HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 1058
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 298/19, Urteil v. 28.08.2019, HRRS 2019 Nr. 1058
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 25. Januar 2019 aufgehoben, jedoch bleiben die Feststellungen zum Tatgeschehen bestehen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision der Staatsanwaltschaft und die Revision des Angeklagten werden verworfen. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die dem Nebenkläger dadurch im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Diebstahl zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Der Angeklagte wendet sich gegen seine Verurteilung mit der Sachrüge. Mit ihrer vom Generalbundesanwalt teilweise vertretenen Revision macht die Staatsanwaltschaft geltend, dass der Angeklagte nicht wegen besonders schweren Raubes und gefährlicher Körperverletzung verurteilt worden ist. Ferner beanstandet sie die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung. Während das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg hat, ist die Revision des Angeklagten unbegründet.
1. Das Landgericht hat festgestellt:
In der Nacht zum 10. Juni 2018 überquerten der wegen Gewaltdelikten vielfach vorbestrafte Angeklagte, der sich in Begleitung der 13-jährigen Tochter seiner Freundin befand, und der ihm unbekannte Nebenkläger gemeinsam eine Straße auf einem zu einer Straßenbahnhaltestelle führenden Fußgängerüberweg. Beim Überqueren der Straße berührte der Nebenkläger, der an einer Sehschwäche leidet und wegen einer Gehbehinderung einen ausholenden Gang hat, den Angeklagten versehentlich am Arm. Hierdurch fühlte dieser sich provoziert und sprach den Nebenkläger an, der sich daraufhin entschuldigte.
An der Haltestelle setzte sich der Nebenkläger auf eine Bank, um auf die nächste Bahn zu warten. Der mit einer maximalen Blutalkoholkonzentration von 2,58 Promille alkoholisierte, in seiner Steuerungsfähigkeit jedoch nicht erheblich beeinträchtigte Angeklagte forderte ihn nunmehr vorwurfsvoll auf, seine vorgeblich als „Tochter“ bezeichnete Begleiterin nicht so „komisch“ anzuschauen. Darauf entgegnete der Nebenkläger, dass er von ihr nichts wolle und sie auch nicht komisch angeschaut habe. Da er sich von ihm weiterhin provoziert fühlte und ihn wegen des Anschauens des Mädchens zurechtweisen wollte, schlug der Angeklagte ihm mit der Faust gegen die Schläfe. Nachdem der Nebenkläger von einem weiteren Faustschlag am Kopf getroffen zu Boden gegangen war, trat ihm der Angeklagte mit einem „Freizeitschuh“ aus Stoff und Leder mit Gummisohle aus dem Stand an den Kopf.
Nunmehr fasste der Angeklagte den Entschluss, dem inzwischen bäuchlings auf dem Boden liegenden Nebenkläger dessen Geldbeutel mit dem hierin vermuteten Bargeld aus der Gesäßtasche zu entwenden. Er zog ihm den Beutel aus der Hose und entnahm daraus 50 Euro, um das Geld dauerhaft an sich zu nehmen. Als der Nebenkläger aufzustehen versuchte, trat der Angeklagte ihm in den Bauch. Dennoch gelang es ihm, sich wieder auf die Bank zu setzen. Hierbei forderte er den Angeklagten auf, ihm wenigstens seinen Geldbeutel und insbesondere seine darin befindlichen Ausweispapiere zu belassen, worauf der Angeklagte ihm den Beutel vor die Füße warf. Der Nebenkläger nahm ihn an sich und beschuldigte den Angeklagten, daraus das Geld an sich genommen zu haben. Dieser schlug ihm darauf noch einmal wuchtig mit der flachen Hand ins Gesicht. Die mittlerweile hinzugekommene Zeugin F. forderte ihn auf, den Nebenkläger in Ruhe zu lassen. Der Angeklagte erwiderte, dass der Nebenkläger „seiner Tochter auf den Po“ geschaut habe, und entfernte sich nach mit der Zeugin gewechselten Beschimpfungen schließlich. Der Nebenkläger erlitt durch die Schläge und den Tritt gegen den Kopf eine Schädelprellung sowie ein schmerzhaftes Hämatom an der Schläfe und wurde ambulant im Krankenhaus versorgt. Über drei Tage hatte er leichte Kopfschmerzen. Zudem hatte er infolge der Tat Angst, bei Dunkelheit alleine auf die Straße zu gehen.
2. Das Landgericht hat die Einlassung des Angeklagten, die Gewalt lediglich aus Wut und wegen des als Provokation empfundenen Verhaltens des Nebenklägers ausgeübt zu haben, als letztlich nicht widerlegbar angesehen. Zwar sei aufgrund der Aussagen des Nebenklägers und der unbeteiligten Zeugin F. erwiesen, dass der Angeklagte entgegen seinem Bestreiten dem Nebenkläger den Geldbeutel weggenommen und das Bargeld an sich genommen habe. Seine Einlassung, er sei durch den Nebenkläger beim Überqueren der Straße angerempelt worden, sei indes nicht nur von der Zeugin B. als Begleiterin des Angeklagten, sondern auch von der Zeugin F. bestätigt worden. Auch die weitere Erklärung des Angeklagten für eine von ihm empfundene Provokation, der Nebenkläger habe die Zeugin B. komisch angeschaut, gegrinst und hiermit auch nach einer Verwarnung nicht aufgehört, finde insoweit eine Stütze in den Aussagen des Nebenklägers und der Zeugin F., wonach der Angeklagte eine entsprechende Rechtfertigung für sein gewalttätiges Verhalten schon in der Tatnacht behauptet habe. Daraus sei ableitbar, dass sich der Angeklagte zumindest subjektiv durch das vermeintliche Verhalten des Nebenklägers provoziert gefühlt habe. Auch lasse es die Vorgeschichte plausibel erscheinen, dass der Angeklagte den Entschluss zur Wegnahme des Geldbeutels erst getroffen habe, als der Nebenkläger auf dem Bauch gelegen habe und dessen in der Gesäßtasche getragener Geldbeutel von dem Angeklagten erstmalig wahrgenommen worden sei.
Im Zeitpunkt des letzten Tritts und später bei dem letzten Schlag sei die Wegnahme bereits vollendet gewesen, so dass sie hierdurch nicht mehr gefördert worden sei. Der Angeklagte habe nach den Gesamtumständen auch nicht beabsichtigt, sich durch die letzten beiden Gewalthandlungen im Besitz des Bargeldes zu erhalten. Der sich passiv verhaltende, motorisch eingeschränkte Nebenkläger sei dem Angeklagten deutlich unterlegen gewesen, so dass aus dessen Sicht auch kein weiterer Gewalteinsatz zur Erhaltung der Beute notwendig gewesen sei.
Die Revision der Staatsanwaltschaft hat überwiegend Erfolg.
1. Die rechtliche Wertung des Landgerichts, dass der Angeklagte auch bei seinem Tritt gegen den Kopf des Nebenklägers lediglich eine vorsätzliche Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1 StGB begangen habe, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
a) Der Einsatz eines beschuhten Fußes kann die Verwendung eines gefährlichen Werkzeugs im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB darstellen. Dabei kann sich die Gefährlichkeit schon aus der Beschaffenheit des Schuhs oder aus der konkreten Art seiner Verwendung ergeben (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2016 - 2 StR 253/16, NStZ 2017, 164). Ein Straßenschuh von üblicher Beschaffenheit ist regelmäßig als gefährliches Werkzeug anzusehen, wenn damit einem Menschen gegen den Kopf getreten wird (vgl. BGH, Urteile vom 11. Februar 1982 - 4 StR 689/81, BGHSt 30, 375, 376; vom 23. Juni 1999 - 3 StR 94/99, NStZ 1999, 616, 617, und vom 15. September 2010 - 2 StR 395/10, NStZ-RR 2011, 337; Beschluss vom 13. Mai 2015 - 2 StR 488/14). Allerdings muss sich die gesteigerte Gefährlichkeit der Verletzungshandlung gerade aus dem Einsatz des Schuhs ergeben (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Juni 2015 - 2 StR 467/14, NStZ-RR 2015, 309, 310).
b) Hier drängt sich nach den Feststellungen eine Verwirklichung des Qualifikationstatbestands des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB auf. Bei den Schuhen handelte es sich um auf der Straße getragene Freizeitschuhe. Besonderheiten des auch aus Leder gefertigten Schuhwerks, die einer gesteigerten Gefährlichkeit von Tritten gegen den Kopf entgegenstehen könnten, sind nicht festgestellt. Angesichts der vom Tatopfer erlittenen Verletzungen und der vorhandenen Bewehrung des Fußes, die stärkeren Tritten Vorschub leistete, kommt es nicht darauf an, mit welchem Teil des Fußes der Angeklagte den Geschädigten traf und wie der Schuh dort beschaffen war (vgl. BGH, Urteil vom 23. Juni 1999 - 3 StR 94/99, aaO).
2. Dies hat zur Folge, dass der an sich rechtsfehlerfreie tateinheitliche Schuldspruch wegen Diebstahls entfällt.
Entgegen dem Vorbringen der insoweit zugunsten des Angeklagten eingelegten Revision der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht eine Gewahrsamsbegründung des Angeklagten an dem aus dem Geldbeutel entnommenen Bargeld rechtsfehlerfrei festgestellt. Den Umstand, dass bei der nachfolgenden Festnahme des Angeklagten das Geld bei ihm nicht aufgefunden wurde, hat das Landgericht beweiswürdigend bedacht, ihm jedoch nachvollziehbar keine Bedeutung beigemessen. Denn nach der Überzeugung des Landgerichts war es dem Angeklagten nach der Tat möglich, das Geld unbemerkt vom Nebenkläger zu verbergen oder es etwa seiner Begleiterin zuzustecken. Anders als die Beschwerdeführerin meint, war die Wegnahme damit auch vollendet (vgl. BGH, Urteil vom 6. März 2019 - 5 StR 593/18, juris Rn. 5 mwN).
3. Zu Recht hat das Landgericht eine Verurteilung wegen Raubes gemäß § 249 Abs. 1 StGB abgelehnt.
Die Beweiswürdigung, die der Feststellung des Zeitpunktes zugrunde liegt, zu dem der Angeklagte seinen Entschluss zur Wegnahme fasste, unterliegt eingedenk des beschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsumfangs aus den vom Generalbundesanwalt angeführten Gründen keinen rechtlichen Bedenken.
Nach den somit rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen fehlte es hier an der beim Raub erforderlichen finalen Verknüpfung zwischen der Drohung mit oder dem Einsatz von Gewalt und der Wegnahme. Gewalt oder Drohung müssen das Mittel zur Ermöglichung der Wegnahme sein. Eine solche Verknüpfung besteht nicht, wenn der Täter den Entschluss zur Wegnahme erst nach Abschluss seiner Nötigungshandlung fasst (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Beschluss vom 24. April 2018 - 5 StR 606/17 Rn. 10 mwN). Allein der Umstand, dass die Wirkungen eines ohne Wegnahmeabsicht eingesetzten Nötigungsmittels noch andauern und der Täter dies ausnutzt, genügt für die Annahme eines Raubes ebenso wenig wie das bloße Ausnutzen der Angst eines der Einwirkung des Täters schutzlos ausgelieferten Opfers (vgl. BGH, Beschlüsse vom 25. September 2012 - 2 StR 340/12, NStZ-RR 2013, 45, und vom 18. Februar 2014 - 5 StR 41/14, NStZ 2015, 156, 157 mwN).
Hier versetzte der Angeklagte seine beiden ersten Schläge und seinen ersten Tritt dem Geschädigten ohne Wegnahmeabsicht. Der Gewahrsamswechsel geschah nicht ausschließbar vor dem zweiten Tritt, als lediglich die Wirkungen der ersten Gewalthandlungen noch andauerten. Dieser zweite Tritt und der den Abschluss seiner Gewalttätigkeiten bildende weitere Schlag ins Gesicht dienten auch nicht der Beutesicherung im Sinne des § 252 StGB, da dem Angeklagten mit Blick auf die körperliche Verfassung des Geschädigten kein Gewahrsamsverlust an der Beute drohte. Demgegenüber entfernt sich die Erwägung der Beschwerdeführerin, die zuvor vom Angeklagten verübte Gewalt habe als aktuelle Drohung neuer Gewaltanwendung weiter auf den Geschädigten einwirken können, von den Feststellungen des Landgerichts und ist daher revisionsrechtlich unbeachtlich.
4. Auch hinsichtlich der konkurrenzrechtlichen Bewertung der mehraktigen, am selben Ort gegen dasselbe Opfer gerichteten Tathandlungen als eine Tat im Rechtssinn zeigt die Beschwerdeführerin keinen Rechtsfehler auf, wie der Generalbundesanwalt unter Bezugnahme auf die ständige Rechtsprechung zutreffend ausgeführt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Januar 2019 - 5 StR 480/18, StV 2019, 448 mwN).
5. Die Feststellungen zum objektiven und subjektiven Tatgeschehen können bestehen bleiben, weil sie rechtsfehlerfrei getroffen sind (§ 353 Abs. 2 StPO). Sie können um solche ergänzt werden, die den bisherigen nicht widersprechen.
6. Die Aufhebung des Schuldspruchs entzieht der Entscheidung über die Sicherungsverwahrung (§ 66 StGB) die Grundlage. Die Ausführungen des Landgerichts zum Fehlen eines Hangs zu erheblichen Straftaten geben dabei zu folgenden Hinweisen Anlass.
Ein „teilweise auch von Erfolg gekröntes“ Bemühen findet in den Feststellungen keine Stütze. Der Angeklagte ist seit 1999 vielfach wegen Gewaltdelikten vorbestraft. Trotz der Aufsicht der Bewährungshilfe und der Betreuung durch eine Drogentherapeutin hat er die verfahrensgegenständliche Gewalttat verübt. Dies spricht für ein überdauerndes Verhaltensmuster zur Begehung von Straftaten im Sinne eines verfestigten Persönlichkeitsmerkmals. Soweit die Strafkammer bei ihrer Bewertung der dissozialen Persönlichkeitsstörung des Angeklagten auf die grundsätzlich noch vorhandene Möglichkeit abgestellt hat, auf ihn therapeutisch und sozial unterstützend noch einzuwirken (UA S. 32 i.V.m. S. 26), steht dies der Annahme eines Hangs nicht entgegen. Von einer derartigen Einwirkungsmöglichkeit geht das Gesetz (§ 66c Abs. 1 StGB) auch beim Hangtäter aus. Vor diesem Hintergrund wird die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer die bisherige Besetzungsreduktion zu überdenken haben (§ 75 Abs. 5 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 GVG).
Die Revision des Angeklagten ist unbegründet, weil die Überprüfung des Urteils keinen ihn beschwerenden Rechtsfehler ergeben hat.
HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 1058
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2019, 345
Bearbeiter: Christian Becker