HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 422
Bearbeiter: Karsten Gaede/Sina Aaron Moslehi
Zitiervorschlag: BGH, 6 StR 644/21, Beschluss v. 09.02.2022, HRRS 2022 Nr. 422
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dessau-Roßlau vom 29. Juni 2021, soweit es ihn betrifft,
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Fall II.2 der Urteilsgründe) und der Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier Fällen (Fälle II.1, 3 bis 5), schuldig ist
b) in den Aussprüchen über die in den Fällen II.1, 2 und 3 verhängten Strafen aufgehoben, soweit eine Festsetzung der Tagessatzhöhe unterblieben ist,
c) im Ausspruch über die erste Gesamtstrafe (Fälle II.1 bis 3) mit Ausnahme der zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
d) im Ausspruch über die zweite Gesamtstrafe (Fälle II. 4 und 5) dahin klargestellt, dass der Angeklagte wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen unter Einbeziehung der Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Dessau-Roßlau vom 24. März 2021 zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt ist,
e) im Einziehungsausspruch über 860 Euro aufgehoben und dahin klargestellt, dass die weitergehende Einziehungsentscheidung nicht diesen Angeklagten betrifft.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in fünf Fällen unter Einbeziehung der Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Leipzig vom 19. Mai 2019 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten und unter Einbeziehung der Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Dessau-Roßlau vom 24. März 2021 zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Ferner hat es Einziehungsentscheidungen getroffen. Die auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie entsprechend den Ausführungen des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
1. Der Ausspruch über die unter Einbeziehung der Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Leipzig vom 9. Mai 2019 gebildete Gesamtstrafe hat keinen Bestand. Denn der Senat kann aufgrund fehlender Feststellungen zum Vollstreckungsstand bezüglich des Strafbefehls des Amtsgerichts Bitterfeld-Wolfen vom 10. Dezember 2018 nicht überprüfen, ob eine Einbeziehung der hierdurch ausgeurteilten Geldstrafe und die Bildung einer (weiteren) Gesamtstrafe gemäß § 55 StGB mit den für die Tat II.1 der Urteilsgründe verhängten Strafe rechtsfehlerfrei unterblieben ist (vgl. BGH, Beschluss vom 4. März 2021 - 2 StR 431/20 Rn. 39 mwN). Selbst in Ansehung der persönlichen Verhältnisse kann eine Benachteiligung des Angeklagten durch eine möglicherweise fehlerhaft unterbliebene weitere Gesamtstrafenbildung nicht gänzlich ausgeschlossen werden.
Die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer wird das Verbot der reformatio in peius zu beachten haben. Dem Angeklagten darf ein in der nachträglichen Gesamtstrafenbildung des angegriffenen Urteils liegender Vorteil nicht mehr genommen werden (§ 358 Abs. 2 StPO).
Die hierzu getroffenen Feststellungen können aufrechterhalten werden, weil sie von dem Rechtsfehler nicht betroffen sind. Ergänzende Feststellungen sind möglich, sofern sie den bisher getroffenen nicht widersprechen.
2. Hinsichtlich der in den Fällen II.1, 2 und 3 der Urteilsgründe verhängten Geldstrafen hat es das Landgericht rechtsfehlerhaft unterlassen, die Tagessatzhöhe zu bestimmen (§ 40 Abs. 2 StGB). Dies wird durch die Einbeziehung der Geldstrafen in eine Gesamtfreiheitsstrafe nicht entbehrlich (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Juli 2021 - 6 StR 268/21 Rn. 4). Das Verschlechterungsverbot steht der Nachholung nicht entgegen; nach dem angegriffenen Urteil eingetretene Einkommens- und/oder Vermögensverbesserungen dürfen jedoch nicht zum Nachteil des Angeklagten gewertet werden (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Mai 1981 - 4 StR 599/80, BGHSt 30, 93, 97).
