HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 411
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 188/23, Beschluss v. 20.12.2023, HRRS 2024 Nr. 411
1. Auf die Revision des Angeklagten I. wird das Urteil des Landgerichts Zweibrücken vom 10. November 2022, soweit es ihn betrifft, mit den jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben
a) im Maßregelausspruch,
b) im Ausspruch über die Einziehung des Anwartschaftsrechts an dem Pkw Mercedes-Benz (FIN ); insoweit wird von einer Entscheidung abgesehen,
c) im Ausspruch über die Einziehung des Wertes von Taterträgen.
2. Auf die Revision des Angeklagten T. wird das vorbezeichnete Urteil, soweit es ihn betrifft, mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben
a) im Strafausspruch,
b) im Ausspruch über die Einziehung des Pkw Mercedes-Benz (FIN ),
c) im Ausspruch über die Einziehung des Wertes von Taterträgen.
3. Im Umfang der Aufhebungen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
4. Die weiter gehenden Revisionen werden verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten I. unter Freisprechung im Übrigen wegen Bandenhandels mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 22 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren und acht Monaten verurteilt, seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und einen Vorwegvollzug bestimmt. Ferner hat es die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 330.250 € sowie die Einziehung eines Anwartschaftsrechts an einem Kraftfahrzeug angeordnet. Den Angeklagten T. hat es wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen und wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln „in nicht geringer Menge“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten verurteilt, ein Kraftfahrzeug eingezogen und die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 7.500 € angeordnet. Mit ihren umfassenden, auf verfahrensrechtliche Einwendungen und auf die Sachrüge gestützten Revisionen wenden sich die Angeklagten gegen das Urteil, soweit sie verurteilt worden sind. Die Revisionen erzielen mit der Sachrüge den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen bleiben die Rechtsmittel aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO).
I. Revision des Angeklagten I.
1. Die Revision des Angeklagten I. hat zum Schuld- und zum Strafausspruch keinen Erfolg. Der Erörterung bedarf nur das Folgende:
Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts war das Landgericht in den Fällen II.21, 23 und 24 der Urteilsgründe nicht gehalten, die „engmaschigen Überwachungsmaßnahmen der Strafverfolgungsbehörden“ zugunsten des Angeklagten zu berücksichtigen. Zwar kann eine engmaschige und lückenlose polizeiliche Überwachung eines Betäubungsmittelgeschäfts ein Strafmilderungsgrund sein, dem ‒ über den strafmildernden Umstand der Sicherstellung der Betäubungsmittel hinaus ‒ ein eigenständiges Gewicht zukommt. Dies setzt aber voraus, dass diese Maßnahme so beschaffen war, dass sie einem In-Verkehr-Gelangen der Betäubungsmittel bereits vor deren späterer Sicherstellung wirksam entgegensteht (vgl. BGH, Urteil vom 10. August 2023 ‒ 3 StR 412/22 Rn. 25; Urteil vom 22. Juni 2022 ‒ 5 StR 9/22 Rn. 14; Urteil vom 6. Januar 2022 ‒ 5 StR 2/21 Rn. 15; Urteil vom 28. September 2022 ‒ 2 StR 127/22 Rn. 21; Beschluss vom 19. August 2020 ‒ 2 StR 257/20, NStZ 2021, 54, 55; Urteil vom 20. August 2019 ‒ 1 StR 209/19, NStZ 2020, 231; Beschluss vom 16. Januar 2019 ‒ 2 StR 488/18 Rn. 8; Beschluss vom 5. Juni 2013 ‒ 4 StR 169/13, NStZ 2013, 662).
Gemessen hieran bestand kein Anlass, die festgestellten Überwachungsmaßnahmen strafmildernd zu berücksichtigen. Denn die Betäubungsmittel sind in den verfahrensgegenständlichen Fällen ‒ von der bei dem Mitangeklagten T. sichergestellten geringeren Teilmenge von einem Kilogramm Amphetamin abgesehen, deren Sicherstellung das Landgericht strafmildernd berücksichtigt hat ‒ überwiegend in den Verkehr gelangt.
2. Der Ausspruch über die Einziehung des Anwartschaftsrechts an dem Pkw Mercedes-Benz hat aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend aufgeführten Gründen keinen Bestand. Insoweit beschränkt der Senat die Verfolgung der Taten mit Zustimmung des Generalbundesanwalts gemäß § 421 Abs. 1 Nr. 3 StPO aus prozessökonomischen Gründen auf die sonstigen Rechtsfolgen.
3. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB kann nicht bestehen bleiben. Dies führt zur Aufhebung des angeordneten Vorwegvollzugs.
Der Senat hat seiner Entscheidung gemäß § 354a StPO die zum 1. Oktober 2023 in Kraft getretene Neufassung des § 64 StGB (BGBl. 2023 I Nr. 203) zugrunde zu legen. Die dort normierten und nach § 2 Abs. 6 StGB auch für Altfälle geltenden Voraussetzungen für die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt werden durch das Urteil nicht belegt. Dies gilt namentlich für den erforderlichen symptomatischen Zusammenhang zwischen der Substanzkonsumstörung und den verfahrensgegenständlichen Taten. Denn die Anlasstaten müssen nunmehr „überwiegend“ auf den Hang zurückgehen, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Nach dem Willen des Gesetzgebers reicht bloße Mitursächlichkeit nicht aus; erforderlich ist nunmehr, dass der Hang andere Ursachen quantitativ überwiegt. Das Vorliegen dieses Kausalzusammenhangs ist durch das Tatgericht ‒ gegebenenfalls nach sachverständiger Beratung ‒ positiv festzustellen (vgl. BGH, Beschluss vom 7. November 2023 ‒ 5 StR 345/23 Rn. 2; Urteil vom 18. Oktober 2023 ‒ 1 StR 214/23, NStZ-RR 2024, 45, 46 mwN; siehe auch BT-Drucks. 20/5913 S. 69 f.). Das Landgericht, das diesen strengeren Anordnungsmaßstab bei seiner vor Inkrafttreten der Neufassung des § 64 StGB getroffenen Entscheidung nicht hat anwenden können, hat lediglich festgestellt, dass der Angeklagte die Taten nicht ausschließlich zur Finanzierung seines Lebensbedarfs, sondern jedenfalls auch zur Finanzierung seines Betäubungsmittelkonsums begangen hat. Damit ist nicht belegt, dass die Anlasstaten „überwiegend“ auf den Hang zurückgehen.
Die Frage der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt bedarf somit erneuter Prüfung und Entscheidung. Der Senat hebt auch die zugehörigen Feststellungen auf, um dem Tatgericht eine neue Prüfung der Maßregelfrage zu ermöglichen. Dabei wird auch das Vorliegen eines Hangs im Sinne des § 64 StGB nF unter Berücksichtigung des auch insoweit strengeren Maßstabs erneut zu prüfen und im Rahmen der Beweiswürdigung zu bedenken sein, dass die Angaben eines Angeklagten zur Frage seines Betäubungsmittelkonsums nicht ungeprüft hingenommen werden dürfen, sondern einer kritischen Prüfung unter Berücksichtigung objektiver Beweisergebnisse zu unterziehen sind.
4. Der Ausspruch über die Einziehung des Wertes von Taterträgen hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand, weil das Urteil nachvollziehbare und tragfähige Feststellungen zu dem vom Angeklagten hinsichtlich der festgestellten 22 Taten jeweils nach § 73 Abs. 1 StGB Erlangten vermissen lässt.
a) Nach § 73 Abs. 1 StGB unterliegen Vermögensgegenstände, die der Täter durch oder für eine rechtswidrige Tat erlangt hat, der Einziehung. „Durch“ die Tat erlangt im Sinne des § 73 Abs. 1 StGB ist ein Vermögenswert, wenn er dem Täter unmittelbar aus der Verwirklichung des Tatbestandes in irgendeiner Phase des Tatablaufs derart zugeflossen ist, dass er der tatsächlichen Verfügungsgewalt des Täters unterliegt. Da es sich bei dem Erlangen in diesem Sinne um einen tatsächlichen Vorgang handelt, kommt es auf zivilrechtliche Besitz- oder Eigentumsverhältnisse nicht an (vgl. BGH, Urteil vom 27. September 2018 ‒ 4 StR 78/18, NStZ-RR 2019, 22). Bei mehreren Beteiligten genügt eine faktische bzw. wirtschaftliche Mitverfügungsmacht über den Vermögensgegenstand (vgl. BGH, Urteil vom 7. Juni 2018 ‒ 4 StR 63/18 Rn. 12). Die bloße Feststellung eines mittäterschaftlichen Zusammenwirkens belegt aber nicht, dass der jeweilige Mittäter Mitverfügungsmacht erlangt hat; eine Zurechnung nach den Grundsätzen der Mittäterschaft gemäß § 25 Abs. 2 StGB kommt nur in Betracht, wenn sich die Beteiligten darüber einig waren, dass dem jeweiligen Mittäter zumindest Mitverfügungsgewalt über den Taterlös zukommen sollte, und er diese auch tatsächlich hatte (vgl. BGH, Urteil vom 7. Juni 2018 ‒ 4 StR 63/18 Rn. 12 mwN; BGH, Urteil vom 26. März 2009 ‒ 3 StR 579/08, NStZ 2010, 86, 87).
Soll der Erlös aus Betäubungsmittelgeschäften abgeschöpft werden, sind regelmäßig Feststellungen zur Entgegennahme der Verkaufserlöse und zu deren Verbleib erforderlich, die durch Beweiserwägungen tragfähig belegt werden müssen (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Februar 2023 ‒ 6 StR 427/22 Rn. 7). Eine unmittelbare Beteiligung an der Übergabe der Erlöse aus den Betäubungsmittelgeschäften ist nicht erforderlich; es genügt, dass der Beteiligte anschließend ungehinderten Zugriff auf das übergebene Geld nehmen kann (vgl. BGH, Beschluss vom 24. September 2019 ‒ 5 StR 213/19 Rn. 8).
b) Gemessen hieran ergeben die Feststellungen auch unter Berücksichtigung ihres Zusammenhangs nicht, in welcher Höhe der Angeklagte I. (Mit-)Verfügungsmacht an den Betäubungsmittelerlösen erlangte. Das Landgericht hat seiner Einziehungsentscheidung jeweils die festgestellten Verkaufspreise und die festgestellten Betäubungsmittelmengen zugrunde gelegt, ohne festzustellen, dass der Angeklagte I. in dieser Höhe auch tatsächlich Mitverfügungsmacht über die Erlöse erlangte. Insbesondere in den Fällen, in denen der Angeklagte I. gemeinsam mit dem gesondert verfolgten R. größere Betäubungsmittelmengen bestellte, aber ‒ wie von vornherein abgesprochen ‒ eine Teilmenge an eigene Abnehmer verkaufte, versteht sich eine Mitverfügungsmacht an den von R. erlangten Erlösen nicht von selbst und hätte daher festgestellt und im Einzelnen belegt werden müssen.
c) Die Sache bedarf daher insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung. Dabei wird das neu zur Entscheidung berufene Tatgericht zu bedenken haben, dass auch eine Abrede, die Betäubungsmittelgeschäfte abzurechnen und Gewinne und Verluste hälftig zu teilen, zu einer Verfügungsmacht über die Erlöse führen kann (vgl. BGH, Urteil vom 24. März 2021 ‒ 6 StR 240/20 Rn. 36; Beschluss vom 23. Juli 2020 ‒ 5 StR 149/20; Beschluss vom 1. Juni 2023 ‒ 3 StR 414/22). Eine solche Abrede bedarf aber der ausdrücklichen Feststellung, die beweiswürdigend belegt sein muss. Hier ist eine entsprechende Abrede zwischen dem Angeklagten I. und dem gesondert verurteilten R. weder festgestellt noch tragfähig belegt.
II. Revision des Angeklagten T.
1. Zwar weist der Schuldspruch keinen den Angeklagten T. benachteiligenden Rechtsfehler auf. Der Strafausspruch und die auf § 74 Abs. 1 StGB gestützte Einziehungsentscheidung können jedoch nicht bestehen bleiben.
a) Der Strafausspruch hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand, weil das Landgericht die Wechselwirkung zwischen Strafe und Einziehung nicht bedacht hat. Die Einziehung des Fahrzeugs hat das Landgericht ‒ im rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend ‒ auf § 74 Abs. 1 StGB gestützt. Eine Maßnahme nach dieser Vorschrift hat den Charakter einer Nebenstrafe und stellt damit eine Strafzumessungsentscheidung dar (vgl. BGH, Beschluss vom 14. September 2021 ‒ 4 StR 21/21, StV 2022, 24, 25 mwN; Beschluss vom 2. Dezember 2020 ‒ 4 StR 422/20 Rn. 5; Beschluss vom 11. Februar 2020 ‒ 4 StR 525/19, NStZ 2020, 407, 408; Beschluss vom 21. November 2018 ‒ 4 StR 332/18, NStZ-RR 2019, 88). Wird dem Täter auf diese Weise ein ihm zustehender Gegenstand von nicht unerheblichem Wert entzogen, ist dies deshalb ein bestimmender Gesichtspunkt für die Bemessung der neben der Einziehung zu verhängenden Strafe und insoweit im Wege einer Gesamtbetrachtung der den Täter betreffenden Rechtsfolgen angemessen zu berücksichtigen (vgl. BGH, Beschluss vom 14. März 2023 ‒ 4 StR 451/22 Rn. 14 mwN; Beschluss vom 14. September 2021 ‒ 4 StR 21/21, StV 2022, 24, 25; Beschluss vom 11. Februar 2020 ‒ 4 StR 525/19, NStZ 2020, 407, 408). Das Landgericht hat den Wert des eingezogenen Fahrzeugs bei der Strafzumessung nicht berücksichtigt. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei einer Beachtung der dargelegten Grundsätze zu milderen Strafen gelangt wäre. Der Rechtsfehler nötigt zur Aufhebung des Ausspruchs über die Einzelstrafen und die Gesamtstrafe (vgl. BGH, Beschluss vom 21. November 2018 ‒ 4 StR 332/18, NStZ-RR 2019, 88 mwN; vgl. aber BGH, Beschluss vom 9. November 2021 ‒ 2 StR 135/21). Die dem Strafausspruch zugrundeliegenden Feststellungen werden von dem Wertungsfehler nicht berührt und können daher bestehen bleiben. Ergänzende Feststellungen, die zu den bereits getroffen nicht in Widerspruch treten, bleiben möglich.
b) Infolge des inneren Zusammenhangs zwischen Strafausspruch und Einziehung unterliegt auch die Einziehungsentscheidung der Aufhebung. Diese ist aber auch für sich genommen rechtlich nicht unbedenklich. Denn der zur Begründung angeführte Hinweis auf § 74 StGB als Rechtsgrundlage für die angeordnete Maßnahme lässt nicht erkennen, dass sich das Landgericht des ihm gesetzlich eingeräumten Ermessens bewusst gewesen ist und sein Ermessen unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (§ 74f StGB) ausgeübt hat.
2. Die Entscheidung über die Einziehung des Wertes von Taterträgen nach §§ 73, 73c StGB kann nicht bestehen bleiben, weil den Urteilsgründen auch unter Berücksichtigung ihres Zusammenhangs nicht zweifelsfrei entnommen werden kann, dass der Angeklagte T. in der angeordneten Höhe Mitverfügungsgewalt an den Betäubungsmittelerlösen erlangte.
3. Die Sache bedarf daher im Umfang der Aufhebung neuer Verhandlung und Entscheidung.
Die mehr als 330 Seiten umfassenden Urteilsgründe offenbaren ein Fehlverständnis des Bedeutungsgehalts der § 267 Abs. 1 bis 3 StPO. Danach soll die Beweiswürdigung eine strukturierte Darstellung des Beweisgebäudes enthalten, auf dessen Grundlage das Tatgericht seine Überzeugung (§ 261 StPO) von der Schuld des Täters gewonnen hat. Die Abfassung der schriftlichen Urteilsgründe setzt eine wertende Vorauswahl zwischen Wesentlichem und Unwesentlichem durch das Tatgericht voraus (vgl. BGH, Beschluss vom 11. April 2023 ‒ 4 StR 497/22 Rn. 7). Eine ausufernde und nicht an den Erfordernissen der §§ 261, 267 StPO orientierte Abfassung der schriftlichen Gründe kann den Bestand des Urteils gefährden. Die umfangreiche Wiedergabe von Chatnachrichten, deren Beweisbedeutung sich nicht ohne Weiteres erschließt, ist ‒ wie das Landgericht im Ausgangspunkt selbst erkannt hat ‒ regelmäßig verfehlt.
HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 411
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede