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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
November 2017
18. Jahrgang
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1. Dem zeitlichen Abstand zwischen Tat und Urteil kommt im Rahmen der Strafzumessung bei Taten, die den sexuellen Missbrauch von Kindern zum Gegenstand haben, die gleiche Bedeutung zu wie bei anderen Straftaten. (BGHSt)
2. Die Strafe soll eine angemessene staatliche Reaktion auf die Begehung einer Straftat sein. Ihre Bemessung ist zugleich tatrichterlicher Wertungsakt und Rechtsanwendung auf einen bestimmten Strafzumessungssachverhalt unter vom Gesetzgeber formulierten Strafzumessungskriterien und Leitlinien; sie erfordert nach anerkannten Grundsätzen eine einzelfallorientierte Abwägung der strafzumessungsrelevanten Umstände. Grundlagen der Strafzumessung sind dabei die Schwere der Tat in ihrer Bedeutung für die verletzte Rechtsordnung und der Grad der persönlichen Schuld des Täters. (Bearbeiter)
3. Der zeitliche Abstand zwischen Tat und Urteil gehört zu den Umständen, die nach diesen am Einzelfall orientierten Maßgaben Einfluss auf die Bemessung der Strafe gewinnen können. (Bearbeiter)
4. Das Gewicht, mit dem der zeitliche Abstand zwischen einer noch verfolgbaren Tat und dem Urteil in die Bemessung der Strafe einzustellen ist, hängt auch nicht von der Länge der Verjährungsfrist ab. Es wird ebenfalls nicht dadurch beeinflusst, dass die Tat gegebenenfalls länger verfolgbar ist, weil die Verjährung ruht oder unterbrochen ist. Insbesondere die Regelung des § 78b Abs. 1 Nr. 1 StGB steht dem sich aus den Grundsätzen der Strafzumessung ergebenden Erfordernis, den Faktor Zeitablauf zwischen Tat und Urteil stets individuell zu betrachten und zu gewichten, nicht entgegen; sie führt nicht dazu, dass bei Straftaten, die den sexuellen Missbrauch von Kindern betreffen, dem Zeitablauf zwischen Tat und Urteil generell, d.h. losgelöst von den konkreten Einzelfallumständen, ein geringeres Gewicht zukommt als bei anderen Straftaten. (Bearbeiter)
5. Die Bedeutung des Strafzumessungsgesichtspunktes zeitlicher Abstand zwischen Tat und Urteil ist einzelfall- und nicht deliktsgruppenabhängig. Dies bedeutet jedoch nicht, dass neben anderen die wesentlichen Gründe, die den Gesetzgeber zur Schaffung und sukzessiven Erweiterung des § 78b Abs. 1 Nr. 1 StGB bewogen haben, nicht auch im Rahmen der Strafzumessung Bedeutung erlangen können. Insbesondere erlauben es die Grundsätze der Strafzumessung, in systemkonformer Weise die wesentlichen unrechtssteigernden Elemente zu erfassen, die auch im Rahmen des § 78b Abs. 1 Nr. 1 StGB eine Rolle spielen. (Bearbeiter)
Die Diagnose eines bestimmten Krankheitsbildes – hier einer paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie oder einer psychotischen Störung durch psychotrope Substanzen – führt für sich genommen nicht zur Feststellung einer generellen oder zumindest längere Zeiträume überdauernden gesicherten erheblichen Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit. Es bedarf vielmehr einer konkretisierenden Darlegung, in welcher Weise sich das festgestellte Krankheitsbild bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation ausgewirkt haben soll.
1. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus darf nur angeordnet werden, wenn u.a. zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei Begehung der Anlasstat aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung auf diesem Zustand beruht. Der Defektzustand muss, um die notwendige Gefährlichkeitsprognose tragen zu können, von längerer Dauer sein. Der Tatrichter hat die der Unterbringungsanordnung zugrundeliegenden Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen.
2. Ein die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus rechtfertigender Zustand liegt im Fall einer Kombination aus Intelligenzminderung, Persönlichkeitsstörung und Alkoholkonsum regelmäßig erst vor, wenn
der Täter an einer krankhaften Alkoholsucht leidet, in krankhafter Weise alkoholüberempfindlich ist oder eine länger andauernde geistig-seelische Störung hat, bei der bereits geringer Alkoholkonsum oder andere alltägliche Ereignisse die erhebliche Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit auslösen können und dies getan haben.
1. Nimmt das Tatgericht eine erheblich verminderte Einsichtsfähigkeit des Täters an, so ist seine Schuld gleichwohl nicht gemindert und § 21 StGB nicht anwendbar, wenn er das Unrecht seines Tuns im Tatzeitpunkt dennoch einsah. Daher muss das Tatgericht prüfen, ob die Einschränkung der Einsichtsfähigkeit auch tatsächlich zum Fehlen der Unrechtseinsicht führte und dem Täter dies vorzuwerfen ist. Bur wenn beides zu bejahen ist, greift § 21 StGB. Eine aufgehobene oder erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit ist demgegenüber erst zu prüfen, wenn der Täter das Unrecht der Tat einsah oder zumindest einsehen konnte.
2. Im Rahmen der nach § 63 StGB erforderlichen Gefährlichkeitsprognose ist ein gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger erheblicher Straftaten, wenn ein Täter trotz bestehenden psychischen Defekts jahrelang keine oder nur geringfügige rechtswidrige Taten begangen hat.
3. Daraus, dass der Beschuldigte von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch macht, dürfen im Rahmen der Prüfung nach § 63 StGB keine für ihn ungünstigen Schlüsse auf seine Gefährlichkeit gezogen werden.
1. Hat der Täter den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, kommt die Anordnung der Maßregel selbst dann, wenn zur Tatzeit eine Berauschung vorlag, nur in Betracht, wenn die Tat auf seinen Hang zurückgeht. Dieser Zusammenhang liegt vor, wenn die Tat in dem Hang ihre Wurzel findet. Sie muss einen Symptomwert für den Hang des Täters zum Missbrauch von Rauschmitteln haben, indem sich gerade in ihr seine hangbedingte Gefährlichkeit äußert.
2. Die Maßregel erfordert auch, dass die Gefahr besteht, der Verurteilte werde infolge seines Hanges in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen. Das Gericht trifft dazu eine Prognoseentscheidung unter Gesamtwürdigung aller für und gegen die künftige Begehung von Straftaten infolge des Hangs des Angeklagten sprechenden Gründe.
Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ist nach nunmehr geltendem Recht, wenn - wie hier - daneben eine Freiheitsstrafe verhängt wird, nicht mehr von vornherein auf zwei Jahre beschränkt; die Höchstfrist der Unterbringung verlängert sich in diesen Fällen vielmehr nach Maßgabe des § 67d Abs. 1 S. 3 StGB um die Dauer des nach § 67 Abs. 4 StGB anrechenbaren Teils der Freiheitsstrafe. Durch den Verweis auf § 67d Abs. 1 S. 3 StGB sollte ausdrücklich klargestellt werden, dass die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt auch dann angeordnet werden kann, wenn ausnahmsweise eine notwendige Behandlungsdauer von mehr als zwei Jahren zu prognostizieren ist.
1. Für einen Hang ist nach ständiger Rechtsprechung eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung ausreichend, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss. Ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln im Sinne des § 64 StGB ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betreffende auf Grund seiner psychischen Abhängigkeit sozial gefährdet oder gefährlich erscheint.
2. Insoweit kann dem Umstand, dass durch den Rauschmittelkonsum bereits die Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit des Betreffenden erheblich beeinträchtigt ist, zwar indizielle Bedeutung für das Vorliegen eines Hanges zukommen. Wenngleich solche Beeinträchtigungen in der Regel mit übermäßigem Rauschmittelkonsum einhergehen werden, schließt deren Fehlen jedoch nicht notwendigerweise die Annahme eines Hanges aus.
1. Der Festsetzung der Höhe einzelner Tagessätze bedarf es auch dann, wenn die Einzelgeldstrafe gemäß § 53 Abs. 2 Satz 1 StGB in eine Gesamtfreiheitsstrafe einbezogen wird.
2. Zwar kommt bei unterbliebener Festsetzung der Tagessatzhöhe regelmäßig eine Zurückverweisung der Sache zum Zwecke der Nachholung der Bestimmung der Tagessatzhöhe in Betracht. Allerdings kann das Revisionsgericht in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO in geeigneten Fällen auch selbst die Festsetzung vornehmen und die Tagessatzhöhe auf das gesetzliche Mindestmaß festsetzen.
1. Tatmodalitäten dürfen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nur dann strafschärfend zur Last gelegt werden, wenn sie vorwerfbar sind, nicht aber, wenn ihre Ursache in einer von dem Täter nicht zu vertretenden geistig-seelischen Beeinträchtigung liegt.
2. Zwar ist auch der im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert schuldfähige Täter für die von ihm begangene Tat in ihrer konkreten Ausgestaltung verantwortlich. Für eine strafschärfende Verwertung der Handlungsintensität bleibt jedoch nur Raum nach dem Maß seiner geminderten Schuld. Dieses Umstandes muss sich der Tatrichter erkennbar bewusst sein.