HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 1195
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 145/23, Beschluss v. 04.07.2023, HRRS 2023 Nr. 1195
Der Antrag der Einziehungsbeteiligten, ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Kiel vom 13. Dezember 2022 zu gewähren, wird verworfen.
Die Revision der Einziehungsbeteiligten gegen das vorbezeichnete Urteil wird als unzulässig verworfen.
Die Beschwerdeführerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Zudem hat es gegen die Einziehungsbeteiligte die Einziehung „von Wertersatz“ in Höhe von 357.000 Euro angeordnet, davon in Höhe von 35.000 Euro in Gesamtschuldnerschaft mit einer weiteren, nicht revidierenden Einziehungsbeteiligten.
1. Der von der Einziehungsbeteiligten wegen Versäumung der Frist zur Begründung ihres Rechtsmittels gestellte Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hat keinen Erfolg, da kein Fall einer unverschuldeten Fristversäumung im Sinne des § 44 Satz 1 StPO vorliegt.
a) Die Revision der Einziehungsbeteiligten wurde nicht innerhalb der Frist des § 345 Abs. 1 StPO begründet. Bei Verkündung des Urteils des Landgerichts im Hauptverhandlungstermin vom 13. Dezember 2022 war für die Einziehungsbeteiligte kein Vertreter anwesend. Mit am selben Tag eingegangenem Schreiben vom 20. Dezember 2022 zeigte der Rechtsanwalt der Einziehungsbeteiligten unter Vollmachtsvorlage deren Vertretung an und legte für sie Revision gegen das Urteil ein. Ihm wurde das Urteil am 25. Januar 2023 zugestellt, womit für die Einziehungsbeteiligte die Revisionseinlegungsfrist zu laufen begann (§ 430 Abs. 4 Satz 1 StPO, vgl. hierzu LR/Gaede, StPO, 27. Aufl., § 430 Rn. 25). Die Frist zur Begründung der Revision endete mithin einen Monat nach dem Ende dieser Frist, folglich mit dem Ablauf des 1. März 2023 (§ 341 Abs. 1, § 345 Abs. 1 Satz 1 iVm § 43 Abs. 1 StPO). Eine Revisionsbegründung ging jedoch erst am 6. März 2023 zusammen mit dem Wiedereinsetzungsantrag beim Landgericht ein.
b) Eine fristgerechte Begründung der Revision wurde durch den anwaltlichen Vertreter der Einziehungsbeteiligten schuldhaft versäumt.
Dieser hat zu einem von ihm unerkannt misslungenen Versuch der elektronischen Übermittlung seines Begründungsschriftsatzes vom 10. Februar 2023 angegeben, dass er an diesem Tag die Versendung über das elektronische Anwaltspostfach durch Klicken des Buttons „Senden“ initiiert habe und hierauf automatisch ein Sendeprotokoll erstellt und in seiner elektronischen Handakte verzeichnet worden sei. Dem Sendeprotokoll sei jedoch „erst durch manuelles Aufrufen zu entnehmen“ gewesen, dass die Nachricht tatsächlich nicht versandt worden sei. Im beigefügten „Prüfprotokoll“ vom 10. Februar 2023 wird als Empfänger der Nachricht das Landgericht Kiel genannt. Unter den Rubriken „Übermittlungscode Meldetext“, „Zugegangen“ und „Übermittlungsstatus“ weist es jedoch jeweils keinen Eintrag auf.
Ausweislich dieses Vortrags hat es der anwaltliche Vertreter der Einziehungsbeteiligten unterlassen, nach Auslösung des elektronischen Versendungsvorgangs den Inhalt des Prüfprotokolls einzusehen. Dies hätte jedoch zu seinen anwaltlichen Sorgfaltspflichten gehört, so dass ein schuldhaftes Versäumnis vorliegt. Denn dem Protokoll wäre angesichts der fehlenden Einträge zu entnehmen gewesen, dass der Schriftsatz nicht beim Empfänger angekommen ist. Die vom Gericht zu erteilende Eingangsbestätigung nach § 32 Abs. 5 Satz 2 StPO soll dem Absender unmittelbar und ohne weiteres Eingreifen eines Justizbediensteten Gewissheit darüber verschaffen, ob die Übermittlung an das Gericht erfolgreich war oder ob weitere Bemühungen zur erfolgreichen Übermittlung des elektronischen Dokuments erforderlich sind. Daher darf von einer erfolgreichen Übermittlung eines Schriftsatzes an das Gericht nicht ausgegangen werden, wenn in der Eingangsbestätigung in der Nachrichtenansicht der beAWebanwendung oder in der Exportdatei in dem Abschnitt „Zusammenfassung Prüfprotokoll“ nicht als Meldetext „request executed“ und als Übermittlungsstatus „erfolgreich“ angezeigt wird (vgl. BGH, Beschluss vom 20. September 2022 - XI ZB 14/22, NJW 2022, 3715 mwN zur parallelen Norm nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO). Dies entspricht inhaltlich den auch schon für einen Versand per Telefax angenommenen Sorgfaltsanforderungen (vgl. nur Graalmann-Scheerer, Festschrift für Kay Nehm, 2006, S. 277, 287: Die Pflicht zur Ausgangskontrolle endet erst, wenn feststeht, dass der Schriftsatz tatsächlich übermittelt worden ist).
c) Für das Verschulden ihres anwaltlichen Vertreters hat die Einziehungsbeteiligte einzustehen.
aa) Eine solche Zurechnung findet im Strafverfahren zwar nicht durchgehend statt. Eine Ausnahme ist jedoch nur zugunsten des Beschuldigten anerkannt und dies auch nur, soweit er sich gegen den Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch zur Wehr setzt.
So ist es den Strafgerichten regelmäßig verwehrt, dem Beschuldigten Versäumnisse des Verteidigers zuzurechnen, wenn zu prüfen ist, ob ihn an einer Fristversäumung gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 StPO ein Verschulden trifft (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 13. April 1994 - 2 BvR 2107/93, NJW 1994, 1856, Rn. 10). Denn der in allen übrigen Verfahrensordnungen geltende (vgl. BayObLG, Beschluss vom 16. Januar 1970 - GSSt 1/70, BayObLGSt 1970, 9, 17 für § 232 Abs. 2 ZPO a.F.), allgemeine Verfahrensgrundsatz des § 85 Abs. 2 ZPO, wonach das Verschulden des Bevollmächtigten dem Verschulden der Partei gleichsteht, ist mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG zwar grundsätzlich vereinbar, da er sich aus Gründen der Rechtssicherheit als einem wesentlichen Element der Rechtsstaatlichkeit und damit einem Konstitutionsprinzip des Grundgesetzes rechtfertigt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. April 1982 - 2 BvL 26/81, BVerfGE 60, 253, Rn. 52 ff.). Anderes gilt jedoch dort, wo dies zu schlechterdings unerträglichen Ergebnissen führen würde, was das Bundesverfassungsgericht für das Strafverfahren bejaht hat, soweit dort strafgerichtliche Verurteilungen mit dem ihnen eigentümlichen rechtlichen Unwerturteil inmitten stehen. Denn der Staat tritt dem Beschuldigten dort mit einem Strafanspruch gegenüber; dies beinhaltet die bewusste Verhängung der schärfsten Sanktion der Rechtsordnung zur Wiederherstellung verletzten Rechts und zur Behauptung ihrer Unverbrüchlichkeit (vgl. BVerfG aaO Rn. 149, 152).
Dieses Privileg kommt dem Beschuldigten jedoch nur zugute, soweit er sich mit einem Rechtsbehelf gegen den Schuldspruch oder den Rechtsfolgenausspruch wendet, welche sich besonders einschneidend auf Ehre, Freiheit, Familie, Beruf und damit sein gesamtes Leben auswirken können (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Dezember 1981 - 2 StR 221/81, BGHSt 30, 309). Bei anderweitigen Rechtsbehelfen muss dagegen auch er für das Verschulden seines Vertreters einstehen. Das betrifft etwa die sofortige Beschwerde gegen die Kosten- und Auslagenentscheidung nach § 464 Abs. 3 StPO, da diese in ihrem Wesen und ihren Auswirkungen Schuldtiteln über Geldforderungen vergleichbar ist, so dass § 85 Abs. 2 ZPO jedenfalls seinem allgemeinen Rechtsgedanken nach angewendet wird (BGH, Beschluss vom 6. Mai 1975 - 5 StR 139/75, BGHSt 26, 126; zu weiteren Fällen einer Zurechnung gegenüber dem Beschuldigten vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 44 Rn. 19).
Erst recht zulasten des Vertretenen geht ein Verschulden des Vertreters bei anderen Verfahrensbeteiligten im Strafprozess, auch dies gestützt auf § 85 Abs. 2 ZPO. Das gilt jedenfalls für Nebenkläger (grundlegend BayObLG, Beschluss vom 16. Januar 1970 - GSSt 1/70, BayObLGSt 1970, 9; BGH, Beschlüsse vom 28. April 2016 - 4 StR 474/15, NStZ-RR 2016, 214; vom 16. Januar 2023 - 5 StR 509/22), für Privatkläger (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 8. Februar 1993 - 1 Ws 99 - 100/92, NJW 1993, 1344) und für Antragsteller im Klageerzwingungsverfahren (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 26. August 1988 - 1 Ws 711/88, wistra 1989, 79; OLG Nürnberg, Beschluss vom 11. November 1997 - Ws 1078/97, NStZ-RR 1998, 143).
bb) Auch für den hier vorliegenden Fall eines Einziehungsbeteiligten, der einer Dritteinziehung nach § 73b StGB ausgesetzt ist, findet § 85 Abs. 2 ZPO seinem Gedanken nach Anwendung (so bereits KG Berlin, Beschluss vom 13. September 1982 - (4) Ss 203/82 (75/82), JR 1983, 127; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 25. Mai 2000 - 1 Ws 286/00, NStZ-RR 2001, 335; vgl. zudem HansOLG Hamburg, Beschluss vom 8. Januar 2013 - 3 - 48/12 (Rev), NJW 2013, 626; aus dem Schrifttum Meyer-Goßner/Schmitt aaO; KKStPO/Schneider-Glockzin, 9. Aufl., § 44 Rn. 34; aA MüKoStPO/Valerius, 2. Aufl., § 44 Rn. 60; LR/Gaede, StPO, 27. Aufl., § 434 Rn. 21). Die Erstreckung dieses allgemeinen Grundsatzes entspricht den gesetzgeberischen Zielen der Gewährleistung von Rechtssicherheit und einer möglichst einheitlichen Handhabung in den Verfahrensordnungen (vgl. hierzu nur BVerfG, Beschluss vom 20. April 1982 - 2 BvL 26/81, BVerfGE 60, 253, Rn. 154 ff.). Demgegenüber besteht kein Anlass für eine Ausnahme, wie sie allein für den sich gegen eine Bestrafung wendenden Beschuldigten gilt. Für eine solche sprechen weder das Fehlen einer Verweisung auf § 85 Abs. 2 ZPO noch die Eigenart der Einziehung von Taterträgen als Verfahrensgegenstand und ebenso wenig die gesetzliche Ausgestaltung der prozessualen Position des Einziehungsbeteiligten. Im Einzelnen:
(1) Dass § 85 Abs. 2 ZPO in der Strafprozessordnung keine ausdrückliche Entsprechung findet und - entgegen allen anderen öffentlich-rechtlichen Verfahrensordnungen - aus ihr auch nicht auf diese Norm verwiesen wird, spricht nicht gegen eine Anwendung des dort normierten allgemeinen Grundsatzes. Denn es deutet nichts darauf hin, dass der Gesetzgeber bei der Wiedereinsetzung im Strafverfahren generell einen Sonderweg beschreiten wollte.
Er war vielmehr bestrebt, auch die dort geltenden materiellen Anforderungen an bereits bestehende Wiedereinsetzungsvorschriften anderer Verfahrensordnungen anzupassen. So hat er § 44 Satz 1 StPO durch Art. 1 Nr. 8 des Ersten Gesetzes zur Reform des Strafverfahrensrechts (1. StVRG) vom 9. Dezember 1974 (BGBl. I S. 3393) dahin geändert, dass Wiedereinsetzung nicht mehr allein dann zu gewähren ist, wenn der Antragsteller durch Naturereignisse oder andere unabwendbare Zufälle an der Einhaltung der Frist gehindert worden ist, sondern bereits dann, wenn die Fristversäumnis nicht auf einem Verschulden des Antragstellers beruht. Mit dieser bis heute geltenden Vorgabe hat der Gesetzgeber „im Interesse einer stärkeren Vereinheitlichung der gerichtlichen Verfahren“ den bereits in der Verwaltungs-, der Sozial- und der Finanzgerichtsordnung sowie im Verfahren nach § 23 EGGVG geltenden Verschuldensmaßstab in die Strafprozessordnung übernommen, dessen Einfügung auch in die Zivilprozessordnung seinerzeit bereits vorgesehen war (vgl. BT-Drucks. 7/551, S. 58).
Fälle einer von einem Prozessvertreter zu vertretenden Fristversäumnis sind in der Gesetzesbegründung nur insoweit thematisiert worden, als „entsprechend der Rechtsprechung“ das „Verschulden des Verteidigers außer Betracht zu bleiben“ habe, soweit den Antragsteller selbst kein Mitverschulden treffe. Damit hat der Gesetzgeber auf die bereits etablierte höchstrichterliche Rechtsprechung Bezug genommen, der zufolge die schuldhafte Fristversäumnis des Verteidigers für den Angeklagten einen „unabwendbaren Zufall“ im Sinne des § 44 StPO a.F. bedeutete, und die sich hierzu nicht nur auf das besondere Schutzbedürfnis des um „Ehre und Freiheit“ kämpfenden Angeklagten (hierzu BayObLG, Beschluss vom 16. Januar 1970 - GSSt 1/70, BayObLGSt 1970, 9, 17 f.) sondern auch darauf stützte, dass in der Strafprozessordnung eine dem § 232 Abs. 2 ZPO a.F. (dem jetzigen § 85 Abs. 2 ZPO) entsprechende Vorschrift fehlt (RG, Be14 15 schluss vom 7. April 1936 - 1 D 1033/35, RGSt 70, 186, 191; an diese Entscheidung anknüpfend BGH, Beschluss vom 25. Mai 1960 - 4 StR 193/60, BGHSt 14, 306).
Bei der Frage der Zurechnung des Verschuldens eines Vertreters hatte der Gesetzgeber damit allein den sich gegen Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch verteidigenden Angeklagten als dem zentralen Subjekt des Strafprozesses in der für diese Verfahrensordnung charakteristischen Rolle vor Augen. Für ihn hat er den inzwischen auch verfassungsgerichtlich bekräftigten (BVerfG, Beschluss vom 20. April 1982 - 2 BvL 26/81, BVerfGE 60, 253, Rn. 149, 152) Zurechnungsausschluss gebilligt. Hieraus erklärt sich das Schweigen des Gesetzgebers zu einem Verweis auf § 85 Abs. 2 ZPO. Dieses lässt folglich nicht darauf schließen, dass der dortige, sonst in allen Verfahrensordnungen bestehende Grundsatz im Strafverfahren selbst für Nebenentscheidungen und Nebenbeteiligte keine Relevanz haben soll. Das gilt umso mehr, als die Rechtsprechung zum Zeitpunkt des 1. StVRG bereits begonnen hatte, den Gedanken des § 85 Abs. 2 ZPO auch auf Akteure des Strafverfahrens anzuwenden (vgl. nur zum Nebenkläger BayObLG, Beschluss vom 16. Januar 1970 - GSSt 1/70, BayObLGSt 1970, 9).
(2) Bei der Einziehung nach §§ 73 ff. StGB handelt es sich nicht um einen Prozessgegenstand, der gemäß den durch das Bundesverfassungsgericht aus der Verfahrensgarantie des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG gezogenen Folgerungen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. April 1982 - 2 BvL 26/81, BVerfGE 60, 253, Rn. 149, 152) eine Durchbrechung des in § 85 Abs. 2 ZPO normierten Grundsatzes gebieten würde.
Die Vermögensabschöpfung ist keine dem Schuldgrundsatz unterliegende Nebenstrafe, sondern eine Maßnahme (§ 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB) eigener Art mit kondiktionsähnlichem Charakter. Auch mit der Reform durch das Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13. April 2017 (BGBl. I S. 872) wollte der Gesetzgeber deren quasikondiktionellen Charakter nicht in Frage stellen (vgl. BT-Drucks. 18/9525, S. 48, 62; BT-Drucks. 18/11640, S. 79). Sein Ziel war es, die Parallelen zum Zivil-, insbesondere zum Bereicherungsrecht zu stärken, indem er die dortigen Regelungen zum Ausgangspunkt der Ausgestaltung der Vermögensabschöpfung nahm (BVerfG, Beschluss vom 10. Februar 2021 - 2 BvL 8/19, BVerfGE 156, 354, Rn. 106, 117).
Dass eine Einziehung gleichwohl mit einem erheblichen, vor allem wirtschaftlichen Eingriff verbunden sein kann, genügt nicht, um sie vor dem Hintergrund des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG einer Strafe gleichzustellen. Denn hierfür ist nicht das bloße Ausmaß der Berührung persönlicher Interessen und Rechtspositionen maßgeblich, welches bei gerichtlichen Entscheidungen aus allen Verfahrensordnungen ein hohes sein kann, sondern das allein einem Strafausspruch innewohnende rechtliche Unwerturteil (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. April 1982 - 2 BvL 26/81, BVerfGE 60, 253, Rn. 152). Soweit demgegenüber im Schrifttum eine Gleichsetzung strafrechtlicher Nebenentscheidungen mit einer Strafe deshalb für geboten erachtet wird, weil diese einerseits für den Angeklagten „oftmals schwerer wiegen als die Strafe selbst“ und andererseits Geldstrafen in ihrer Bedeutung zunähmen (so LR/Graalmann-Scheerer, StPO, 27. Aufl., § 44 Rn. 62), wird dabei verkannt, dass Geldstrafen öffentliche Kriminalstrafen sind (LK/Grube, StGB, 13. Aufl., Vorbemerkungen zu den §§ 40 bis 43, Rn. 20) und damit schuldvergeltende strafrechtliche Sanktionen, die hierin weit über eine bloße Vermögenseinbuße hinausgehen, während mit Nebenentscheidungen regelmäßig - jedenfalls bei der Einziehung nach §§ 73 - 73c StGB - kein Unwerturteil und kein Strafcharakter verbunden ist.
Ebenso wenig spielt für die Frage der Verschuldenszurechnung eine Rolle, ob der Verfahrensgegenstand einem adäquaten Ausgleich durch eine Schadenersatzleistung des anwaltlichen Vertreters zugänglich wäre (so aber LR/GraalmannScheerer aaO Rn. 61; MüKoStPO/Valerius, 2. Aufl., § 44 Rn. 55; Schmid NJW 1976, 941). Ohnehin wird eine solche Restitution bei Einziehungen vielfach, bei Einziehung eines Geldbetrags sogar stets möglich sein. Wo dies ausscheidet, tritt aber lediglich ein allen nichtvermögensrechtlichen Streitigkeiten eigener Effekt ein, der letztlich eine tatsächliche Grenze des materiellen Schadensersatzrechts markiert und grundsätzlich hinzunehmen ist (vgl. BVerfG aaO Rn. 148 f. zum Asylverfahren mwN; BVerfG, Beschluss vom 8. Mai 1973 - 2 BvL 5/72, BVerfGE 35, 41 zu Kindschaftssachen).
(3) Dass § 427 Abs. 1 Satz 1 StPO zur Bestimmung der prozessualen Position des Einziehungsbeteiligten und § 428 StPO zur Möglichkeit der Vertretung durch einen Rechtsanwalt weitgehend auf die für den Angeklagten geltenden Vorschriften verweisen, steht der Zurechnung des Verschuldens eines prozessualen Vertreters ebenfalls nicht entgegen (aA LR/Gaede, StPO, 27. Aufl., § 434 Rn. 21). Hiermit wird nicht etwa einem vergleichbar hohen Schutzbedürfnis Rechnung getragen (vgl. auch SSWStPO/Heine, 5. Aufl., § 427 Rn. 1). Vielmehr wollte der Gesetzgeber auf diese Weise lediglich sicherstellen, dass dem Einziehungsbeteiligten die prozessualen Rechte zustehen, die zur Abwehr der gegen ihn gerichteten Einziehungsanordnung erforderlich sind, zum Beispiel das Frage- oder Beweisantragsrecht. Ihm war bewusst, dass der Einziehungsbeteiligte gleichwohl nicht mit dem Vorwurf einer Straftat konfrontiert, sondern lediglich einer quasibereicherungsrechtlichen Maßnahme ausgesetzt ist, die gerade keinen Strafcharakter hat. Der Gesetzgeber hat angesichts dieser gesetzestechnischen Lösung deshalb eigens betont, dass die Stellung des Einziehungsbeteiligten trotzdem eher mit der eines Beklagten im Zivilprozess als mit der eines Angeklagten vergleichbar sei (vgl. BT-Drucks. 18/9525, S. 89).
Soweit der Bundesgerichtshof demgegenüber ausgesprochen hat, dass die Einziehung als hoheitliche Eingriffsmaßnahme mit der Durchsetzung von zivilrechtlichen Schadenersatzansprüchen im Gleichordnungsverhältnis zwischen Privatleuten im Zivilprozess nicht vergleichbar ist (BGH, Beschluss vom 14. November 2018 - 3 StR 447/18, wistra 2019, 187, Rn. 16), geschah dies allein um darzulegen, warum die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Angeklagten nicht dazu führt, dass die Einziehungsanordnung gegen den Insolvenzverwalter als Partei kraft Amtes zu richten wäre. Gerade wegen ihrer auch in dieser Entscheidung hervorgehobenen „quasibereicherungsrechtlichen Rechtsnatur“ war hierzu darauf hinzuweisen, dass die Einziehung als strafrechtliche Nebenfolge im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB gleichwohl dem strafrechtlichen Erkenntnis vorbehalten ist (BGH aaO Rn. 15 f.).
(4) Ob das Verschulden eines Vertreters auch zuzurechnen wäre in Fällen, in denen sich der Einziehungsbeteiligte einer Einziehung nach den §§ 74a, 74b StGB, gegebenenfalls in Verbindung mit § 74e StGB, ausgesetzt sieht (vgl. zu den Fallgruppen einer Dritteinziehung nach den §§ 74 ff. StGB SSWStPO/Heine, 5. Aufl., § 424 Rn. 4), bedarf hier nicht der Entscheidung. Das gilt namentlich, soweit die dort normierten Maßnahmen auch in den Fällen, in denen sie sich gegen nicht tatbeteiligte Dritte richten, repressiven Charakter aufweisen (vgl. nur Fischer, StGB, 70. Aufl., § 74a Rn. 4).
2. Da die Frist zur Begründung des Rechtsmittels (§ 43 Abs. 1, § 345 Abs. 1 Satz 1 StPO) danach nicht eingehalten worden ist, ist die Revision gemäß § 349 Abs. 1 StPO als unzulässig zu verwerfen.
3. Die Revision hätte aber auch in der Sache keinen Erfolg gehabt (vgl. Antragsschrift des Generalbundesanwalts).
HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 1195
Bearbeiter: Christian Becker