HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 59
Bearbeiter: Felix Fischer/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 304/24, Beschluss v. 10.10.2024, HRRS 2025 Nr. 59
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 14. März 2024, soweit er verurteilt worden ist, mit den Feststellungen aufgehoben, jedoch bleiben die Feststellungen zur Person des Angeklagten und zum äußeren Tatgeschehen aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen gefährlicher Körperverletzung, „vorsätzlicher“ Körperverletzung in sieben Fällen - davon in einem Fall in Tateinheit mit gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr und in einem weiteren Fall in Tateinheit mit Beleidigung - sowie wegen Beleidigung in zwei Fällen unter Einbeziehung einer anderweitig verhängten Geldstrafe zu einer Gesamtstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verurteilt. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat überwiegend Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
Nach den Feststellungen leidet der 59-jährige Angeklagte „zumindest“ seit dem Jahr 2000 an einer paranoidhalluzinatorischen Schizophrenie. Zu den Tatzeitpunkten hatte er eigenständig seine Neuroleptika abgesetzt, wodurch er sich jeweils in einer akuten Psychose befand. In diesem Zustand griff er in insgesamt zehn Fällen ihm fremde Personen in O. tagsüber ohne äußeren Anlass körperlich bzw. verbal an.
1. Der Verurteilung liegen die folgenden Vorfälle zugrunde:
Am 16. Januar 2021 schlug er einen Zeitungsboten unvermittelt gegen die Stirn (Fall II. 1. der Urteilsgründe). Etwa ein halbes Jahr später, am 15. Juli 2022, bezeichnete er eine Spaziergängerin in einem Park im Beisein weiterer Personen als „Schlampe“, „Nutte“ und „Schlampenarsch“ (Fall II. 2. der Urteilsgründe). Etwa ein weiteres halbes Jahr später, am 7. Januar 2023, bezeichnete er eine Fußgängerin beim Überqueren einer Kreuzung als „Fotze“ und schlug ihr unvermittelt gegen den Hinterkopf (Fall II. 3. der Urteilsgründe). Knapp zwei Wochen später, am 19. Januar 2023, trat der Fahrrad fahrende Angeklagte einem Mädchen, das gerade die Straßenseite wechselte, mit seinem harten Schuh gegen die Hand, wodurch es Schmerzen und einen blauen Fleck erlitt (Fall II. 4. der Urteilsgründe). Wenige Minuten später trat er einem 14 Jahre alten Mädchen ? ebenfalls vom Fahrrad aus ? mit seinem harten Schuh in den Bauch. Das Mädchen erlitt ein stumpfes Bauchtrauma, ging aufgrund starker Schmerzen zu Boden und litt einige Tage an einem geschwollenen Bauch und Übelkeit (Fall II. 5. der Urteilsgründe). Zwei Tage später, am 21. Januar 2023, traf er erneut auf den 2021 von ihm geschlagenen Zeitungsboten und bezeichnete ihn mehrfach als „Arschloch“ (Fall II. 6. der Urteilsgründe). Zehn Tage später, am 31. Januar 2023, kam der Angeklagte auf seinem Fahrrad einer Fahrradfahrerin entgegen und trat ihr gegen das Schienbein, wodurch diese kurzzeitig Schmerzen erlitt und ins Wackeln geriet, sich jedoch auf dem Fahrrad halten konnte (Fall II. 7. der Urteilsgründe). Eine knappe Woche später, am 6. Februar 2023, kam der erneut Fahrrad fahrende Angeklagte einer über 80-jährigen Fußgängerin auf einem Gehweg entgegen, der er im Vorbeifahren in den Unterleib trat, wodurch diese sich kurz krümmen musste und Schmerzen verspürte, jedoch ihren Weg fortsetzte (Fall II. 8. der Urteilsgründe). Etwa 30 Minuten später fuhr er in einem Durchgang einer Fußgängerin entgegen, der er gegen den rechten Oberschenkel trat, woraufhin diese zu weinen begann und sich ein zwei bis drei Tage schmerzendes Hämatom bildete (Fall II. 9. der Urteilsgründe). Am 8. Februar 2023 kam der Angeklagte auf seinem Fahrrad dem seinerzeit 17-jährigen, ebenfalls Fahrrad fahrenden Nebenkläger entgegen. Als er sich auf dessen Höhe befand, trat der Angeklagte mit dem Fuß gegen den Lenker des Fahrrads, woraufhin der Nebenkläger über den Lenker stürzte. Hierdurch zog er sich zwei Schürfwunden am Kopf zu, die etwa nach einem Monat ausgeheilt waren. Außerdem brachen ihm drei Zähne aus. Er konnte nach dem Vorfall drei Tage lang die Schule nicht besuchen und verspürte für die Dauer von ein bis zwei Wochen Schmerzen (Fall II. 10. der Urteilsgründe).
2. Das Landgericht hat diese Taten rechtlich als Körperverletzung im Sinne von § 223 Abs. 1 StGB (Fälle II. 1., 4., 7. bis 9. der Urteilsgründe) - davon in einem Fall in Tateinheit mit Beleidigung gemäß § 185 Halbsatz 1 StGB (Fall II. 3. der Urteilsgründe) -, Beleidigung im Sinne von § 185 Halbsatz 2 Alternative 1 StGB (Fall II. 2. der Urteilsgründe) und Halbsatz 1 StGB (Fall II. 6. der Urteilsgründe), gefährliche Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alternative 2 StGB (Fall II. 5. der Urteilsgründe) sowie gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit Körperverletzung im Sinne von § 315b Abs. 1 Nr. 3, § 223 Abs. 1 StGB (Fall II. 10. der Urteilsgründe) gewertet.
Sachverständig beraten ist das Landgericht zu der Überzeugung gelangt, dem Angeklagten sei bei allen Taten bewusst gewesen, dass die von ihm angegangenen Geschädigten durch sein Handeln Schmerzen erleiden bzw. in ihrer Ehre herabgesetzt werden könnten, was ihm jedoch gleichgültig gewesen sei. Es hat ferner angenommen, dass der Angeklagte bei Begehung sämtlicher Taten unter einer schwerwiegenden krankhaften seelischen Störung gelitten habe, infolge derer bei intakter Einsichtsfähigkeit seine Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert, nicht jedoch gänzlich aufgehoben gewesen sei (§ 21 StGB). Die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB hat das Landgericht nicht angeordnet, da es zu der Überzeugung gelangt ist, dass von dem Angeklagten infolge seines Zustandes keine erheblichen rechtswidrigen Taten zu erwarten seien, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich geschädigt oder erheblich gefährdet werden. Er sei deshalb für die Allgemeinheit nicht gefährlich.
Die Schuldsprüche halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung aus mehreren Gründen nicht stand.
1. Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe die ihm zur Last gelegten Taten vorsätzlich begangen, ist rechtsfehlerhaft begründet.
a) Vorsätzlich handelt, wer im Tatzeitpunkt das Vorliegen oder den Eintritt all derjenigen objektiven Umstände wenigstens für möglich hält, die zur Verwirklichung des in Rede stehenden Tatbestandes führen, und dies zumindest billigend in Kauf nimmt (vgl. dazu Sternberg-Lieben/Schuster in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 15 Rn. 9; Kulhanek in: MüKo-StGB, 5. Aufl., § 16 Rn. 16, jew. mwN). Geht ein in diesem Sinne vorsätzlich handelnder Täter dabei irrig davon aus, dass darüber hinaus auch Umstände gegeben sind, die den Tatbestand eines anerkannten Rechtfertigungsgrundes erfüllen, und wäre sein Handeln auf der Grundlage dieser Annahmen gerechtfertigt, so liegt ein Erlaubnistatbestandsirrtum vor, der analog § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB eine Vorsatzstrafbarkeit entfallen lässt (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Mai 2022 - 4 StR 36/22 Rn. 10; Urteil vom 27. Oktober 2015 ? 3 StR 199/15, NStZ 2016, 333, 334; Urteil vom 10. Februar 2000 ? 4 StR 558/99, BGHSt 45, 378, 384; Urteil vom 6. Juni 1952 ? 1 StR 708/51, BGHSt 3, 105, 106 f.). Dies gilt, soweit es um die Begründung strafrechtlicher Verantwortlichkeit und nicht um eine Unterbringung nach § 63 StGB geht, grundsätzlich auch dann, wenn diese Fehlvorstellung krankheitsbedingt ist (vgl. BGH, Beschluss vom 12. April 2023 - 4 StR 468/22, NStZ-RR 2023, 383, 384 mwN).
b) Das Landgericht hat angenommen, dass der Angeklagte sämtliche Taten im Zustand einer akuten Psychose begangen habe, wobei er „in ein Wahnsystem mit bizarren Beziehungs-, Beeinträchtigungs- und Beeinflussungsideen abgeglitten“ sei. Diese seien „mit einem Bedrohungsgefühl einhergegangen und damit ursächlich für die Taten gewesen“. Ob bei dem Angeklagten deshalb ein analog § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB zum Ausschluss einer Vorsatzstrafbarkeit führender Erlaubnistatbestandsirrtum vorlag, hat die Strafkammer gleichwohl nicht in Erwägung gezogen und dies - nach den dargelegten Grundsätzen rechtsfehlerhaft - damit begründet, dass etwaige krankheitsbedingte Fehlvorstellungen den erforderlichen natürlichen Vorsatz nicht berühren würden. Vorstellungsausfälle, die auf einer psychischen Erkrankung beruhen, beeinträchtigen aber - auch wenn sie im Rahmen einer nach § 63 StGB zu treffenden Entscheidung nicht dazu führen, dass die sonst vorhandenen inneren Tatbestandsmerkmale (im Sinne eines natürlichen Vorsatzes) verneint werden müssten - die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Täters (vgl. BGH, Beschluss vom 12. April 2023 - 4 StR 468/22, NStZ-RR 2023, 383, 384 mwN).
2. Die Ausführungen zur Schuldfähigkeit des Angeklagten sind unklar und lückenhaft. Eine Schuldunfähigkeit gemäß § 20 StGB wird nicht tragfähig ausgeschlossen.
Die Strafkammer folgt dem Sachverständigen in seiner Einschätzung, dass sich der Angeklagte bei allen Taten im Zustand einer akuten Psychose befunden habe und jeweils „akut psychotisch“ gewesen sei. Sodann kommt sie zu dem Ergebnis, dass die Fähigkeit des Angeklagten „sein Verhalten nach seiner durchaus noch vorhandenen Unrechtseinsicht auszurichten, zumindest erheblich eingeschränkt, nicht aber vollständig aufgehoben war“. Was mit der Wendung „zumindest erheblich eingeschränkt“ mit Blick auf das gravierende Krankheitsbild des Angeklagten gemeint sein soll, erschließt sich nicht. Jedenfalls hätte es unter diesen Umständen begründender Ausführungen dazu bedurft, warum die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten - auch nur in Anwendung des Zweifelsgrundsatzes (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Juni 2016 - 1 StR 221/16 Rn. 9) - nicht auch im Sinne des § 20 StGB aufgehoben gewesen sein kann.
Auch die unterbliebene Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) hat keinen Bestand. Die Begründung, mit der das Landgericht die hierfür gemäß § 63 Satz 1 StGB erforderliche Gefährlichkeitsprognose verneint hat, leidet unter Rechtsfehlern.
1. Steht - wie hier - fest, dass ein Angeklagter bei der Begehung ihm nachgewiesener Straftaten auf Grund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und beruht die Tatbegehung hierauf, so ist - unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (§ 62 StGB) - seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB anzuordnen, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Angeklagte infolge seines fortdauernden Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Eine Tat ist erheblich, wenn sie mindestens der mittleren Kriminalität zuzurechnen ist, den Rechtsfrieden empfindlich stört und geeignet ist, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen. Insbesondere Gewalt- und Aggressionsdelikte zählen regelmäßig zu den erheblichen Straftaten im Sinne des § 63 S. 1 StGB (vgl. BGH, Beschluss vom 23. April 2024 - 4 StR 8/24, NStZ-RR 2024, 305, 306; Urteil vom 17. Februar 2022 - 4 StR 380/21, NStZ-RR 2022, 173, 174; Urteil vom 5. Juni 2019 - 2 StR 42/19 Rn. 10; Urteil vom 6. Februar 2019 - 5 StR 495/18 Rn. 21 jew. mwN). Die notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln. Dabei sind die individuell bedeutsamen Bedingungsfaktoren für die bisherige Delinquenz, deren Fortbestand, ihre fehlende Kompensation durch protektive Umstände und das Gewicht dieser Faktoren in künftigen Risikosituationen besonders in den Blick zu nehmen (vgl. BGH, Beschluss vom 13. August 2024 - 4 StR 301/24, NStZ-RR 2024, 337, 338; Beschluss vom 23. April 2024 - 4 StR 8/24, NStZ-RR 2024, 305, 306, jew. mwN). Dabei gilt auch hier das Gebot einer erschöpfenden und widerspruchsfreien Erörterung der festgestellten prognoserelevanten Faktoren und Umstände.
2. Den sich hieraus ergebenden Anforderungen werden die Urteilsgründe nicht gerecht.
a) Nach den Feststellungen verfügt der weitgehend sozial isoliert lebende Angeklagte lediglich über eine bagatellisierende Krankheitseinsicht und hat in der Vergangenheit wiederholt seine medikamentöse Behandlung abgebrochen. Es sei daher - nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen - mit „hoher Wahrscheinlichkeit“ zu erwarten, dass er dies erneut tun und dann auch wieder ähnliche Straftaten wie die festgestellten begehen werde. Gleichwohl sei in Zukunft lediglich noch mit weiteren Beleidigungstaten zu rechnen, die nicht als erheblich zu bewerten seien. Denn der Angeklagte habe die festgestellten - teils gefährlichen - Körperverletzungen sowie den gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr, die dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen seien, nur innerhalb der kurzen Zeitspanne von einem Monat begangen. Dies spreche - so die Überzeugung der Strafkammer - „maßgebend gegen die Anordnung der Unterbringung“. So habe der Sachverständige in diesem Zusammenhang nachvollziehbar von einem „ausgestanzten Bereich“ im Leben des Angeklagten gesprochen, der die Gefährlichkeitsprognose nicht begründen könne. Dies sei überzeugend, zumal der Angeklagte abgesehen von den Taten zwischen dem 7. Januar 2023 und dem 8. Februar 2023 nur mit Bagatelltaten im untersten Bereich aufgefallen sei. Große Bedeutung sei im Rahmen der Abwägungsentscheidung ferner dem Umstand zuzusprechen, dass der Angeklagte nunmehr seit sechs Monaten regelmäßig und auf eigenes Betreiben hin seine Depot-Medikamente nehme.
b) Diese Ausführungen schöpfen die Feststellungen nicht aus.
Zwar hat das Landgericht die von dem Angeklagten begangenen Körperverletzungsdelikte nachvollziehbar dem Bereich der mittleren Kriminalität zugerechnet. Soweit es hierzu aber ausführt, dass er derartige Taten lediglich in der Zeit vom 7. Januar 2023 bis 8. Februar 2023 begangen habe, verliert es aus dem Blick, dass bereits die Tat im Fall II. 1. der Urteilsgründe vom 16. Januar 2021 eine Körperverletzung zum Gegenstand hatte. Auch stellt die Strafkammer kein Verhältnis zwischen dem prognostischen Gewicht dieser weiter zurückliegenden Tat und den Taten im Zeitraum vom 7. Januar 2023 bis 8. Februar 2023 her. Dies wäre unter hier gegebenen Umständen aber erforderlich gewesen, denn der Angeklagte befand sich vom 13. September 2021 bis zum 15. März 2022 in Haft.
Was das Landgericht zum Ausdruck bringen möchte, wenn es diese Taten mit den Worten des Sachverständigen als „ausgestanzten Bereich“ im Leben des Angeklagten bewertet, bleibt offen. Auf diese Phase bezogene besondere Lebensumstände, die den qualitativen Sprung in der Delinquenz des Angeklagten erklären könnten und zwischenzeitlich wieder in Wegfall geraten sind, lassen sich den Urteilsgründen nicht entnehmen. Auch wird die erhebliche Tatfrequenz innerhalb dieses kurzen Zeitraums nicht in den Blick genommen.
Soweit das Landgericht bei seiner Abwägung dem Umstand maßgebliches Gewicht beimisst, dass der Angeklagte seit nunmehr sechs Monaten seine Depot-Medikation nimmt, steht dies in einem unaufgelösten Spannungsverhältnis zu der Annahme, dass ein neuerliches Absetzen der Medikation hoch wahrscheinlich sei. Eine auch mehrmonatige Medikamenteneinnahme vermag eine Gefährlichkeitsprognose aber nicht widerspruchsfrei zu relativieren, wenn zugleich ihre erneute eigenmächtige Beendigung hoch wahrscheinlich ist.
Schließlich ist auch die Erwägung, wonach die Anordnung der Unterbringung nicht verhältnismäßig sei, weil auf den Angeklagten auch im Rahmen des Strafvollzuges eingewirkt werden könne (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 22. Juli 2010 - 5 StR 256/10, NStZ-RR 2011, 12, 13; Beschluss vom 21. März 1989 ? 1 StR 120/89, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 8 mwN), unter den hier gegebenen Umständen nicht ohne weitere Begründung belastbar. Denn die Strafkammer hat im Rahmen der Strafzumessung selbst ausgeführt, dass der Angeklagte durch seine Taten kurz nach einer Haftentlassung eindrucksvoll gezeigt habe, dass er nicht bereit sei, aus der Vollstreckung von Freiheitsstrafen zu lernen, und dies nicht auf seiner Krankheit beruhe.
3. Der Umstand, dass allein der Angeklagte Revision eingelegt hat, stünde einer erstmaligen Anordnung seiner Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus im zweiten Rechtsgang nicht entgegen, § 358 Abs. 2 Satz 3 StPO (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Februar 2002 - 2 StR 10/02, NStZ-RR 2002, 165, 166; Beschluss vom 17. Dezember 1997 - 2 StR 603/97, NStZ 1998, 191; Urteil vom 10. April 1990 - 1 StR 9/90, NJW 1990, 2143, 2144; Cirener in LKStGB, 13. Aufl., § 63 Rn. 219; van Gemmeren in MüKoStGB, 4. Aufl., § 63 Rn. 109; Kinzig in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 63 Rn. 32).
Die Feststellungen zur Person des Angeklagten und zum äußeren Tatgeschehen sind von dem Rechtsfehler nicht betroffen. Sie bleiben daher aufrechterhalten (§ 353 Abs. 2 StPO). Der neue Tatrichter kann ergänzende Feststellungen treffen, soweit diese nicht mit den bisherigen in Widerspruch stehen.
HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 59
Bearbeiter: Felix Fischer/Karsten Gaede