hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 868

Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß

Zitiervorschlag: BGH, 6 StR 334/20, Beschluss v. 16.06.2021, HRRS 2021 Nr. 868


BGH 6 StR 334/20 - Beschluss vom 16. Juni 2021 (LG Potsdam)

Untreue (Pflichtverletzung: fehlende Transparenz der Entscheidung, eigenwirtschaftliche Ziele; Vermögensnachteil: Bestimmung des objektiven Wertes einer Immobilie); Strafverfolgungsverjährung (Unterbrechungswirkung: Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgebots, fehlende Ausführungen zu der Verhältnismäßigkeit in einem Durchsuchungsbeschluss); Ausschöpfungsrüge (Unzulässigkeit).

§ 266 StGB; § 78c StGB; § 261 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Für die Bestimmung des objektiven Werts einer Immobilie ist die Feststellung ihres Verkehrswertes der zutreffende Ansatz. Dieser bemisst sich nach dem Preis, der im maßgebenden Zeitpunkt im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach den Eigenschaften, der sonstigen Beschaffenheit und Lage des Grundstücks ohne Rücksicht auf ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse zu erzielen wäre. Dazu kann ein Kaufpreis zugrunde gelegt werden, der für die Beschaffung eines gleichartig gelegenen und eingerichteten Grundstücks erforderlich wäre oder den ein Kaufbewerber, der ebenfalls einen solchen Betrieb führen will, dafür aufwenden würde.

2. Der Verkehrswert einer Immobilie kann regelmäßig nur annäherungsweise und nicht exakt im Sinne einer mathematischen Genauigkeit ermittelt werden, so dass unterschiedliche Ergebnisse bei der Schätzung des Verkehrswertes in gewissen Toleranzen unvermeidbar sind.

3. Eine Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgebots zieht lediglich die verfahrensrechtliche Fehlerhaftigkeit des Beschlusses, nicht jedoch die für ein Entfallen der Unterbrechungswirkung nötige Unwirksamkeit nach sich. Dies gilt erst recht für insofern fehlende Ausführungen in einem Durchsuchungsbeschluss.

Entscheidungstenor

Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 24. April 2020 werden als unbegründet verworfen. Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten M. wegen Untreue zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren, die Angeklagten Ma. und P. wegen Beihilfe zur Untreue jeweils unter Strafaussetzung zur Bewährung zu Freiheitsstrafe von neun Monaten und die Angeklagte W. wegen Beihilfe zur Untreue zu einer Geldstrafe verurteilt. Zur Kompensation einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung hat das Landgericht die Strafen in Teilen für vollstreckt erklärt. Die auf Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten sind unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.

Nach den Feststellungen des Landgerichts waren die Angeklagten M. und Ma. Geschäftsführer bzw. Geschäftsführerin, die Angeklagten W. und P. Liegenschaftssachbearbeiterinnen, letztere ab September 2009 zudem Prokuristin bei der B. -B. -G. (BBG). Aufgabe der BBG war es, als Geschäftsbesorgerin für das Land Brandenburg die durch die sowjetischen Westgruppentruppen früher militärisch genutzten, nunmehr landeseigenen Grundstücke zu verwalten, zu vermarkten und zu verwerten. Der Angeklagte M. hatte die Geschäftsanteile der landeseigenen BBG im Zuge der Privatisierung im Jahr 2006 über ihm gehörende Gesellschaften vom Land Brandenburg erworben.

Mit einem vom Angeklagten M. initiierten Kaufvertrag vom 2. November 2009 veräußerte die BBG, vollmachtlos vertreten durch die Angeklagte P., die etwa 65 Hektar große Teilfläche des ehemaligen Flugplatzes in Oranienburg. Die Liegenschaft wurde ohne vorherige Einholung eines externen Verkehrswertgutachtens zu einem Kaufpreis von 205.000 Euro veräußert, obwohl mindestens 800.000 Euro erzielbar gewesen wären. Zuvor hatte die Angeklagte P. im August 2009 eine Wertermittlung zur Preisfindung erstellt und darin den allen Angeklagten bekannten wahren Wert des Grundstücks verschleiert. Die Angeklagte W. bestätigte diesen „Preisvermerk“ wider besseren Wissens als plausibel. Bei der Käuferin handelte es sich um eine eigens von dem Angeklagten M. zu diesem Zweck gegründete Projektgesellschaft, an der er wirtschaftlich maßgeblich beteiligt war.

Die BBG legte diesen Preisvermerk neben anderen Unterlagen dem brandenburgischen Ministerium der Finanzen vor. In Unkenntnis des wahren Wertes des Grundstücks und des Umfangs der wirtschaftlichen Beteiligung des Angeklagten an der Käuferin erteilte das Land Brandenburg die im Innenverhältnis zur BBG angesichts der Grundstücksgröße erforderliche Zustimmung. Hiernach genehmigten die Angeklagten M. und Ma. den Vertragsschluss durch die Angeklagte P. Die Käuferin erschloss die Fläche, riss vorhandene Gebäude ab, beseitigte Altlasten und veräußerte die baureifen Grundflächen später gewinnbringend. Sie schloss unter anderem am 16. Dezember 2009 mit einem Logistikunternehmen einen Kaufvertrag über etwa 20 Hektar zum Kaufpreis von 5,6 Millionen Euro.

II.

1. Die Verfolgung der Tat ist nicht verjährt. Es kann dahinstehen, ob - wie die Revisionen meinen - der amtsgerichtliche Durchsuchungsbeschluss vom 4. Juli 2014 konkrete Ausführungen zur Verhältnismäßigkeit hätte enthalten müssen. Denn sogar eine Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgebots - die hier nicht im Raum steht - hätte lediglich die verfahrensrechtliche Fehlerhaftigkeit des Beschlusses, nicht jedoch die für ein Entfallen der Unterbrechungswirkung nötige Unwirksamkeit nach sich gezogen (vgl. BGH, Urteil vom 10. November 2016 - 4 StR 86/16, BGHR StGB § 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Durchsuchung 1, Rn. 13, mwN). Dies würde erst recht für insofern fehlende Ausführungen im Durchsuchungsbeschluss gelten.

2. Die von den Revisionen jeweils inhaltsgleich erhobene Ausschöpfungsrüge (§ 261 StPO) ist bereits unzulässig. Ausweislich der Gliederungen und Überschriften sowie des eindeutigen Wortlauts der Revisionsbegründungen wird die in einer fehlerhaften Würdigung der eingeführten Urkunden und fehlenden Auseinandersetzung mit allen Beweismitteln gesehene Verletzung von § 261 StPO als eine einheitliche Verfahrensrüge geltend gemacht. Die von der Antragsschrift des Generalbundesanwalts aufgezeigte Unzulässigkeit erstreckt sich mithin auf die Rüge insgesamt (vgl. BGH, Urteil vom 13. Juli 2017 - 3 StR 148/17, NStZ 2018, 158, 159).

3. Die sachlich-rechtliche Nachprüfung des Urteils hat keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben. Das Landgericht hat unter sorgfältiger Sachverhaltsermittlung und Beweiswürdigung sowohl die Pflichtverletzung (a), als auch den Nachteil im Sinne von § 266 StGB rechtsfehlerfrei festgestellt (b).

a) Die Pflichtverletzung liegt vor, obwohl nach den Bestimmungen des Geschäftsbesorgungsvertrags sowohl der unterwertige Verkauf unter besonderen Voraussetzungen als auch der Verkauf an ein mit der BBG verbundenes Unternehmen möglich waren. Denn der Angeklagte M. hat in Kenntnis der für die Erschließung der Gesamtfläche, den Abriss von Gebäuden und die Kampfmittelbeseitigung erwarteten Kosten, in dem Wissen um den Stand des Planungsverfahrens sowie eines Angebots von 5,6 Millionen Euro für eine baureife Teilfläche von nur 20 Hektar den Verkauf zu einem Kaufpreis von nur 205.000 Euro an die von ihm gegründete Käuferin veranlasst. Trotz des ersten Preisvermerks der Angeklagten P. vom November 2008, der noch einen Mindestverkaufspreis von rund 2,1 Millionen Euro auswies, hat der Angeklagte M. keinen externen Sachverständigen mit der Verkehrswertermittlung beauftragt. Dazu wäre er jedoch verpflichtet gewesen. Denn die Veräußerung von Grundflächen hatte nach den Bestimmungen des mit der BBG geschlossenen Geschäftsbesorgungsvertrags grundsätzlich zum Verkehrswert zu erfolgen, der entweder durch Ausschreibung oder durch Einholung eines Verkehrswertgutachtens zu ermitteln war (UA S. 13). Da die Ausschreibung keinen Hinweis auf die Anrechnung der zu erwartenden Kosten der Kampfmittelbeseitigung oder eine entsprechende Schätzung enthielt, durfte der Kaufpreis nicht nach dem Angebot des einzigen Interessenten für die nicht baureife Gesamtfläche von 65 Hektar veranschlagt werden, zumal im Rahmen der Ausschreibung das von der BBG nicht akzeptierte Angebot noch auf 325.000 Euro gelautet hatte und nachträglich auf 205.000 Euro reduziert worden war. Die Pflichtverletzung (vgl. BVerfGE, 126, 170, 210 f.; BGH, Urteil vom 6. Dezember 2001 - 1 StR 215/01, BGHSt 47, 187, 197) zeigt sich in der fehlenden Transparenz der Entscheidung im Verhältnis zum Land Brandenburg und aus den vom Angeklagten M. verfolgten eigenwirtschaftlichen Zielen.

b) Da der Kaufpreis unter Außerkraftsetzung der Grundsätze fairer Preisbildung abgesprochen wurde, hat das Landgericht rechtsfehlerfrei den Vermögensnachteil nach der Differenz zwischen Verkehrswert und erzieltem Kaufpreis bemessen.

aa) Ob ein Vermögensnachteil eingetreten ist, muss grundsätzlich durch einen ex ante vorzunehmenden Vergleich des gesamten Vermögens vor und nach der beanstandeten Verfügung unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten geprüft werden (vgl. BGH, Beschluss vom 17. August 2006 - 4 StR 117/06, NStZ-RR 2006, 378, 379, mwN). Für die Bestimmung des objektiven Werts einer Immobilie ist die Feststellung ihres Verkehrswertes der zutreffende Ansatz (vgl. BGH, Beschluss vom 2. Juli 2014 - 5 StR 182/14, NStZ 2014, 517, 519). Dieser bemisst sich nach dem Preis, der im maßgebenden Zeitpunkt im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach den Eigenschaften, der sonstigen Beschaffenheit und Lage des Grundstücks ohne Rücksicht auf ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse zu erzielen wäre (vgl. § 194 BauGB; BGH, Urteil vom 26. Mai 1977 - III ZR 93/75, NJW 1977, 1725). Dazu kann ein Kaufpreis zugrunde gelegt werden, der für die Beschaffung eines gleichartig gelegenen und eingerichteten Grundstücks erforderlich wäre oder den ein Kaufbewerber, der ebenfalls einen solchen Betrieb führen will, dafür aufwenden würde (vgl. BGH, aaO). Das sachverständig beratene Landgericht hat den Verkehrswert einer noch zu erschließenden, von Altlasten zu befreienden und nach Baureife mit Unternehmergewinn zu veräußernden Fläche ermittelt. Zwar kann der Verkehrswert einer Immobilie regelmäßig nur annäherungsweise und nicht exakt im Sinne einer mathematischen Genauigkeit ermittelt werden, so dass unterschiedliche Ergebnisse bei der Schätzung des Verkehrswertes in gewissen Toleranzen unvermeidbar sind (vgl. BGH, Urteil vom 10. Oktober 2013 - III ZR 345/12, BGHZ 198, 265 mwN). Aus den Urteilsgründen ergibt sich indessen rechtsfehlerfrei (vgl. BGH, Urteil vom 29. September 1992 - 1 StR 494/92, BGHR StPO § 261 Sachverständiger 4), dass die Angeklagte P. wertmindernde Faktoren in ihrem zweiten Preisvermerk vom August 2009 wider besseren Wissens zu hoch veranschlagt, damit den Wert des Grundstücks in nicht mehr vertretbarer Weise reduziert und so dem unterwertigen Verkauf den Weg geebnet hat.

