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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Januar 2017
18. Jahrgang
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1. Die Maßstäbe des Art. 16 Abs. 2 GG, der deutsche Staatsangehörige grundsätzlich vor einer Auslieferung schützt, finden auch in dem unionsrechtlich determinierten Verfahren der Auslieferung aufgrund eines Europäischen Haftbefehls Anwendung. Jedenfalls soweit sich der
Europäische Haftbefehl auf Straftaten erstreckt, die ganz oder zum Teil auf dem Hoheitsgebiet des ersuchten Staates begangen worden sind, überlagert das Unionsrecht das nationale Recht nicht vollständig; vielmehr kann die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls in diesem Fall verweigert werden (Art. 4 Nr. 7 Buchstabe a RbEuHb).
2. Bei der Bestimmung des Handlungs- und Erfolgsorts im Rahmen des § 80 IRG ist von dem Maßstab des § 9 Abs. 1 StGB auszugehen. Danach ist Handlungsort bei echten Unterlassungsdelikten der Ort der möglichen und gebotenen Pflichtenerfüllung. Dies ist neben dem Aufenthaltsort des Unterlassungstäters auch der Vornahmeort im Sinne des Ortes, an dem der Täter hätte handeln müssen.
3. Ein Eingriff in den Schutzbereich des als Freiheitsrecht gewährleisteten Auslieferungsverbots des Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG ist nur gerechtfertigt, soweit rechtsstaatliche Grundsätze gewahrt sind. Über die Geltung des Rechtsstaatsprinzips hinaus handelt es sich bei dieser Voraussetzung um eine auf den ersuchenden Mitgliedstaat bezogene Erwartung im Sinne einer Strukturentsprechung, wie sie auch Art. 23 Abs. 1 GG formuliert.
4. Mit dem grundsätzlichen Auslieferungsverbot des Art. 16 Abs. 2 GG sollen die Rechtssicherheit und das Vertrauen des von einer Auslieferung betroffenen Deutschen in die eigene Rechtsordnung gewahrt werden. Dieses Vertrauen ist vor allem dann in besonderer Weise geschützt, wenn die dem Auslieferungsersuchen zugrunde liegende Tat ganz oder teilweise auf deutschem Staatsgebiet begangen wurde (maßgeblicher Inlandsbezug).
5. Wer hingegen in einer fremden Rechtsordnung handelt, indem er die Tathandlung vollständig oder in wesentlichen Teilen auf dem Territorium eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union begeht oder dort einen Taterfolg herbeiführt, muss damit rechnen, auch dort zur Verantwortung gezogen zu werden (maßgeblicher Auslandsbezug).
6. Einer konkreten Abwägung im Einzelfall bedarf es immer dann, wenn der Beschuldigte ganz oder teilweise in Deutschland gehandelt hat, der Erfolg aber im Ausland eingetreten ist. In diesen Fällen sind insbesondere das Gewicht des Tatvorwurfs und die praktischen Erfordernisse einer effektiven Strafverfolgung mit den grundrechtlich geschützten Interessen des Verfolgten unter Berücksichtigung der mit der Schaffung eines Europäischen Rechtsraums verbundenen Ziele zu gewichten und zueinander ins Verhältnis zu setzen.
7. Ein Gericht verkennt Bedeutung und Tragweite des Grundrechts aus Art. 16 Abs. 2 GG, wenn es bei der Entscheidung über die Auslieferung eines deutschen Staatsangehörigen, dem Straftaten als Geschäftsführer eines polnischen Unternehmens vorgeworfen werden, die gebotene detaillierte Abwägung im Einzelfall unterlässt und nicht berücksichtigt, dass der Beschuldigte zur Tatzeit in Deutschland lebte, so dass hier zumindest auch ein Tatort der ihm vorgeworfenen Unterlassungsdelikte – Insolvenzverschleppung und Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen – lag.
8. Das schutzwürdige Vertrauen des Auszuliefernden ist in besonderem Maße beeinträchtigt, wenn das Gericht nicht berücksichtigt, dass der Europäische Haftbefehl vor allem ergangen ist, um eine für den Abschluss der polnischen Ermittlungen erforderliche Vernehmung des Beschuldigten durchzuführen zu können, die allerdings auch im Wege eines Rechtshilfeersuchens erfolgen könnte, welches bereits zweimal ohne Verschulden des Auszuliefernden gescheitert ist.
