HRRS-Nummer: HRRS 2012 Nr. 25
Bearbeiter: Ulf Buermeyer
Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 488/11, Beschluss v. 14.12.2011, HRRS 2012 Nr. 25
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 5. September 2011 gemäß § 349 Abs. 4 StPO aufgehoben, soweit die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet worden ist; die Maßregelanordnung entfällt.
2. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last.
3. Die Entscheidung über die Entschädigung des Angeklagten wegen zu Unrecht erlittener einstweiliger Unterbringung bleibt dem Landgericht vorbehalten.
4. Der Unterbringungsbefehl des Landgerichts Braunschweig vom 16. März 2011 wird aufgehoben. Der Angeklagte ist in dieser Sache sofort aus der einstweiligen Unterbringung zu entlassen.
Das Landgericht hat den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen vom Vorwurf des Betruges in fünf Fällen freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Auf die mit der allgemeinen Sachrüge geführte Revision des Angeklagten hebt der Senat die Maßregelanordnung auf; diese entfällt.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts (UA S. 3) leidet der Angeklagte bereits seit dem Jahr 2003 an einer "chronifizierten Schizophrenie am ehesten in der Subklassifizierung als undifferenzierte Schizophrenie (ICD 10: F 20.3)". Insbesondere ist er wahnhaft der Auffassung, dass er aufgrund einer nach seiner Ansicht unrechtmäßigen Kündigung seines früheren Arbeitsverhältnisses durch die V. AG von dieser bis zu 1,6 Mio. € zu erhalten habe und auch erhalten werde. Vor diesem Hintergrund hält sich der Angeklagte unkorrigierbar für einen "reichen Mann" (UA S. 4). Tatsächlich lebt er in sehr beschränkten finanziellen Verhältnissen.
Zu den Taten, die der Angeklagte im Zustand der Schuldunfähigkeit beging, kam es zwischen September 2007 und Oktober 2008:
Der Angeklagte ist Eigentümer eines leerstehenden baufälligen "Wohnensembles" in Rottmersleben. Nachdem im März 2007 für das Wohnhaus eine Abrissverfügung erlassen und schließlich die Ersatzvornahme angedroht worden war, entschloss sich der Angeklagte, zunächst das Dach und den Dachstuhl des Gebäudes abtragen und neu errichten zu lassen. In diesem Zusammenhang beauftragte er zwei Handwerksbetriebe, die die vereinbarten Werkleistungen im Vertrauen auf die Zahlungsfähigkeit des Angeklagten erbrachten. Die Rechnungen in Höhe von insgesamt rund 19.000 € blieben unbezahlt.
Nachdem sich die Baubehörde mit der Durchführung der genannten Arbeiten zufrieden gegeben hatte, entschloss sich der Angeklagte, das Objekt weiter zu sanieren. In der Folgezeit beauftragte er in drei weiteren Fällen Handwerksbetriebe mit der Erbringung von Werkleistungen. Zwei Rechnungen in Höhe von insgesamt 14.000 € blieben wiederum unbezahlt. In einem weiteren Fall kam es nicht zu dem von dem Angeklagten in Auftrag gegebenen Einbau von Fenstern und einer Haustür, nachdem eine Nachbarin den Handwerker gewarnt hatte, dass der Angeklagte "bekanntermaßen zahlungsunfähig" sei. Der Auftragnehmer erlitt jedoch gleichwohl einen Schaden von rund 2.000 €.
Bei der Begehung aller Taten ging der Angeklagte infolge seines Wahns davon aus, dass er die entsprechenden Rechnungen zeitnah würde bezahlen können, da er "beinahe täglich" mit einem erheblichen Geldeingang seitens der V. AG rechnete.
2. Der Maßregelausspruch hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Voraussetzungen für die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus liegen nicht vor.
Zwar begegnet die Annahme der fehlenden Einsichtsfähigkeit des Angeklagten keinen rechtlichen Bedenken. Ohne Rechtsfehler ist das Landgericht ferner davon ausgegangen, dass die weitere Voraussetzung eines fortdauernden Zustandes nach § 20 StGB beim Angeklagten gegeben ist. Indes tragen die Urteilsfeststellungen nicht die für die Anordnung der Maßregel nach § 63 StGB erforderliche Gefährlichkeitsprognose.
a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist eine außerordentlich beschwerende Maßnahme. Deshalb darf sie nur angeordnet werden, wenn die Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen; die zu erwartenden Taten müssen schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 18. März 2008 - 4 StR 6/08, Rn. 5; vom 16. Juli 2008 - 2 StR 161/08, Rn. 7; jeweils mwN). Die bloße Möglichkeit zukünftiger Straftaten reicht nicht aus (BGH, Beschlüsse vom 10. September 2008 - 2 StR 291/08, Rn. 7; vom 11. März 2009 - 2 StR 42/09, Rn. 10, NStZ-RR 2009, 198).
b) Diese Anordnungsvoraussetzungen liegen hier nicht vor.
Das sachverständig beratene Landgericht geht - insoweit nachvollziehbar - davon aus, dass der in der Vergangenheit bereits wiederholt mit geringeren Delikten strafrechtlich in Erscheinung getretene Angeklagte aufgrund seiner chronifizierten psychischen Erkrankung auch weiterhin Straftaten begehen wird. Soweit es Bedrohungstaten und "kleinere Zechprellereien" erwartet, kommt es mit Recht zu dem Ergebnis, dass diese auch in ihrer Gesamtheit keine erheblichen Taten im Sinne von § 63 StGB darstellen.
Die Strafkammer nimmt indes "mit erhöhter Wahrscheinlichkeit" an, dass der Angeklagte infolge seiner Wahnvorstellung, ein reicher Mann zu sein, bei gleichzeitig tatsächlich sehr beschränkten finanziellen Verhältnissen und weiterhin bestehender Sanierungsbedürftigkeit des Gebäudes in Rottmersleben zukünftig "weitere erhebliche Betrugsstraftaten ähnlich den hier verfahrensgegenständlichen Anlasstaten" begehen wird (UA S. 45). Diese Gefahr vermag jedoch die Maßregelanordnung nicht zu begründen.
Die Frage, ob von den künftig zu erwartenden Straftaten schwere Störungen des Rechtsfriedens ausgehen, kann nicht allein mit dem - hier ohnehin nicht herausragenden - Gewicht des gesetzlichen Straftatbestandes beantwortet werden. Vielmehr kommt es grundsätzlich auf die zu befürchtende konkrete Ausgestaltung der Taten an (vgl. BGH, Beschluss vom 3. April 2008 - 1 StR 153/08; Urteil vom 12. Juni 2008 - 4 StR 140/08, NStZ 2008, 563, 564). Für etwa konkret existenzbedrohende Schädigungen besteht hier kein Anhalt. Hinweise darauf, dass der Angeklagte in anderen Zusammenhängen als der Sanierung des Gebäudes in Rottmersleben erhebliche Betrugsstraftaten begehen wird, ergeben sich nicht. Aus dem von der Strafkammer insoweit ergänzend herangezogenen Umstand, dass sich der Angeklagte in Helmstedt zwei Häuser (von außen) angeschaut hat, weil er sehen wollte, "was er mit seinem Geld machen werde" (UA S. 46), können solche Anhaltspunkte für Gefahren der Verursachung erheblicher Vermögensschäden durch Betrugshandlungen des Angeklagten jedenfalls nicht entnommen werden.
Hinzu kommt, dass die Feststellungen des Landgerichts auch nicht die Annahme einer "erhöhten Wahrscheinlichkeit" einer Begehung ähnlicher Straftaten tragen. Die angeklagten Taten wurden aus einer besonderen Situation heraus - Abrissverfügung der Baubehörde - begangen. Dass der Angeklagte auch nach Zufriedenstellung der Behörde weitere Sanierungsleistungen in Auftrag gab, ändert nichts daran, dass der Anlass für die Taten maßgeblich von außen gesetzt wurde und sie nicht etwa allein durch den Wahn des Angeklagten ausgelöst wurden. Weder vor noch nach diesen Taten hat der Angeklagte Betrügereien vergleichbarer Art begangen. Eine Vorstrafe wegen Betruges bezieht sich auf die Erschleichung von Sozialleistungen. Auch die weitere durch Strafbefehl des Amtsgerichts Helmstedt vom 29. Februar 2008 geahndete Betrugstat steht in keinem erkennbaren Zusammenhang zu dem Wahn des Angeklagten.
c) Ohne dass es nach dem Ausgeführten noch darauf ankommt, weist der Senat abschließend darauf hin, dass die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gegenüber wirksamen milderen Maßnahmen subsidiär ist. Im vorliegenden Fall wäre insbesondere zu prüfen, ob der von dem Angeklagten ausgehenden Gefahr durch Bestellung eines Betreuers begegnet werden kann.
3. Der Senat schließt aus, dass sich noch weitergehende Feststellungen treffen lassen, die die Gefährlichkeit des Angeklagten belegen könnten. Er hebt daher den Maßregelausspruch in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO auf und lässt die Maßregel entfallen (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Mai 2005 - 4 StR 85/03, BGHR StPO § 354 Abs. 1 Sachentscheidung 8).
4. Mit dem Maßregelausspruch ist auch die Grundlage für die einstweilige Unterbringung weggefallen (§ 126a Abs. 2 Satz 1, § 126 Abs. 3 StPO).
5. Die gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 2 StrEG nach Billigkeitsgesichtspunkten zu treffende Entscheidung über eine Entschädigung des Angeklagten wegen zu Unrecht erlittener einstweiliger Unterbringung bleibt dem Landgericht vorbehalten.
HRRS-Nummer: HRRS 2012 Nr. 25
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2012, 39
Bearbeiter: Ulf Buermeyer