HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Juni 2019
20. Jahrgang
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V. Wirtschaftsstrafrecht und Nebengebiete


Entscheidung

559. BGH 3 StR 192/18 – Urteil vom 7. März 2019 (LG Oldenburg)

Beschäftigung von Ausländern ohne Genehmigung (Grundtatbestand; Qualifikation; grober Eigennutz; redlicher Kaufmann als Maßstab; Verschleifungsverbot); ausländische Leiharbeitnehmer ohne Genehmigung (Arbeitnehmerüberlassung; Arbeitsverhältnis unabhängig vom Verleihvertrag; Abgrenzung von Arbeitsvermittlung).

§ 11 SchwarzArbG; § 15 AÜG; Art. 103 Abs. 2 GG

1. Aus grobem Eigennutz im Sinne von § 11 Abs. 2 SchwarzArbG handelt, wer sich bei seinem Verhalten vom Streben nach eigenem Vorteil in einem besonders anstößigen Maße leiten lässt. Das Gewinnstreben muss ein übliches kaufmännisches Maß deutlich übersteigen. Allein das Nichtabführen von Sozialversicherungsbeiträgen genügt hierfür nicht. Nicht erforderlich ist, dass die von den unerlaubt beschäftigten Arbeitnehmern erbrachten Leistungen dem Täter selbst zugutekommen; es genügt, dass er hiervon mittelbar wirtschaftlich profitiert. Wer ausschließlich zu fremdem Vorteil handelt, erfüllt das Tatbestandsmerkmal dagegen nicht.

2. Das qualifizierende Merkmal des groben Eigennutzes kann nicht allein mit der Begründung bejaht werden, dass ein das übliche kaufmännische Maß übersteigendes Gewinnstreben wesentlich „vom Leitbild des redlichen Kaufmanns geprägt“ sei, das bei einem deliktischen Handeln nicht zu erkennen ist. Ein solcher Ansatz würde in letzter Konsequenz bedeuten, dass aus der Verwirklichung des Grundtatbestands des § 11 Abs. 1 Nr. 1 SchwarzArbG auf den Qualifikationstatbestand des § 11 Abs. 2 SchwarzArbG zu schließen wäre. Ein derartiges Verständnis verstieße gegen das vom BVerfG aus Art. 103 Abs. 2 GG hergeleitete sogenannte Verschleifungsverbot, das eine Auslegung untersagt, nach der einzelne Tatbestandsmerkmale bereits in anderen mitverwirklicht sind und ihnen kein hinreichend eigenständiger Gehalt verbleibt (s. zuletzt BVerfG HRRS 2015 Nr. 828).

3. Für eine Leiharbeit ist erforderlich, dass zwischen dem Verleiher und dem Leiharbeitnehmer ein reguläres Arbeitsverhältnis besteht, das unabhängig von dem Verleihvertrag eingegangen wurde und diesen überdauert. Dagegen handelt es sich in Fällen, in denen Arbeitnehmer zu dem alleinigen Zweck angeworben werden, anschließend Tätigkeiten für einen Dritten auf dessen Weisung unter Eingliederung in den Betrieb auszuüben, ohne dass ein darüber hinausgehender Einsatz beabsichtigt ist, grundsätzlich um eine bloße Arbeitsvermittlung (s. auch § 1 Abs. 2 AÜG); als solche fällt diese nicht in den Anwendungsbereich des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes. Ob Arbeitnehmerüberlassung oder Arbeitsvermittlung vorliegt, ist gegebenenfalls anhand der Umstände des Einzelfalls zu ermitteln.


Entscheidung

624. BGH 2 StR 358/17 – Beschluss vom 26. Februar 2019 (LG Frankfurt am Main)

Betrug (Grundsätze des uneigentlichen Organisationsdelikts); notwendige Auslagen des Nebenklägers (Erforderlichkeit und Zweckmäßigkeit der verursachten Kosten).

§ 263 Abs. 1 StGB; § 472 Abs. 1 Satz 1 StPO

1. Nach den Grundsätzen des uneigentlichen Organisationsdelikts können einzelne Beiträge eines Mittäters, mittelbaren Täters oder Gehilfen, die der Errichtung, Aufrechterhaltung und dem Ablauf eines auf Straftaten ausgerichteten Geschäftsbetriebs dienen, zu einer Tat im Rechtssinne zusammengefasst werden, indem die aus der Unternehmensstruktur heraus begangenen Tathandlungen in der Person des betreffenden Tatbeteiligten zu einer einheitlichen Tat im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB zusammengeführt werden.

2. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat der Schädiger diejenigen durch das Schadensereignis adäquat verursachten Rechtsanwaltskosten zu ersetzen, die aus Sicht des Geschädigten zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren. Maßgeblich ist insofern die ex-ante-Sicht einer vernünftigen, wirtschaftlich denkenden Person. Dabei sind keine überzogenen Anforderungen zu stellen. Es kommt darauf an, wie sich die voraussichtliche Abwicklung des Schadensfalls aus der Sicht des Geschädigten darstellt. In einfach gelagerten Fällen ist die Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts nur ausnahmsweise gerechtfertigt.


Entscheidung

605. BGH 1 StR 520/18 – Beschluss vom 13. März 2019 (LG Wiesbaden)

Körperschaftsteuerhinterziehung und Gewerbesteuerhinterziehung durch Unterlassen (Vorsatz: erforderliche Kenntnis des Steueranspruchs insbesondere bei Indizien gegen eine zur Steuerbarkeit führende Geschäfts-

führung/Betriebsstätte im Inland; erforderliche tatrichterliche Beweiswürdigung).

§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO; § 15 StGB; § 261 StPO; § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gehört zum Vorsatz der Steuerhinterziehung, dass der Täter den Steueranspruch dem Grunde und der Höhe nach kennt oder zumindest für möglich hält und ihn auch verkürzen will; bedingter Vorsatz genügt. Nimmt der Steuerpflichtige irrtümlich an, dass ein Steueranspruch nicht entstanden ist, liegt nach dieser Rechtsprechung ein Tatumstandsirrtum vor, der den Vorsatz ausschließt (§ 16 Abs. 1 Satz 1 StGB; BGH wistra 2018, 339, 340; wistra 2011, 465, 466 f.; je mwN). Dies bedarf bei Indizien, die gegen eine Geschäftsführung/Betriebsstätte im Inland sprechen, der Erörterung.


Entscheidung

604. BGH 1 StR 484/18 – Beschluss vom 7. Februar 2019 (LG Berlin)

Steuerhinterziehung (erforderliche Feststellungen im Urteil: Darstellung der Besteuerungsgrundlagen).

§ 370 Abs. 1 AO; § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO

Die Strafvorschrift der Steuerhinterziehung (§ 370 AO) wird materiellrechtlich ausgefüllt durch die im Einzelfall anzuwendenden steuerrechtlichen Vorschriften, aus denen sich ergibt, welches steuerlich erhebliche Verhalten im Rahmen der jeweiligen Abgabenart zu einer Steuerverkürzung geführt hat (vgl. BGH NStZ-RR 2019, 79, 80). Auch hierzu bedarf es ausreichender tatsächlicher Feststellungen, die eine Nachprüfung durch das Revisionsgericht ermöglichen. Dazu gehören insbesondere diejenigen Parameter, die maßgebliche Grundlage für die Steuerberechnung sind (Besteuerungsgrundlagen). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs müssen deshalb die Urteilsgründe bei einer Verurteilung wegen Steuerhinterziehung regelmäßig nicht nur die Summe der jeweils verkürzten Steuern, sondern für jede Steuerart und jeden Steuerabschnitt gesondert die Berechnung der verkürzten Steuern im Einzelnen angeben (vgl. BGH NStZ-RR 2019, 79, 80).


Entscheidung

616. BGH 1 StR 636/18 – Beschluss vom 13. März 2019 (LG Hamburg)

Steuerhinterziehung (steuerrechtliche Erklärungspflicht strafbarkeitsbegründendes besonderes persönliches Merkmal).

§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO; § 28 Abs. 1 StGB

Die steuerrechtliche Erklärungspflicht ist bei einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO nach der neuen Rechtsprechung des Senats ein strafbarkeitsbegründendes besonderes persönliches Merkmal nach § 28 Abs. 1 StGB.


Entscheidung

619. BGH 1 StR 673/18 – Beschluss vom 9. April 2019 (LG Landshut)

Unerlaubtes Betreiben von Bankgeschäften (Tateinheit).

§ 54 Abs. 1 Nr. 2 KWG; § 52 StGB

Vergibt der Angeklagten über einen längeren Zeitraum gewerbsmäßig Darlehen ohne Erlaubnis, ist von einer einzigen Tat gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 2 KWG auszugehen, die sich über den relevanten Zeitraum erstreckt hat und innerhalb derer die jeweiligen Darlehensgeschäfte lediglich Einzelakte einer tatbestandlichen Bewertungseinheit dargestellt haben.


Entscheidung

571. BGH 3 StR 452/18 – Beschluss vom 20. März 2019 (LG Bad Kreuznach)

Strafzumessung im Jugendstrafrecht (Bedeutung des Erziehungsgedanken bei der Bestimmung von Art und Dauer der Sanktion beim zum Zeitpunkt der Verkündung des erstinstanzlichen Urteils im strafrechtlichen Sinne erwachsenen Angeklagten).

§ 17 JGG; § 18 JGG; § 105 JGG

1. Dem Erziehungsgedanken kommt bei der Bestimmung von Art und Dauer der Sanktion für die Tat des zum Zeitpunkt der Verkündung des erstinstanzlichen Urteils im strafrechtlichen Sinne erwachsenen Angeklagten ein mit dem Fortschreiten des Lebensalters immer geringer werdendes Gewicht zu. Das macht es indes nicht insgesamt rechtsfehlerhaft, den Erziehungsgedanken überhaupt zu berücksichtigen. Nach bisheriger Rechtsprechung (zuletzt etwa BGH HRRS 2016 Nr. 1077) ist der Erziehungsgedanke bei der Bemessung der Jugendstrafe vielmehr grundsätzlich immer einzustellen. Die Urteilsgründe müssen in jedem Fall erkennen lassen, dass ihm die ihm zukommende Beachtung geschenkt worden ist.

2. Soweit der Senat in zwei jüngeren Entscheidungen offen gelassen hat, ob die bisherige Rechtsprechung dahin weiter zu entwickeln sei, dass bei der Verhängung von Sanktionen gegen Straftäter, die zum Zeitpunkt ihrer Verurteilung bereits das 21. Lebensjahr vollendet haben und somit im strafrechtlichen Sinne als erwachsen gelten, der Erziehungsgedanke nicht mehr nur von geringem Gewicht sein könne, sondern insgesamt kein taugliches Strafzumessungskriterium mehr darstelle (vgl. BGH HRRS 2015 Nr. 1014 und BGH HRRS 2016 Nr. 477), gibt der vorliegende Fall keinen Anlass, diese Frage nunmehr zu entscheiden.