3. Die Einziehung von Taterträgen des gemäß Urteilstenor „sichergestellten“ Bargeldbetrags von 860 Euro hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
Zunächst kann dem angefochtenen Urteil nicht entnommen werden, dass bei dem Angeklagten 860 Euro sichergestellt worden sein könnten. Die Ausführungen des Landgerichts ergeben vielmehr, dass es eine - versehentlich auf § 73a StGB, in der Sache aber wohl auf § 73c Satz 1 StGB gestützte - Einziehungsentscheidung deswegen getroffen hat, weil der Angeklagte für den gewinnbringenden Weiterverkauf von 370 Gramm Marihuana im Fall II.2 der Urteilsgründe Methamphetamin („Crystal“) im Wert von mindestens 925 EUR für seinen Eigenkonsum erhalten hat (UA S. 35 i.V.m. S. 11). Die Wertersatzeinziehung ist grundsätzlich auch möglich, weil der Angeklagte das Betäubungsmittel im Sinne von § 73 Abs. 1 StGB durch die Tat erlangt hat und dieses nicht mehr vorhanden ist (vgl. BGH, Urteil vom 23. Juli 2015 - 3 StR 37/15, NStZ 2016, 618; Weber in Weber/Kornprobst/Maier, BtMG, 6. Aufl., § 33 Rn. 75, jeweils mwN). Insoweit fehlt es jedoch an Belegen zum Wert des erlangten Metamphetamins. Das neue Tatgericht wird sie im Wege der Schätzung zu erbringen haben.
4. Der Einziehungsausspruch war ferner dahin klarzustellen (§ 354 Abs. 1 StPO analog), dass die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 3.494,11 Euro und der Gerätschaften für den Anbau nicht gegen den Angeklagten angeordnet worden ist. Er erlangte - anders als der Nichtrevident - weder die Verfügungsgewalt über den Verkaufserlös (§ 73 Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB) noch war er Eigentümer der Geräte (§ 74 Abs. 1 und 3 Satz 1 StGB).
5. Die Urteilsformel ist - auf der Grundlage der zutreffenden rechtlichen Würdigung der Tat durch das Landgericht - im Schuldspruch teilweise neu zu fassen.
a) Aus dem Tenor muss sich ergeben, für welche Taten der Angeklagte zu welcher Gesamtstrafe verurteilt worden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 2. Dezember 2021 - 6 StR 555/21 mwN). Die korrigierte Fassung trägt dem Rechnung.
b) Ferner war entsprechend der rechtsfehlerfreien rechtlichen Würdigung des Landgerichts zum Ausdruck zu bringen, dass der Angeklagte durch den (eigenmächtigen) Verkauf von Teilen des angebauten Marihuanas täterschaftlich den Tatbestand des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29a BtMG) tateinheitlich zur Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verwirklicht hat. Eine „Verböserung“ des Schuldspruchs auf die Revision des Angeklagten verletzt nicht das Verschlechterungsverbot des § 358 Abs. 2 StPO (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 20. Juli 2021 ? 4 StR 31/21 Rn. 4 mwN). Auch § 265 StPO steht nicht entgegen, weil der Senat ausschließt, dass der geständige Angeklagte sich wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.
6. Schließlich ist auf Folgendes hinzuweisen:
Das neue Tatgericht wird eine Entscheidung über den Vorwegvollzug der Strafe vor der Maßregel (§ 67 Abs. 2 Satz 2 StGB) zu treffen haben. Das Landgericht hat zwar rechtsfehlerfrei die im Urteil des Landgerichts Dessau-Roßlau vom 24. März 2021 angeordnete Maßregel gemäß § 55 Abs. 2 StGB aufrechterhalten. Es hat jedoch nicht erkennbar eine Entscheidung über die Vollstreckungsreihenfolge gemäß § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB in den Blick genommen (vgl. BGH, Beschluss vom 23. November 2017 ? 4 StR 477/17, NStZ 2018, 526). Werden in einem Urteil wegen der Zäsurwirkung einer Vorverurteilung zwei (Gesamt-) Strafen verhängt, so ist - anders als in den Fällen der Vollstreckung mehrerer Freiheitsstrafen aus verschiedenen Urteilen - die Vorschrift über die Reihenfolge der Vollstreckung (§ 67 StGB) auf beide Strafen anzuwenden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 26. Mai 2020 - 2 StR 65/20, NStZ-RR 2020, 242, 243; vom 19. Januar 2010 - 3 StR 499/09, NStZ-RR 2011, 106, 107). Die verhängten Gesamtstrafen betragen in der Summe - ungeachtet des Schicksals der ersten Gesamtstrafe - mehr als drei Jahre. Gemäß § 358 Abs. 2 Satz 3 StPO kommt es dabei nicht darauf an, ob der Angeklagte durch die Nichtanordnung des Vorwegvollzugs beschwert ist (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Januar 2008 - 5 StR 624/07 mwN).
HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 422
Bearbeiter: Karsten Gaede/Sina Aaron Moslehi