HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 462
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 632/19, Beschluss v. 28.01.2020, HRRS 2020 Nr. 462
1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 27. Juni 2019 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Seine auf die Sachrüge gestützte Revision führt zur Aufhebung des Urteils.
1. Nach den Feststellungen leidet der Beschuldigte an einer produktiv paranoiden Psychose aus dem Formenkreis der Schizophrenie. Am Tattag begab er sich zu einem abgelegenen Bauernhof, wo die Zeugin K. gerade ihren vor dem Haus abgestellten Transporter entlud. Der Fahrzeugschlüssel steckte. Der Beschuldigte bestieg das Fahrzeug, um es zu stehlen. Als die Zeugin auf den Beschuldigten aufmerksam wurde, begab sie sich zu ihrem Fahrzeug, klopfte an die Scheibe und forderte den Beschuldigten auf, auszusteigen. Der Beschuldigte sah und hörte die Zeugin, reagierte aber nicht. Die Zeugin stellte sich nun hinter das Fahrzeug, wobei sie annahm, der Beschuldigte würde nicht losfahren. Der Beschuldigte ließ jedoch den Motor an. Als er bemerkte, dass die Zeugin an die Heckscheibe klopfte, legte er den Rückwärtsgang ein und fuhr los. Aus Angst um ihre Gesundheit sprang die Zeugin zur Seite, wobei sie eine Zerrung an der linken Wade erlitt. Der Beschuldigte fuhr mit Vollgas und angezogener Handbremse rückwärts gegen einen Blumenkübel. Sodann legte er den Vorwärtsgang ein und fuhr - trotz weiterhin angezogener Handbremse - mit durchdrehenden Reifen davon.
Die Strafkammer hat das Verhalten des Beschuldigten als besonders „gefährliche“ räuberische Erpressung gemäß § 253, 255, 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB und fahrlässige Körperverletzung (§ 230 StGB) gewertet. Sie hat weiter angenommen, dass der Beschuldigte aufgrund seiner Erkrankung wahrscheinlich nicht in der Lage gewesen sei, das Unrecht seiner Tat einzusehen. Falls seine Einsichtsfähigkeit doch erhalten geblieben sei, sei er auf jeden Fall nicht in der Lage gewesen, entsprechend seiner Unrechtseinsicht zu handeln. Aufgrund seiner Erkrankung sei der Beschuldigte für die Allgemeinheit gefährlich. Von ihm seien mit hoher Wahrscheinlichkeit Diebstahlsund/oder Raubtaten wie die Anlasstat, aber auch Gefährdungen des Straßenverkehrs zu erwarten.
2. Die Unterbringungsentscheidung hält unter mehreren Gesichtspunkten revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.
a) Die rechtliche Bewertung der Anlasstat als besonders schwere räuberische Erpressung (§§ 253, 255 Abs. 2 Nr. 1 StGB) wird von den Feststellungen nicht getragen.
Eine räuberische Erpressung nach §§ 253, 255 StGB setzt voraus, dass der Täter das qualifizierte Nötigungsmittel (Gewalt oder Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben) einsetzt, um die Vermögensverfügung des Opfers herbeizuführen, sodass zwischen beiden nach seiner Vorstellung von der Tat ein finaler Zusammenhang besteht (vgl. BGH, Urteil vom 17. Juli 2019 - 5 StR 637/18, NStZ-RR 2019, 311, 312; Beschluss vom 20. September 2016 - 3 StR 174/16, NStZ 2017, 92, 93 mwN). Dass der Angeklagte mit dem Transporter bewusst rückwärtsfuhr, um die Zeugin zur Preisgabe des Fahrzeugs zu zwingen, hat das Landgericht nicht festgestellt. Auch der Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ergibt dies nicht, zumal die Strafkammer mit Rücksicht auf das Fahrverhalten des Beschuldigten an anderer Stelle ausgeführt hat, dass dies dafür spreche, dass er nicht in der Lage war, das Fahrzeug sicher im Verkehr zu lenken und eine sinnvolle Route einzuschlagen (UA 10).
b) Die Annahme der Strafkammer, der Beschuldigte sei aufgrund einer produktiv paranoiden Psychose aus dem Formenkreis der Schizophrenie bei Tatbegehung schuldunfähig gewesen, ist ebenfalls nicht ausreichend begründet und daher rechtsfehlerhaft.
aa) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus setzt die positive Feststellung voraus, dass der Beschuldigte eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) begangen hat. Hierfür muss vom Tatgericht im Einzelnen dargelegt werden, wie sich die festgestellte, einem Merkmal von §§ 20, 21 StGB unterfallende Erkrankung in der Tatsituation auf die Einsichts- oder die Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat und warum die Anlasstat auf den entsprechenden psychischen Zustand zurückzuführen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 7. März 2017 - 5 StR 609/16, NStZ-RR 2017, 171; Beschluss vom 4. August 2016 - 4 StR 230/16, NStZ 2016, 747 mwN). Allein die Diagnose einer schizophrenen Psychose führt für sich genommen nicht zur Feststellung einer generellen oder zumindest längere Zeiträume überdauernden gesicherten Beeinträchtigung bzw. Aufhebung der Schuldfähigkeit (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Juni 2014 - 4 StR 171/14, NStZ-RR 2014, 305, 306; Beschluss vom 29. Mai 2012 - 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307). Schließt sich die Strafkammer insoweit der Beurteilung des Sachverständigen an, muss sie die dafür wesentlichen Anknüpfungs- und Befundtatsachen im Urteil so wiedergeben, wie es zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Mai 2012 - 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307; Beschluss vom 14. April 2010 - 5 StR 123/10, Rn. 9 mwN).
bb) Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe nicht gerecht.
(1) Die Strafkammer hat angenommen, dass der Beschuldigte sich das Fahrzeug der Zeugin K. aneignen wollte, um damit nach Rumänien zu fahren (UA 9). Die Tat sei im Rahmen eines Wahnerlebens begangen worden, wobei der starke Wunsch nach Rumänien zurückzukehren und die krankheitsbedingte Fehlvorstellung, dazu auch tatsächlich in der Lage zu sein, handlungsleitend gewesen seien (UA 9, 12).
(2) Diese Annahmen sind nicht ausreichend belegt. Soweit die Strafkammer ? dem angehörten Sachverständigen folgend ? darauf abstellt, dass der Beschuldigte seit seinem Umzug nach Deutschland im Frühjahr 2018 „sehr häufig, wenn nicht gar durchgängig unter akutem Wahnerleben gestanden habe“ und dabei vor allem der Gedanke nach Rumänien zurückzukehren, maßgebend gewesen sei (UA 12, 13), fehlt es dafür an einer ausreichenden Benennung von Anknüpfungs- und Befundtatsachen. Die Mitteilung, dass die Eltern des Beschuldigten eine „Verschlimmerung der paranoiden Schizophrenie in Deutschland“ geschildert und über ein Misstrauen ihnen gegenüber, sowie ein Verschwörungsdenken und ein mehrfaches Weglaufen berichtet hätten, reicht dafür nicht aus. Denn sie lässt nicht erkennen, welche Wahrnehmungen die Zeugen tatsächlich gemacht haben und warum diese den Schluss auf eine Verschlimmerung der Erkrankung rechtfertigen. Auch teilen die Urteilsgründe nicht mit, welchen Inhalt die Wahnvorstellungen des Beschuldigten hatten, sodass nicht nachvollzogen werden kann, warum sein wiederholt geäußerter Wunsch, in seine Heimat (Rumänien) zurückzukehren und seine Vorstellung, dazu auch tatsächlich in der Lage zu sein, das Resultat von Wahnideen waren. Die für den Tatzeitpunkt festgestellten Auffälligkeiten (Apathie, Unruhe, unangepasste Kleidung) geben dafür keine Erklärung.
c) Schließlich begegnet auch die Gefahrenprognose durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
aa) Die für die Maßregelanordnung erforderliche Gefährlichkeitsprognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten zu entwickeln. Dazu sind alle wesentlichen prognoserelevanten Umstände in den Urteilsgründen darzustellen und zusammenfassend zu würdigen. Als prognoseungünstig herangezogene tatsächliche Umstände aus dem Vorleben des Täters müssen dabei rechtsfehlerfrei festgestellt und belegt sein (vgl. BGH, Beschluss vom 25. September 2019 - 4 StR 408/19, NStZ-RR 2020, 36, 37; Beschluss vom 22. Juli 1992 - 2 StR 293/92, BGHR § 56 Abs. 1 Sozialprognose 24).
bb) Diesen Anforderungen genügen die Urteilsgründe nicht. Soweit die Strafkammer bei ihrer negativen Prognoseentscheidung darauf abstellt, dass der Beschuldigte „im Wahnerleben ein vierjähriges Kind mit einem Messer bedroht“ habe (UA 16), fehlt es dafür sowohl an einer konkreten Tatsachenfeststellung, als auch an den entsprechenden Belegen. Mitgeteilt wird lediglich, dass bei der Einlieferung des Beschuldigten in ein psychiatrisches Krankenhaus am 5. November 2018 eine ärztliche Stellungnahme vorlag, wonach der Beschuldigte einen entsprechenden Übergriff begangen haben soll (UA 5). Gleiches gilt, soweit als prognoseungünstig angeführt wird, dass der Beschuldigte am Tattag unter Einsatz von Gewalt Geld von Kindern verlangt habe. Zwar gibt es hierzu konkrete Feststellungen (UA 6); diese sind aber nicht belegt. Der Beschuldigte hat sich zu diesem Vorfall nicht geäußert. Die Beweiswürdigung lässt nicht erkennen, dass hierauf bezogene Beweise erhoben worden sind. Soweit mitgeteilt wird, dass eines der Kinder den Beschuldigten „bei einer anschließenden Wahllichtbildvorlage“ identifiziert habe (UA 6), bezieht sich dies offensichtlich auf ein polizeiliches Ermittlungsergebnis und ist als Nachweis für das festgestellte Geschehen nicht tragfähig.
Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung.
HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 462
Externe Fundstellen: StV 2021, 255
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner