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HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 1335

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 79/24, Urteil v. 15.08.2024, HRRS 2024 Nr. 1335


BGH 4 StR 79/24 - Urteil vom 15. August 2024 (LG Zwickau)

Strafzumessung (erlittene Untersuchungshaft: Anrechnung auf die zu vollstreckende Strafe, besonders beschwerende Umstände); räuberischer Diebstahl (auf frischer Tat betroffen: Verfolgung von der Polizei).

§ 46 StGB; § 51 StGB; § 252 StGB

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Zwickau vom 15. November 2023 im Strafausspruch aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird verworfen. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schweren räuberischen Diebstahls in Tateinheit mit gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr, verbotenem Kraftfahrzeugrennen, Sachbeschädigung in zwei tateinheitlichen Fällen und (vorsätzlichem) Fahren ohne Fahrerlaubnis zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf den Strafausspruch beschränkte und mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts geführte Revision der Staatsanwaltschaft. Sie beanstandet die Annahme eines minder schweren Falles nach § 250 Abs. 3 StGB. Der Angeklagte rügt mit seiner Revision die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Während das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft Erfolg hat, bleibt die Revision des Angeklagten erfolglos.

I.

1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:

In den frühen Morgenstunden des 16. April 2023 brachen der Angeklagte, der in seinem Heimatland bereits eine mehrjährige Freiheitsstrafe verbüßt hatte, und sein Mittäter auf der Suche nach stehlenswerten Gegenständen in ein Mehrfamilienhaus in Z. ein. Hierzu hebelten sie die Hauseingangstür auf, wodurch ein Sachschaden entstand. Anschließend durchsuchten sie die Kellerräume des Wohnhauses. Sie brachten unter anderem Garagen- und Autoschlüssel nebst Zulassungsbescheinigung an sich, die der Fahrzeugeigentümer dort am Vorabend liegen gelassen hatte. Diese günstige Gelegenheit ausnutzend verschafften sie sich mittels der aufgefundenen Schlüssel Zutritt zu der auf dem Hof gelegenen Garage und entwendeten den dort abgestellten Pkw Toyota. Anschließend verstaute der Angeklagte noch einen Rucksack mit weiterer Diebesbeute (Zigaretten, Orden und Münzen) im Inneren des Fahrzeuges, bevor er sich mit dem gestohlenen Pkw vom Tatort entfernte. Über eine Fahrerlaubnis verfügte der Angeklagte nicht. Sein Komplize fuhr in dessen Fahrzeug voraus, um den ortsunkundigen Angeklagten aus der Stadt zu lotsen.

Bereits während des Öffnens des Garagentors waren der Angeklagte und sein Mittäter von der Ehefrau des geschädigten Fahrzeugeigentümers vom Fenster aus bemerkt worden, die sogleich ihren Ehemann weckte und die Polizei verständigte. Der Geschädigte eilte daraufhin auf den Hof, konnte aber nur noch seinen davonfahrenden Pkw von hinten wahrnehmen. Anlässlich der telefonischen Mitteilung der Ehefrau nahm ein hierüber im unmittelbaren Anschluss über Funk informierter Streifenwagen der Polizei zielgerichtet die Nahbereichsfahndung auf. Die Polizeibeamten entdeckten den gestohlenen Pkw binnen weniger Minuten circa 1 km vom Tatort entfernt und riefen weitere Streifenwagen zur Unterstützung der Verfolgung hinzu. Eines der Polizeifahrzeuge stellte sich an einer Straßenkreuzung quer, um den antizipierten Fahrtweg der Diebe zu blockieren. Der Angeklagte und sein Mittäter stoppten die von ihnen gesteuerten Fahrzeuge vor der Straßensperre. Hinter ihnen hielten zwei Streifenwagen der Polizei an. Spätestens jetzt erkannte der Angeklagte, dass er bei dem Diebstahl des Fahrzeuges beobachtet worden war und deshalb durch die Polizei zum Anhalten gezwungen wurde. Als sich einer der Polizeibeamten zu Fuß zur Fahrerseite des erbeuteten Pkw begab, wendete der Angeklagte zügig und fuhr stark beschleunigend an dem Beamten vorbei in stadtauswärtiger Richtung, um mit dem Diebesgut unerkannt zu entkommen. Eine der beiden Polizeistreifen folgte dem Angeklagten nach, der anschließend einen weiteren auf der Fahrbahn quergestellten, mit Blaulicht ausgestatteten zivilen Einsatzwagen der Polizei ungebremst passierte. Der Angeklagte setzte seine Flucht bei schlechten Sichtverhältnissen und regennasser Fahrbahn mit maximal möglicher Geschwindigkeit von wenigstens 113 km/h fort. Er legte in diesem Tempo innerorts noch eine Wegstrecke von mindestens 1 km zurück und hielt es über die Stadtgrenze hinaus über weitere 3 km bei dort zulässiger Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h bei. Zudem fuhr er Schlangenlinien über die gesamte Fahrbahnbreite, um ein Überholen und Ausbremsen der ihn verfolgenden drei Polizeifahrzeuge zu verhindern.

Nachdem es nach mehrfachen vergeblichen Versuchen schließlich dem zivilen Einsatzfahrzeug gelungen war, den vom Angeklagten gesteuerten Pkw zu überholen, setze dieser seinerseits zum Überholen an, wobei er das neben ihm fahrende zivile Einsatzfahrzeug beim Passieren seitlich und ein weiteres Verfolgerfahrzeug im Frontbereich rammte, um diese von der Straße zu drängen. An den beiden Einsatzwagen entstand ein Sachschaden von insgesamt 20.000 €. Diesen und eine Gefährdung der Fahrzeuginsassen nahm der Angeklagte bei Verursachung der Anstöße billigend in Kauf, weil er sich hierdurch einen Vorsprung verschaffen und mit der Diebesbeute entkommen wollte. Schließlich verlor er die Kontrolle über den Pkw und kam neben der Fahrbahn zum Stillstand. An dem gestohlenen Fahrzeug mit einem Zeitwert von 9.500 € hatte er in Folge der fluchtbedingten Kollisionen einen wirtschaftlichen Totalschaden verursacht. Der Angeklagte wurde anschließend festgenommen und gegen ihn Untersuchungshaft vollzogen, während seinem Komplizen die Flucht gelungen war.

2. Die Strafe hat die Strafkammer dem Strafrahmen des § 250 Abs. 3 StGB entnommen. Hierbei hat sie zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass er aus Anlass der Tat schon sieben Monate Untersuchungshaft in Deutschland „erlebt“ hat.

II.

Revision der Staatsanwaltschaft

1. Die wirksam auf den Strafausspruch beschränkte (vgl. BGH, Urteil vom 15. Juli 2020 - 2 StR 288/19 Rn. 7 ff.; Beschluss vom 27. April 2017 - 4 StR 547/16, BGHSt 62, 155 Rn. 20) Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.

2. Der Strafausspruch hält auch unter Berücksichtigung des eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs (vgl. zum Prüfungsmaßstab BGH, Beschluss vom 10. April 1987 - GSSt 1/86, BGHSt 34, 345, 349; Beschluss vom 1. Februar 2023 - 4 StR 492/22 Rn. 4 mwN) sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand.

a) Die Strafrahmenwahl begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken, weil das Landgericht dabei zugunsten des Angeklagten die erlittene Untersuchungshaft von sieben Monaten berücksichtigt hat.

Erlittene Untersuchungshaft ist regelmäßig für die Strafzumessung ohne Bedeutung, weil sie nach § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB grundsätzlich auf die zu vollstreckende Strafe angerechnet wird. Auch beim erstmaligen Vollzug von Untersuchungshaft kommt eine mildernde Berücksichtigung nur in Betracht, sofern im Einzelfall besondere Umstände hinzutreten (st. Rspr.; vgl. nur Urteil vom 25. Oktober 2018 - 4 StR 312/18 mwN; Urteil vom 19. Dezember 2002 - 3 StR 401/02 Rn. 8). Solche zusätzlichen, den Angeklagten besonders beschwerenden Umstände oder Folgen des Haftvollzugs hat die Strafkammer nicht dargetan. Vielmehr ist der Angeklagte bereits hafterfahren. Gegen ihn wurde vor seiner Inhaftierung in vorliegender Sache eine mehrjährige Haftstrafe in Tschechien vollstreckt. Soweit die Strafkammer auf die (erstmalige) Verbüßung von Untersuchungshaft in Deutschland abstellt, können zwar bei einem Ausländer - wie hier - fehlende familiäre Bindungen in Deutschland oder fehlende Kenntnisse der deutschen bzw. einer sonst verbreiteten Sprache und ein daraus folgender Mangel sozialer Kontakte besondere Erschwernisse enthalten, die über die üblicherweise mit Untersuchungshaft verbundenen Beeinträchtigungen hinausgehen (vgl. BGH, Urteil vom 14. Juni 2006 - 2 StR 34/06 Rn. 10). Solche Umstände sind jedoch in den Urteilsgründen darzulegen und zu belegen. Daran fehlt es hier. Sie liegen vorliegend auch nicht auf der Hand, soweit die Strafkammer festgestellt hat, dass der kinderlose Angeklagte soziale Kontakte zu seiner seit sieben Jahren in Deutschland lebenden Schwester unterhält.

b) Da das Landgericht bei der Strafzumessung im engeren Sinne - für sich genommen unbedenklich - durch eine „abschließende zusammenfassende Würdigung“ auf seine Ausführungen zur Strafrahmenwahl Bezug genommen hat, wirkt sich der vorstehend aufgezeigte Rechtsfehler auch auf die konkrete Strafzumessung aus.

c) Der Senat kann schon nicht ausschließen, dass das Landgericht bei rechtsfehlerfreier Würdigung die Annahme eines minder schweren Falles abgelehnt und infolgedessen zu einer höheren Strafe gelangt wäre. Die Sache bedarf deshalb neuer Verhandlung und Entscheidung.

d) Da es sich bei dem aufgezeigten Rechtsfehler lediglich um einen Wertungsmangel handelt, können die Feststellungen zum Strafausspruch aufrechterhalten bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Das neue Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, soweit diese mit den bisherigen nicht in Widerspruch stehen.

III.

Revision des Angeklagten

Die Revision des Angeklagten bleibt ohne Erfolg. Die Rüge der Verletzung formellen Rechts ist entgegen § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht ausgeführt und damit unzulässig. Auch in sachlich-rechtlicher Hinsicht hat die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Insbesondere ist aus den Gründen der Zuschrift des Generalbundesanwalts die Strafkammer nach ihren rechtsfehlerfrei getroffenen und belegten Feststellungen zutreffend davon ausgegangen, dass das Tatbestandsmerkmal „auf frischer Tat betroffen“ im Sinne des § 252 StGB vorliegend erfüllt ist. Denn der Angeklagte wurde noch während der Tatausführung von der Ehefrau des geschädigten Fahrzeugeigentümers wahrgenommen und in unmittelbarem Anschluss an das „Betreffen auf frischer Tat“ von der informierten Polizei verfolgt. Diese Nacheile setzte sich bis zum Einsatz des Nötigungsmittels (Rammen der besetzten Streifenwagen) ohne Zäsur fort, so dass es auf einen engen zeitlichen und räumlichen Zusammenhang zwischen Vortat und dem Einsatz des Nötigungsmittels nicht mehr ankommt (vgl. BGH, Beschluss vom 14. März 2023 - 4 StR 451/22 Rn. 7 mwN).

HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 1335

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede