Alle Ausgaben der HRRS, Aufsätze und Anmerkungen ab dem Jahr 2000.
HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Dezember 2006
7. Jahrgang
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Sehr geehrte Leserinnen und Leser,
die HRRS-Ausgabe Dezember 2006 widmet sich unter anderen den Themen der Wiederaufnahme (Übersicht über aktuelle Entwicklung anhand von Marxen/Tiemann - Autor Ziemann) und dem derzeitigen Streitthema der "Rügeverkümmerung" (Besprechungsaufsatz zum Vorlagebeschluss des 1. Strafsenats). Ebenso werden jüngere rechtspolitische Vorschläge zu Änderungen der StPO kritisch besprochen (Aufsatz von Matthies/Matthies: "Hände weg von der StPO!").
Aus der Rechtsprechung ist insbesondere die in mehreren Hinsichten lesenswerte und wichtige zweite Entscheidung des BGH in dem Verfahren gegen El Motassadeq zu nennen. Sehr bedeutsam ist etwa auch die Entscheidung zur Entsendebescheinigung E 101. Die Ausgabe umfasst insgesamt 100 aufgenommenen Entscheidungen und drei Rezensionen.
Mit freundlichen Grüßen für die Redaktion
Karsten Gaede
1. Wenn eine Verurteilung nur oder in entscheidendem Ausmaß auf Aussagen beruht, die von einer Person gemacht worden sind, hinsichtlich derer der Angeklagte weder während der Ermittlungsphase noch während des gerichtlichen Hauptverfahrens eine Gelegenheit hatte, sie zu prüfen oder prüfen zu lassen, sind die Verteidigungsrechte grundsätzlich in einem Ausmaß beschränkt, das mit den von Art. 6 EMRK gewährten Garantien unvereinbar ist.
2. Zu einem Einzelfall, in dem die Rechtseinschränkung auf einer Bedrohung des Zeugen durch den Angeklagten beruht und eine rechtsstaatswidrige Tatprovokation behauptet wird.
1. Das Präsidium ist bei einem Ausscheiden eines Richters aus dem Dienst zwar nicht darauf beschränkt, lediglich die frei gewordene Stelle zu besetzen, es muss aber
bei einer Änderung der Geschäftsverteilung u.A. darauf zu achten, dass für die effektive Weiterbearbeitung der bereits terminierten Haftsachen Sorge getragen wird.
2. Auf Grund der wertsetzenden Bedeutung des Grundrechts der Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 und 3 i.V.m. Art. 104 GG) muss das Verfahren der Haftprüfung und Haftbeschwerde so ausgestaltet sein, dass nicht die Gefahr einer Entwertung der materiellen Grundrechtsposition besteht (vgl. hierzu BVerfGE 53, 30, 65). Dem ist durch eine verfahrensrechtliche Kompensation (vgl. BVerfGE 17, 108, 117 ff.; 46, 325, 334 f.) des mit dem Freiheitsentzug verbundenen Grundrechtseingriffs, namentlich durch erhöhte Anforderungen an die Begründungstiefe von Haftfortdauerentscheidungen Rechnung zu tragen (vgl. BVerfGE 103, 21, 35 f.). Die mit Haftsachen betrauten Gerichte haben sich bei der zu treffenden Entscheidung über die Fortdauer der Untersuchungshaft mit deren Voraussetzungen eingehend auseinander zu setzen und diese entsprechend zu begründen. In der Regel sind in jedem Beschluss über die Anordnung der Fortdauer der Untersuchungshaft aktuelle Ausführungen zu dem weiteren Vorliegen ihrer Voraussetzungen, zur Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht des Beschuldigten und dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit sowie zur Frage der Verhältnismäßigkeit geboten (stRspr.). Diese Ausführungen müssen in Inhalt und Umfang eine Überprüfung des Abwägungsergebnisses am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht nur für den Betroffenen selbst, sondern auch für das die Anordnung treffende Fachgericht im Rahmen einer Eigenkontrolle gewährleisten und in sich schlüssig und nachvollziehbar sein (stRspr.).
1. Der Begriff der Maßnahme zur Regelung einzelner Angelegenheiten im Sinne des § 109 StVollzG ist im Lichte der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG auszulegen. Für die Beantwortung der Frage, ob ein Handeln oder Unterlassen der Justizvollzugsanstalt eine regelnde Maßnahme im Sinne des § 109 StVollzG darstellt, kommt es darauf an, ob die Möglichkeit besteht, dass dieses Handeln oder Unterlassen Rechte des Gefangenen verletzt.
2. Lockerungsbezogene Elemente des Vollzugsplans können unter den Begriff der anfechtbaren Maßnahme i.S.d. § 109 StVollzG fallen. Dies gilt nicht nur dann, wenn der Vollzugsplan erstmalig aufgestellt wird, sondern auch dann wenn neue Behandlungsmaßnahmen oder maßnahmebezogenen Negativplanungen in den Plan aufgenommen werden. Eine Maßnahme liegt aber auch dann vor, wenn bisherige Inhalte hinsichtlich der jeweiligen Behandlungsmaßnahme auf Grundlage erneuter Prüfung fortgeschrieben werden oder eine erneute Prüfung bei der Fortschreibung erforderlich gewesen wäre.
3. Die grundsätzlich gegebene Möglichkeit eine Rechtsverletzung durch lockerungsbezogene Lücken oder Inhalte des Vollzugsplans geltend zu machen, besteht unabhängig davon, ob der Gefangene zuvor Lockerungen beantragt hat.
4. Das Strafvollzugsgesetz hat die Funktion, die objektive und subjektive Rechtsstellung des Gefangenen gesetzlich festzulegen (vgl. BVerfGE 33, 1, 10 f.; 45, 187, 239). Das grundrechtlich gemäß Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistete Persönlichkeitsrecht des Gefangenen gebietet, den Strafvollzug auf das Ziel der Resozialisierung auszurichten (BVerfGE 96, 100, 115; 98, 169, 200).
5. Auf die Einhaltung der den Vollzugsplan betreffenden gesetzlichen Bestimmungen hat der Gefangene, der Funktion des Strafvollzugsgesetzes entsprechend, einen einklagbaren Anspruch (stRspr.).
1. Der Vollzugsplan, zu dessen Aufstellung und kontinuierlicher Fortschreibung § 7 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 StVollzG die Vollzugsbehörde verpflichtet, ist zentrales Element eines am Resozialisierungsziel ausgerichteten Vollzuges. Der Vollzug von Freiheitsstrafen ist nicht nur kraft einfachen Gesetzesrechts, sondern von Verfassungs wegen auf das Ziel der Resozialisierung verpflichtet (vgl. BVerfGE 35, 202, 235 f.; 98, 169, 200). Der Plan hat daher - auch bei Verurteilten mit lebenslänglicher Freiheitsstrafe - auf die Entwicklung des Gefangenen und die in Betracht kommenden Behandlungsansätze in zureichender, Orientierung ermöglichender Weise einzugehen. Eine Vollzugsplanung, die diesbezügliche Mindestanforderungen nicht erfüllt, genügt auch den grundrechtlichen Anforderungen nicht.
2. Das Strafvollzugsgesetz fordert für die Aufstellung des Vollzugsplans, dass der Anstaltsleiter hierzu und zur Überprüfung des Vollzugsplans Konferenzen mit den an der Behandlung maßgeblich Beteiligten durchführt (§ 159 StVollzG). Diese dürfen nicht durch ein ausschließ-
lich schriftliches, auf den Austausch entsprechender Aktenvermerke beschränktes Verfahren ersetzt werden.
3. Der Vollzugsplan muss erkennen lassen, dass neben einer Beurteilung des bisherigen Behandlungsverlaufs auch eine Auseinandersetzung mit den zukünftig erforderlichen Maßnahmen stattgefunden hat. Hierzu sind wenigstens in groben Zügen die tragenden Gründe darzustellen, welche die Anstalt zur Befürwortung oder zur Verwerfung bestimmter Maßnahmen veranlasst haben.
4. Zeit, Ort und Teilnehmer sowie der wesentliche Inhalt der Vollzugsplankonferenz sind aktenkundig zu machen. Dabei kann dahinstehen, ob es der Anfertigung eines gesonderten Konferenzprotokolls bedarf; jedenfalls müssen die für den Gefangenen einsehbaren Unterlagen eine hinreichende Auseinandersetzung mit der Person des Betroffenen im Rahmen der seiner Vollzugsplanung gewidmeten Konferenz erkennen lassen.
1. Der Schuldgrundsatz verbietet es, eine Tat ohne Schuld des Täters strafend oder strafähnlich zu ahnden (vgl. BVerfGE 20, 323, 331; 86, 288, 313). Die Verhängung einer Disziplinarmaßnahme auf der Grundlage eines bloßen Verdachts stellt einen Verstoß gegen den Schuldgrundsatz dar. Disziplinarmaßnahmen dürfen nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei geklärt ist, ob ein schuldhafter Pflichtverstoß überhaupt vorliegt (vgl. Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Februar 2004 - 2 BvR 1709/02 -, BVerfGK 2, 318, 323 f.). Hinreichender Tatsachenfeststellungen bedarf es auch für die gebotene Prüfung, ob die verhängten Sanktionen insgesamt schuldangemessen und auch sonst verhältnismäßig sind (vgl. BVerfG StV 1994, 263).
2. Die fachgerichtliche Überprüfung grundrechtseingreifender Maßnahmen kann die rechtsstaatlich gebotene Beachtung des geltenden Rechts und den effektiven Schutz der berührten materiellen Rechte nur gewährleisten, wenn sie auf zureichender Aufklärung des jeweiligen Sachverhalts beruht (vgl. BVerfGE 101, 275, 294 f.). Dies gilt auch für die gerichtliche Überprüfung eingreifender Maßnahmen im Strafvollzug. Der bloße Verweis des erkennenden Richters auf seine langjährigen Erfahrungen als Richter einer Strafvollstreckungskammer genügt dem nicht.
3. Das Gericht darf Rechtmäßigkeit einer angegriffenen Disziplinarmaßnahme nicht unter Auswechselung der von der Anstalt angeführten Gründe für die angenommene Pflichtwidrigkeit des sanktionierten Verhaltens bestätigen, sondern hat die Maßnahme auf der Grundlage des von der Anstalt erhobenen Vorwurfes zu prüfen.
1. Ein Eingriff in die persönliche Freiheit kann nur hingenommen werden, wenn und soweit der legitime Anspruch der staatlichen Gemeinschaft auf vollständige Aufklärung der Tat und auf rasche Bestrafung des Täters nicht anders gesichert werden kann. Dieser Grundsatz gilt auch für den Haftbefehl nach § 230 Abs. 2 StPO.
2. Als Mittel, die Anwesenheit des Angeklagten in einem neuen Verhandlungstermin sicherzustellen, sieht § 230 Abs. 2 StPO in erster Linie die Anordnung der Vorführung vor. Erst in zweiter Linie kann der stärker in die persönliche Freiheit eingreifende Haftbefehl in Frage kommen.
3. Einem Termin, dessen Stattfinden nicht bekannt ist, kann man nicht unentschuldigt fernbleiben.