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HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 736

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 421/22, Beschluss v. 27.04.2023, HRRS 2023 Nr. 736


BGH 5 StR 421/22 - Beschluss vom 27. April 2023 (LG Bremen)

Keine täterschaftliche Einfuhr von Betäubungsmitteln durch Veranlassen einer Einfuhrfahrt (wertende Gesamtbetrachtung; Einfuhrvorgang selbst als Bezugspunkt).

§ 29 BtMG

Leitsätze des Bearbeiters

1. Der Tatbestand der Einfuhr von Betäubungsmitteln erfordert zwar keinen eigenhändigen Transport des Betäubungsmittels über die Grenze. Als Mittäter einer Einfuhr im Sinne von § 25 Abs. 2 StGB kommt ein Beteiligter auch in Betracht, wenn das Rauschgift von einer anderen Person in das Inland verbracht wird. Voraussetzung dafür ist aber ein die Tatbegehung objektiv fördernder Beitrag, der sich als ein Teil der Tätigkeit aller darstellt und der die Handlungen der anderen als Ergänzung des eigenen Tatanteils erscheinen lässt.

2. Ob die Voraussetzungen einer täterschaftlichen Einfuhr vorliegen, ist aufgrund einer wertenden Gesamtbetrachtung zu beurteilen, bei welcher der Grad des eigenen Interesses am Taterfolg, der Einfluss bei der Vorbereitung der Tat und der Tatplanung, der Umfang der Tatbeteiligung und die Teilhabe an der Tatherrschaft oder jedenfalls der Wille dazu von besonderer Bedeutung sind; im Ergebnis muss die Durchführung und der Ausgang der Tat maßgeblich auch von dem Willen des Betreffenden abhängen. Entscheidender Bezugspunkt bei allen diesen Merkmalen ist allerdings der Einfuhrvorgang selbst. Das bloße Veranlassen einer Einfuhrfahrt ohne Einfluss auf deren Durchführung genügt für die Annahme von Mittäterschaft regelmäßig nicht.

Entscheidungstenor

Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bremen vom 11. Februar 2022 dahin geändert,

dass die Angeklagten im Fall 2 der Urteilsgründe der Anstiftung zur Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig sind;

dass die Einziehung des Wertes des Erlangten gegen den Angeklagten H. C. in Höhe eines Betrages von 1.066.926 Euro und gegen den Angeklagten M. A. C. in Höhe eines Betrages von 924.926 Euro angeordnet wird und die Angeklagten in Höhe von 895.926 Euro als Gesamtschuldner haften.

Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.

Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagten unter Freispruch im Übrigen jeweils wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sieben Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie jeden Angeklagten gesondert wegen weiterer Delikte zu Gesamtfreiheitsstrafen von einerseits acht Jahren und zehn Monaten und andererseits zehn Jahren und acht Monaten verurteilt; zudem hat es Einziehungsentscheidungen getroffen. Dagegen wenden sich die Angeklagten mit ihren Revisionen, wobei der Angeklagte H. C. lediglich die Sachrüge erhebt; der Angeklagte M. A. C. beanstandet darüber hinaus das Verfahren. Die Rechtsmittel haben den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen - geringfügigen - Teilerfolg; im Übrigen erweisen sie sich als unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Den von dem Angeklagten M. A. C. erhobenen Verfahrensrügen bleibt aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen der Erfolg versagt. Ergänzend dazu bemerkt der Senat:

a) Die Rüge einer Verletzung des § 261 StPO wegen der vermeintlichen Unverwertbarkeit der Erkenntnisse aus den von französischen Behörden im Wege der Rechtshilfe übermittelten Chatprotokolle des Krypto-Messengerdienstes EncroChat ist mit der Stoßrichtung einer Verletzung von Art. 6 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2014/41/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014 über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen (EEARL) jedenfalls unbegründet. Wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat, ergeben sich weder aus dem bekannten Verfahrenssachverhalt noch dem weiteren von Spekulationen und Mutmaßungen getragenen Revisionsvorbringen Hinweise darauf, dass „deutsche Stellen […] weit im Vorfeld der erstmaligen Erlangung von Daten durch französische Strafverfolgungsbehörden […] an der Ermittlungstätigkeit beteiligt waren.“

b) Soweit die Rüge mit der Stoßrichtung erhoben ist, ein Verwertungsverbot ergebe sich aus einem Verstoß gegen das „unionsrechtlich überformte Datenschutzrecht“, insbesondere hätten die zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/680 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung sowie zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2008/977/JI des Rates (Datenschutzrichtlinie für Polizei und Justiz) erlassenen Vorschriften der §§ 45 ff. BDSG angewendet werden müssen, trifft dies nicht zu. Die §§ 45 ff. BDSG finden auf den hier gegebenen Sachverhalt keine Anwendung, weil den Vorschriften der Strafprozessordnung als bereichsspezifischen Sonderregelungen - wie sich aus § 1 Abs. 2 Satz 1 BDSG und § 500 Abs. 2 StPO erschließt - der Vorrang gebührt (vgl. etwa BeckOKDatenschutzrecht/Wolff, 43. Edition [Stand: 1. November 2021], § 45 BDSG Rn. 39; Meyer-Goßner/Schmitt/Köhler, StPO, 65. Aufl., 2022, § 500 Rn. 2; BeckOKStPO/von Häfen, 46. Edition [Stand: 1. Januar 2023], § 500 Rn. 6b; vgl. auch KKStPO/Weingarten, 9. Aufl., § 161 Rn. 1b; KKStPO/Henrichs/Weingast, aaO; § 105 Rn. 1; Mosbacher, JuS 2022, 726, 729 f.; aA offenbar KKStPO/Graf, aaO, § 500 Rn. 5; Singelnstein NStZ 2020, 639; wohl auch LG Kiel, StraFo 2022, 30; diesem für die Frage der Wirksamkeit einer Einwilligung in strafprozessuale Zwangsmaßnahmen, die eine Datenerhebung beinhalten, folgend Gola/Heckmann/Braun, Datenschutz-Grundverordnung, Bundesdatenschutzgesetz, 3. Aufl., § 45 BDSG Rn. 4).

c) Eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Durchführung eines Vorabentscheidungsverfahrens kommt nach Art. 267 Abs. 2 AEUV nur in Betracht, wenn das Gericht eines Mitgliedstaats eine Entscheidung des EuGH über eine klärungsbedürftige europarechtliche Frage „zum Erlass seines Urteils für erforderlich“ hält, mithin nur dann, wenn die aufgeworfene Frage entscheidungserheblich ist. Dies ist hier nicht der Fall, weil die Rügen losgelöst von europarechtlichen Fragen erfolglos bleiben. Dies gilt entgegen der Revision erst recht, wenn ein vermeintlich aus europarechtlichen Vorschriften herrührendes Beweisverwertungsverbot schon nicht in zulässiger Weise zum Gegenstand einer Verfahrensrüge gemacht worden ist.

2. Die auf die Sachrüge veranlasste Überprüfung des Urteils führt zu einem Teilerfolg der Revisionen:

a) Der Schuldspruch im Fall 2 der Urteilsgründe hält revisionsgerichtlicher Kontrolle nicht stand, soweit die Angeklagten wegen mittäterschaftlich begangener Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt worden sind.

aa) Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen erwarben die Angeklagten von einem Anbieter aus den Niederlanden über 30 kg Haschischplatten mit insgesamt gut 5 kg Tetrahydrocannabinol zu einem Kilopreis von 3.300 Euro. Ihnen oblag nach der Vereinbarung mit ihrem Lieferanten der Transport der Drogen nach Deutschland. Nach Anpreisung der Betäubungsmittel gegenüber unterschiedlichen Nutzern des Krypto-Messengerdienstes EncroChat boten sie einem davon an, dass dieser etwas weniger als die Hälfte des erworbenen Haschischs für einen Kilopreis von 3.500 Euro übernehmen konnte, dafür aber den Transport der Gesamtmenge zu erledigen hatte. Der Abnehmer nahm das Angebot an und schickte einen Mittelsmann, der die Betäubungsmittel erhielt, nachdem er das zur Abholung notwendige Codewort gesagt hatte, das die Angeklagten zuvor von ihrem Lieferanten erhalten und der Angeklagte H. C. an den Abnehmer weitergeleitet hatte. Nachdem ihnen vereinbarungsgemäß der ihnen zustehende größere Teil der Haschischmenge geliefert worden war, verkauften die Angeklagten diesen zum ganz überwiegenden Teil an unterschiedliche Abnehmer.

bb) Auf der Grundlage dieser Feststellungen begegnet der Schuldspruch wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge keinen Bedenken; die tateinheitliche Verurteilung wegen täterschaftlich begangener Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge hat hingegen keinen Bestand.

Der Tatbestand der Einfuhr erfordert zwar keinen eigenhändigen Transport des Betäubungsmittels über die Grenze. Als Mittäter einer Einfuhr im Sinne von § 25 Abs. 2 StGB kommt ein Beteiligter auch in Betracht, wenn das Rauschgift von einer anderen Person in das Inland verbracht wird. Voraussetzung dafür ist aber ein die Tatbegehung objektiv fördernder Beitrag, der sich als ein Teil der Tätigkeit aller darstellt und der die Handlungen der anderen als Ergänzung des eigenen Tatanteils erscheinen lässt. Ob diese Voraussetzung vorliegt, ist aufgrund einer wertenden Gesamtbetrachtung zu beurteilen, bei welcher der Grad des eigenen Interesses am Taterfolg, der Einfluss bei der Vorbereitung der Tat und der Tatplanung, der Umfang der Tatbeteiligung und die Teilhabe an der Tatherrschaft oder jedenfalls der Wille dazu von besonderer Bedeutung sind; im Ergebnis muss die Durchführung und der Ausgang der Tat maßgeblich auch von dem Willen des Betreffenden abhängen. Entscheidender Bezugspunkt bei allen diesen Merkmalen ist allerdings der Einfuhrvorgang selbst. Das bloße Veranlassen einer Einfuhrfahrt ohne Einfluss auf deren Durchführung genügt für die Annahme von Mittäterschaft regelmäßig nicht (st. Rspr.; vgl. zu alldem zuletzt etwa BGH, Beschluss vom 23. November 2020 - 3 StR 380/20 Rn. 3 mwN).

Hier ist ein Einfluss der Angeklagten auf die Einfuhrfahrt selbst nicht festgestellt. Sie teilten ihrem Abnehmer zwar den Übernahmeort und das zur Abholung der Drogen erforderliche Codewort mit. Dieser übermittelte die Informationen aber an den von ihm allein ausgewählten Kurier, der das Haschisch ohne weitere Beteiligung der Angeklagten über die Grenze in die Bundesrepublik Deutschland brachte.

Die Angeklagten sind aber jeweils der Anstiftung zur unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig (§ 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG, § 26 StGB). Denn sie veranlassten ihren Abnehmer zur Verbringung des Rauschgifts ins Bundesgebiet. Dass dieser wiederum einen Kurier konkret mit der Einfuhr beauftragte, steht der Strafbarkeit der Angeklagten wegen Anstiftung zur Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nicht entgegen; denn die Anstiftung zur Anstiftung (sogenannte Kettenanstiftung) wird als Anstiftung zur Haupttat bestraft (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 2. November 2021 - 3 StR 259/21, NStZ-RR 2022, 49, 50 mwN).

Mit Blick auf die sorgfältige und umfassende Beweiswürdigung durch das Landgericht kann der Senat ausschließen, dass nach einer Aufhebung und Zurückverweisung weitere, einen Schuldspruch wegen täterschaftlicher Einfuhr tragende Feststellungen getroffen werden könnten und ändert die Schuldsprüche daher in beiden Fällen in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO selbst. Die Vorschrift des § 265 StPO steht nicht entgegen, weil sich die Angeklagten angesichts der Beweislage gegen den Vorwurf der Anstiftung zur Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nicht wirksamer als geschehen hätten verteidigen können.

Der Strafausspruch bleibt von der Änderung des Schuldspruchs unberührt, denn angesichts des jeweils identischen Strafrahmens ist auszuschließen, dass das Landgericht im Fall einer Verurteilung wegen Anstiftung statt wegen Täterschaft bei der Einfuhr jeweils geringere Einzelstrafen verhängt hätte (§ 337 Abs. 1 StPO).

b) Die Entscheidung über die Anordnung der Einziehung des Wertersatzes von Taterträgen bedarf der Korrektur, denn im Fall 9 der Urteilsgründe haben die Angeklagten nach den Feststellungen Erträge nur in Höhe von 153.400 Euro erlangt. Die insgesamt von den Angeklagten jeweils selbst und als Gesamtschuldner erlangten Erträge waren wie aus der Beschlussformel ersichtlich entsprechend zu reduzieren.

3. Angesicht des nur geringfügigen Erfolgs der umfassend eingelegten Revisionen ist es nicht unbillig, die Angeklagten insgesamt mit den Kosten ihrer Rechtsmittel zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO).

HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 736

Bearbeiter: Christian Becker