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HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 1296

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 175/23, Beschluss v. 12.09.2023, HRRS 2023 Nr. 1296


BGH 4 StR 175/23 - Beschluss vom 12. September 2023 (LG Münster)

Betäubungsmittelstrafbarkeit (minder schwerer Fall: Abwägungsentscheidung vertypter Strafmilderungsgrund, Beihilfe).

§ 30a BtMG; § 27 StGB

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Münster vom 31. Januar 2023 im Strafausspruch aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zur Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt und eine Entscheidung über die Anrechnung erlittener Auslieferungshaft getroffen. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

Während der Schuldspruch und die Anrechnungsentscheidung keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler aufweisen, hält der Strafausspruch rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

1. Das Landgericht hat bei der Prüfung, ob die Taten des Angeklagten als minder schwere Fälle im Sinne des § 30 Abs. 2 BtMG zu werten sind, das Vorliegen des vertypten Strafmilderungsgrundes der Beihilfe nicht in seine Abwägungsentscheidung eingestellt. Vielmehr hat es ohne dessen Berücksichtigung minder schwere Fälle der Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verneint und sodann der Strafzumessung den nach § 27 Abs. 2 i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Regelstrafrahmen des § 30 Abs. 1 BtMG zu Grunde gelegt.

Diese Vorgehensweise ist rechtsfehlerhaft. Sieht das Gesetz einen besonderen Strafrahmen für minder schwere Fälle vor und ist ? wie hier gemäß § 27 Abs. 2 Satz 2, § 49 Abs. 1 StGB ? auch ein gesetzlich vertypter Milderungsgrund gegeben, muss bei der Strafrahmenwahl im Rahmen einer Gesamtabwägung zunächst geprüft werden, ob die allgemeinen Milderungsgründe die Annahme eines minder schweren Falles tragen. Ist nach einer Abwägung aller allgemeinen Strafzumessungsumstände das Vorliegen eines minder schweren Falles abzulehnen, so sind zusätzlich die den gesetzlich vertypten Strafmilderungsgrund verwirklichenden Umstände in die gebotene Gesamtabwägung einzubeziehen. Erst wenn der Tatrichter die Anwendung des milderen Strafrahmens danach weiterhin nicht für gerechtfertigt hält, darf er seiner konkreten Strafzumessung den (allein) wegen des gegebenen gesetzlich vertypten Milderungsgrundes gemilderten Regelstrafrahmen zugrunde legen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 28. Juni 2022 - 3 StR 135/22 Rn. 8; Beschluss vom 5. Mai 2020 - 4 StR 597/19 Rn. 5; Beschluss vom 7. März 2017 ? 2 StR 567/16 Rn. 6).

Da der von der Strafkammer angewandte gemilderte Regelstrafrahmen des § 30 Abs. 1 BtMG (sechs Monate bis elf Jahre und drei Monate Freiheitsstrafe) höher ist als der Strafrahmen des minder schweren Falles gemäß § 30 Abs. 2 BtMG (drei Monate bis fünf Jahre Freiheitsstrafe) kann der Senat ein Beruhen der verhängten Einzelstrafen von jeweils drei Jahren und sechs Monaten und der hieraus gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe auf dem Rechtsfehler nicht ausschließen.

2. Die dem Strafausspruch zugrundeliegenden Feststellungen können bestehen bleiben, da sie von dem Rechtsanwendungsfehler, der zur Aufhebung des Strafausspruchs führt, nicht betroffen sind (§ 353 Abs. 2 StPO). Das neue Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, die mit den bisherigen nicht in Widerspruch stehen.

HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 1296

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede