HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Januar 2017
18. Jahrgang
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Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen

Die Abgrenzung des Sachverständigen vom sachverständigen Zeugen im Strafprozessrecht anhand des Beispiels des Kriegsreporters

Von Dr. Lasse Gundelach , Düsseldorf

I. Einführung

Ausgangspunkt des Beitrags war folgende Prozesssituation in mehreren Staatsschutzverfahren vor verschiedenen Oberlandesgerichten, die Anlass dazu gibt, die Frage nach der Abgrenzung des Sachverständigen vom sachverständigen Zeugen erneut zustellen.

Die Strafverfahren vor den jeweiligen Oberlandesgerichten wurden jeweils unter anderem wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland, § 129a StGB, gegen die Angeklagten geführt. Im Rahmen der mündlichen Hauptverhandlung bestellten die jeweiligen Strafsenate Dr. Guido Steinberg, der für die Stiftung Wissenschaft und Politik arbeitet, als Sachverständigen. Dieser berichtete sodann in der mündlichen Hauptverhandlung unter anderem über die aktuelle politische Situation in Syrien sowie über die jeweiligen Akteure des Bürgerkriegs. Dabei nahm er insbesondere Bezug auf in der Vergangenheit erfolgte Aufenthalte in Syrien, auf persönliche Kontakte in das Krisengebiet sowie auf frei verfügbare, meist arabische Publikationen.

Im weiteren Verlauf der jeweiligen mündlichen Hauptverhandlung lud der jeweilige Senat zudem den Journalisten Franz Feyder der Stuttgarter Nachrichten, der nach eigenem Bekunden als Kriegsreporter mehrfach in Syrien zugegen war, als Zeugen.[1] Dieser berichtete nun ebenfalls über die aktuelle politische Situation in Syrien sowie über die jeweiligen Akteure des Bürgerkriegs unter Bezugnahme auf eigene Reisen nach Syrien, auf persönliche Kontakte in das Krisengebiet. Den jeweiligen Strafsenaten war dabei bewusst, dass Franz Feyder keine Angaben zu den konkreten Vorwürfen gegen die Angeklagten machen kann.

Der Umstand, dass die jeweiligen Strafsenate, trotz derselben Bekundungen der beiden Beweispersonen, diese einmal als Sachverständigen und einmal als Zeugen ansahen, wirft die Frage auf, ob die von der herrschenden Meinung vertretene Ansicht, dass die Bestellung einer Beweisperson zum Sachverständigen das entscheidende Abgrenzungskriterium des Sachverständigen vom sachverständigen Zeugen ist, richtig sein kann.

Auch heute noch kann eine Abhandlung über die Frage der Unterscheidung des Sachverständigen vom sachverständigen Zeugen mit dem Einleitungssatz von Hegler aus einer im Jahr 1909 erschienenen Abhandlung, den auch Schmidhäuser 1959 verwendete, begonnen werden: "Die Frage der Unterscheidung des Sachverständigen vom Zeugen im Prozeß ist eine ebenso schwierige, als praktisch wichtige. Die Schwierigkeit zeigt sich in der großen Zahl versuchter Lösungen derselben und dem erheblichen Umfang der Literatur darüber, wie auch diese Schwierigkeit vielfach ausdrücklich betont wird."[2] An

der Feststellung hat sich auch im 21. Jahrhundert nichts geändert. Obwohl die Frage bereits seit dem Ende des 19. Jahrhunderts immer wieder diskutiert wird, wurde bis heute keine befriedigende Antwort auf die Frage gefunden.

Die großen Abhandlungen, die sich mit dieser Abgrenzungsfrage intensiv auseinandersetzen, verorten die Frage jedoch im Zivilprozessrecht und nicht im Strafprozessrecht. Die strafrechtliche Literatur verweist wiederum vollständig auf die Ausführungen der Autoren zivilprozessrechtlicher Abhandlungen. Eine eigenständige strafprozessrechtliche Klärung der Frage liegt bisher nicht vor. Dabei ist die Einordnung der jeweiligen Beweisperson als Sachverständigen oder sachverständigen Zeugen im Strafprozess von zentraler Bedeutung. Für den Angeklagten hat die Einordnung der jeweiligen Beweisperson in der Tatsacheninstanz erhebliche Auswirkungen auf die Art und Weise der jeweiligen Verteidigungsstrategien, denn es bestehen unter anderem erhebliche Unterschiede im Beweisrecht und hinsichtlich der Möglichkeit den Sachverständigen abzulehnen, § 74 StPO. Die Einordnung der Beweisperson als Sachverständigen oder sachverständigen Zeugen ist aber zudem auch für die Revision von erheblicher Bedeutung. Dahs stellt zutreffend fest, dass von der richtigen Differenzierung zwischen Zeuge und Sachverständigen für die Tatsacheninstanz und das Revisionsverfahren viel abhängt.[3] Die Gegenansicht, die die Frage und die daraus resultierenden Probleme als gering erachtet, überzeugt nicht, da sie bereits die aus der Problematik erwachsenden Fragestellungen nicht erfasst.[4] Denn der Vorschlag, die Beweisperson sowohl als Zeugen sowie auch als Sachverständigen zu behandeln, verkennt, dass die Strafprozessordnung eine Unterscheidung beider Beweismittel gerade erfordert. Andernfalls ließen sich die erheblichen Unterschiede in der rechtlichen Behandlung des Zeugen und des Sachverständigen nicht erklären.

Im konkreten Fall des Journalisten F. Feyder tritt hinzu, dass bezüglich seiner Person und seiner fachlichen Kompetenz erhebliche Zweifel bestanden[5], die bei einer Bestellung als Sachverständiger relevant geworden wären.

Dass die zivilprozessrechtlichen Erörterungen nicht ohne Weiteres auf das Strafprozessrecht übertragen werden können, verdeutlicht folgende Ausführung von Schmidhäuser:

"Wenn freilich Hegler auf die "praktische Wichtigkeit" der Frage hinweist, so kann dem jedenfalls nicht in dem Sinne gefolgt werden, daß es sich hierbei um ein bewegendes Problem handle. Wohl zeigt sich die praktische Wichtigkeit auch heute noch "täglich" darin, daß der Richter zu entscheiden hat, "ob er den Zeugen- oder Sachverständigeneid oder sowohl diesen als jenen abnehmen soll, ob Zeugengebühren oder Sachverständigengebühren zu gewähren sind usw.". Aber die problematischen Grenzfälle sind offenbar recht selten; und wo sie auftauchen, da finden die Gerichte Formulierungen, die weitgehend die Lösung von Fall zu Fall zulassen,[...]. Wenn also auch hier die zu erörternden Begriffe für die Rechtspraxis keine gewichtigen Probleme bedeuten und die Frage entsprechender Begriffsbildung schon als "mehr formelle Frage" bezeichnet worden ist, so ist die Frage offensichtlich von großem wissenschaftlichen Reiz.[...]Und so sei sie hier erneut aufgegriffen: als ein anziehendes Beispiel juristischer, hier insbesonderer prozeßrechtlicher Begriffsbildung."[6]

Unabhängig von der Frage, ob die Ausführungen Schmidhäusers für das Zivilprozessrecht zutreffen sind – was durchaus zweifelhaft ist –, sind sie für das Strafprozessrecht gänzlich unzutreffend. Es handelt sich bei der Abgrenzungsfrage nicht um eine sophistische Spitzfindigkeit, die lediglich einen wissenschaftlichen Reiz darstellt. Die Frage ist jedenfalls im Strafprozessrecht von zentraler Bedeutung und kann in einem Strafverfahren, das rechtsstaatlichen Grundsätzen genügen soll, niemals offengelassen werden. Dass die Frage nicht nur eine akademische ist, verdeutlicht die bereits beschriebene Prozesssituation vor den jeweiligen Oberlandesgerichten.

Aufgrund der erheblichen Bedeutung der Problematik der Einordnung einer Beweisperson als Sachverständigen oder sachverständigen Zeugen erfordert der Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit des Strafverfahrens die Entwicklung von Kriterien, die eine eindeutige und zuverlässige Einordnung der Beweisperson als Sachverständigen oder sachverständigen Zeugen ermöglichen. Erfolgt die Einordnung nicht anhand in Rechtsprechung und Literatur gefestigter Kriterien, besteht für den Angeklagten eine erhebliche Rechtsunsicherheit in einer wesentlichen Frage des Beweisrechts. Wie im Folgenden aufgezeigt wird, ist eine Unterscheidung des Sachverständigen vom sachverständigen Zeugen nach den bisher entwickelten Grundsätzen nicht möglich. Daraus resultiert auch, dass die Fragestellung nichts an ihrer Aktualität eingebüßt hat[7], denn es besteht Einigkeit in der Feststellung, dass keiner der Lösungsansätze überzeugt.[8] Um so mehr überrascht aufgrund der erheblichen Bedeutung der Fragestellung, dass eine aktuelle Diskussion der Frage nicht stattfindet. Der vorliegende Beitrag möchte einen Anstoß für die Wiederaufnahme der Diskussion der Fragestellung geben.

II. Der Begriff des Zeugen und des Sachverständigen im Sinne der Strafprozessordnung

Die Strafprozessordnung enthält weder eine Definition des Terminus des Sachverständigen noch des Zeugen. Lediglich § 85 StPO gibt Auskunft darüber, dass die Vorschriften über den Zeugenbeweis gelten, soweit zum Beweis vergangener Tatsachen oder Zustände, zu deren Wahrnehmung eine besondere Sachkunde erforderlich war, sachkundige Personen zu vernehmen sind. § 85 StPO normiert die Figur des sachverständigen Zeugen. Daraus müsste eigentlich der Schluss gezogen werden können, dass der sachverständige Zeuge stets über vergangene und der Sachverständige über gegenwärtige Tatsachen berichtet. Wie unten noch gezeigt wird, ist es jedoch nicht zutreffend, dass der sachverständige Zeuge stets nur über vergangene Tatsachen oder Zustände und der Sachverständige über gegenwärtige Tatsachen Auskunft gibt.

Auch die weiteren Vorschriften über den Zeugenbeweis beziehungsweise über den Sachverständigenbeweis geben keine Auskunft über die Abgrenzungsfrage.

Es ist somit zum einen festzuhalten, dass das Gesetz zwar sowohl den Terminus des Sachverständigen als auch den des Zeugen voraussetzt, eine Bestimmung jedoch nicht enthält. Zum anderen steht fest, dass Zeuge jede natürliche Person sein kann, während die Beweisperson des Sachverständigen eine gewisse Sachkunde auf einem bestimmten Sachgebiet voraussetzt. Dasselbe gilt auch für den sachverständigen Zeugen.

Darüber hinaus herrscht lediglich darin Einigkeit, dass die Entscheidung, ob eine Beweisperson als Zeuge, sachverständiger Zeuge oder als Sachverständiger zu vernehmen ist, weder nach Billigkeitserwägungen getroffen werden darf, noch hängt die Entscheidung vom Wohlwollen des Gerichts ab.[9] Auch die in der Ladung verwendete Terminologie ist nicht entscheidend.[10] Es kommt einzig auf die rechtliche Einordnung der Beweisperson an.[11]

1. Abgrenzungskriterien

Basierend auf der Feststellung, dass die Strafprozessordnung keine Definition des Zeugen und des Sachverständigen enthält und somit eine Abgrenzung des Sachverständigen vom sachverständigen Zeugen auf der Grundlage der Begrifflichkeiten nicht möglich ist, wurden diverse Kriterien zur Einordnung einer Beweisperson als Sachverständigen oder sachverständigen Zeugen entwickelt. Die Kriterien werden im Folgenden dargestellt und diskutiert. Gegen die Abgrenzungsmerkmale bestehen jedoch jeweils gravierende dogmatische und logische Bedenken, sodass eine Abgrenzung an Hand dieser Merkmale nicht möglich ist.[12] Aufgrund dessen wird anschließend ein weiteres Kriterium entwickelt, das die Abgrenzung ermöglicht.

a) Fähigkeiten und Eigenschaften der Beweisperson

Die Fähigkeiten und Eigenschaften der Beweisperson sind als Abgrenzungsmerkmal vollkommen ungeeignet, denn die besondere Sachkunde einer Person auf einem bestimmten Wissensgebiet macht die Abgrenzung des Sachverständigen vom sachverständigen Zeugen überhaupt erst erforderlich. Die Abgrenzungsfrage stellt sich erst, wenn die Beweisperson aufgrund ihrer besonderen Sachkunde Tatsachen wahrnimmt.[13] Stellte man auf die Fähigkeiten und Eigenschaften der Beweisperson als Abgrenzungsmerkmal ab, so gliche das der Quadratur des Kreises. Der Umstand, der die Frage überhaupt erst aufwirft, wird gleichzeitig zur Lösung des Problems herangezogen. Die Unmöglichkeit dessen ist offenkundig. Schmidhäuser bezeichnet das Kriterium vollkommen zu Recht als ein überwundenes Kriterium.[14]

b) Austauschbarkeit der Beweisperson

Auch die Feststellung, dass der Sachverständige im Gegensatz zum Zeugen austauschbar sei, ist ohne Wert. Dallmeyer und Krause haben an Hand der von ihnen angeführten Beispiele dargelegt, weshalb das Kriterium der Austauschbarkeit unbrauchbar ist. So ist bei der Begehung einer Straftat vor einer sehr großen Anzahl von Zuschauern der Zeuge austauschbar. Forscht ein einziger Wissenschaftler auf einem bestimmten Gebiet, so steht nur dieser eine Sachverständige zur Verfügung. Eine Beweisperson, die unwiederholbare Wahrnehmungen unter Anwendung ihrer besonderen Sachkunde macht (Leichenobduktion), ist ebenfalls nicht austauschbar.[15]

c) Schwierigkeit der Denkoperation

Die Einfachheit oder Schwierigkeit der Denkoperation der Beweisperson ist ebenfalls kein geeignetes Abgrenzungskriterium. Auch gutachterliche Äußerungen sachkundiger Auskunftspersonen können sehr unkompliziert sein.[16]

d) Gegenwärtige und vergangene Tatsachen

Der Gesetzgeber ging ausweislich des § 85 StPO davon aus, dass der Sachverständige über gegenwärtige Tatsa-

chen Auskunft gibt, während der sachverständige Zeuge über vergangene Tatsachen Auskunft gibt. Das ist jedoch entgegen der Annahme des Gesetzgebers nicht zutreffend, wie das Beispiel der Obduktion verdeutlicht. Der Obduzent, der nach ganz herrschender Auffassung Sachverständiger ist, berichtet über eine mittlerweile bestattete Leiche und gibt somit Auskunft über vergangene Tatsachen. Dementgegen berichtet eine Beweisperson, die nach herrschender Auffassung Zeuge ist, über gegenwärtige Tatsachen, wenn ein Opfer einer Gewalttat darüber berichtet, ob es nach wie vor Schmerzen verspürt.[17]

e) Anlass und Zweck der Wahrnehmung der Tatsachen durch die Beweisperson

Gemeinhin wird der Umstand, dass der Sachverständige, anders als der Zeuge, seine Wahrnehmungen erst nach seiner Bestellung durch das Gericht gemacht hat, für das entscheidende Kriterium gehalten.[18] Der Zeuge hingegen nahm die Tatsache in der Regel zufällig war. Anhand des nicht sachkundigen Augenscheinsgehilfen wird jedoch deutlich, dass auch die Bestellung des Sachverständigen für sich genommen kein taugliches Abgrenzungskriterium ist. Der nicht sachkundige Augenscheinsgehilfe wird vom Gericht beauftragt und macht sodann Wahrnehmungen über die entsprechenden Tatsachen. Durch die Beauftragung wird der nicht sachkundige Augenscheinsgehilfe jedoch kein Sachverständiger.[19]

Das Kriterium ist auch aufgrund einer weiteren Überlegung abzulehnen. Wenn der Wahrnehmungsanlass der jeweiligen Tatsache durch die Beweisperson entscheidend für die Abgrenzung des sachverständigen Zeugen vom Sachverständigen sein soll, so stünde die Abgrenzung im Belieben des Gerichts. Weigert sich beispielsweise das Gericht eine Beweisperson als Sachverständigen zu bestellen, so könnte das Gericht die Beweisperson im selben Verfahren dennoch als Zeugen vernehmen. Dass es sich dabei nicht um ein akademisches Beispiel handelt, verdeutlicht das oben genannte Ausgangsbeispiel. Folgt man der Ansicht, dass die Bestellung der Beweisperson diese zum Sachverständigen macht, so hätte es der Senat im genannten Ausgangsbeispiel in der Hand, die Beweisperson als sachverständigen Zeugen oder Sachverständigen zu vernehmen. Das Gericht könnte sich, ohne sich dem Vorwurf der Willkür auszusetzen, nach Belieben für eine Bestellung oder dagegen entscheiden. In dem bereits benannten Beispiel gab es, wie bereits ausgeführt, Anzeichen bei der Beweisperson, die diese als Sachverständigen ungeeignet machten. Das Gericht könnte somit beispielsweise einer drohenden Ablehnung eines Sachverständigen zuvorkommen, indem die betreffende Beweisperson nicht als Sachverständiger bestellt wird, sondern lediglich als sachverständiger Zeuge vernommen wird. Unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten kann diese Ansicht nicht überzeugen.

Eine weitere Überlegung stützt die Ablehnung der Ansicht. Nach einhelliger Auffassung kann ein Gericht einen Sachverständigen, der erfolgreich abgelehnt wurde, jedenfalls nicht mehr als Zeugen zu Erfahrungsgrundsätzen oder zu Schlussfolgerungen vernehmen, die er unter Einsatz seiner Sachkunde aus den bekannt gewordenen Tatsachen gezogen hat.[20] Nach richtiger Ansicht muss dasselbe auch für Tatsachen gelten, die der Beweisperson bei der Durchführung des Auftrags bekannt geworden sind.[21] Folgt man der Auffassung, dass es ausschließlich auf die Beauftragung durch das Gericht ankommt, so könnte das Gericht bei Vorliegen von Ablehnungsgründen von einer Bestellung des Sachverständigen absehen und die Beweisperson als Zeugen vernehmen, da erst die Bestellung die Sachverständigeneigenschaft begründet. Ginge das Gericht so vor, so wäre eine Zeugenvernehmung der Beweisperson möglich, da die Sachverständigeneigenschaft nicht eintrat und somit die Zeugenvernehmung nicht sperren könnte. Auch ein solches Vorgehen wäre mit rechtsstaatlichen Grundsätzen unvereinbar.

f) Gesamtschau der einzelnen Abwägungsmerkmale

Auch der Ansatz von Dallmayer und Krause[22], die Abgrenzungskriterien im Rahmen einer Gesamtschau zur Anwendung zu bringen, kann nicht überzeugen. Wenn bereits die einzelnen Merkmale in sich logische und dogmatische Unzulänglichkeiten aufweisen, kann auch eine Gesamtschau diese Unzulänglichkeiten nicht überwinden.[23]

g) Der Inhalt der Bekundung als taugliches Abgrenzungsmerkmal

Es ist erstaunlich, dass in der strafprozessualen Kommentarliteratur immer wieder auf die von Hegler[24] und Metzger[25] entwickelten Aussagekategorien im Zusammenhang mit den Aufgaben des Sachverständigen – nicht hinsichtlich der Abgrenzungsfrage – zurückgegriffen wird[26], ohne dass dabei berücksichtigt wird, in welchem Kontext die Aussagekategorien entwickelt wurden. Die

Aussagekategorien dienten zwar einerseits der Beschreibung der Tätigkeit des Sachverständigen, andererseits verwendete insbesondere Hegler die Aussagekategorien als Abgrenzungsmerkmal des Sachverständigen vom sachverständigen Zeugen. Interessanterweise ist das Abgrenzungsmerkmal der Aussagekategorien jedoch in den späteren Abhandlungen verloren gegangen, obwohl es sich dabei zumindest für das Strafrecht um das einzige taugliche Abgrenzungsmerkmal handelt. Im Folgenden werden die Aussagekategorien dargestellt und es wird aufgezeigt, dass anhand der Aussagekategorien eine Abgrenzung des Sachverständigen vom sachverständigen Zeugen möglich ist.

Die Abgrenzung des Sachverständigen vom sachverständigen Zeugen kann lediglich anhand des Inhalts der jeweiligen Bekundung erfolgen. Das Gericht ist verpflichtet, all diejenigen Tatsachen festzustellen, die für die rechtliche Subsumtion und die Gründe der Entscheidung relevant sind. Sofern das Gericht die Sachkunde zur Feststellung bestimmter Tatsachen fehlt, muss es sachkundige Hilfe in Form des Sachverständigenbeweises in Anspruch nehmen.

Aufgrund der syllogistischen Struktur der Entscheidungsgründe gibt es laut Hegler[27] und Metzger[28] drei Kategorien von Beweisthemen (Aussagekategorien) im Rahmen des Sachverständigenbeweises. Aufgabe des Sachverständigen kann die Mitteilung von Erfahrungsgrundsätzen sein (erste Aussagekategorie), das Ziehen von Schlussfolgerungen (zweite Aussagekategorie) sowie die Mitteilung von Befundtatsachen (dritte Aussagekategorie).

Die Aussagekategorien können im Rahmen des Sachverständigenbeweises einzeln oder – so der Regelfall – kombiniert zur Anwendung kommen.

Sofern die Beweisperson das jeweilige Beweisthema durch die Aussagekategorien erschließt, handelt es sich um ein Gutachten eines Sachverständigen.[29] Hat das Gericht den Sachverständigen nicht bestellt, so liegt in diesem Fall dennoch ein intendierter Sachverständigenbeweis vor, sodass die Beweisperson kein Zeuge ist.[30] Dabei handelt es sich jedoch nicht um ein Abgrenzungskriterium. Die Annahme eines intendierten Sachverständigenbeweises ohne förmliche Bestellung überwindet lediglich die Voraussetzung der Bestellung des Sachverständigen gemäß § 73 StPO.

aa) Erste Aussagekategorie: Mitteilung von Erfahrungsgrundsätzen

Im Rahmen der Mitteilung von Erfahrungsgrundsätzen teilt der Sachverständige Oberprämissen seines Fachgebiets mit. Der Sachverständige teilt allgemeine Erfahrungsätze einer Wissenschaft oder Kunst mit. Darunter fallen unter anderem Mitteilungen über abstrakte Ergebnisse der Geschichtswissenschaften, Erläuterungen von Fachbegriffen[31] sowie Grundsätze der Religionswissenschaften.

bb) Zweite Aussagekategorie: Ziehen von Schlussfolgerungen

Ausgangspunkt der zweiten Kategorie sind feststehende Tatsachen des Prozesses, auf deren Grundlage Schlussfolgerungen kraft Sachkunde gezogen werden. Der Sachverständige gibt Auskunft über die erfolgte Denkoperation. Dabei handelt es sich um den typischen und häufigsten Fall der Sachverständigentätigkeit.

Die zweite Aussagekategorie unterscheidet sich von der dritten Aussagekategorie dadurch, dass der Sachverständige von bereits feststehenden Tatsachen ausgeht und sodann seine Beurteilung vornimmt.[32]

cc) Dritte Aussagekategorie: Mitteilung von Befundtatsachen

Im Rahmen der Mitteilung von Befundtatsachen geht es um die Mitteilung von beweiserheblichen Tatsachen (singuläre Prämissen), die der Sachverständige aufgrund seiner Sachkunde selbst ermittelt, beobachtet oder festgestellt hat.[33] Der Begriff der Befundtatsachen soll dabei zum Ausdruck bringen, dass es sich um Tatsachen handelt, die nur eine sachkundige Person feststellen kann. Daraus folgt für das Gericht zwingend, dass eine solche Person Sachverständiger und nicht Zeuge im Sinne der Strafprozessordnung ist.

Der Sachverständige muss im Rahmen der dritten Aussagekategorie Untersuchungshandlungen vornehmen und darüber seinem Auftraggeber berichten. Die dritte Aussagekategorie unterscheidet sich von der zweiten Aussagekategorie auf erkenntnistheoretischer Ebene. Singuläre Prämissen müssen sich nicht aus einem Schluss ergeben, sondern können allein aufgrund einer Beobachtung akzeptiert werden. Der erkenntnistheoretische Schwerpunkt der dritten Aussagekategorie liegt auf der Wahrnehmung.

Einwände gegen Feststellungen im Rahmen der dritten Aussagekategorie können inhaltlich nur erhoben werden, insoweit eingewendet wird, dass nicht richtig oder nicht vollständig beobachtet worden sei.

2. Die Erforderlichkeit der Abgrenzung des Sachverständigen vom sachverständigen Zeugen

Die Abgrenzung des Sachverständigen vom sachverständigen Zeugen ist lediglich dann erforderlich, wenn die Beweisperson über Wahrnehmungen von Tatsachen ver-

nommen werden soll, die sie aufgrund ihrer besonderen Sachkunde gemacht hat (dritte Aussagekategorie).[34]

Ein Abgrenzungsproblem stellt sich nicht, sofern die Beweisperson lediglich Auskunft im Rahmen der ersten und zweiten Aussagekategorie gibt, denn in diesen Fällen ist sie immer Sachverständiger. Ein Abgrenzungsproblem kann nicht bestehen, weil ein Zeuge lediglich Wahrnehmungen über Tatsachen bekunden kann.[35]

3. Der Kriegsreporter als Beweisperson

Die Frage, ob der Kriegsreporter als Beweisperson Sachverständiger oder sachverständiger Zeuge ist, kann somit nur unter Heranziehung der Aussagekategorien entschieden werden.

Beim Kriegsreporter als Beweisperson ist eine Abgrenzung des sachverständigen Zeugen vom Sachverständigen lediglich bezüglich solcher Wahrnehmungen von Tatsachen erforderlich, die er aufgrund seiner besonderen Sachkunde gemacht hat.

Macht der Kriegsreporter Bekundungen im Sinne der ersten und zweiten Aussagekategorie, so ist er als Beweisperson stets Sachverständiger. Erläutert der Kriegsreporter beispielsweise abstrakte Ergebnisse der Geschichtswissenschaften oder bestehendes Wissen über Religionen oder Funktionsweisen anderer Kulturen, so stellt sich die Abgrenzungsfrage nicht.[36] Ebenfalls ist der Kriegsreporter als Beweisperson Sachverständiger, wenn er Befundtatsachen im Sinne der dritten Aussagekategorie mitteilt. Das gilt zum einen für den Fall, dass die Beweisperson dem Gericht ausschließlich Befundtatsachen mitteilt und zum anderen für den Regelfall, dass die Beweisperson Befundtatsachen im Sinne der dritten Aussagekategorie mitteilt und auf den Befundtatsachen aufbauend Bekundungen im Sinne der zweiten Aussagekategorien tätigt.[37] Teilt der Kriegsreporter beispielsweise neuste Erkenntnisse über Bürgerkriegsparteien mit, so handelt es sich dabei um Befundtatsachen im Sinne der dritten Aussagekategorie. Insoweit besteht kein Unterschied zum bestellten Sachverständigen. Zumal im Kontext der oben beschriebenen Verfahren vor den jeweiligen Oberlandesgerichten die Besonderheit bestand, dass der vom Strafsenat bestellte Sachverständige einen großen Teil seiner Befundtatsachen ebenfalls vor der Bestellung durch Reisen in das Krisengebiet gemacht hatte und nicht anlässlich der Bestellung als Sachverständiger.

III. Zusammenfassung

Es konnte gezeigt werden, dass die Frage der Abgrenzung des Sachverständigen vom sachverständigen Zeugen im Rahmen der Strafprozessordnung möglich ist. Entscheidend für die Abgrenzungsfrage sind die von Hegler und Metzger entwickelten Aussagekategorien. Auf der Grundlage der Aussagekategorien ist auch die Einordnung der Beweisperson des Kriegsreportes möglich. Sofern sich die Abgrenzungsfrage beim Kriegsreporter überhaupt stellt, ist er jedenfalls dann Sachverständiger, wenn er Befundtatsachen der dritten Aussagekategorie mitteilt. Unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten ist es keinesfalls tolerabel, wenn die Abgrenzungsfrage anhand der Bestellung der Beweisperson zum Sachverständigen entschieden wird.

Es bleibt zu hoffen, dass Wissenschaft und Praxis die Erforderlichkeit der Abgrenzung erkennen und nunmehr weitere Lösungsansätze entwickelt werden, um die Frage durch eine fundierte Auseinandersetzung einer weiteren Lösung zuzuführen.


[1] Diehl/Reuter/Schmid , Journalist als Zeuge in Terror-Prozessen: Der Erzähler, http://www.spiegel.de/politik/deutschland/franz-feyder-als-zeuge-in-terror-prozessen-der-erzaehler-a-1086844.html (zuletzt besucht am 26.08.2016).

[2] Hegler , Die Unterscheidung des Sachverständigen vom Zeugen im Prozeß, AcP 104 (1909), 151; Schmidhäuser, Zeuge, Sachverständiger und Augenscheinsgehilfe, ZZP 72 (1959), 366.

[3] Dahs , Die Revision im Strafprozess, 8. Auflage (2012), Rn. 290.

[4] Vgl. dazu Dippel, Die Stellung des Sachverständigen im Strafprozess (2012), S. 14 ff. m.w.N.

[5] Diehl/Reuter/Schmid , Journalist als Zeuge in Terror-Prozessen: Der Erzähler, http://www.spiegel.de/politik/deutschland/franz-feyder-als-zeuge-in-terror-prozessen-der-erzaehler-a-1086844.html (zuletzt besucht am 26.08.2016).

[6] Schmidhäuser , Zeuge, Sachverständiger und Augenscheinsgehilfe, ZZP 72 (1959), 366 f.

[7] Siege dazu auch Toepel, Grundstrukturen des Sachverständigenbeweises im Strafprozessrecht (2002), S. 261 m.w.N.

[8] Dahs , Die Revision im Strafprozess, 8. Auflage (2012), Rn. 290 m.w.N.

[9] Krause /LR-StPO, 26. Auflage (2008), § 85 Rn. 1.

[10] Krause /LR-StPO, 26. Auflage (2008), § 85 Rn. 1; Alsberg/Güntge, Der Beweisantrag im Strafprozess, 6. Auflage (2013), Rn. 377.

[11] Alsberg/Güntge, Der Beweisantrag im Strafprozess, 6. Auflage (2013), Rn. 377; OLG Düsseldorf, Rechtspfleger, 1975, 71; Rogall/SK-StPO, 4. Auflage (2013), Vor. § 72 Rn. 6.

[12] Alsberg/Güntge, Der Beweisantrag im Strafprozess, 6. Auflage (2013), Rn. 380 ff.; Krause/LR-StPO, 26. Auflage (2008), § 85 Rn. 4 ff.

[13] Alsberg/Güntge, Der Beweisantrag im Strafprozess, 6. Auflage (2013), Rn. 381.

[14] Schmidhäuser , Zeuge, Sachverständiger und Augenscheinsgehilfe, ZZP 72 (1959), 368.

[15] Alsberg/Güntge, Der Beweisantrag im Strafprozess, 6. Auflage (2013), Rn. 382; Krause/LR-StPO, 26. Auflage (2008), § 85 Rn. 6.

[16] Alsberg/Güntge, Der Beweisantrag im Strafprozess, 6. Auflage (2013), Rn. 384; Krause/LR-StPO, 26. Auflage (2008), § 85 Rn. 8.

[17] Schmidhäuser , Zeuge, Sachverständiger und Augenscheinsgehilfe, ZZP 72 (1959), S. 371 m.w.N.; Alsberg/Güntge, Der Beweisantrag im Strafprozess, 6. Auflage (2013), Rn. 387; Krause/LR-StPO, 26. Auflage (2008), § 85 Rn. 10.

[18] Schmid , Lehrkommentar zur Strafprozeßordnung und zum Gerichtsverfassungsgesetz, Teil II (1957), S. 174; Alsberg/Güntge, Der Beweisantrag im Strafprozess, 6. Auflage (2013), Rn. 387; Krause/LR-StPO, 26. Auflage (2008), § 85 Rn. 10; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 07.01.2014 – III-1 Ws 430/13; Toepel, Grundstrukturen des Sachverständigenbeweises im Strafprozessrecht (2002), S. 264 ff.; Schmidhäuser , Zeuge, Sachverständiger und Augenscheinsgehilfe, ZZP 72 (1959), 371 ff.

[19] Alsberg/Güntge, Der Beweisantrag im Strafprozess, 6. Auflage (2013), Rn. 387; Krause/LR-StPO, 26. Auflage (2008), § 85 Rn. 10

[20] Rogall/ SK-StPO, 4. Auflage (2013), Vor. § 72 Rn. 78;

[21] Vergleiche zum Streitstand statt vieler: Rogall/SK-StPO, 4. Auflage (2013), Vor. § 72 Rn. 77 m.w.N.

[22] Alsberg/Güntge, Der Beweisantrag im Strafprozess, 6. Auflage (2013), Rn. 388; Krause/LR-StPO, 26. Auflage (2008), § 85 Rn. 11.

[23] Siehe dazu auch: Schmidhäuser, Zeuge, Sachverständiger und Augenscheinsgehilfe, ZZP 72 (1959), 377 mit weiteren Beispielen.

[24] Hegler , Die Unterscheidung des Sachverständigen vom Zeugen im Prozeß, AcP 104 (1909), 151 ff.

[25] Metzger , Der psychiatrische Sachverständige im Strafprozeß, AcP 117 (1918) – Beilagenheft – S. 1 ff.

[26] Vergleiche statt vieler: Rogall/SK-StPO, 4. Auflage (2013), Vor § 72 Rn. 78.

[27] Hegler , Die Unterscheidung des Sachverständigen vom Zeugen im Prozeß, AcP 104 (1909), 151 ff.

[28] Metzger , Der psychiatrische Sachverständige im Strafprozeß, AcP 117 (1918) – Beilagenheft – S. 1 ff.

[29] Rogall/ SK-StPO, 4. Auflage (2013), Vor § 72 Rn. 91.

[30] Rogall/ SK-StPO, 4. Auflage (2013), Vor § 72 Rn. 91 (Fußnote 414) m.w.N.

[31] Rogall/ SK-StPO, 4. Auflage (2013), Vor § 72 Rn. 81 m.w.N.

[32] Vergleiche zum Ganzen Rogall/SK-StPO, 4. Auflage (2013), Vor § 72 Rn. 82 m.w.N.

[33] Rogall/ SK-StPO, 4. Auflage (2013), Vor § 72 Rn. 83 m.w.N.

[34] Rogall/ SK-StPO, 4. Auflage (2013), Vor § 72 Rn. 92 m.w.N.; Krause/LR-StPO, 26. Auflage (2008), § 85 Rn. 3; Alsberg/Güntge, Der Beweisantrag im Strafprozess, 6. Auflage (2013), Rn. 379.

[35] Alsberg/Güntge, Der Beweisantrag im Strafprozess, 6. Auflage (2013), Rn. 379.

[36] Rogall/ SK-StPO, 4. Auflage (2013), Vor § 72 Rn. 81 m.w.N.

[37] Rogall/ SK-StPO, 4. Auflage (2013), Vor § 72 Rn. 80.