HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Januar 2006
7. Jahrgang
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Hervorzuhebende Entscheidungen des BGH

I. Materielles Strafrecht

1. Schwerpunkt Allgemeiner Teil des StGB


Entscheidung

34. BGH 1 StR 410/05 - Urteil vom 13. Dezember 2005 (LG Memmingen)

Bedingter Tötungsvorsatz bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen gegen ein Kind (Beweiswürdigung; Abgrenzung zur Fahrlässigkeit; Begriff der äußerst gefährlichen Gewalthandlungen); Unterlassensstrafbarkeit (Abgrenzung zum positiven Tun); erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit.

§ 15 StGB; § 261 StPO; § 212 StGB; § 13 StGB; § 20 StGB; § 21 StGB

1. Bei "äußerst" gefährlichen Gewalthandlungen liegt es grundsätzlich nahe, dass der Täter auch mit der Möglichkeit rechnet, das Opfer könne dabei auch zu Tode kommen, wenn dies für sich allein betrachtet aber noch kein zwingender Beweisgrund für die Billigung eines Todeserfolges durch den Täter ist (sog. voluntatives Element des Vorsatzes, vgl. BGH NStZ 2001, 475, 476).

2. Zum Begriff der "äußerst" gefährlichen Gewalthandlungen: Einbeziehung der äußeren Handlungsumstände (hier: voraussehbares Aufschlagen des Kopfes eines Kindes auf einer Wand nach Schlag mit der flachen Hand).

3. Auch bei der Abgrenzung von Vorsatz und Fahrlässigkeit ist die Beweiswürdigung Sache des Tatrichters und revisionsrechtlicher Überprüfung nur eingeschränkt zugänglich. Wenn bei der Beantwortung der Frage, ob Angeklagte vorsätzlich, bedingt vorsätzlich oder (be-

wusst) fahrlässig gehandelt haben, allein aus äußeren Umständen auf deren innere Einstellung zur Tat geschlossen werden muss, bedarf es jedoch einer umfassenden Würdigung des insoweit relevanten festgestellten Sachverhalts (vgl. BGH NStZ 2004, 35, 36).


Entscheidung

50. BGH 4 StR 337/05 - Urteil vom 10. November 2005 (LG Dortmund)

Strafbefreiender Rücktritt vom Versuch des Totschlages (unbeendeter Versuch).

§ 24 StGB; § 22 StGB; § 212 StGB

Ein unbeendeter Versuch ist nach ständiger Rechtsprechung dann gegeben, wenn der Täter nach der letzten Ausführungshandlung nicht mit dem Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolges rechnet und die Vollendung aus seiner Sicht noch möglich erscheint (vgl. BGHSt 39, 221, 227 m.w.N.; BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Versuch, unbeendeter 31); ein beendeter Versuch liegt dagegen vor, wenn der Täter zu diesem Zeitpunkt in seiner subjektiven Vorstellung den Erfolgseintritt für möglich hält (vgl. BGHSt aaO; 31, 170, 171) oder sich - namentlich nach besonders gefährlichen Gewaltanwendungen, die zu schweren Verletzungen geführt haben - keine Vorstellungen über die Folgen seines Handelns macht (vgl. BGHSt 40, 304 f.).


Entscheidung

11. BGH 2 StR 455/05 - Urteil vom 7. Dezember 2005 (LG Darmstadt)

Erheblich verminderte Schuldfähigkeit (Betäubungsmittelabhängigkeit; schwere Persönlichkeitsveränderungen; Beschaffungstaten).

§ 21 StGB; § 49 Abs. 1 StGB

Das bloße Vorliegen einer psychischen oder körperlichen Betäubungsmittelabhängigkeit begründet auch dann nicht schon ohne Weiteres die Annahme dauerhaft erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit, wenn zur unmittelbaren Befriedigung oder zur Finanzierung der Abhängigkeit Betäubungsmittel erworben oder Handel mit ihnen getrieben wird. Eine solche Einschränkung im Sinne eines Dauerzustands kommt vielmehr in der Regel nur in Betracht, wenn schwere Persönlichkeitsveränderungen auf Grund langjährigen Rauschmittelkonsums vorliegen oder Beschaffungstaten unter erheblichen akuten Entzugserscheinungen begangen werden.

2. Schwerpunkt Besonderer Teil des StGB


Entscheidung

47. BGH 4 StR 243/05 - Urteil vom 24. November 2005 (LG Neubrandenburg)

Täterschaft und Teilnahme beim Mord (Akzessorietät; täterbezogene und tatbezogene Mordmerkmale; versuchte Anstiftung zum Mord; Habgier; niedrige Beweggründe bei der Tötung des Ehepartners; Anstiftervorsatz; Konkurrenzen bei den Tötungsdelikten).

§ 211 StGB; § 28 StGB; § 29 StGB; § 30 StGB; § 26 StGB; § 52 StGB; § 15 StGB

1. Verwirklicht der Haupttäter nach der Vorstellung des Anstiftenden von den Tatumständen bei dem angestrebten Tötungsdelikt ein tatbezogenes Merkmal der zweiten Gruppe des § 211 StGB, ist für eine Strafmilderung nach § 28 Abs. 1 StGB kein Raum (vgl. BGH NJW 2005, 996, 997 m.w.N.). Ist das angestrebte Tötungsdelikt nach der Vorstellung des Anstiftenden ein Heimtückemord, bleibt es bei der streng akzessorischen Bestrafung des Teilnehmers.

2. Für den Anstifter reicht, auch soweit es die Verwirklichung der Mordmerkmale durch die mit der Ausführung der Tat Beauftragten betrifft, bedingter Vorsatz aus (vgl. BGHSt 44, 99; BGH NJW 2005, 996, 997). Bedingten Vorsatz in diesem Sinne hat ein Straftäter aber auch dann, wenn er aus Gleichgültigkeit mit jeder eintretenden Möglichkeit einverstanden ist (vgl. BGHSt 40, 304, 306 f.).


Entscheidung

57. BGH 4 StR 506/05 - Beschluss vom 1. Dezember 2005 (LG Dortmund)

Nötigung als Erfolgsdelikt (Abgrenzung vom notwendigen Erfolg der Körperverletzung; unselbständiger Teil der für die Körperverletzung aufgewendeten Gewalt; versuchte Nötigung: Feststellung weitergehender Ziele); Aufrechterhaltung des Strafausspruchs (angemessene Rechtsfolge; gesetzlicher Richter; rechtliches Gehör; Rechtsweggarantie; Recht auf ein faires Verfahren).

§ 240 StGB; § 223 StGB; § 22 StGB; § 354 Abs. 1 a StPO; Art. 6 EMRK; Art. 103 Abs. 1 GG; Art. 2 Abs. 1 GG; Art. 20 Abs. 3 GG; Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG; Art. 19 Abs. 4 GG

1. § 240 StGB ist als Erfolgsdelikt ausgestaltet. Die Anwendung des Nötigungsmittels muss in kausalem Sinne zu dem vom Täter geforderten Verhalten des Opfers führen (BGHSt 37, 350, 353; BGHR StGB § 240 Abs. 1 Nötigungserfolg 3). Entscheidende Voraussetzung für die Annahme einer Nötigung ist deshalb, dass der Genötigte als Folge der tatbestandsmäßigen Handlung mit einem von ihm vom Täter geforderten Verhalten zumindest begonnen hat (vgl. BGHR aaO Nötigungserfolg 2).

2. Die mit einer Körperverletzungshandlung als solche verbundene Beeinträchtigung stellt nicht per se zugleich einen relevanten Nötigungserfolg dar. Werden keine weitergehenden, mit der Tathandlung verfolgten Ziele festgestellt, genügt konkret auch ein kurzfristiges Fixieren des Opfers am Boden als unselbständiger Teil der vom Angeklagten ausgeübten Gewalt nicht aus.


Entscheidung

54. BGH 4 StR 431/05 - Beschluss vom 10. November 2005 (LG Siegen)

Fahrlässiger gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr (konstitutiver Schädigungsvorsatz).

§ 315 b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 5 StGB

Im fließenden Straßenverkehr stellt ein Verkehrsvorgang nur dann einen Eingriff in den Straßenverkehr im Sinne des § 315 b Abs. 1 StGB dar, wenn zu dem bewusst zweckwidrigen Einsatz eines Fahrzeugs in verkehrsfeindlicher Einstellung hinzukommt, dass es mit (mindestens bedingtem) Schädigungsvorsatz - etwa als Waffe oder Schadenswerkzeug - missbraucht wird (vgl. BGHSt 48, 233).