9. Zu dem vor Erhebung einer Verfassungsbeschwerde zu erschöpfenden Rechtsweg gehört grundsätzlich auch die Einlegung einer Anhörungsrüge, soweit diese nicht aussichtslos ist. Die Anhörungsrüge ist jedoch neben einem Antrag nach § 33 IRG entbehrlich, weil in dessen Rahmen eine vorausgegangene Gehörsverletzung gerügt und geheilt werden kann.
1. Mit dem grundsätzlichen Auslieferungsverbot des Art. 16 Abs. 2 GG sollen die Rechtssicherheit und das Vertrauen des von einer Auslieferung betroffenen Deutschen in die eigene Rechtsordnung gewahrt werden. Dieses Vertrauen ist vor allem dann in besonderer Weise geschützt, wenn die dem Auslieferungsersuchen zugrunde liegende Handlung einen maßgeblichen Inlandsbezug aufweist.
2. Ein maßgeblicher Inlandsbezug, der regelmäßig ein Auslieferungshindernis entstehen lässt, ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn Handlungs- und Erfolgsort im Wesentlichen auf deutschem Staatsgebiet liegen. Wer hingegen in einer anderen Rechtsordnung handelt, indem er die Tathandlung vollständig oder in wesentlichen Teilen auf dem Territorium eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union begeht oder dort einen Taterfolg herbeiführt, muss damit rechnen, auch dort zur Verantwortung gezogen zu werden.
3. Einer konkreten Abwägung im Einzelfall bedarf es immer dann, wenn der Beschuldigte ganz oder teilweise in Deutschland gehandelt hat, der Erfolg aber im Ausland eingetreten ist. In diesen Fällen sind insbesondere das Gewicht des Tatvorwurfs und die praktischen Erfordernisse einer effektiven Strafverfolgung mit den grundrechtlich geschützten Interessen des Verfolgten unter Berücksichtigung der mit der Schaffung eines Europäischen Rechtsraums verbundenen Ziele zu gewichten und zueinander ins Verhältnis zu setzen.
4. Ein Gericht verkennt Bedeutung und Tragweite des Grundrechts aus Art. 16 Abs. 2 GG nicht, wenn es einen maßgeblichen Auslandsbezug der einem Auszuliefernden vorgeworfenen Taten annimmt, weil es sich um organisierten Menschenhandel mit typischerweise grenzüberschreitendem Charakter handelt und die Delikte zumindest teilweise auch im ersuchenden Staat – hier: Polen – begangen wurden.
5. Die Annahme, eine vom Tatvorsatz getragene Einwirkung auf das Opfer in Form einer Anwerbung oder Beförderung reiche aus, um eine Strafbarkeit wegen versuchten Menschenhandels zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung i. S. d. § 232 Abs. 1 StGB in der bis zum 15. Oktober 2016 geltenden Fassung zu begründen, bewegt sich im fachgerichtlichen Wertungsrahmen und ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden.
1. Der Schutz des Versammlungsgrundrechts besteht auch bei Ausschreitungen einer Minderheit der Teilnehmer für den Aufzug als solchen fort. Werden Versammlungsteilnehmer zum Zwecke Strafverfolgung der vom restlichen Demonstrationszug abgespalten, so haben die staatlichen Organe die grundrechtsbeschränkenden Normen der Strafprozessordnung im Lichte der Bedeutung der Versammlungsfreiheit auszulegen und sich bei ihren Maßnahmen auf das zu beschränken, was zum Schutz gleichwertiger Rechtsgüter notwendig ist.
2. Voraussetzung für die Feststellung der Identität und die hierzu dienende Freiheitsentziehung eines Versammlungsteilnehmers nach §§ 163b, 163c StPO ist der Verdacht einer Straftat, der auf einer hinreichenden objektiven Tatsachengrundlage beruhen sowie individuell bezogen auf den konkreten Betroffenen bestehen muss. Nicht ausreichend ist die bloße Teilnahme an einer Versammlung, aus der heraus durch andere Gewalttaten begangen werden.
3. Allerdings ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn die Polizei gegen eine ganze Gruppe von Versammlungsteilnehmern vorgeht, weil sich aus deren Gesamtauftreten ein Anfangsverdacht gegenüber allen Gruppenmitgliedern ergibt. Dies kann etwa der Fall sein bei einer in sich geschlossenen Gruppe, die sich durch dichtgedrängte Staffelung, Sichtschutz und Vermummung vom übrigen Versammlungsgeschehen abhebt und aus der heraus eine Vielzahl von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten begangen werden.
4. Eine Einkesselung auch einer geringen Zahl friedlicher Versammlungsteilnehmer ist insoweit verfassungsrechtlich hinnehmbar, wenn die Polizei sogleich nach der Kesselbildung mit der Versammlungsleitung in Verhandlungen zur Fortsetzung des Aufzugs eintritt und durch die Einrichtung von Video-Durchlassstellen die zügige Identitätsfeststellung der eingeschlossenen Versammlungsteilnehmer noch vor Ort ermöglicht. Unter diesen Voraussetzungen kann auch davon abgesehen werden, die festgehaltenen Personen einem Richter vorzuführen.
5. In den genannten Fällen kann bei der nachträglichen gerichtlichen Überprüfung der Maßnahmen ohne Verstoß gegen die Pflicht zur Sachaufklärung bei Freiheitsentziehungen und ohne Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör darauf verzichtet werden, das gesamte an den Durchlassstellen gewonnene Videomaterial beizuziehen, weil sich der Anfangsverdacht gegen einen Versammlungsteilnehmer bereits aus dessen Zugehörigkeit zu der abgegrenzten, gewalttätigen Gruppe ergeben hat. Unerheblich ist, ob das Verfahren gegen ihn später eingestellt worden ist.
1. Durchsuchungen von Strafgefangenen, die mit einer Entkleidung und einer Inspektion von normalerweise verdeckten Körperöffnungen verbunden sind, greifen in schwerwiegender Weise in das allgemeine Persönlichkeitsrecht ein und dürfen daher nicht routinemäßig, sondern nur verdachtsbezogen und in schonender Art und Weise durchgeführt werden.
2. Zwar dürfen auf der Grundlage des Art. 91 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 BayStVollzG, wonach die mit einer Entkleidung verbundene körperliche Durchsuchung von Gefangenen auf Anordnung des Anstaltsleiters im Einzelfall zulässig ist, Durchsuchungen der genannten Art von Verfassungs wegen auch für persönlich unverdächtige Gefangene – etwa im Wege einer Stichprobe – angeordnet werden, sofern Anhaltspunkte dafür bestehen, dass andere Häftlinge ansonsten Kontrollen mittels unter Druck gesetzter Mithäftlinge umgehen könnten.
3. Jedoch dürfen derartige Maßnahmen den Charakter von Einzelfallanordnungen nicht verlieren, indem sie zur Durchsuchung (nahezu) aller Gefangenen vor jedem Besuchskontakt und damit zu einer Durchsuchungspraxis führen, die das Gesetz aus Gründen der Verhältnismäßigkeit ausdrücklich nur in den Konstellationen des Art. 91 Abs. 3 BayStVollzG erlaubt. Die Grenzen des verfassungsrechtlich Zulässigen sind insoweit bei einer Anordnung noch eingehalten, nach der – wenngleich pauschal und ohne konkreten Anlass – jeder fünfte Gefangene zu durchsuchen ist.
4. Allerdings hat eine solche Durchsuchungsanordnung einen Ausgleich zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, der Wahrung der Intimsphäre des Gefangenen und dem Sicherheitsinteresse der Vollzugsanstalt herzustellen. Sie ist nur verhältnismäßig, wenn sie den beteiligten Vollzugsbeamten die Möglichkeit belässt, von ihr abzuweichen, wenn im konkreten Einzelfall die Gefahr eines Missbrauchs fernliegt.
5. Sieht das Beschwerdegericht nach § 119 Abs. 3 StVollzG von einer Begründung der Beschwerdeentscheidung ab, so ist dies mit Art. 19 Abs. 4 GG nur vereinbar, wenn dadurch die Beschwerdemöglichkeit nicht leer läuft. Letzteres ist bereits dann anzunehmen, wenn erhebliche Zweifel an der Vereinbarkeit der mit der Beschwerde angegriffenen Entscheidung mit Grund- bzw. Menschenrechten bestehen, etwa weil die Entscheidung von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts abweicht.
1. Das Rechtsschutzbedürfnis für die verfassungsgerichtliche Überprüfung einer Entscheidung über die Fortdauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus besteht angesichts des damit verbundenen tiefgreifenden Eingriffs in das Freiheitsgrundrecht auch dann fort, wenn der Betroffene zwischenzeitlich aus dem Maßregelvollzug entlassen worden ist.
2. Die von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleistete Freiheit der Person, die unter den Grundrechten einen hohen Rang einnimmt, darf nur aus besonders gewichtigen Gründen eingeschränkt werden, zu denen in erster Linie solche des Strafrechts und des Strafverfahrensrechts – einschließlich der Unterbringung eines nicht oder erheblich vermindert schuldfähigen Straftäters im psychiatrischen Krankenhaus – zählen.
3. Bei der Entscheidung über die Aussetzung einer Maßregel ist dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung zu tragen, indem die Sicherungsbelange der Allgemeinheit und der Freiheitsanspruch des Untergebrachten einander als wechselseitiges Korrektiv gegenübergestellt und gegeneinander abgewogen werden. Dabei sind im Rahmen einer Gesamtwürdigung die von dem Untergebrachten ausgehenden Gefahren zur Schwere des mit der Maßregel verbundenen Eingriffs ins Verhältnis zu setzen.
4. Je länger der Freiheitsentzug andauert, desto strenger werden die Voraussetzungen für die Verhältnismäßigkeit sowie die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Begründungstiefe einer negativen Prognoseentscheidung. Zugleich wächst mit dem stärker werdenden Freiheitseingriff die verfassungsgerichtliche Kontrolldichte.
5. Zu verlangen ist eine einzelfallbezogene Konkretisierung der Art und des Grades der Wahrscheinlichkeit zukünftiger rechtswidriger Taten, die von dem Untergebrachten drohen. Dabei ist auf das frühere Verhalten des Untergebrachten, die von ihm bislang begangenen Taten, die seit Anordnung der Maßregel eingetretenen Umstände, den Zustand des Untergebrachten sowie seine künftig zu erwartenden Lebensumstände abzustellen.
6. Eine Fortdauerentscheidung genügt den verfassungsrechtlichen Begründungsanforderungen nicht, wenn sie ohne jegliche Konkretisierung der von dem seit fast elf Jahren Untergebrachten zu erwartenden Delikte lediglich feststellt, es sei von einer niedrigen bis mäßig erhöhten Gefahr neuer Straftaten auszugehen, deren Häufigkeit und Schweregrad eng an das Trinkverhalten des Betroffenen gekoppelt seien.
7. Nimmt das Rechtsmittelgericht entgegen der Einschätzung des erstinstanzlich hinzugezogenen Sachverständigen eine hohe Wahrscheinlichkeit neuer Straftaten an, so hat es sich mit dem Gutachten auseinanderzusetzen und seine davon abweichende Entscheidung zu begründen. Der Verweis auf zwei Alkoholrückfälle des Untergebrachten, während derer es zu keinen Straftaten kam, genügt insoweit nicht.
8. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist auch zu erörtern, inwieweit etwaigen Gefahren durch geeignete Weisungen im Rahmen der Führungsaufsicht begegnet werden kann. Ausführungen sind etwa dann erforderlich, wenn der Betroffene bereits längere Zeit zur Erprobung in einem Wohnheim untergebracht war, in dem engmaschige Alkoholkontrollen gewährleistet sind.
1. Im Strafvollzug droht aufgrund der eingeschränkten Kontaktmöglichkeiten stets die Gefahr einer tiefgreifenden Entfremdung zwischen dem Gefangenen und seinen Angehörigen. Es ist Aufgabe des Staates, solche nachteiligen Auswirkungen des Freiheitsentzuges im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren sowie unter angemessener Beachtung der Belange der Allgemeinheit zu begrenzen.
2. Es begegnet vor dem Hintergrund des Rechts auf effektiven Rechtsschutz und auf rechtliches Gehör Bedenken, wenn eine Strafvollstreckungskammer eine Entscheidung über einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz lediglich formelhaft und ohne Auseinandersetzung mit dem konkreten Vorbringen des Gefangenen begründet, der die Verlegung auf eine Entwicklungsstation begehrt, um häufiger Besuch von seinen minderjährigen Töchtern erhalten zu können.
3. Eine insoweit erhobene Verfassungsbeschwerde ist jedoch mangels Erschöpfung des Rechtswegs unzulässig, wenn sie nicht erkennen lässt, ob der Beschwerdeführer zuvor den Rechtsbehelf der Anhörungsrüge eingelegt hat.
1. Das Rechtsschutzbedürfnis für die verfassungsgerichtliche Überprüfung einer Entscheidung über die Fortdauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus besteht angesichts des damit verbundenen tiefgreifenden Eingriffs in das Freiheitsgrundrecht auch dann fort, wenn die angegriffene Entscheidung nicht mehr die aktuelle Grundlage der Unterbringung bildet, weil zwischenzeitlich eine erneute Fortdauerentscheidung ergangen ist.
2. Die von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleistete Freiheit der Person, die unter den Grundrechten einen hohen Rang einnimmt, darf nur aus besonders gewichtigen Gründen eingeschränkt werden, zu denen in erster Linie solche des Strafrechts und des Strafverfahrensrechts - einschließlich der Unterbringung eines nicht oder erheblich vermindert schuldfähigen Straftäters im psychiatrischen Krankenhaus - zählen.
3. Bei der Entscheidung über die Aussetzung einer Maßregel ist dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung zu tragen, indem die Sicherungsbelange der Allgemeinheit und der Freiheitsanspruch des Untergebrachten einander als wechselseitiges Korrektiv gegenübergestellt und gegeneinander abgewogen werden. Dabei sind im Rahmen einer Gesamtwürdigung die von dem Untergebrachten ausgehenden Gefahren zur Schwere des mit der Maßregel verbundenen Eingriffs ins Verhältnis zu setzen.
4. Je länger der Freiheitsentzug andauert, desto strenger werden die Voraussetzungen für die Verhältnismäßigkeit sowie die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Begründungstiefe einer negativen Prognoseentscheidung. Zugleich wächst mit dem stärker werdenden Freiheitseingriff die verfassungsgerichtliche Kontrolldichte.
5. Zu verlangen ist eine einzelfallbezogene Konkretisierung der Art und des Grades der Wahrscheinlichkeit zukünftiger rechtswidriger Taten, die von dem Untergebrachten drohen. Dabei ist auf das frühere Verhalten des Untergebrachten, die von ihm bislang begangenen Taten, die seit Anordnung der Maßregel eingetretenen Umstände, den Zustand des Untergebrachten sowie seine künftig zu erwartenden Lebensumstände abzustellen.
6. Eine Fortdauerentscheidung genügt den verfassungsrechtlichen Begründungsanforderungen nicht, wenn sie ohne nähere Konkretisierung der von dem seit nahezu 20 Jahren Untergebrachten zu erwartenden Straftaten lediglich von einer „konkreten und überwiegenden Gefahr erheblicher rechtswidriger Gewaltdelikte“ ausgeht und dabei außer Betracht lässt, dass die Maßregelvollzugseinrichtung von einem positiven Behandlungsverlauf und von einer minimierten Gefährlichkeit des Betroffenen ausgeht.
7. Will die Strafvollstreckungskammer von den Feststellungen des hinzugezogenen Sachverständigen abweichen, muss sie ihre Gründe offenlegen und plausibel darlegen, weshalb sie zu einer gegenteiligen Gefahrprognose gelangt. Dies gilt insbesondere, wenn der Sachverständige aufgrund einer erfolgreichen Behandlung der der Anlasstat zugrundeliegenden schizophrenen Erkrankung, der bei dem Untergebrachten vorhandenen Krankeneinsicht und seines Verhaltens im Vollzug kein Risiko von Gewaltdelikten mehr erkennt.