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HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 967

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 88/24, Beschluss v. 18.06.2024, HRRS 2024 Nr. 967


BGH 4 StR 88/24 - Beschluss vom 18. Juni 2024 (LG Münster)

Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (neue Fassung; symptomatischer Zusammenhang).

§ 64 StGB nF

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Münster vom 22. August 2023

a) im Schuldspruch dahin ergänzt, dass der Angeklagte auch des tateinheitlichen Handeltreibens mit Cannabis schuldig ist;

b) im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem vorsätzlichen Besitz einer halbautomatischen „Schusswaffe“ [richtig: Kurzwaffe] zum Verschießen von Patronenmunition zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Ferner hat es seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt sowie einen Vorwegvollzug angeordnet. Schließlich hat es die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 351.615 € angeordnet. Hiergegen wendet sich der Beschwerdeführer mit der auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel erzielt den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg und ist im Übrigen unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

1. Die auf die Sachrüge veranlasste Nachprüfung des Urteils führt zur Ergänzung des Schuldspruchs und weist im Übrigen im Schuld-, Straf- und Einziehungsausspruch keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler auf.

a) Der Schuldspruch ist dahin zu ergänzen, dass der Angeklagte für seinen Umgang mit Marihuana gesondert zu verurteilen ist. Denn am 1. April 2024 ist das Gesetz zum Umgang mit Konsumcannabis (Konsumcannabisgesetz ? KCanG) in Kraft getreten (BGBl. I Nr. 109), welches der Senat nach § 2 Abs. 3 StGB zu berücksichtigen hat. Nach der Neuregelung unterfällt der Umgang des Angeklagten mit Cannabis nicht mehr dem BtMG, sondern allein dem ? hier milderen ? KCanG. Das vom Landgericht festgestellte Tatgeschehen stellt sich daher für den Angeklagten nunmehr auch als tateinheitliches Handeltreiben mit Cannabis im Sinne des § 34 Abs. 1 Nr. 4 KCanG dar. Der Senat ergänzt den Schuldspruch entsprechend § 354 Abs. 1 i.V.m. § 354a StPO. Die Regelung des § 265 StPO steht dem nicht entgegen, weil sich der Angeklagte nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.

b) Die Ergänzung des Schuldspruchs lässt den Strafausspruch unter den hier gegebenen Umständen unberührt. Das Landgericht hat im Rahmen der Strafzumessung ausdrücklich festgehalten, dass die „zusätzlich gehandelte Menge an Marihuana“ neben der erheblichen Menge Kokain „wenig ins Gewicht“ fällt. Unter diesen Umständen schließt der Senat aus, dass das Landgericht bei einer tateinheitlichen Aburteilung des einheitlichen Tatgeschehens auch nach dem KCanG auf eine mildere Strafe erkannt hätte.

2. Der Maßregelausspruch kann jedoch nicht bestehen bleiben. Insoweit hat der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift ausgeführt:

„Hingegen ist der erforderliche symptomatische Zusammenhang zwischen dem Substanzkonsum des Angeklagten und der Begehung von Straftaten nicht ausreichend festgestellt. Dieser muss nun „überwiegend“ auf den Hang zurückgehen, die bloße Mitursächlichkeit des Hangs für die Tat reicht nur noch dann aus, wenn sie andere Ursachen quantitativ überwiegt. Von einer überwiegenden Verursachung der Tat durch den Hang wird daher vor allem in Fällen auszugehen sein, in denen die Tat auf Drogenhunger oder die Notwendigkeit zum Erwerb des Rauschmittels zur Vermeidung von Entzugserscheinungen zurückgeht („klassische Beschaffungskriminalität“), aber auch, wenn aggressive Handlungen infolge der Abhängigkeit oder Intoxikation begangen worden sind (BT-Drs. 20/5913, S. 46). Das Vorliegen dieses Kausalzusammenhangs muss das Tatgericht - gegebenenfalls unter sachverständiger Beratung - positiv feststellen (Senat, Beschluss vom 20. Dezember 2023 - 4 StR 188/23 -; BGH, Beschlüsse vom 12. Dezember 2023 - 3 StR 343/23 - und vom 2. Januar 2024 - 5 StR 545/23 -).

Das Landgericht, das diesen Anordnungsmaßstab bei seiner vor Inkrafttreten der Neufassung des § 64 StGB getroffenen Entscheidung nicht hat anwenden können, hat lediglich festgestellt, dass der zuletzt erwerbslose Angeklagte die Taten auch zur Finanzierung seines Lebensunterhalts beging (UA S. 58) und sich durch den Rauschgifthandel eine regelmäßige Einnahmequelle zu verschaffen suchte (UA S. 13). Zudem ist festgestellt, dass er die aus den Drogengeschäften erwarteten Erlöse mit zur Absicherung seines nicht unerheblichen Eigenkonsums von Kokain benötigte (UA S. 54, 58).

Damit ist zwar eine - zum Urteilszeitpunkt für die Unterbringung ausreichende - Mitursächlichkeit seines erheblichen Konsums für die Straftat des Angeklagten belegt, jedoch fehlt eine Aussage zu der entscheidenden Frage, inwieweit letzterer die überwiegende Ursache für die verfahrensgegenständliche Tat war. Die vom Landgericht getroffene Feststellung, der offenbar über keine nennenswerten anderweitigen Einkünfte im Tatzeitraum verfügende Angeklagte habe die Taten auch zur Finanzierung seines eigenen Konsums begangen (UA S. 58) belegt ein solches Überwiegen nicht. Dagegen spricht auch die Menge der gehandelten Betäubungsmittel im Vergleich zu der benötigten Eigenkonsummenge. Sichergestellt wurden bei dem Angeklagten etwa 728 Gramm Kokain (UA S. 12), die bei einem maximalen Wochenverbrauch von zuletzt 9 Gramm Kokain (UA S. 54) dem Eigenverbrauch gegenüber dem Handel eine untergeordnete Bedeutung verleihen. Dem entsprechen die weiteren Urteilsgründe, wonach er nur deshalb günstige Preise für das Kokain erhielt, weil er „große Mengen als Händler abnahm“ (UA S. 58). Dass die Drogengeschäfte durch den Angeklagten durch eine Verschlüsselung seiner diesbezüglichen Kommunikation sowie die Bewaffnung mit einer scharfen Schusswaffe abgesichert wurden, die für ein planvolles und steuerndes Tatgeschehen sprechen, lässt für die Annahme eines Überwiegens der eigenen Abhängigkeit für die Tatbegehung gegenüber anderen Ursachen ebenfalls wenig Raum.“

Diesen Ausführungen tritt der Senat bei. Die Sache bedarf daher im Umfang der Aufhebung neuer Verhandlung und Entscheidung.

HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 967

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede