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HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 572

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 492/22, Beschluss v. 01.02.2023, HRRS 2023 Nr. 572


BGH 4 StR 492/22 - Beschluss vom 1. Februar 2023 (LG Münster)

Strafzumessung (minder schwerer Fall: schwerer Bandendiebstahl, Gesamtwürdigung).

§ 46 StGB; § 244a StGB

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Münster vom 28. April 2022, soweit es ihn betrifft, im Strafausspruch aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Bandendiebstahls in neun Fällen, davon zweimal im Versuch, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt sowie eine Einziehungsentscheidung getroffen. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die allgemeine Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des Strafausspruchs; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

1. Zum Schuldspruch und zum Ausspruch über die Einziehung des Wertes von Taterträgen hat die Nachprüfung des Urteils keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben.

2. Der Strafausspruch kann nicht bestehen bleiben, weil die Strafrahmenwahl in den Fällen II.1, II.2, II.4, II.5 und II.7 bis II.9 der Urteilsgründe auch unter Berücksichtigung des eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht standhält.

a) Die Strafbemessung (Strafrahmenbestimmung, Festsetzung der Einzelstrafen und der Gesamtstrafe) ist grundsätzlich Sache des Tatgerichts, in die das Revisionsgericht nur bei Vorliegen eines Rechtsfehlers eingreifen darf. Durch das Revisionsgericht nur begrenzt nachprüfbar ist somit auch die Wertung, welches Gewicht das Tatgericht bei Annahme oder Verneinung eines minder schweren Falles im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Dezember 1992 - 5 StR 645/92 Rn. 14) den einzelnen Milderungsgründen im Verhältnis zu den Erschwerungsgründen beimisst (vgl. BGH, Urteil vom 14. Dezember 2016 - 2 StR 338/16 Rn. 8; Urteil vom 13. Juli 2016 - 1 StR 128/16 Rn. 32 mwN; Urteil vom 11. März 2015 - 2 StR 423/14 Rn. 14, NStZ-RR 2016, 110 mwN; Beschluss vom 10. Januar 2006 - 4 StR 545/05 Rn. 6). Ein Rechtsfehler kann etwa dann gegeben sein, wenn die Begründung für die verhängte Strafe dem Revisionsgericht die ihm obliegende sachlich-rechtliche Nachprüfung nicht ermöglicht oder die Erwägungen des Tatrichters in sich fehlerhaft sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 2. Februar 2017 - 4 StR 481/16 Rn. 17; Urteil vom 2. August 2012 - 3 StR 132/12, NStZ-RR 2012, 336, 337; Urteil vom 16. April 2015 - 3 StR 638/14, NStZ-RR 2015, 240).

b) Gemessen hieran begegnet die Begründung, mit der das Landgericht minder schwere Fälle im Sinne des § 244a Abs. 2 StGB bei den Taten II.1, II.2, II.4, II.5 und II.7 bis II.9 der Urteilsgründe abgelehnt hat, durchgreifenden rechtlichen Bedenken; denn sie ist nicht nachvollziehbar.

Die tatgerichtliche Wertung, die Gesamtwürdigung aller Strafzumessungsgesichtspunkte ergebe kein „beträchtliches Überwiegen“ der mildernden Faktoren, ist nicht nachvollziehbar. Denn das Landgericht hat hinsichtlich dieses Angeklagten eine Vielzahl von Strafmilderungsgründen angeführt (so seine fehlende Vorbelastung, sein vollständiges Geständnis, besondere Belastungen in der Untersuchungshaft und Verfahrensverzögerungen durch Corona-Erkrankungen sowie den schweren Lebensweg des Angeklagten aufgrund seiner Migration und der Pflege von kranken Familienmitgliedern; im Fall II.9 der Urteilsgründe die Observation durch die Polizei und die später erfolgte Rückführung der Beute; zudem die vertypten Milderungsgründe des Täter-Opfer-Ausgleichs sowie zusätzlich des Versuchs in den Fällen II.1 und II.5 der Urteilsgründe) und ihnen keinerlei strafschärfende Gesichtspunkte gegenübergestellt. Bei dieser Sachlage ist für das Revisionsgericht nicht mehr nachvollziehbar, warum eine Strafmilderung gemäß § 244a Abs. 2 StGB, für die schon ein Zusammentreffen mehrerer Milderungsgründe genügen kann (vgl. BGH, Beschluss vom 11. März 2015 - 2 StR 423/14 Rn. 14), versagt worden ist.

c) Der Senat kann letztlich nicht ausschließen, dass die jeweilige Bemessung der - milden - Einzelstrafen auf dem aufgezeigten Rechtsfehler bei der Strafrahmenwahl beruht.

d) Angesichts des Rechtsfehlers bei der Strafrahmenwahl haben die Strafaussprüche in den Fällen II.1, II.2, II.4, II.5 und II.7 bis II.9 der Urteilsgründe keinen Bestand. Der Senat hebt auch die Einzelstrafen in den Fällen II.3 und II.6 der Urteilsgründe, bei denen die Strafkammer minder schwere Fälle im Sinne von § 244a Abs. 2 StGB angenommen hat, mit auf, um dem neuen Tatgericht eine in sich stimmige Strafzumessung zu ermöglichen.

e) Die Aufhebung der Einzelstrafen entzieht der Gesamtstrafe die Grundlage.

3. Da es sich bei dem aufgezeigten Rechtsfehler lediglich um einen Wertungsmangel handelt, bleiben die Feststellungen zum Strafausspruch aufrechterhalten (vgl. § 353 Abs. 2 StPO). Das neue Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, soweit diese mit den bisherigen nicht in Widerspruch stehen.

4. Eine Erstreckung der Aufhebung des angefochtenen Urteils auf die Nichtrevidenten I. und F. gemäß § 357 StPO ist nicht veranlasst. Der Rechtsfehler, der auf die Revision des Angeklagten zu seinen Gunsten zur Aufhebung des Urteils im Strafausspruch führt, liegt hinsichtlich der beiden Mitangeklagten nicht vor.

HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 572

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede