HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 718
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 450/21, Beschluss v. 12.05.2022, HRRS 2022 Nr. 718
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 5. Mai 2021 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum gewerbsmäßigen Bandenbetrug in 22 Fällen zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat.
Nach den Feststellungen unterstützte der Angeklagte in 22 Fällen vorsätzlich die Veräußerung von Eigentumswohnungen durch die mit rechtswidriger Bereicherungsabsicht handelnde, gesondert Verfolgte E. zu deutlich über dem Verkehrswert liegenden Kaufpreisen, wobei den gutgläubigen Erwerbern jeweils unzutreffend hohe tatsächliche oder erzielbare Mieteinnahmen vorgespiegelt wurden. Der Angeklagte, der die Organisation des Vertriebs übernommen hatte, handelte wie die gesondert Verfolgte als Mitglied einer Bande und in der Absicht, sich eine fortwährende Einnahmequelle von einigem Umfang zu erschließen. Seine auf Verfahrensbeanstandungen und die Sachrüge gestützte Revision hat mit der Rüge der Verletzung von § 245 Abs. 2 Satz 1 StPO Erfolg, so dass es auf die weiter erhobenen Verfahrensbeanstandungen und die Sachrüge nicht mehr ankommt.
1. Der Beschwerdeführer macht zu Recht geltend, das Landgericht habe die Einvernahme zweier von ihm geladener und erschienener Sachverständiger zum jeweiligen Verkehrswert der veräußerten Eigentumswohnungen mit der fehlerhaften Begründung abgelehnt, sein darauf gerichteter Antrag stelle keinen Beweisantrag im Rechtssinne dar.
a) Die Rüge ist zulässig erhoben, insbesondere den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO entsprechend ausgeführt.
aa) Zutreffend hat der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift darauf hingewiesen, dass es der Vorlage des im abgelehnten Antrag in Bezug genommenen schriftlichen Vorgutachtens des gerichtlich bestellten Sachverständigen nicht bedurfte.
Allerdings muss der Revisionsführer bei der Rüge der Verletzung von § 245 Abs. 2 Satz 1 StPO - wie bei der Beweisantragsrüge nach § 244 StPO - grundsätzlich auch die in seinem Antrag und in der gerichtlichen Ablehnungsentscheidung in Bezug genommenen Aktenbestandteile mitteilen (vgl. LR/Becker, StPO, 27. Aufl., § 244 Rn. 372, § 245 Rn. 77; MüKoStPO/Trüg/Habetha, § 244 Rn. 405, § 245 Rn. 54; vgl. hierzu auch BGH, Urteil vom 17. Juli 2014 - 4 StR 78/14; Beschlüsse vom 12. März 2013 - 2 StR 34/13; vom 20. Juli 2010 - 3 StR 250/10). Denn nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO sind die den Verfahrensmangel begründenden Tatsachen so vollständig und genau darzulegen, dass das Revisionsgericht allein aufgrund dieser Darlegung das Vorhandensein eines Verfahrensmangels feststellen kann, wenn die behaupteten Tatsachen bewiesen werden (BGH, Urteil vom 6. Februar 1980 - 2 StR 729/79, BGHSt 29, 203; Beschluss vom 22. März 2021 - 1 StR 120/20; KKStPO/Gericke, 8. Aufl., § 344 Rn. 38 jeweils mwN). Es kommt deshalb für die Zulässigkeit einer Verfahrensrüge zwar grundsätzlich nicht darauf an, ob den in Bezug genommenen Aktenbestandteilen letztlich tatsächlich entscheidungserhebliche Bedeutung zugekommen wäre (BGH, Beschluss vom 25. November 2021 - 4 StR 103/21; vgl. auch BGH, Beschluss vom 22. März 2021 - 1 StR 120/20). Andererseits verbietet sich eine schematische Betrachtungsweise; entscheidend ist vielmehr, ob die inhaltliche Überprüfung der erhobenen Rüge bereits anhand des mitgeteilten Verfahrensstoffes möglich ist, so dass in Bezug genommene Aktenteile dann nicht mitgeteilt werden müssen, wenn sie unabhängig von ihrem Inhalt das Ergebnis der Prüfung nicht beeinflussen können (BGH, Beschluss vom 14. Oktober 2014 - 3 StR 167/14; KKStPO/Krehl, 8. Aufl., § 244 Rn. 224), wenn sie also für die Beurteilung des geltend gemachten Verfahrensmangels offensichtlich ohne Bedeutung sind (BGH, Beschlüsse vom 25. November 2021 - 4 StR 103/21; vom 22. März 2021 - 1 StR 120/20).
So verhält es sich hier: Der Inhalt des schriftlichen Vorgutachtens des gerichtlich bestellten Sachverständigen ist für die Prüfung der Frage, ob die Strafkammer gegen § 245 Abs. 2 Satz 1 StPO verstoßen hat, indem sie das Beweisbegehren auf Vernehmung der beiden präsenten Sachverständigen nicht als Beweisantrag im Rechtssinne behandelt hat, also für die Prüfung der Beweisantragsqualität dieses Begehrens ohne Bedeutung. Die Bezugnahme auf das schriftliche Vorgutachten diente nicht der Formulierung der Beweistatsache - des jeweiligen Verkehrswertes der Eigentumswohnungen - sondern nur der Beschreibung des Beweisziels, der auf dem Vergleich beruhenden Schlussfolgerung, dass die von den präsenten Sachverständigen ermittelten Verkehrswerte der Eigentumswohnungen jeweils „deutlich höher“ lägen als die vom gerichtlich bestellten Sachverständigen ermittelten. Dessen Verkehrswerte, die in der Rüge als Bestandteil des der Strafkammer unterbreiteten Beweisbegehrens tatsächlich mitgeteilt sind, werden nur als Vergleichsparameter für das Beweisziel benannt. Das Beweisziel ist kein notwendiger Bestandteil eines Beweisantrages im Sinne des § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO. Deshalb kann die Prüfung der Beweisantragsqualität durch das Revisionsgericht nicht von seiner Mitteilung abhängen, hier zudem insbesondere nicht von der unterbliebenen Darlegung, wie der gerichtlich bestellte Sachverständige zu den von ihm angenommenen Verkehrswerten gelangt ist.
bb) Die Strafkammer hat in ihren Ablehnungsbeschlüssen zudem auf weitere Unterlagen rekurriert, die die Anknüpfungstatsachen betrafen, von denen die präsenten Sachverständigen bei der Erstellung ihrer schriftlichen Kurzgutachten möglicherweise ausgegangen seien, insbesondere den diesen Gutachten zugrundeliegenden, der Strafkammer nicht bekannten Auftrag an die Sachverständigen einerseits und den gerichtlichen Beschluss über die Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Verkehrswert der Eigentumswohnungen andererseits. Darüber hinaus hat sie auf eine konkretisierende Verfügung und ergänzende Nachfragen an den gerichtlichen Sachverständigen und deren Beantwortung Bezug genommen.
Diese Unterlagen hat die Revisionsbegründung zwar nicht vollständig vorgetragen; das erweist sich aber mit Blick auf die sich aus § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ergebenden Rügeobliegenheiten ebenfalls als unschädlich. Denn für die Prüfung der Verfahrensrüge kommt es auf den Inhalt der genannten Aktenbestandteile ersichtlich nicht an. Insbesondere sind sie - anders als die Strafkammer in ihren Ablehnungsbeschlüssen angenommen hat - nicht zur Prüfung der Konnexität zwischen Beweistatsache und Beweismittel erforderlich. Für diese genügt vielmehr die Darlegung der Kompetenz der Sachverständigen (vgl. Schleswig-Holsteinisches OLG, StV 2014, 276, 277; HKGS/König, 5. Aufl., § 244 StPO Rn. 36a). Die Frage, von welchen Anknüpfungstatsachen die präsenten Sachverständigen bei der Ermittlung der Verkehrswerte in den vorbereitenden Kurzgutachten ausgegangen sind, ist demgegenüber allein für deren Beweiswert von Bedeutung, nicht aber für die abstrakte Frage, weshalb das benannte Beweismittel die behauptete Beweistatsache belegen können sollte.
Soweit die Strafkammer in ihren Ablehnungsbeschlüssen ausgeführt hat, die Konnexität sei jedenfalls „bei hier erheblich fortgeschrittener Beweisaufnahme“ nicht ausreichend dargelegt, so besteht ein solches Darlegungserfordernis nach der Neufassung von § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO durch das Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens vom 10. Dezember 2019 (BGBl. I S. 2121, 2122) nicht (BGH, Beschluss vom 1. September 2021 - 5 StR 188/21, NJW 2021, 3404 Rn. 22 ff. unter Aufgabe der vom Landgericht zitierten Rechtsprechung [BGH, Urteil vom 10. Juni 2008 - 5 StR 38/08, BGHSt 52, 284]).
b) Die Rüge ist auch begründet.
aa) Der abgelehnte Antrag ist als Beweisantrag zu qualifizieren.
Ein solcher liegt nach § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO vor, wenn der Antragsteller ernsthaft verlangt, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft, durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel zu erheben und dem Antrag zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll. Diese Voraussetzungen sind gegeben.
(1) Im abgelehnten Antrag wird eine die Schuld- und Rechtsfolgenfrage betreffende konkrete Tatsache bestimmt behauptet, nämlich die Höhe des jeweiligen Verkehrswerts der verkauften Eigentumswohnungen zu den im einzelnen angegebenen Stichtagen.
Zwar zielt der Antrag seiner Formulierung nach auf das erwähnte Beweisziel, nämlich den Vergleich der von den präsenten Sachverständigen einerseits und dem gerichtlich bestellten Sachverständigen andererseits ermittelten Verkehrswerte der Eigentumswohnungen. Die gebotene, für den Antragsteller günstigste, zur Beweiserhebung führende Auslegung (vgl. KKStPO/Krehl, 8. Aufl., § 244 Rn. 78; LR/Becker, StPO, 27. Aufl., § 244 Rn. 117) des Antrags und seiner Begründung ergibt jedoch, dass als konkreter Tatsachenkern die im Einzelnen benannten Verkehrswerte der im Antrag aufgeführten Eigentumswohnungen bewiesen werden sollen.
Die jeweiligen Stichtage selbst sind zwar im Antrag nicht genau bezeichnet. Allerdings ergibt sich aus einem früheren Beweisantrag auf zeugenschaftliche Vernehmung der beiden Sachverständigen, dass der Stichtag den Tag des jeweiligen Vertragsschlusses bezeichnete. In den dem Landgericht im Zusammenhang mit dem Beweisantrag vorgelegten schriftlichen Kurzgutachten der präsenten Sachverständigen ist dieser Tag zudem jeweils mit Datum aufgeführt. Solche in der Hauptverhandlung zu Tage getretenen Umstände sind bei der Auslegung eines Beweisantrags zu berücksichtigen (vgl. KKStPO/Krehl, 8. Aufl., § 244 Rn. 77 mwN).
(2) Der Antrag auf Anhörung der beiden präsenten Sachverständigen bezeichnet ein hinreichend bestimmtes Beweismittel. Ihm lässt sich ohne weiteres entnehmen, dass jeder der beiden Sachverständigen zu jedem behaupteten Verkehrswert benannt werden soll. Das gilt vor allem auch deshalb, weil im Lauf der Hauptverhandlung klargestellt worden war, dass die Kurzgutachten von ihnen gemeinschaftlich nach dem Vier-Augen-Prinzip erstellt worden waren.
(3) Das Beweisbegehren wird - wie dargelegt - auch den Anforderungen an die Konnexität zwischen Beweistatsache und Beweismittel gerecht; diesen ist bereits dadurch Genüge getan, dass der Antrag Ausführungen zur Sachkunde der präsenten Sachverständigen auf dem Gebiet der Immobilienbewertung enthält.
(4) Auch sonst spricht nichts gegen die Annahme, dass es sich um einen Beweisantrag im Sinne von § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO handelte, insbesondere ist nicht ersichtlich, dass es ihm an der gebotenen Ernsthaftigkeit gemangelt hätte (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 16. März 2021 - 5 StR 35/21) oder er in Verschleppungsabsicht gestellt worden wäre (vgl. hierzu Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 244 Rn. 92), zumal die Strafkammer ihre Ablehnung auf diesen Punkt auch nicht gestützt hat (vgl. zum insoweit gegebenen Beurteilungsspielraum des Vorsitzenden bzw. des Tatgerichts BT-Drucks. 19/14747, S. 34).
bb) Damit durfte das Beweisbegehren des Beschwerdeführers nur nach Maßgabe von § 245 Abs. 3 Satz 2 und 3 StPO abgelehnt werden. Zu den dort genannten Ablehnungsgründen hat sich die Strafkammer in ihren Ablehnungsbeschlüssen indes nicht verhalten; ihr Vorliegen ist auch nicht ersichtlich.
cc) Auf diesem Verfahrensfehler beruht das Urteil (§ 337 Abs. 1 StPO). Wird ein Beweisantrag fehlerhaft als Beweisermittlungsantrag behandelt, ist diese Voraussetzung regelmäßig auch dann erfüllt, wenn der Beweisantrag als solcher rechtsfehlerfrei hätte abgelehnt werden können (BGH, Urteil vom 5. Februar 1997 - 2 StR 551/96, BGHR StPO § 244 Abs. 3 Ablehnung 1; OLG Naumburg, NStZ-RR 2013, 18, 19; KKStPO, Krehl, 8. Aufl., § 244 Rn. 223; MüKoStPO/Trüg/Habetha, § 244 Rn. 412). An einem Beruhen fehlt es nur ausnahmsweise, wenn das Beweisbegehren mit einer auch die Ablehnung eines Beweisantrags tragenden Begründung zurückgewiesen wurde (BGH, Beschluss vom 29. März 2007 - 5 StR 116/07) oder sicher auszuschließen ist, dass der Angeklagte bei ordnungsgemäßer Bescheidung (also bei Rückgriff auf einen tatsächlich gegebenen Ablehnungsgrund) weitere sachdienliche Anträge hätte stellen können (vgl. BGH, Beschluss vom 1. März 2005 - 5 StR 499/04, NStZ-RR 2005, 177; KKStPO, Krehl, 8. Aufl., § 244 Rn. 223). So liegt der Fall - wie dargelegt - hier aber gerade nicht.
2. Der Rechtsfehler bei der Ermittlung des Verkehrswertes der veräußerten Eigentumswohnungen betrifft nicht lediglich den Schuldumfang, sondern führt zur Aufhebung des Schuldspruchs, denn der Senat kann nicht gänzlich ausschließen, dass den Geschädigten jeweils kein Vermögensschaden entstanden ist (vgl. zum Maßstab BGH, Urteil vom 26. November 2015 - 3 StR 247/15, NStZ 2016, 343, 344 mwN). Die von den präsenten Sachverständigen ermittelten Verkehrswerte weichen entweder nicht oder jedenfalls nicht so deutlich zu Ungunsten der Erwerber von der jeweils eingegangenen Kaufpreisverbindlichkeit ab, dass von vornherein evident wäre, dass ein bezifferbarer Vermögensschaden zweifelsohne eingetreten ist (vgl. zum Vermögensschaden bei täuschungsbedingtem Abschluss eines Immobilienkaufvertrages etwa BGH, Urteil vom 16. Juni 2016 - 1 StR 20/16, NJW 2016, 3543, 3544; vgl. ferner auch BGH, Beschluss vom 9. Februar 2022 - 1 StR 384/21 Rn. 5 f. [zum Vermögensnachteil nach § 266 StGB]).
Das gänzliche Fehlen oder die geringere Höhe eines etwaigen Vermögensschadens nur in einzelnen Fällen kann zudem zumindest Auswirkungen auf die Feststellungen zur subjektiven Tatseite haben.
3. Der Senat hebt im Hinblick darauf das angefochtene Urteil insgesamt auf (§ 353 Abs. 2 StPO), um dem neuen Tatgericht widerspruchsfreie neue Feststellungen zu ermöglichen.
HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 718
Bearbeiter: Christian Becker