HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 414
Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 6 StR 240/20, Beschluss v. 24.03.2021, HRRS 2021 Nr. 414
Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 28. Januar 2020 mit Ausnahme der Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen aufgehoben.
2. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeichnete Urteil im Fall 2 der Urteilsgründe aufgehoben
a) in den Strafaussprüchen mit den zugehörigen Feststellungen,
b) soweit das Landgericht es unterlassen hat, gegen den Angeklagten H. die Einziehung des Wertes von Taterträgen anzuordnen.
3. Im Umfang der Aufhebungen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
4. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.
- Von Rechts wegen -
Das Landgericht hat den Angeklagten K. wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten und den Angeklagten H. wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt. Die Vollstreckung dieser Strafen hat es zur Bewährung ausgesetzt und die Einziehung näher bezeichneter Gegenstände sowie bei dem Angeklagten K. auch von Wertersatz angeordnet. Die jeweils auf die Sachrüge - vom Angeklagten H. auch auf eine Verfahrensrüge - gestützten Revisionen der Angeklagten und der Staatsanwaltschaft haben im tenorierten Umfang Erfolg.
1. Nach den Feststellungen gründete der Angeklagte K. im April 2017 die Firma „H.“ und betrieb Ladenlokale, in denen er unter anderem Cannabispflanzenteile als Hanfblütentee an Endabnehmer verkaufte. Dazu orderte er Nutzhanf mit Gehalten von ?-9-Tetrahydrocannabinol (THC) von 0,08 % bis 0,33 %. Hieraus stellte er Pflanzenmaterial zusammen, wog es ab, füllte es in Gläser und bot es unter verschiedenen Handelsnamen an. Seine Handelsaktivitäten bezogen sich auf 6.829,7 g Cannabis mit einem THC-Gehalt von insgesamt 11,96 g; dabei umfasste sein Vorsatz lediglich knapp 6,83 g THC (Fall 1 der Urteilsgründe).
Nachdem anlässlich von Durchsuchungen im Juli 2018 sämtliches Pflanzenmaterial sichergestellt worden war, beteiligte sich der Angeklagte H. als Geschäftspartner an der „H. “. Gemeinsam erwarben die Angeklagten wiederum Nutzhanf, dessen von ihnen in der beschriebenen Weise bearbeiteten Pflanzenteile sie bis zu einer erneuten Durchsuchung als Tee verkauften. Die Summe des Cannabis betrug 3.532,14 g mit einem Wirkstoffgehalt von 4,87 g THC, wobei sich der Vorsatz der Angeklagten auf rund 3,53 g THC bezog (Fall 2 der Urteilsgründe).
Die Angeklagten wollten sich durch die Verkäufe eine Einnahmequelle von gewisser Dauer und nicht unerheblichem Umfang verschaffen. Sie wussten, dass das Pflanzenmaterial THC in geringer Konzentration enthielt, nahmen jedoch aufgrund von Analyseberichten an, diese liege im Durchschnitt bei 0,1 %. Die tatsächlichen Wirkstoffmengen waren ihnen nicht bekannt, und sie hielten sie auch nicht für möglich.
2. Nach der Wertung des Landgerichts unterlagen die Angeklagten jeweils einem Verbotsirrtum. Sie hätten infolge einer fehlerhaften Auslegung der Anlage I zu § 1 Abs. 1 BtMG angenommen, dass mit Cannabispflanzen mit einer THC-Konzentration von unter 0,2 % uneingeschränkt Handel getrieben werden dürfe. Die Irrtümer seien indes vermeidbar gewesen.
Die Revisionen der Angeklagten haben jeweils mit der Sachrüge weitgehenden Erfolg, während die Verfahrensrüge des Angeklagten H. aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts nicht durchdringt.
1. Die Verurteilung der Angeklagten wegen vorsätzlichen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG) hat keinen Bestand, weil das Landgericht einen auf die Betäubungsmitteleigenschaft des vertriebenen Hanftees bezogenen Vorsatz der Angeklagten in rechtsfehlerhafter Weise bejaht hat.
a) Dieser Hanftee ist ein Betäubungsmittel.
aa) Die Betäubungsmitteleigenschaft eines Stoffes oder einer Zubereitung wird gemäß § 1 Abs. 1 BtMG allein durch die Aufnahme in die Anlagen I bis III begründet, ohne dass es zusätzlich einer konkreten Berauschungsqualität oder Konsumfähigkeit bedürfte (vgl. BayObLG, NStZ 2003, 270; OLG München, NStZ-RR 2010, 23; OLG Düsseldorf, NStZ 1992, 443; OLG Koblenz, Beschluss vom 19. November 2014 - 2 OLG 3 Ss 156/14 Rn. 6). Auf diese Stoffe und Zubereitungen ist der Anwendungsbereich des Betäubungsmittelgesetzes begrenzt (vgl. Körner/Patzak/Volkmer/Patzak, 9. Aufl., BtMG § 1 Rn. 3).
(a) Dabei ist für die Prüfung der Betäubungsmitteleigenschaft des von den Angeklagten vertriebenen Tees die vom Landgericht zugrunde gelegte Position „Cannabis“ der Anlage I zu § 1 Abs. 1 BtMG (im Folgenden: Anlage I) maßgeblich, wonach Cannabis grundsätzlich ein nicht verkehrsfähiges Betäubungsmittel ist. Ausgenommen hiervon sind Pflanzen und Pflanzenteile, „wenn sie aus dem Anbau in Ländern der Europäischen Union mit zertifiziertem Saatgut von Sorten stammen, … oder ihr Gehalt an Tetrahydrocannabinol 0,2 Prozent nicht übersteigt und der Verkehr mit ihnen (ausgenommen der Anbau) ausschließlich gewerblichen oder wissenschaftlichen Zwecken dient, die einen Missbrauch zu Rauschzwecken ausschließen.“ Zwar enthielt das tatgegenständliche Pflanzenmaterial das in der Anlage II zu § 1 Abs. 1 BtMG gesondert verzeichnete ?-9-Tetrahydrocannabinol. Nennen aber die Anlagen sowohl die Pflanze als auch den darin enthaltenen Stoff, geht die Aufnahme der Pflanze als Betäubungsmittel vor (vgl. MüKo/O?lakc?o?lu, 3. Aufl., BtMG, § 29 Rn. 30 mwN); die Position „Cannabis“ ist hinsichtlich des hier einschlägigen Buchstabens b mithin lex specialis zu den THC betreffenden Positionen (vgl. Etzold, KriPoZ 2020, 217, 218). Hierfür spricht auch, dass das vom Gesetzgeber mit der in Buchstabe b getroffenen Ausnahmeregelung verfolgte Ziel, das Marktpotential der Cannabispflanze zu erschließen (BR-Drucks. 899/95 S. 3), nur erreichbar ist, wenn die Tetrahydrocannabinole betreffenden Wirkstoffpositionen in den Anlagen I und II nicht (zusätzlich) anwendbar sind.
(b) Das Landgericht ist ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass es sich bei dem zur Herstellung von Tee verwendeten Nutzhanf um solchen privilegierter Herkunft im Sinne von Buchstabe b 1. Variante der Position „Cannabis“ in Anlage I handelte.
(c) Zu Recht hat das Landgericht auch angenommen, dass bei dem Verkehr mit Nutzhanf derart privilegierter Herkunft gewerbliche Zwecke verfolgt werden müssen, damit die Ausnahmeregelung zur Anwendung gelangt. Dies ergibt sich aus der Begründung der Zehnten Verordnung zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher Vorschriften vom 20. Januar 1998 (BGBl. I 74), durch welche die bis dahin geltende, durch die Siebte Verordnung zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher Vorschriften vom 29. März 1996 (BGBl. I 562) eingeführte und Pflanzen mit einem THC-Gehalt von höchstens 0,3 % betreffende Ausnahmeregelung um Pflanzen aus dem Anbau in Ländern der Europäischen Union mit bestimmtem, zertifiziertem Saatgut ergänzt wurde. Danach sollte klargestellt werden, dass auch solcher Hanf für gewerbliche Zwecke verwendet werden darf (vgl. BR-Drucks. 881/97, S. 39).
(d) Das Landgericht hat das Merkmal des „gewerblichen Zwecks“ jedoch zu eng ausgelegt, indem es gefordert hat, dass dieser nicht nur von den Angeklagten verfolgt werden, sondern auch beim Endabnehmer vorliegen müsse, so dass der Verkauf an Konsumenten kein „gewerblicher Zweck“ sei. Ein solcher liege vielmehr nur dann vor, wenn der Hanf verarbeitet werden solle, bis ein unbedenkliches Produkt entstehe.
Es stützt sich dabei auf die in Rechtsprechung und Literatur vertretene Ansicht, gewerbliche Zwecke müssten auch beim Endabnehmer gegeben sein und schlössen einen letztendlichen Konsumzweck aus (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 21. Juni 2016 - III-4 RVs 51/16 Rn. 43 f.; OLG Zweibrücken, Urteil vom 25. Mai 2010 - 1 Ss 13/10 Rn. 8; OLG Nürnberg, Urteil vom 17. Januar 2006 - 2 St OLG Ss 243/05 Rn. 12; BayObLG, aaO, 271; Körner/Patzak/Volkmer, aaO, § 2 Rn. 16f; Weber, BtMG, 5. Aufl., § 1 Rn. 273; Winghofer, CB 2019, 384, 385 f.; Rottmeier, PharmR 2020, 446, 448; abweichend davon jedoch derselbe, ZLR 2021, 77, 85 unter Hinweis auf EuGH, Urteil vom 19. November 2020 - C-663/18).
Diese Auffassung findet indes im Text der Anlage I keine hinreichende Stütze und entspricht auch nicht dem vom Verordnungsgeber mit der gegenwärtigen Regelung verfolgten Zweck.
(aa) In der ursprünglichen, durch das Gesetz zur Neuordnung des Betäubungsmittelrechts vom 28. Juli 1981 (BGBl. I 681) geschaffenen Fassung der Anlage I war unter der Position „Cannabis“ eine Ausnahmeregelung für Pflanzen und Pflanzenteile vorgesehen, „wenn der Verkehr mit ihnen (ausgenommen der Anbau) zur Gewinnung oder Verarbeitung der Fasern für gewerbliche Zwecke dient“. Damit war unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass auch beim Endabnehmer der Fasern ein gewerblicher Zweck vorliegen musste.
(bb) Diese Regelung wurde durch die Siebte Betäubungsmittelrechts-Änderungsverordnung (aaO) dahin geändert, dass nunmehr eine Ausnahme für Pflanzen und Pflanzenteile gelten sollte, „wenn ihr Gehalt an Tetrahydrocannabinol 0,3 vom Hundert nicht übersteigt und der Verkehr mit ihnen (ausgenommen der Anbau) ausschließlich gewerblichen Zwecken dient, die einen Mißbrauch zu Rauschzwecken ausschließen“. Absicht des Verordnungsgebers war es, über den bisher schon zulässigen Verkehr mit Hanf zur Gewinnung oder Verarbeitung der Fasern für gewerbliche Zwecke die „umfassende, auch innovative, gewerbliche Verwertungsmöglichkeit“ von künftig anbaufähigem Nutzhanf zu gewährleisten. Gleichzeitig sollte „durch das Wort ‚ausschließlich‘ verdeutlicht werden, dass die persönliche Verwendung der Pflanzen und Pflanzenteile, insbesondere zu Rauschzwecken, verboten bleibt“ (BR-Drucks. 899/95 [Beschluss] S. 2).
Das Merkmal des „gewerblichen Zwecks“ sollte demnach - entsprechend dem neuen Wortlaut der Norm - grundsätzlich dahin verstanden werden, dass ein gewerblicher Zweck beim Endabnehmer nicht vorliegen muss. Ein Korrektiv enthält allein das weitere Merkmal, dass die gewerblichen Zwecke einen Missbrauch zu Rauschzwecken ausschließen müssen. Dieses wäre überflüssig, wenn ein gewerblicher Zweck auch beim Endabnehmer gegeben sein müsste und somit ein Konsum von vornherein ausgeschlossen wäre.
(cc) Die Forderung, auch der Endabnehmer müsse gewerblich handeln, macht - jedenfalls objektiv - bereits den am Beginn einer Veräußerungskette stehenden Lieferanten von Nutzhanf für einen von ihm nicht bezweckten Konsum durch den Endabnehmer verantwortlich. Sie verkennt, dass mit dem Ausschluss jeder Art nichtgewerblichen Konsums für den erlaubten Verkehr mit cannabishaltigen Produkten kaum Anwendungsbereiche verblieben, und vereitelt damit den vom Verordnungsgeber verfolgten Zweck, eine umfassende wirtschaftliche Verwertung der Hanfpflanze zu ermöglichen (vgl. BR-Drucks. 899/95 S. 5). Denn jegliche Abgabe von Cannabisprodukten an Endabnehmer wäre ausgeschlossen, auch eine solche von Textilien oder hanfhaltigen Kosmetika (vgl. Kiefer, ZLR 2020, 158, 160).
Dies ergibt sich daraus, dass alle cannabishaltigen Produkte dem Grunde nach der Anlage I unterliegen. Weder kommt es auf den Wirkstoffgehalt an (Prinzip der „Positivliste“ - vgl. BayObLG, aaO, 271; OLG Nürnberg, aaO Rn. 12; MüKoStGB/O?lakc?o?lu, aaO, § 29 Rn. 27; Weber, aaO, § 1 Rn. 14; Körner/Patzak/Volkmer, aaO, § 1 Rn. 20) noch auf den Verarbeitungsgrad, weshalb auch geringste Restsubstanzen Betäubungsmitteleigenschaft haben, selbst wenn sie in nichtkonsumfähigen Trägerstoffen enthalten sind (vgl. BayObLG, aaO; Weber, aaO, § 1 Rn. 15; Körner/Patzak/Volkmer, aaO). Dies bedeutet, dass auch als unbedenklich angesehene Produkte wie Papier, Textilien, Dämmmaterial (vgl. OLG Hamm, aaO, Rn. 44), Kosmetik (vgl. Körner/Patzak/Volkmer, aaO, § 2 Rn. 17) oder Lebensmittel mit so minimalem THC-Gehalt, dass beim Verzehr keine psychotrope Wirkung hervorgerufen werden kann (vgl. Körner/Patzak/Volkmer, aaO, Stoffe Betäubungsmittel Rn. 44), grundsätzlich „Betäubungsmittel“ im Sinne der Anlage I sind.
(dd) Demnach ist es nicht erforderlich, dass auch vom Endabnehmer ein gewerblicher Zweck verfolgt wird. Vielmehr genügt es für dieses Merkmal des Ausnahmetatbestands, dass lediglich einer der Teilnehmer am Verkehrsgeschäft im Rahmen einer grundsätzlich erlaubten eigenverantwortlichen wirtschaftlichen Betätigung ein Produkt an einen Endabnehmer abgibt. Dies haben die Angeklagten nach den Feststellungen getan.
Die Tatsache, dass es sich bei dem vertriebenen Hanftee um ein Lebensmittel handelt, gebietet keine andere Wertung (vgl. Geschwinde, Rauschdrogen - Marktformen und Wirkungsweisen, 8. Aufl., Rn. 223; a.A. Winghofer, aaO, 384, 386). Denn weder der Verordnung noch den ihr zugrundeliegenden Materialien lässt sich entnehmen, dass der Verordnungsgeber Lebensmittel, deren Sicherheit durch lebensmittelrechtliche Vorschriften gewährleistet wird, von der Regelung in Buchstabe b der Position „Cannabis“ ausnehmen wollte (vgl. Weber, BtMG, 5. Aufl., § 1 Rn. 252). Vielmehr ging er davon aus, dass ein Missbrauch THC-armer Hanfsorten zu Rauschzwecken mangels Eignung nicht zu erwarten sei (BR-Drucks. 899/95, S. 4).
(e) Ungeachtet seiner unzutreffenden Auffassung, dass die Angeklagten mit dem Vertrieb des Hanftees schon keinen gewerblichen Zweck verfolgt hätten, hat das Landgericht allerdings weiter geprüft, ob der „Verkehr“ mit ihm einen Missbrauch zu Rauschzwecken ausschloss. Dies hat es zutreffend verneint (vgl. Lachenmeier/Walch, LMuR 2020, 379, 384).
Sachverständig beraten hat es aufgrund rechtsfehlerfreier Beweiswürdigung festgestellt, dass zwar nicht beim bestimmungsgemäßen Genuss des - ausschließlich aus Cannabispflanzenteilen bestehenden - Tees als Aufgussgetränk, wohl aber beim Verzehr eines unter Verwendung des Tees hergestellten Gebäcks („Brownie“) ein Cannabisrausch zu erzeugen sei. Demgegenüber könne durch Rauchen des Tees nur bei einem überaus raschen Konsum großer Mengen ein Rausch hervorgerufen werden, was wegen der damit einhergehenden hohen Rauch- und Kohlenmonoxidproduktion nur ein sehr erfahrener Raucher „überstehe“. Damit sind die Möglichkeit eines Missbrauchs zu Rauschzwecken belegt und der objektive Tatbestand des § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG erfüllt. Die missverständliche Bemerkung zur letalen Dosis von THC (UA S. 38) hat auf dieses Ergebnis keinen Einfluss.
b) Das Landgericht hat allerdings einen auf die Betäubungsmitteleigenschaft des Hanftees bezogenen Vorsatz der Angeklagten in rechtsfehlerhafter Weise bejaht. Denn es hat - ausgehend von seinem zu engen Verständnis der objektiven Voraussetzungen der Ausnahmeregelung in Anlage I - nicht geprüft, ob ihre Vorstellung auch die Möglichkeit eines Missbrauchs der vertriebenen Pflanzenteile zu Rauschzwecken umfasste. Wären die Angeklagten - wie es der Angeklagte K. mit seiner Einlassung unter Betonung des hohen CBD-Gehalts der Tees vorgebracht hat - davon ausgegangen, dass die Erzielung eines Rauschzustands mit den von ihnen vertriebenen Produkten ausgeschlossen wäre, so hätten sie die Rauschmitteleigenschaft des Tees nicht erkannt. Das Gegenteil liegt mit Blick auf die vom Landgericht festgestellten eingeschränkten Vorstellungen der Angeklagten zum Wirkstoffgehalt des zur Teeherstellung verwendeten Nutzhanfs auch nicht auf der Hand.
2. Infolge dieses Rechtsfehlers können die Schuldsprüche und hierdurch bedingt der gesamte Rechtsfolgenausspruch keinen Bestand haben. Die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen werden hiervon nicht berührt und bleiben aufrechterhalten.
Die vom Generalbundesanwalt überwiegend vertretenen Revisionen der Staatsanwaltschaft haben nur teilweise Erfolg.
1. Der auf eine Verurteilung des Angeklagten K. wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG) sowie die Annahme eines höheren Schuldumfangs im Fall 2 für beide Angeklagte zielende Revisionsangriff greift nicht durch.
Die gerügte Feststellung des Landgerichts, der Vorsatz der Angeklagten habe sich lediglich auf einen Wirkstoffgehalt von 0,1 % THC bezogen, basiert auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung. Diese erweist sich insbesondere nicht als lückenhaft oder widersprüchlich. Den Urteilsgründen lässt sich namentlich entnehmen, dass die entsprechende Vorstellung der Angeklagten und ihre hiermit verbundene Annahme, rechtmäßig zu handeln, auf Wirkstoffanalysen fußte, die zusammen mit dem von ihnen bezogenen Pflanzenmaterial übersandt wurden. Dass die Qualität von Cannabis schwanken kann, besagt für sich genommen nichts über eine billigende Inkaufnahme eines über 0,1 % liegenden Wirkstoffgehalts. Auch die festgestellten Verkaufspreise drängten das Landgericht nicht zu einer vertieften Auseinandersetzung mit der inneren Tatseite im Sinne eines weitergehenden Vorsatzes. Die Preiskalkulation der Inhaber von Ladengeschäften unterliegt nicht nur mit Blick auf anfallende Mieten und Gehälter anderen Gesetzmäßigkeiten als diejenige illegal agierender Drogenhändler.
2. Im Fall 1 weist das Urteil auch im Strafausspruch keine durchgreifenden Rechtsfehler zugunsten des Angeklagten K. auf. Insbesondere ist die Annahme eines Verbotsirrtums aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts im Ergebnis nicht zu beanstanden. Soweit die Strafkammer auch in diesem Fall die Einziehung von Verpackungsmaterial (Gläser und Folie) für Hanfblütentee im Gesamtwert von 249 € strafmildernd berücksichtigt hat, obgleich sie eine solche Anordnung nicht getroffen hat, kann der Senat ausschließen, dass der Strafausspruch hierauf beruht.
3. Jedoch liegt der Annahme eines (vermeidbaren) Verbotsirrtums der Angeklagten im Fall 2 keine rechtsfehlerfreie Beweiswürdigung zugrunde.
Das Landgericht hat diese zwar an zutreffenden rechtlichen Maßstäben ausgerichtet (vgl. BGH, Urteil vom 7. März 1996 - 4 StR 742/95, BGHR StGB § 17 Unrechtsbewusstsein 3). Es hat aber nicht die gebotene Gesamtwürdigung der maßgeblichen Gesichtspunkte vorgenommen. Hierbei hätte es insbesondere die Kenntnis der Angeklagten in den Blick nehmen müssen, dass vor dem Tatgeschehen zu Fall 2, nämlich am 3. und am 14. Juli 2018 Durchsuchungen ihrer Geschäftsräume stattgefunden hatten, wobei zunächst Proben und sodann sämtliche Pflanzenmaterialien sichergestellt worden waren. Auch ohne Berücksichtigung der am 15. August 2018 zudem erfolgten „Gefährderansprache“, bei der dem Angeklagten K. von einem Polizeibeamten die Analyseergebnisse des Landeskriminalamts und die Rechtsauffassung der Staatsanwaltschaft mitgeteilt wurden, lag danach die Möglichkeit eines strafbaren Handelns nahe.
Dies gilt erst recht vor dem Hintergrund, dass sich der Angeklagte K. bereits nach der ersten Durchsuchung veranlasst sah, seinen Verteidiger zu konsultieren, und dieser sein Verhalten nicht für eindeutig rechtmäßig hielt, sondern auf das Fehlen einer gesicherten Rechtsprechung und die angebliche Uneindeutigkeit der Ausnahmeregelung in Anlage I hinwies. Insbesondere die Einlassungen des Angeklagten K. zur Drogenpolitik und dem von ihm angenommenen Verstoß gegen das Willkürverbot, die Äußerungen des Angeklagten H. zu seiner „Vorreiterrolle“ bei der Legalisierung von Cannabis sowie ihre Auftritte und Veröffentlichungen im Internet deuten ebenfalls darauf hin, dass die Angeklagten ihr Verhalten zwar nicht für strafwürdig, aber für möglicherweise strafbar hielten und sie sich - wovon auch das Landgericht ausgeht - „bewusst in einem rechtlichen Graubereich bewegten“. Die danach von der Strafkammer treffend als „bloße Rechtshoffnung“ bezeichnete Vorstellung der Angeklagten vermag die Annahme eines Verbotsirrtums im Fall 2 nicht zu tragen.
4. Das Landgericht hat darüber hinaus in rechtsfehlerhafter Weise die Anordnung der Einziehung des Wertes der im Fall 2 erzielten Erträge gegenüber dem Angeklagten H. (als Gesamtschuldner) unterlassen. Die zugrundeliegende Annahme, dieser Angeklagte habe nicht zumindest Mitverfügungsgewalt an den Einnahmen erlangt, weil die Tageserlöse auf ein Konto des Angeklagten K. eingezahlt worden seien, erweist sich als nicht tragfähig.
Denn bei zwei Beteiligten liegt schon dann eine tatsächliche oder wirtschaftliche Mitverfügungsgewalt über einen Vermögensgegenstand vor, wenn beide ungehinderten Zugriff auf ihn nehmen können (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 23. Juli 2020 - 5 StR 149/20, Rn. 3). Dass die Angeklagten die „Hanfbar“ als Geschäftspartner mit mehreren Angestellten betrieben und der Angeklagte H. als einer der beiden „Köpfe“ des Unternehmens Ansprechpartner für diese war (UA S. 32), weist schon für sich genommen auf eine Mitverfügungsgewalt über die in den Ladengeschäften vereinnahmten Erlöse hin. Darüber hinaus legt die Tatsache, dass vom Konto des Angeklagten H. sowohl Mieten als auch Gehälter und Waren bezahlt wurden, eine die wirtschaftliche Verfügungsgewalt begründende Abrede über die Teilung der Erlöse nahe (vgl. BGH, aaO). Hiermit hätte sich das Landgericht näher auseinandersetzen müssen.
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
1. Sollte das neue Tatgericht einen auf die Betäubungsmitteleigenschaft des Tees bezogenen Vorsatz der Angeklagten nicht feststellen können, wird es ihre Strafbarkeit wegen fahrlässigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (§ 29 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 BtMG) zu prüfen haben.
2. Sollte andernfalls das neue Tatgericht erneut einen Vorsatzschuldumfang zu bestimmen haben, wird es berücksichtigen müssen, dass die von den Angeklagten vertriebenen Teesorten teilweise objektiv weniger als 0,1 % THC enthielten (UA S. 14). Selbst wenn sich der Vorsatz der Angeklagten auch für diese Sorten auf 0,1 % THC erstreckt haben sollte, würde der objektiv niedrigere Gehalt die Annahme eines entsprechenden Schuldumfangs hindern (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 16. November 2009 - 1 Ss 348/09 Rn. 10).
3. Bei erneuter Anordnung der Einziehung von Gegenständen wird der Einziehungsbetroffene zu benennen sein.
HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 414
Externe Fundstellen: BGHSt 66, 76; NStZ 2021, 549; StV 2021, 440; StV 2022, 579
Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede