HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 1343
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 239/24, Beschluss v. 27.08.2024, HRRS 2024 Nr. 1343
1. Dem Angeklagten wird auf seinen Antrag und seine Kosten Wiedereinsetzung in den Stand vor Ablauf der Frist zur Einlegung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Bochum vom 12. Dezember 2023 gewährt.
2. Mit der Zustellung dieses Beschlusses beginnt die Frist zur Begründung der Revision.
3. Der Beschluss des Landgerichts Bochum vom 3. April 2024, durch den die Revision des Angeklagten als unzulässig verworfen wurde, ist damit gegenstandslos.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt. Dem Angeklagten ist auf seinen Antrag und seine Kosten Wiedereinsetzung in die Frist zur Einlegung der Revision zu gewähren.
1. Dem Antrag liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
Gegen das in seiner Anwesenheit am 12. Dezember 2023 verkündete Urteil hat der Angeklagte durch beim Landgericht per Telefax am 18. Dezember 2023 eingegangenen Schriftsatz seines Verteidigers vom selben Tage Revision eingelegt und diese sogleich mit der Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts begründet. Der Schriftsatz trägt den Aufdruck „wg. aktueller beA-Störung per Fax“. Nach Zustellung der schriftlichen Urteilsgründe und Ablauf der Revisionsbegründungsfrist hat das Landgericht mit Beschluss vom 3. April 2024 die Revision als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es dargelegt, dass die Revisionseinlegung durch Verteidigerschriftsatz per Telefax nicht dem Formerfordernis der elektronischen Übermittlung (§ 32d StGB) genüge und die ausnahmsweise zulässige Ersatzeinreichung als Faxdokument im Störungsfall der elektronischen Übermittlung nicht glaubhaft gemacht worden sei (§ 32d Satz 4 StPO). Neben der Zustellung des Verwerfungsbeschlusses an den Verteidiger ist auch die formlose Übersendung an den Angeklagten persönlich richterlich verfügt und noch am selben Tage von der Geschäftsstelle ausgeführt worden. Der Verteidiger hat den Beschluss am 4. April 2024 empfangen. Er hat mit beim Landgericht am 11. April 2024 eingegangenem Schriftsatz für den Angeklagten hiergegen „insgesamt“ sofortige Beschwerde eingelegt und die Entscheidung des Revisionsgerichts sowie vorsorglich Wiedereinsetzung beantragt. Zur Begründung hat der Verteidiger ausgeführt, dass er von einer gerichtsbekannten Störung des elektronischen Rechtsverkehrs zum Zeitpunkt der Revisionseinlegung ausgegangen sei, und angegeben, den Angeklagten nicht von dem Verwerfungsbeschluss in Kenntnis gesetzt zu haben. Zudem hat er vorsorglich die Glaubhaftmachung der vorübergehenden Störung nachgeholt und den Revisionseinlegungsschriftsatz erneut übermittelt.
Der Generalbundesanwalt hat beantragt, den Wiedereinsetzungsantrag als unzulässig zu verwerfen, weil dieser keine ausreichenden Angaben zum Zeitpunkt des Wegfalles des Hindernisses für die Säumnis enthalte.
2. Der Antrag auf Wiedereinsetzung ist zulässig. Er wahrt auch die Wochenfrist des § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO zwischen Wegfall des Hindernisses und Antragseingang.
a) Im Ausgangspunkt zutreffend geht der Generalbundesanwalt davon aus, dass zur formgerechten Anbringung eines Wiedereinsetzungsantrags gehört, dass der Antragsteller innerhalb der Wochenfrist auch mitteilt, wann das Hindernis weggefallen ist, das der Fristwahrung entgegenstand, und es dabei auf die Kenntnis des Angeklagten selbst dann ankommt, wenn der Verteidiger - wie hier - eigenes Verschulden geltend macht (vgl. BGH, Beschluss vom 20. November 2019 - 4 StR 522/19 Rn. 3 mwN; Beschluss vom 26. Juni 2018 - 3 StR 197/18 Rn. 3 mwN). Jedoch kann ausnahmsweise ein fehlender Vortrag hierzu entbehrlich sein, wenn weder die dargestellte Sachlage noch der Akteninhalt irgendeinen Anhalt dafür bieten, wie der Angeklagte vor seinem Verteidiger Kenntnis von der unzureichenden Übermittlung der Revisionseinlegungsschrift durch dessen Büro erlangt haben könnte (vgl. BGH, Beschluss vom 1. August 2023 - 2 StR 124/23 Rn. 12; Beschluss vom 31. Januar 2023 - 4 StR 237/22 Rn. 1).
b) So liegt der Fall hier. Eine Kenntnisnahme des Angeklagten von der Fristversäumung vor dem 4. April 2024 ist ausgeschlossen. Dem aus der Verfahrensakte insoweit offensichtlichen (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Januar 2017 - 1 StR 671/16 Rn. 4 mwN) zeitlichen Ablauf ist zu entnehmen, dass der Verteidiger den Verwerfungsbeschluss am 4. April 2024 empfangen hat. Vor diesem Datum kann dem Angeklagten der Verwerfungsbeschluss nicht bekannt gemacht worden sein. Denn der Beschluss ist erst am Vortag, dem 3. April 2024, erlassen und dessen Übersendung per Post an den Angeklagten durch die Geschäftsstelle veranlasst worden. Bei normaler Postlaufzeit von einem Werktag (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Oktober 2022 - 4 StR 319/22 Rn. 2) hat der Angeklagte den - die Kenntnis der Säumnis vermittelnden - Beschluss am selben Tag wie sein Verteidiger erhalten. Damit ist die Wochenfrist des § 45 Abs. 1 StPO durch Antragseingang beim Landgericht am 11. April 2024 gewahrt worden.
3. Der Wiedereinsetzungsantrag ist auch begründet. Den Angeklagten trifft an der unzureichenden Glaubhaftmachung der vorübergehenden technischen Unmöglichkeit der Einreichung der Revision als elektronisches Dokument (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 5. September 2023 - 3 StR 256/23 Rn. 3 mwN) seines Verteidigers kein Verschulden (§ 44 Satz 1 StPO). Dessen Verschulden wird ihm nicht zugerechnet (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Juli 2023 - 5 StR 145/23 Rn. 9 mwN; Beschluss vom 26. Januar 2017 - 1 StR 671/16 Rn. 5).
4. Da das Landgericht bereits ein vollständiges Urteil abgefasst hat und dieses zudem wirksam zugestellt worden ist, bedarf es keiner Rückgabe der Akten an das Landgericht zur Ergänzung der Urteilsgründe oder dessen Zustellung. Mit der Zustellung dieses Beschlusses beginnt die Frist zur Begründung der Revision (vgl. BGH, Beschluss vom 1. August 2023 - 2 StR 124/23 Rn. 15 mwN; Beschluss vom 31. Januar 2023 - 4 StR 237/22 Rn. 3 mwN).
5. Wegen der gewährten Wiedereinsetzung ist dem Verwerfungsbeschluss des Landgerichts die Grundlage entzogen. Dies ist klarstellend auszusprechen (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Oktober 2008 - 4 StR 260/08; BeckOK StPO/Wiedner, 52. Ed., § 346 Rn. 37).
HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 1343
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede