HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 1161
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 197/22, Beschluss v. 30.08.2022, HRRS 2022 Nr. 1161
Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 4. Februar 2022 mit den Feststellungen aufgehoben; hiervon ausgenommen sind jedoch die objektiven Feststellungen zu den Anlasstaten mit Ausnahme derjenigen zu Fall II.3 der Urteilsgründe.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsmittels - an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.
Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Die Revision des Beschuldigten erzielt mit der Sachrüge weitgehenden Erfolg.
Die Anordnung der Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Das Landgericht hat die Voraussetzungen der Maßregel nicht tragfähig begründet. Im Einzelnen:
1. So hat sich das Landgericht schon nicht rechtsfehlerfrei vom Vorliegen einer versuchten gefährlichen Körperverletzung im Fall II.3 der Urteilsgründe als Anlasstat überzeugt.
Das Landgericht hat hierzu festgestellt, dass der Beschuldigte an einem Theater vorbeilief, den dort im Garten arbeitenden Zeugen sah, diesen ansprach und aus Wut auf die Einrichtung mit bedingtem Körperverletzungsvorsatz einen Ziegelstein in Richtung des Zeugen warf. Der Stein verfehlte den Zeugen um ein bis zwei Meter und traf eine Containerwand. Der Einlassung des Beschuldigten, den Zeugen erst nach dem Wurf wahrgenommen zu haben, ist das Landgericht nicht gefolgt. Denn dieser bekundete, vom Beschuldigten vor dem Wurf angesprochen worden zu sein. Das Landgericht hat es indes versäumt, den beim Wurf angenommenen (natürlichen) bedingten Vorsatz einer Körperverletzung zu belegen. Den Angaben des Zeugen lässt sich kein Hinweis auf einen zielgerichteten Steinwurf auf seine Person entnehmen. Dies versteht sich auch angesichts der Entfernung zwischen dem Zeugen und dem Aufprallpunkt des Steines nicht von selbst. Zu näheren Ausführungen dazu, auf welcher Grundlage es einen zielgerichteten Wurf des Beschuldigten auf den Zeugen angenommen hat, bestand zudem deshalb Veranlassung, weil der Beschuldigte aus Wut auf die Einrichtung gehandelt haben soll, mithin ein Angriff auf den Zeugen mit diesem Motiv nicht ohne weiteres in Einklang zu bringen ist.
2. Zudem ist nicht belegt, dass der Beschuldigte bei der Begehung der Anlasstaten zweifelsfrei schuldunfähig oder erheblich vermindert schuldfähig war (vgl. BGH, Beschluss vom 28. September 2021 - 5 StR 232/21 mwN). Dies ist aber eine Anordnungsvoraussetzung für die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus. Die sachverständig beratene Strafkammer hat sich lediglich davon überzeugt, dass der Beschuldigte bei Begehung der Anlasstaten „nicht ausschließbar schuldunfähig im Sinne von § 20 StGB“ gewesen sei. Bei ihm liege eine krankhafte seelische Störung in Form einer seit mindestens zehn Jahren bestehenden chronifizierten paranoiden Schizophrenie vor. In jeweils akut psychotischen Zuständen habe sich der Beschuldigte - bei erhaltener Einsichtsfähigkeit - „aufgrund nicht ausschließbarer völlig aufgehobener Steuerungsfähigkeit in einem schuldausschließenden Zustand“ befunden.
Mit dieser unter Anwendung des Zweifelssatzes zu Gunsten des Beschuldigten getroffenen Annahme ist nicht die zwingend zu treffende positive Feststellung zumindest erheblich verminderter Schuldfähigkeit verbunden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 18. Mai 2021 - 6 StR 191/21; vom 22. Mai 2020 - 4 StR 140/19). Entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts lässt sich auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe kein sicherer Anhalt dafür entnehmen, dass das Tatgericht vom unzweifelhaften Vorliegen der Voraussetzungen für §§ 20, 21 StGB ausgegangen ist.
3. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zu den äußeren Abläufen der Taten haben mit Ausnahme derjenigen zu Fall II.3 jedoch Bestand (§ 353 Abs. 2 StPO). Das neue Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, die mit den bisherigen nicht in Widerspruch stehen.
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass die für die Maßregelanordnung erforderliche Gefährlichkeitsprognose auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten zu entwickeln ist. Als prognoseungünstig herangezogene tatsächliche Umstände aus dem Vorleben des Täters - wie hier ein körperlicher Übergriff auf einen Bundeswehrsoldaten im Oktober 2010 - müssen dabei rechtsfehlerfrei festgestellt und belegt sein (vgl. BGH, Beschlüsse vom 30. September 2021 - 5 StR 322/21, StV 2022, 297; vom 19. Mai 2021 - 6 StR 199/21; vom 18. August 2020 - 5 StR 318/20, StV 2021, 219; vom 28. Januar 2020 - 4 StR 632/19, StV 2021, 255 f.).
HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 1161
Bearbeiter: Christian Becker