HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 957
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 148/17, Urteil v. 13.07.2017, HRRS 2017 Nr. 957
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Bad Kreuznach vom 7.November 2016 werden verworfen.
Die Angeklagte hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen. Die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft und die der Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
Das Landgericht hat die Angeklagte unter Freispruch im Übrigen wegen Beihilfe zur schweren räuberischen Erpressung sowie wegen Verabredung zum Verbrechen des schweren Raubes zu der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Mit ihrer ausschließlich auf die Rüge der Verletzung formellen Rechts gestützten Revision begehrt die Staatsanwaltschaft die Aufhebung des Urteils, soweit die Angeklagte im Fall 1 freigesprochen und im Fall 2 lediglich wegen Beihilfe zur schweren räuberischen Erpressung verurteilt worden ist. Die Angeklagte greift ihre Verurteilung mit der allgemeinen Sachrüge an.
I.
Nach den Feststellungen wollte der nicht revidierende Mitangeklagte ein Spielcasino überfallen und ließ sich deshalb von der Angeklagten, mit der er befreundet war, unter einem Vorwand dorthin fahren. Während die nichts ahnende Angeklagte davor wartete, betrat der Mitangeklagte maskiert die Spielhalle und versuchte unter Vorhalt einer ungeladenen Gaspistole von der Spielhallenaufsicht Geld zu erlangen, was ihm nicht gelang (Fall 1). Nach Verlassen des Casinos berichtete er der im Fahrzeug wartenden Angeklagten von dem Geschehen und wies sie an, ihn nun zur nächsten Spielhalle zu fahren, um einen neuerlichen Überfall zu unternehmen. Hierzu erklärte diese sich bereit. Sie begab sich zunächst allein in die Räumlichkeiten, um diese auszukundschaften. Sodann informierte sie den Mitangeklagten, der daraufhin allein die Spielothek betrat und unter Vorhalt der Gaspistole 590 € erbeutete. Nach der Tat flüchtete er zusammen mit der Angeklagten, die abfahrbereit im Fahrzeug auf ihn gewartet hatte (Fall 2). Am Folgetag fassten die Angeklagten den Plan zu einem weiteren Überfall, wobei diesmal beide - anders als zuvor - an der Beute partizipieren sollten. Nach gemeinsamer Auswahl des Tatobjekts sollte die Angeklagte den Mitangeklagten zum Tatort fahren und - während dieser auf die gleiche Weise wie zuvor einen Überfall durchführen sollte - warten, um dann das Fluchtauto zu steuern. In Ausführung dieses Plans begaben sie sich zunächst zu einem Rasthof, der ihnen allerdings zu stark besucht erschien, dann zu einer Tankstelle, die bereits geschlossen war und schließlich zu einer weiteren Tankstelle. Dort beobachtete der Mitangeklagte, der ohne Wissen der Angeklagten diesmal eine dieser gehörende scharfe Waffe mit sich führte, nach Ausstieg aus dem Fahrzeug eine Zeitlang den laufenden Tankstellenbetrieb, weshalb der Tankwart Verdacht schöpfte und die Polizei informierte. Als daraufhin eine Polizeistreife erschien, erkannte der Mitangeklagte, dass er das Vorhaben nicht werde zu Ende bringen können. Dies teilte er der etwas entfernt wartenden Angeklagten mit, worauf sie den verabredeten Plan zu einem Überfall nichtmehr umsetzten (Tat 3).
Das Landgericht hat die Angeklagte hinsichtlich der Tat 1 freigesprochen. Wegen der Tat 2 hat es die Angeklagte wegen Beihilfe zur schweren räuberischen Erpressung und im Fall 3 wegen Verabredung zu einer solchen Tat verurteilt. Der Mitangeklagte hatte die Angeklagte in seiner Einlassung in der Hauptverhandlung einer mittäterschaftlichen Beteiligung an den Taten 1 und 2 bezichtigt. Die Strafkammer hat jedoch auf diese Angaben eine Überzeugung von der Mittäterschaft der Angeklagten in diesen beiden Fällen nicht zu stützen vermocht, weil der Mitangeklagte im Ermittlungsverfahren dieser Einlassung widersprechende Angaben gemacht und in der Hauptverhandlung ein Belastungsmotiv eingeräumt hatte.
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft
Die auf eine Verfahrensrüge gestützte und wirksam auf die Fälle 1 und 2 beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt nicht vertreten wird, erweist sich als unzulässig.
Die Staatsanwaltschaft beanstandet eine Verletzung des § 261 StPO, weil das Landgericht zwei im Wege des Selbstleseverfahrens eingeführte Briefe des Mitangeklagten, die an seine Ehefrau sowie an die Angeklagte gerichtet waren, in den Urteilsgründen nicht gewürdigt habe, obwohl deren Inhalte für den Schuld- und Strafausspruch von hohem Beweiswert gewesen seien.
a) § 261 StPO verlangt eine erschöpfende Würdigung der in der Hauptverhandlung erhobenen Beweise. Auch wenn das Gericht nicht gehalten ist, auf jedes Vorbringen einzugehen und jeden erhobenen Beweis im Urteil zu behandeln, muss es unter Würdigung der dafür und dagegen sprechenden relevanten Beweise und Überlegungen lückenlos darlegen, was für die Bildung seiner Überzeugung maßgebend war. Umstände, welche geeignet sind, die Entscheidung zu beeinflussen, dürfen nicht stillschweigend übergangen werden (LR/Sander, StPO, 26. Aufl., § 261 Rn. 58 mwN). Dass eine verlesene oder im Selbstleseverfahren eingeführte Urkunde oder Erklärung unvollständig oder unrichtig im Urteil gewürdigt worden sei, kann mit der Verfahrensbeschwerde geltend gemacht werden (BGH, Beschluss vom 11. März 1993 - 4 StR 31/93, StV 1993, 459; Urteil vom 16. Oktober 2006 - 1 StR 180/06, NStZ 2007, 115, 116; Beschluss vom 19. August 2008 - 3 StR 252/08, NStZ 2009, 404).
b) Eine solche Verfahrensrüge ist vorliegend jedoch nicht in zulässiger Form erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).
Die Revisionsführerin teilt zwar den Inhalt der beiden - undatierten - Schreiben mit, wobei sich aus dem Brief an die Ehefrau ergibt, dass diese das Schreiben an die Angeklagte als Kassiber weiterschmuggeln sollte. Der Brief an die Angeklagte enthält neben mehreren Anweisungen zur Änderung ihrer bis dahin gegenüber der Polizei gemachten Angaben zu den Überfällen den Satz: „Es war unser beide(r) Idee und geplant haben wir gemeinsam, aber ich will nicht, das(s) du auch in den Knast musst. Ich halte dich soweit wie möglich raus.“ Indes verschweigt die Revision den Inhalt eines weiteren, ebenfalls undatierten Briefes an die Angeklagte, der nach dem Protokoll auch in der Hauptverhandlung verlesen worden ist. Dieser enthält die Passage „Und ich habe Dich reingezogen ohne dein Wissen. Ich habe Dich benutzt .... Hoffentlich wirst Du nicht angeklagt.“ Dieser unvollständige Tatsachenvortrag macht die Rüge unzulässig, weil er dem Senat nicht die Überprüfung ermöglicht, ob § 261 StPO tatsächlich verletzt worden ist. Eine Zusammenschau der beiden Schreiben an die Angeklagte offenbart vielmehr die Widersprüchlichkeit der Angaben des Mitangeklagten, mit der sich das Landgericht in den Urteilsgründen eingehend auseinandergesetzt und unter anderem begründet hat, warum es den die Angeklagte belastenden Angaben des Mitangeklagten in der Hauptverhandlung keinen Glauben geschenkt hat. Das weitere in der Hauptverhandlung verlesene, von der Revision aber nicht mitgeteilte Schreiben ist mithin potentiell geeignet, den Beweiswert der belastenden Passage aus dem von der Revision vorgelegten Brief zu verringern, so dass sie als Beweismittel nicht von so erheblichem Gewicht ist, dass ihre Erörterung bei der Würdigung der widersprüchlichen Angaben des Mitangeklagten zum Umfang der Beteiligung der Angeklagten an den Überfällen geboten gewesen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 6. September 2001 - 3 StR 285/01, NStZ 2002, 47, 48; Urteil vom 16.Oktober 2006 - 1 StR 180/06, NStZ 2007, 115, 116; Beschluss vom 12. Dezember 2013 - 3 StR 267/13, NStZ 2014, 606, 607). Wegen des unvollständigen Tatsachenvortrags (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) ist es dem Senat daher nicht möglich, in Kenntnis des gesamten für die Rüge relevanten Verfahrensstoffes zu prüfen, ob der von der Revision vorgelegte Brief unter Verstoß gegen § 261 StPO im Rahmen der Beweiswürdigung nicht als relevantes Beweismittel behandelt worden ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 16.April 1999 - 3 StR 642/98, NStZ-RR 2000, 34; vom 14. August 2003 - 3 StR 17/03, NStZ 2004, 163, 164; vom 1. April 2004 - 1 StR 101/04, NStZ 2005, 222, 223; vom 21. November 2007 -1 StR 539/07, NStZ-RR 2008, 85). Da die Staatsanwaltschaft ausschließlich eine Verfahrensrüge erhoben hat und diese unzulässig ist, ist ihre Revision insgesamt als unzulässig zurückzuweisen.
2. Die Revision der Angeklagten
Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung der Angeklagten hat keinen Rechtsfehler zu ihrem Nachteil ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 957
Externe Fundstellen: NStZ 2018, 158; StV 2018, 789
Bearbeiter: Christian Becker