsmittelführer nicht in der Lage war, die Bedeutung der von ihm abgegebenen Erklärung zu erfassen. Verbleiben Zweifel an seiner prozessualen Handlungsfähigkeit, geht dies zu Lasten des Angeklagten.
1. Was die gerügte Verletzung von Hinweispflichten gemäß § 265 Abs. 2 Nr. 3 StPO in der seit dem 24. August 2017 geltenden Fassung anbelangt, kann dahinstehen, ob es – wie nach bisherigem Recht – genügt, dass ein Angeklagter durch den Gang der Hauptverhandlung über die Veränderung der Sachlage bereits zuverlässig unterrichtet war oder ob es nunmehr stets eines ausdrücklichen, zu protokollierenden Hinweises bedarf.
2. Wenn zwei Missbrauchshandlungen als tatmehrheitlich begangen angeklagt werden, das Gericht beide Vorwürfe für erwiesen hält, das gesamte Geschehen aber als eine Tat aburteilt, hat ein Teilfreispruch zu unterbleiben.
3. Die Nichtbeachtung des auslieferungsrechtlichen Spezialitätsgrundsatzes bewirkt ein Vollstreckungshindernis. Eine wegen dieses Hindernisses nicht vollstreckbare Strafe darf nicht in eine Gesamtstrafe einbezogen werden.
Übermittelt der Beschwerdeführer seine Ausführungen nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist, geht er das vorhersehbare Risiko ein, dass das Verfahren inzwischen an den Bundesgerichtshof abgegeben wurde und seine Darlegungen vom Generalbundesanwalt nicht mehr berücksichtigt werden können. Führt der Verurteilte die Sachrüge auf Grund eigener Entscheidung erst nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist näher aus, begründet dies keinen auf Art. 103 Abs. 1 GG zu stützenden Anspruch auf eine im Einzelnen begründete Auseinandersetzung mit seinem Vorbringen in dem gemäß § 349 Abs. 2 StPO ergehenden Verwerfungsbeschluss.
Bei Mischspuren ist in den Urteilsgründen zumindest mitzuteilen, wie viele Systeme untersucht wurden, ob und wieweit sich Übereinstimmungen in den untersuchten Systemen ergaben und mit welcher Wahrscheinlichkeit die festgestellte Merkmalskombination bei einer weiteren Person zu erwarten ist. Bei einer molekulargenetischen Einzelspur ist es ausreichend, aber auch erforderlich, dass das Urteil das Gutachtenergebnis in Form der biostatistischen Wahrscheinlichkeitsaussage in numerischer Form mitteilt.
1. Die Nichtbeachtung des auslieferungsrechtlichen Spezialitätsgrundsatzes bewirkt ein Vollstreckungshindernis. Eine wegen dieses Hindernisses nicht vollstreckbare Strafe darf nicht in eine Gesamtstrafe einbezogen werden.
2. § 83h Abs. 2 Nr. 3 IRG bestimmt zwar, dass das Verbot des § 83h Abs. 1 IRG nicht gilt, wenn die Strafverfolgung nicht zur Anwendung einer die persönliche Freiheit beschränkenden Maßnahme führt. Jedoch greift die Regelung des § 83h Abs. 2 Nr. 3 IRG bei der Einbeziehung einer für sich genommen zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe in eine nicht aussetzungsfähige Gesamtstrafe nicht ein.