Zwar ist dem Landgericht - worauf die Revision zutreffend hinweist - bei der Ermittlung des Verkehrswerts ein Additionsfehler unterlaufen, der sich zu Ungunsten der Angeklagten auf 31.818,90 Euro beläuft. Dieser Fehler hat sich aber nicht auf die Ermittlung des Nachteils ausgewirkt. Denn das Landgericht hat in Abweichung vom Gutachten der Sachverständigen zu Gunsten der Angeklagten einen Verkehrswert von (nur) 856.097,39 Euro ermittelt und weiter zu Gunsten der Angeklagten einen „tatsächlich erzielbaren“ Kaufpreis von 800.000 Euro und damit einen Vermögensnachteil von „mindestens 600.000 Euro“ (UA S. 10) zugrunde gelegt. Der Senat kann ausschließen, dass das Landgericht ohne den Additionsfehler einen noch niedrigeren Mindestnachteil für das Land Brandenburg festgestellt hätte.

bb) Die weitere Feststellung, das Land Brandenburg hätte für die Liegenschaft ohne das pflichtwidrige Verhalten des Angeklagten M. einen um „mindestens 600.000 Euro“ höheren Kaufpreis erzielt, war mit Blick auf die finanzielle und personelle Unterstützung der Käuferin durch die BBG, das Angebot des Logistikunternehmens für den Erwerb einer baureifen Teilfläche von nur rund 20 Hektar über 5,6 Millionen Euro und die bei realistischer Betrachtung zu erwartenden Kosten für Erschließung und Kampfmittelbeseitigung möglich und damit revisionsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. BGH, Urteil vom 11. Februar 2021 - 6 StR 235/20, Rn. 8, mwN).

4. Der Rechtsfolgenausspruch beruht nicht auf die Angeklagten benachteiligenden Rechtsfehlern. Ohne Rechtsfehler hat das Landgericht beim Angeklagten M. den Strafrahmen von § 266 Abs. 2, § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 StGB ohne zusätzlichen Vergleich mit den im Durchschnitt der erfahrungsgemäß vorkommenden Fälle angenommen (vgl. BGH, Urteil vom 31. März 2004 - 2 StR 482/03, NJW 2004, 2394, 2395). Das Urteil beruht nicht darauf, dass das Landgericht bei den Angeklagten Ma., P. und W. nicht geprüft hat, ob die Indizwirkung des Regelbeispiels angesichts der vertypten Strafmilderungsgründe entfällt. Denn der Senat kann mit Blick auf den Vergleich des Normalstrafrahmens mit dem - betreffend die Angeklagten P. und W. sogar doppelt - nach § 49 StGB gemilderten Strafrahmen des § 266 Abs. 2, § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 StGB ausschließen, dass das Landgericht die ohnehin milden Strafen noch niedriger bemessen hätte.

Es benachteiligt die Angeklagten nicht, dass das Landgericht keine Einziehungsentscheidung getroffen hat.

5. Dem Antrag des Generalbundesanwalts, den Schuldspruch betreffend die Angeklagte Ma. von Beihilfe auf Täterschaft zu ändern, kann der Senat mangels Feststellungen zur inneren Tatseite betreffend die Reichweite ihrer Verpflichtung aus dem Geschäftsführerverhältnis nicht folgen. Gleichwohl kann der Senat die Revision im Beschlusswege verwerfen (§ 349 Abs. 2 StPO). Denn der Generalbundesanwalt hat ungeachtet des den Strafausspruch nicht berührenden Schuldspruchänderungsantrags insgesamt Verwerfung der Revisionen beantragt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 24. März 2021 - 3 StR 22/21, NStZ-RR 2021, 190; vom 3. Mai 2011 - 5 StR 111/11 mwN).

HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 868

Externe Fundstellen: NStZ 2022, 171; NStZ-RR 2021, 342

Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß